Dmitri Mereschkowski
Julianus Apostata
Dmitri Mereschkowski

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X.

Um Mitternacht legte Julianus im Vorraume des großen Saales der Mysterien seine Novizenkleidung ab; die Mystagogen, die Priester, die die Neophyten in die Mysterien einweihen, bekleideten ihn mit einem Hierophantengewand, das aus reinen ägyptischen Papyrusfasern bestand; in die Hand bekam er einen Palmenzweig; die Füße blieben bloß.

Er betrat den niederen, langen Saal.

Die gewölbte Decke wurde von zwei Reihen von Säulen aus Aurichalcum, einer grünlich schimmernden Kupferlegierung, getragen; eine jede Säule stellte zwei ineinandergeschlungene Schlangen dar; das Aurichalcum roch nach Grünspan.

An den Säulen standen auf schlanken Füßen Räucherbecken, aus denen Feuerzungen emporstiegen; weiße Rauchwolken erfüllten den Saal.

In der Ferne, an der Schmalwand des Saales, schimmerten zwei goldene, geflügelte assyrische Stiere; über ihnen thronte, einem Gotte gleich, in einem langen, schwarzen, goldgestickten und mit Smaragden und Karfunkeln besäten Gewande der große Hierophant – Maximus von Ephesus.

Ein Hierodul verkündete mit langgedehnter Stimme den Beginn der Mysterien.

»Wenn in dieser Versammlung ein Gottloser, ein Christ, oder ein Epikureer anwesend ist, so verlasse er uns!«

Julianus war auf alle Antworten, die ein Neophyt zu geben hatte, vorbereitet. Er sagte mit lauter Stimme:

»Die Christen sollen sich entfernen!«

Der Chor der Hierodulen, der im Finsteren unsichtbar war, fiel mit traurigem Gesange ein:

»Die Türe! Die Türe! Die Christen sollen sich entfernen! Hinaus mit den Gottlosen!«

Dann traten aus dem Schatten vierundzwanzig Jünglinge vor; sie waren ganz nackt; in ihren Händen glänzten silberne, halbrunde Sistren, die der Sichel des neuen Mondes glichen; die spitzen Enden der Sichel vereinigten sich zu einem vollen Kreise und trugen feine Speichen, die bei der leisesten Berührung erzitterten. Die Jünglinge hoben gleichzeitig ihre Sistren über den Köpfen empor und berührten mit einer einförmigen Bewegung der Finger die Speichen; es gab einen schwermütigen, schmachtenden Klang.

Maximus gab ein Zeichen.

Jemand trat an Julianus von hinten heran, verband ihm die Augen und sagte:

»Komm mit. Fürchte weder Wasser, noch Feuer, weder Geist, noch Körper, weder Leben, noch Tod!«

Man führte ihn fort. Knarrend öffnete sich vor ihm eine wohl verrostete, eiserne Türe; dumpfe Luft schlug ihm entgegen; unter seinen bloßen Füßen fühlte er steile, glitschige Stufen.

Er begann eine unendliche Treppe hinabzusteigen. Es herrschte eine Todesstille. Es roch nach Schimmel. Er hatte den Eindruck, daß er sich tief unter der Erde befinde.

Er war unten angelangt und ging nun einen engen Gang entlang, seine Hände berührten die Wände.

Plötzlich trat er auf etwas Feuchtes; unter seinen Schritten rieselte Wasser, es bedeckte bereits seine Füße. Er ging weiter. Das Wasser wurde mit jedem Schritte tiefer, es erreichte seine Knöchel, dann die Knie und schließlich auch die Hüften. Es war kalt, und er klapperte mit den Zähnen. Er ging immer weiter. Das Wasser erreichte schon seine Brust. Er dachte: »Vielleicht ist das Ganze Betrug? Vielleicht will mich Maximus einfach töten, um Constantius gefällig zu sein?« Doch er ging immer weiter.

Das Wasser fiel.

Plötzlich wehte ihm eine Glut, wie aus einem Schmiedeofen, ins Gesicht; die Erde wurde heiß und versengte seine Füße; er glaubte sich einem glühenden Ofen zu nähern; an seinen Schläfen pochte das Blut; ab und zu wurde die Hitze so unerträglich, als hätte man seinem Gesicht eine brennende Fackel oder ein Gefäß mit geschmolzenem Eisen genähert. Doch er ging immer weiter.

Die Hitze nahm ab. Aber ein schwerer Gestank versetzte ihm den Atem; er stolperte über etwas Rundes, dann wieder, und noch einmal; der Geruch sagte ihm, daß es Totenschädel und Gerippe seien.

Plötzlich schien es ihm, daß jemand lautlos, wie ein Schatten, an seiner Seite schleiche. Eine kalte Hand hatte die seinige ergriffen. Er schrie auf. Dann fühlte er zwei Hände, die nach ihm griffen und sich an sein Kleid klammerten. Er merkte, daß an diesen Händen die Haut abblätterte und daß aus ihr nackte Knochen hervortraten. In der Gebärde, mit der diese Hände ihn und seine Kleidung berührten, lag eine lüsterne und häßliche Liebkosung, wie bei einem liederlichen Weibe. Julianus spürte an seiner Wange einen Atem: er roch nach Verwesung und Feuchtigkeit des Grabes. Plötzlich hörte er dicht an seinem Ohr ein rasches Flüstern, das sich wie das Rascheln von welkem Laub in einer Herbstnacht anhörte:

»Ich bin es, ich bin es, ich! Erkennst du mich denn nicht? Ich bin es.«

»Wer bist du?« sagte er, und plötzlich fiel ihm ein, daß er damit das Gelübde des Schweigens verletzt hatte.

»Ich, ich. Wenn du willst, werde ich dir die Binde von den Augen nehmen und dann wirst du alles erfahren, und mich sehen. Soll ich? . . .«

Die knochigen Finger machten sich mit der gleichen, häßlichen und lüsternen Hast an seinem Gesicht zu schaffen, um die Binde zu entfernen.

Eisige Kälte des Todes ging ihm durch Mark und Bein. Unwillkürlich, automatisch bekreuzte er sich dreimal, wie er es in seiner Kindheit nach einem schweren Traum zu tun pflegte.

Ein Donnerschlag ertönte, die Erde unter seinen Schritten wankte, er glaubte in einen Abgrund zu stürzen und verlor das Bewußtsein.

Als Julianus wieder zu sich kam, war die Binde von seinen Augen verschwunden; er lag auf weichen Polstern in einer großen, schwach beleuchteten Höhle; man gab ihm an einem mit stark riechenden Essenzen durchtränkten Tuche zu riechen.

Vor Julianus stand ein nackter, hagerer Mann von dunkelbrauner Hautfarbe. Es war ein indischer Gymnosophist, ein Gehilfe des Maximus. Er hielt über seinem Kopfe unbeweglich eine glänzende, kupferne, runde Scheibe. Eine Stimme befahl Julianus:

»Sieh hin!«

Er richtete seinen Blick auf die Scheibe, deren unerträglicher Glanz den Augen weh tat. Er fixierte sie lange. Die Umrisse aller Gegenstände verschwammen in einem Nebel. Er spürte eine angenehme, beruhigende Mattigkeit; er hatte den Eindruck, daß der helle Kreis nicht außerhalb, sondern innerhalb seines Körpers glänze; seine Augenlider wurden schwer, und auf seinen Lippen spielte ein müdes, gefügiges Lächeln; er hatte sich ganz dem Zauber des Lichtes hingegeben.

Jemand fuhr einigemal mit der Hand über seinen Kopf und fragte:

»Schläfst du?«

»Ja.«

»Sieh mir in die Augen.«

Julianus hob mit großer Anstrengung seine Augenlider und erkannte Maximus, der sich über ihn beugte.

Maximus war ein Greis von siebzig Jahren; sein schneeweißer Bart reichte ihm bis an den Gürtel; sein graues Haar, das einen leichten goldenen Schimmer hatte, fiel ihm auf die Schultern herab; seine Wangen und seine Stirne waren von tiefen Runzeln durchfurcht, die nicht von Gram, sondern von Weisheit und Willensstärke erfüllt waren; seine feinen Lippen umspielte ein zweideutiges Lächeln: so lächeln sehr kluge, verlogene und verführerische Frauen; am besten gefielen Julianus seine Augen: klein, funkelnd und schnell lugten sie unter den buschigen, grauen Augenbrauen hervor und blickten durchdringend, spöttisch und liebevoll. Der Hierophant fragte ihn:

»Willst du den alten Titanen sehen?«

»Ich will es!« antwortete Julianus.

»Sieh hin.«

Der Zauberer wies ihm mit der Hand in die Tiefe der Höhle, wo ein Dreifuß aus Aurichalcum stand. Eine große, weiße Rauchwolke stieg zur Decke. Da erscholl eine Stimme, wie die Stimme des Sturmes, und die ganze Höhle erbebte:

»Herkules, Herkules, befreie mich!«

Zwischen Wolkenfetzen leuchtete ein blauer Himmel. Julianus lag mit unbeweglichem, blassem Gesicht und halbgeschlossenen Augen und sah auf die flüchtigen, leichten Bilder, die an ihm vorbeizogen; er hatte den Eindruck, als ob er sie nicht selbst sähe, sondern jemand anderer ihm befehle, sie zu sehen.

Er sah Wolken und schneebedeckte Berge; irgendwo tief unten, wahrscheinlich in einem Abgrunde, brauste das Meer. Er sah einen großen Körper; Füße und Hände waren mit Eisenfesseln an einem Felsen befestigt; ein Geier hackte mit dem Schnabel die Leber des Titanen; schwarzes Blut lief in dicken Tropfen die Hüften hinab; die Ketten klirrten; er warf sich vor Schmerz hin und her.

»Herkules, befreie mich!«

Der Titan hob seinen Kopf und seine Augen blickten in die des Julianus.

»Wer bist du? Wen rufst du?« fragte Julianus mit großer Anstrengung, wie einer, der aus dem Schlafe spricht.

»Dich.«

»Ich bin nur ein schwacher Sterblicher.«

»Du bist mein Bruder: befreie mich.«

»Wer hat dich wieder gefesselt?«

»Die Demütigen, die Sanften, diejenigen, die ihren Feinden aus Feigheit vergeben, die Sklaven, die Sklaven! Befreie mich!«

»Wie kann ich es?«

»Sei wie ich.«

Die Wolken wurden dunkel; in der Ferne erdröhnte Donner; ein Blitz durchfuhr die Finsternis; der Geier flog schreiend auf; von seinem Schnabel tropfte Blut. Doch stärker als der Donner dröhnte die Stimme des Titanen:

»Befreie mich, Herkules!«

Vom Dreifuß stiegen neue Rauchwolken empor, die alles verhüllten.

Julianus kam für einen Augenblick zur Besinnung. Der Hierophant fragte ihn:

»Willst du den Ausgestoßenen sehen?«

»Ja, ich will es.«

»Sieh hin.«

Julianus schloß die Augen und gab sich wieder der leisen Gewalt des Schlafes hin.

Im weißen Rauch sah er den schwachen Umriß eines Kopfes und eines riesenhaften Flügelpaares; die Federn hingen wie die Zweige einer Trauerweide hinab, von einem blassen, blauen Licht umwoben. Eine ferne, schwache Stimme, wie die eines verstorbenen Freundes, rief:

»Julianus! Julianus! Sage dich in meinem Namen von Christo los.«

Julianus schwieg. Maximus flüsterte ihm ins Ohr: »Wenn du den Großen Engel sehen willst, so sage dich los.«

Und Julianus sprach:

»Ich sage mich los.«

Über dem Kopfe der Erscheinung leuchtete im Nebel der Morgenstern auf, der Stern der Morgenröte. Und der Engel wiederholte:

»Julianus, sage dich in meinem Namen von Christo los.«

»Ich sage mich los.«

Und zum dritten Male sagte der Engel: »Sage dich los!« – und seine Stimme klang laut, nahe und triumphierend. Julianus antwortete zum dritten Male:

»Ich sage mich los.«

Und der Engel sagte:

»Komme zu mir.«

»Wer bist du?«

»Ich bin der Lichtbringende. Ich bin die Morgenröte. Ich bin der Morgenstern.«

»Wie schön du bist!«

»Werde mir gleich.«

»Wie traurig deine Augen sind!«

»Ich leide für alle Lebenden. Geburt und Tod sind unnötig. Kommet alle zu mir. Ich bin die Dämmerung, ich bin die Ruhe, ich bin die Freiheit.«

»Wie nennen dich die Menschen?«

»Das Böse.«

»Du bist das Böse!«

»Ich habe mich aufgelehnt.«

»Gegen wen?«

»Gegen den, dem ich gleiche. Er wollte der Einzige sein, wir sind aber unser zwei.«

»Laß mich dir gleich werden.«

»Lehne dich auf gleich mir. Ich werde dir die Kraft geben.«

Der Engel verschwand. Die Flamme des Dreifußes flackerte im Winde auf und schlug zur Erde. Dann wurde der Dreifuß von einem neuen Windstoß umgeworfen, und die Flamme verlosch. Im Finstern hörte man ein Stampfen, Wimmern und Stöhnen: unsichtbare, zahllose Heerscharen schienen vor einem Feinde durch die Luft zu fliehen. Julianus warf sich, von Grauen erfaßt, nieder und berührte mit seinem Gesicht die Erde; das lange, schwarze Gewand des Hierophanten wehte im Winde. Zahllose Stimmen stöhnten: »Flieht, flieht!« – »Die Tore der Hölle öffnen sich. das ist Er, Er der Sieger!«

Der Wind pfiff Julianus um die Ohren. Legionen um Legionen flogen über ihm dahin. Nach einem neuen Windstoß trat plötzlich tiefe Stille ein, ein himmlischer Hauch zog durch die Stille, wie um die Mitte einer kurzen Sommernacht. Und eine Stimme sprach:

»Saul! Saul! Was verfolgst du Mich?«

Julianus schien es, daß er diese Stimme schon einmal in seiner Kindheit gehört hätte.

Dann rief die Stimme wieder, doch leiser, wie aus der Ferne:

»Saul! Saul! was verfolgst du Mich?«

Die Stimme erstarb in weiter Ferne und klang nur noch wie ein kaum hörbarer Hauch:

»Saul! Saul! was verfolgst du Mich?«

Als Julianus wieder zu sich kam und sein Gesicht von der Erde erhob, sah er einen der Hierodulen eine Lampe anzünden. Ihm schwindelte; doch er wußte noch alles, was er erlebt hatte, wie man sich an einen Traum erinnert.

Man verband ihm wieder die Augen und gab ihm etwas gewürzten Wein zu trinken. Er fühlte sich wieder stark und munter.

Man führte ihn die Stiege hinauf, seine Hand ruhte jetzt in der des Maximus. Julianus schien es, daß ihn eine unsichtbare Kraft, wie auf Flügeln, emporhebe. Der Hierophant sagte:

»Frage.«

»Hast du ihn gerufen?« fragte Julianus.

»Nein, wenn aber die Saite einer Leier ertönt, so antwortet ihr eine andere. Ein Gegensatz antwortet dem andern.«

»Warum liegt denn in seinen Worten eine solche Gewalt, wenn sie nur Lüge sind?«

»Nein, sie sind die Wahrheit.«

»Was sagst du? Folglich sind die Worte des Titanen und des Engels Lügen?«

»Nein, auch sie sind Wahrheit.«

»Also zwei Wahrheiten?«

»Ja, zwei.«

»Du verführst mich . . .«

»Ich verführe dich nicht, doch die vollkommene Wahrheit ist verführerisch und ungewöhnlich. Wenn du dich fürchtest, so schweige.«

»Ich fürchte mich nicht. Doch sage mir, haben die Galiläer recht?«

»Ja.«

»Warum habe ich mich dann losgesagt?«

»Es gibt auch noch eine andere Wahrheit.«

»Die höher ist?«

»Nein, sie ist der Wahrheit, von der du dich eben losgesagt hast, gleich.«

»Woran soll ich denn glauben? Wo ist Gott?«

»Hier und dort. Diene dem Ahriman, diene dem Ormuzd. Diene, wem du willst, doch wisse: Beide sind gleich: das Reich des Teufels ist gleich dem Reiche Gottes.«

»Wohin soll ich gehen?«

»Wähle den einen der beiden Wege und halte dich nicht auf.«

»Welchen Weg soll ich wählen?«

»Wenn du an Ihn glaubst, so nimm das Kreuz, und folge Ihm, wie Er es befohlen hat. Sei demütig, sei keusch, sei ein stummes Lamm in der Hand des Henkers; fliehe in die Wüste; gib Ihm dein Fleisch und deinen Geist; leide und glaube. – Dies ist der eine der beiden Wege: die alles duldenden Galiläer erreichen die gleiche Freiheit, wie Prometheus und Lucifer.«

»Ich will es nicht!«

»Dann wähle dir den anderen Weg. Sei stark und frei; kenne weder Mitleid, noch Liebe, noch Vergebung; lehne dich auf und besiege alles; glaube an nichts und ergründe alles. So wird dir die Welt gehören, und du wirst dem Titanen und dem Engel der Morgenröte gleichen.«

»Ich kann nicht vergessen, daß auch in den Worten des Galiläers eine Wahrheit liegt; zwei Wahrheiten kann ich nicht ertragen! . . .«

»Wenn du es nicht kannst, so sei wie alle. Besser ist es unterzugehen. Doch du kannst es. Wage es. – Du wirst ein Cäsar sein.«

»Ich – ein Cäsar?«

»Du wirst mehr in deiner Gewalt haben, als der Makedonische Held.«

Julianus spürte, daß sie den unterirdischen Gang verließen: frische Seeluft wehte ihnen entgegen; es war wohl der frühe Morgenwind. Ohne zu sehen, fühlte er sich von der Unendlichkeit des Meeres und des Himmels umgeben.

Der Hierophant nahm ihm die Binde von den Augen. Sie standen auf einem hohen, marmornen Turme, in der Art der altchaldäischen Türme; es war die am Rande eines tiefen, steilen Abhanges über dem Meere erbaute Sternwarte; unten lagen die prächtigen Gärten und Villen des Maximus, Paläste und Propyläen, die an die Kolonnaden von Persepolis erinnerten; etwas weiter sah man im Nebel das Artemisium und das säulenreiche Ephesus; noch weiter, im Osten, lag das Gebirge; dort sollte bald die Sonne aufgehen; im Westen, im Süden und im Norden breitete sich das unendliche, nebelige, dunkelblaue Meer; es zitterte und lachte in Erwartung des Sonnenaufganges. Sie standen so hoch, daß es Julianus schwindelte; er mußte sich auf den Arm des Maximus stützen.

Plötzlich drangen die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne hinter den Bergen hervor; er lächelte und schloß die Augen; und die Sonne streifte das weiße, geheiligte Gewand des Julianus mit ihrem ersten, anfangs rosigen, dann blutroten Strahl.

Der Hierophant ließ seine Hand über den Horizont schweifen und sagte, auf das Meer und die Erde weisend:

»Sieh, alles das ist dein.«

»Wie kann ich es, Meister? . . . Ich erwarte täglich den Tod. Ich bin krank und schwach . . .«

»Die Sonne, Gott Mithra, krönt dich mit seinem Purpur. Es ist der Purpur der Cäsaren. Alles ist dein. Wage!«

»Warum soll alles mein sein, wenn es die einzige Wahrheit und den einzigen Gott, den ich suche, nicht gibt?«

»Finde ihn. Verbinde, wenn du es kannst, die Wahrheit des Titanen mit der Wahrheit des Galiläers – und du wirst größer sein als alle, die je von irdischen Frauen geboren wurden.«

*

Maximus von Ephesus besaß eine große Bibliothek, stille, mit wissenschaftlichen Instrumenten angefüllte Marmorhallen und große Anatomiesäle.

In einem dieser Säle sezierte der junge Gelehrte Oribasius, ein Arzt aus der alexandrinischen Schule, mit einem feinen Stahlmesser ein höchst seltenes Tier, das Maximus aus Indien zugeschickt worden war. Der Theurg wohnte selbst der Sektion bei. Der Anatomiesaal war rund, ohne Fenster und hatte Oberlicht; er war den Sälen im Museum von Alexandria nachgebildet; an den Wänden standen kupferne Gefäße, Feuerbecken, mathematische Instrumente des Archimedes und Eolipius und die sogenannte »Feuermaschine« des Ktesibius; in der stille der angrenzenden Bibliothek fielen klingende Tropfen der von Apollonius erfundenen Wasseruhr; es gab dort Globen, auf Kupfer gravierte Landkarten und Himmelssphären des Hipparchus und Eratosthenes. Die beiden Freunde anatomisierten das lebende Tier nach den Vorschriften des großen Anatomen Herophilus. Im gleichmäßigen Lichte, das aus einer runden Öffnung in der Decke fiel, stand Maximus in der einfachen Kleidung eines Philosophen vor einem breiten Marmortische und betrachtete aufmerksam die noch warmen Eingeweide des Tieres. Seine kleinen und schnellen Augen funkelten unter den grauen Augenbrauen durchdringend und etwas spöttisch. Oribasius sagte, während er, über den Tisch gebeugt, die eben herausgenommene Leber des Tieres betrachtete:

»Wie kann der Philosoph Maximus an Wunder glauben?«

»Ich glaube und ich glaube nicht,« entgegnete der Theurg. »Ist denn die Natur, die wir beide erforschen, nicht das größte aller Wunder? Sind denn diese feinen Blutgefäße, Nerven und die so vollkommen eingerichteten inneren Organe, die wir wie die Auguren betrachten, nicht ein großes Wunder und ein Geheimnis?«

»Du weißt, was ich damit sagen will,« antwortete Oribasius. »Warum betrügst du den armen Knaben?«

»Den Julianus?«

»Ja.«

»Er will ja selbst betrogen sein.«

Der junge Arzt zog seine sein geschwungenen Brauen zusammen.

»Meister, wenn du mich liebst, so sage mir, wer du eigentlich bist? Wie kannst du diesen Betrug dulden? Weiß ich denn selbst nicht, was die Magie ist? – Ihr befestigt an der Decke eines dunklen Zimmers die mit eigenem Lichte leuchtende Schuppenhaut eines Fisches, und der Jünger, den ihr in die Mysterien einweiht, glaubt, es sei der gestirnte Himmel, der zu ihm auf das Gebot des Hierophanten herabsteigt. Ihr formt aus Leder und Wachs einen Totenkopf und befestigt ihn auf einem langen Kranichhals; dann versteckt ihr euch in einem Raum unter dem Fußboden und sprecht in diese Knochenröhre eure Prophezeiungen hinein; doch der Schüler glaubt, daß der Schädel ihm die Geheimnisse des Todes offenbart. Wenn aber der Totenkopf verschwinden soll, nähert ihr ihm ein Kohlenbecken – das Wachs schmilzt und der Schädel löst sich auf. Ihr werft aus einer Laterne mit bemalten Gläsern Spiegelbilder auf den weißen Rauch von Räucherwerk, und der Schüler glaubt vor sich Götter zu sehen. Ihr zeigt ihm im Wasser eines Brunnens, der einen steinernen Rand und einen gläsernen Boden hat, den leibhaftigen Apollo, – einen verkleideten Sklaven, und die leibhaftige Aphrodite, – eine verkleidete Dirne. Und das nennt ihr heilige Mysterien! . . .«

Auf den feinen Lippen des Hierophanten spielte ein zweideutiges Lächeln:

»Unsere Mysterien sind tiefsinniger und schöner, als du glaubst, Oribasius. Der Mensch braucht die Verzückung. Für den Gläubigen ist die Dirne wirklich Aphrodite, und die Fischhaut wirklich der gestirnte Himmel. Du sagst, daß die Menschen vor Bildern, die von einer Öllampe mit bemalten Gläsern hervorgezaubert werden, beten und weinen. Oribasius, Oribasius, ist denn die ganze Natur, die deine Weisheit so sehr bewundert, nicht das gleiche von Gefühlen hervorgerufene Trugbild, wie die Bilder aus der Laterne eines persischen Magiers? Wo ist die Wahrheit? Wo ist die Lüge? Du glaubst und weißt, – ich will nicht glauben und kann nicht wissen . . .«

»Wäre dir denn Julianus dankbar, wenn er wüßte, daß du ihn betrügst?«

»Julianus sah nur jene Dinge, die er sehen wollte und mußte. Ich gab ihm die Verzückung; ich gab ihm Glauben und Lebenskraft. Du sagst, ich hätte ihn betrogen? Wenn es nötig wäre, so hätte ich ihn vielleicht auch wirklich betrogen und verführt. – Ich liebe ihn. Ich werde ihn nicht verlassen, solange ich lebe. Ich will ihn groß und frei machen.«

Maximus warf Oribasius einen seiner rätselhaften Blicke zu.

Ein Sonnenstrahl spielte im grauen Bart und in den grauen, buschigen Brauen des Greises; die Haare schimmerten wie Silber; die Runzeln auf seiner Stirne erschienen noch tiefer und dunkler; über die feinen Lippen glitt ein zweideutiges Lächeln, verführerisch, wie Frauenlächeln.


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