Dmitri Mereschkowski
Julianus Apostata
Dmitri Mereschkowski

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VI.

Am Gestade des Mittelländischen Meeres, in einer der schmutzigen und ärmlichen Vorstädte von Seleucia in Syrien, dem Handelshafen von Groß-Antiochia, mündeten die krummen, engen Gassen in einen Platz am Hafendamm; das Meer war von einem wahren Wald von Masten und Takelwerk verdeckt.

Statt Häuser gab es hier nur ein wüstes Durcheinander von kleinen Lehmhütten. Nach der Straße zu waren sie oft nur mit einem zerfetzten Teppich, schmutzigen Lumpen oder einer Matte abgeschlossen. In allen Ecken, Hütten und Gassen, in denen es nach dem schmutzigen Wasser der Waschhäuser und Badestuben für Arbeiter roch, trieb sich ein buntes, armes und hungriges Gesindel herum.

Die Sonne, die die Erde mit ihrer Glut versengt hatte, ging eben unter. Die Dämmerung brach an. Sonnenglut, Staub und Dämmerung lasteten noch unerträglicher über der Stadt. Vom Markte her kam der betäubende Geruch von Fleisch und Gemüse, die den ganzen Tag über in der Sonne gelegen hatten. Die halbnackten Sklaven schleppten auf ihren Schultern schwere Warenballen von den Schiffen; ihre Köpfe waren zur Hälfte rasiert. Die zerfetzte Kleidung ließ ihr nacktes, mit Narben von Peitschenhieben bedecktes Fleisch sehen; viele Gesichter waren mit schwarzen, eingebrannten Marken gezeichnet; zwei lateinische Buchstaben, C. und F., bedeuteten »Cave Furem«, das heißt »hüte dich vor dem Dieb«.

Hier und da wurden Lichter angezündet. Obwohl schon die Nacht hereinbrach, wollten der Lärm und das Gedränge in den engen Gassen nicht verstummen. Aus einer nahen Schmiede hörte man die Schläge eines Hammers auf Eisenblech; die Glut des Schmiedeofens flackerte zuweilen auf, und ihm entstieg schwerer, schwarzer Rauch. Dicht daneben waren nackte, über und über mit Mehlstaub bedeckte Bäckersklaven mit vor Hitze entzündeten Augenlidern damit beschäftigt, Brote in den Backofen zu setzen. In einem offenen Laden, aus dem es nach Leim und Leder roch, nähte ein Schuster beim trüben Scheine eines Lämpchens Stiefeln; er kauerte auf dem Boden und sang laut irgendein Lied in der Sprache der Barbaren. Zwei alte Weiber, mit zerzaustem, grauem Haar, zwei wahre Hexen zankten sich von Fenster zu Fenster über die Gasse weg wegen einer Leine, auf der sie ihre Lumpen zum Trocknen aufgehängt hatten; sie streckten ihre Hände aus und waren bereit, sich gegenseitig in die Haare zu fahren. Unten fuhr ein Händler vorbei, der auf einer elenden Mähre Weidenkörbe mit faulen Fischen noch vor Tagesanbruch zum Markt bringen wollte; die Vorübergehenden regten sich über den unerträglichen Gestank auf und schimpften. Ein Judenjunge mit dicken Backen und roten Locken trommelte ununterbrochen auf einem großen, kupfernen Teller, sich an dem betäubenden Lärme ergötzend. Andere Kinder – in dieser Armut kamen täglich zahllose kleine Kinder zur Welt, die zum größten Teil bald nach der Geburt starben – lagen, wie Ferkel grunzend, in den Pfützen umher, in denen Orangen- und Eierschalen schwammen. In anderen Gäßchen, die noch finsterer und verdächtiger waren, wo Taschendiebe hausten, und wo es aus den Schenken nach Schimmel und saurem Wein roch, gingen Schiffsleute von allen Enden der Welt Arm in Arm spazieren, wobei sie wüste Sauflieder brüllten. Über der Türe eines Lupanars hing eine Laterne mit einem unanständigen, dem Gotte Priapus geweihten Bilde; so oft der in der Türe hängende Vorhang – die »Centone« – zurückgeschlagen wurde, sah man im Inneren eine enge Reihe kleiner Kammern, die Viehständen glichen; an jeder Kammer war auf einer Tafel der Preis bezeichnet; in der dunklen Schwüle schimmerten weiße, nackte Frauenleiber.

Dieser Lärm, diese entsetzliche menschliche Verkommenheit und Armut wurden von dem fernen Seufzen der Brandung, vom Brausen des unsichtbaren Meeres übertönt und verdeckt.

Vor den Fenstern der im Keller gelegenen Küche eines phönizischen Kaufmanns spielten einige zerlumpte Männer Würfel und plauderten. Aus der Küche kamen warme Dunstwolken von siedendem Fett und der Geruch von Gewürzen und gebratenem Wild. Die Hungrigen atmeten diese Gerüche gierig ein, mit vor Genuß geschlossenen Augen.

Ein christlicher Purpurfärber, den man wegen Diebstahls aus einer reichen Fabrik in Tyros weggejagt hatte, sog gierig an einem vom Koch herausgeworfenen Malvenblatt und predigte:

»Was in Antiochia vorgeht, ihr lieben Leute, ist so schrecklich, daß ich gar nicht wage, vor Nacht darüber zu sprechen. Neulich hat das hungernde Volk den Präfekten Theophilus förmlich in Stücke gerissen. Aus welchen Gründen weiß Gott allein. Als sie mit ihm bereits fertig waren, fiel es ihnen plötzlich ein, daß er eigentlich ein guter und gottesfürchtiger Mann gewesen war . . . Man erzählt sich, der Cäsar hätte ihn selbst der Wut des Volkes preisgegeben . . .«

Ein ganz alter Mann, seines Zeichens ein geübter Taschendieb, versetzte: »Ich habe einmal den Cäsar gesehen. Ich will nichts behaupten. Mir wenigstens hat er gefallen. Ganz jung ist er, hat flachsblondes Haar, ein sattes und gutmütiges Gesicht. Und doch lasten so viele Morde auf seinem Gewissen; mein Gott, die vielen Morde! Es ist ein wahres Unglück. Man kann sich nur noch mit Lebensgefahr auf die Straße wagen.«

»Nicht alles kommt vom Cäsar her, sondern von seiner Frau, Konstantina. Die ist eine wahre Hexe!«

Mehrere etwas befremdend aussehende Männer näherten sich dieser Gruppe und beugten sich über den Sitzenden, als ob sie an ihren Gesprächen teilnehmen wollten. Wenn die Beleuchtung, die vom Herde durch die Küchenfenster kam, etwas besser gewesen wäre, so könnte man bemerken, daß die Ankömmlinge geschminkte Gesichter hatten, und daß ihre Kleider übertrieben beschmiert und unnatürlich zerfetzt waren, wie man es bei Bettlern auf der Bühne sieht. Derjenige, dessen Kleidung am meisten zerfetzt und beschmiert war, hatte weiße, feine Hände mit rosigen, gutgepflegten Fingernägeln. Einer von ihnen flüsterte seinem Kameraden zu.

»Paß auf, Agamemnon: hier ist vom Cäsar die Rede.«

Der Angeredete machte den Eindruck eines Betrunkenen; er wankte hin und her, und sein unnatürlich langer und dichter Bart verlieh ihm das Aussehen eines Räubers aus einem alten Märchen; dabei hatte er gutmütige, hellblaue Augen und einen kindlichen Gesichtsausdruck. Seine Kameraden hielten ihn zurück und flüsterten ihm erschrocken zu:

»Sei doch vorsichtiger!«

Der Taschendieb fuhr indessen mit jammernder, beinahe singender Stimme fort:

»Nein, sagt mir nur, Brüder, ob es so recht ist? Das Brot wird mit jedem Tage teurer, die Leute sterben wie die Fliegen. Und plötzlich . . . Nein, sagt es nur selbst, ob es schön ist! – Neulich kommt aus Ägypten ein großer Dreimaster; alle freuen sich schon, denn man glaubt, er bringt Brot. Man erzählt sich, der Cäsar hätte aus Ägypten Brot kommen lassen, um das Volk zu speisen. Und was glaubt ihr, Freunde, was glaubt ihr, das auf dem Schiffe war? – Staub aus Alexandria, ein besonderer, lybischer, rosafarbener Staub, mit dem sich die Athleten einreiben; Staub für die Hofgladiatoren des Cäsars, Staub anstatt Brot! Ist das schön? He?« – schloß er und zeigte mit seinen geschickten Diebeshänden Gebärden der Empörung.

Agamemnon stieß einen Kameraden mit dem Ellenbogen an und flüsterte ihm zu:

»Frage nach seinem Namen. Seinen Namen!«

»Still . . . Jetzt geht es nicht! Später . . .«

Ein Wollkämmer versetzte:

»Bei uns in Seleucia ist noch alles ruhig. Aber in Antiochia gibt es nichts als Verrat, Angebereien und Untersuchungen . . .«

Der Purpurfärber, der zum letztenmal an seinem Malvenblatt geleckt und sich dabei überzeugt hatte, daß es jeden Geschmack verloren, murmelte finster vor sich hin:

»So Gott will, wird Menschenfleisch und Menschenblut bald billiger sein, als Brot und Wein . . .«

Der Wollkämmer, ein großer Säufer und Philosoph, sagte schwer aufseufzend:

»Ach, ach, wir armen Schlucker! Die seligen Olympier spielen mit uns, wie mit Bällen: bald geht es nach rechts, bald nach links, bald hinauf, bald hinunter; die Menschen weinen und die Götter lachen dazu.«

Agamemnons Freund hatte sich inzwischen ins Gespräch eingemischt. Geschickt und anscheinend zufällig fragte er sie alle nach ihren Namen aus; er fing auch die Mitteilung auf, die ein herumziehender Schuster dem Wollkämmer zuflüsterte, daß zwischen den Soldaten der Prätorie eine Verschwörung gegen den Cäsar vorbereitet werde. Dann ging er etwas zur Seite und notierte sich mit einem eleganten Stift auf einer Wachstafel, auf der schon mehrere Namen verzeichnet waren, auch noch die Namen dieser Leute.

In diesem Augenblick kamen vom Marktplatze her dumpfe, halblachende und halbweinende Töne einer Wasserorgel, die wie das Gebrüll eines unterirdischen Ungeheuers anzuhören waren; ein blinder, christlicher Sklave pumpte für einen Tageslohn von vier Obolen das Wasser in das Musikwerk, das beim Eingange zu einer Schaubude stand und die lachenden und weinenden Töne hervorbrachte.

Agamemnon schleppte seine Genossen zur Schaubude; das Zelt war aus blauem Stoff und mit silbernen Sternen besät. Unter einer Laterne hing eine schwarze Tafel, auf der mit Kreide griechisch und syrisch das Programm der bevorstehenden Aufführung geschrieben stand.

Im Inneren des Zeltes war es schwül und dumpf; es roch nach Knoblauch und den qualmenden Öllampen. Die Orgelmusik wurde von zwei durchdringenden Flöten vervollständigt, und ein schwarzer Äthiopier schlug augenrollend eine Pauke.

Ein Tänzer sprang auf einem Seile und schlug Purzelbäume, indem er im Takt der Musik mit den Händen klatschte. Dabei sang er den neuesten Gassenhauer:

Huc, huc convenite nunc
Spatalocinaedi!
Pedem tendite
Cursum addite.

Der hagere, stumpfnasige Tänzer war alt, häßlich und ausgelassen lustig, von seiner rasierten Stirne rann der Schweiß, mit Schminke vermischt; seine Runzeln waren weiß getüncht und glichen den Sprüngen in einer Mauer, deren Kalkbewurf im Regen abbröckelt.

Als er mit seiner Nummer fertig war und sich entfernte, verstummten auch die Orgel und die Flöten. Auf der Bühne erschien ein fünfzehnjähriges Mädchen, das den berühmten, beim Volke wahnsinnig beliebten Tanz, den »Kordax«, aufführen sollte. Dieser Tanz war von den Kirchenvätern verdammt und von den römischen Gesetzen verboten; doch half alles nichts: der Kordax wurde überall und von allen getanzt, von arm und reich, von Gattinnen der Senatoren und von Straßentänzerinnen.

Agamemnon rief entzückt aus:

»Das nenne ich ein Mädel!«

Mit Beihilfe der kräftigen Fäuste seiner Begleiter gelang es ihm, in die erste Reihe vorzudringen.

Der hagere, braune Körper der Nubierin war nur an den Hüften von einem farblosen, luftigen Gewebe bekleidet; ihr Haar war in zahllosen kleinen, schwarzen Löckchen geordnet, wie es bei den Frauen in Äthiopien Mode ist; ihr Gesicht, von echt ägyptischem Schnitt, gemahnte an das einer Sphinx.

Das Mädchen begann zu tanzen, träge, nachlässig, gleichsam gelangweilt. In ihren schlanken Händen hielt sie über dem Kopfe kleine Kupferpauken – »Krotalien«, die sie ganz leise schlug.

Dann wurden die Bewegungen rascher. Und plötzlich leuchteten unter ihren langen Wimpern die gelben Augen auf, durchsichtig und lustig, wie bei einem Raubtiere. Sie richtete sich auf, und die kupfernen Krotalien klirrten so durchdringend und herausfordernd, daß in die Zuschauermenge eine Bewegung kam.

Dann begann sich das Mädchen zu drehen, schnell, schlank und biegsam, wie eine kleine Schlange. Ihre Nüstern blähten sich. Aus ihrer Kehle drangen seltsame Schreie. Bei jeder schnellen Bewegung zitterten ihre kleinen dunklen Brüste, die von einem grünen Seidennetz umspannt waren, wie zwei reife Früchte im Winde; und ihre rot geschminkten Spitzen schoben sich durch die Maschen des Netzes.

Die Zuschauer brüllten vor Entzücken. Agamemnon gebärdete sich wie wahnsinnig, und seine Freunde mußten ihn festhalten.

Plötzlich blieb das Mädchen erschöpft stehen. Ein leises Zittern ging von Kopf bis zu den Füßen durch ihre braunen Glieder. Es war ganz still. Über dem in den Nacken geworfenen Kopf der Nubierin bebten mit einem kaum hörbaren, verhallenden Klirren die Krotalien, schnell und schwach, wie die Flügel eines gefangenen Falters. Ihre Augen waren erloschen, und nur ganz in der Tiefe glimmten noch zwei Funken. Ihr Gesichtsausdruck war streng und drohend. Ein schwaches Lächeln umspielte ihre übermäßig dicken, roten Lippen, die Lippen einer Sphinx. Und dann verstummten auch die Krotalien.

Die Zuschauer brachen in ein solches Geschrei aus und klatschten so wahnsinnig, daß das blaue Gewebe des Zeltes mit den Silberflittern sich wie ein Segel im Sturme bewegte, und daß der Wirt glaubte, seine ganze Bude stürze ein.

Den Kameraden gelang es nicht, Agamemnon länger zurückzuhalten. Er hatte sich losgerissen, den Vorhang zurückgeschlagen und war über die Bühne in die Kammer der Tänzerinnen und der Mimen gerannt.

Die Kameraden flüsterten ihm erregt zu:

»Warte doch! Morgen werden wir alles machen. Jetzt kann man uns aber . . .« Doch Agamemnon unterbrach sie:

»Nein, jetzt gleich!«

Er ging zum Wirt, dem schlauen, alten Griechen Myrmex, und schüttete ihm sofort ohne jede nähere Erklärung eine Handvoll Goldmünzen in den Schoß seiner Tunika.

»Gehört die Krotalistria dir?«

»Ja. Was wünscht mein Herr?«

Myrmex blickte erstaunt bald auf die zerlumpte Kleidung Agamemnons, bald auf das Publikum.

»Wie heißt du, Mädchen?«

»Phyllis.«

Er gab auch ihr Geld, ohne es zu zählen. Der Grieche raunte der Phyllis etwas ins Ohr. Sie warf die goldenen Münzen hoch in die Luft, fing sie mit der hohlen Hand auf, lachte und blickte Agamemnon mit ihren funkelnden, gelben Augen an. Er sagte:

»Komm mit mir.«

Phyllis warf über ihre nackten, braunen Schultern die dunkle Chlamys und schlüpfte mit Agamemnon ins Freie.

Sie fragte ihn:

»Wohin?«

»Ich weiß nicht.«

»Zu dir?«

»Das geht nicht. Ich wohne in Antiochia.«

»Ich bin erst heute mit einem Schiff angekommen und kenne mich hier nicht aus.«

»Was sollen wir tun?«

»Wart' einmal, ich habe vorhin in einer Nebengasse einen unversperrten Priapustempel bemerkt. Da wollen wir hingehen.«

Phyllis zog ihn lachend mit sich fort. Seine Kameraden wollten ihm folgen, doch er rief ihnen zu:

»Es ist nicht nötig. Bleibt nur hier.«

»Sei auf deiner Hut! Nimm doch wenigstens Waffen mit! In dieser Vorstadt ist es nachts nicht ungefährlich.«

Einer von den Genossen holte unter seinem Mantel ein kurzes, dolchähnliches Schwert mit kostbarem Griffe hervor und reichte es ehrerbietig Agamemnon.

Agamemnon und Phyllis gelangten, im Finsteren fortwährend stolpernd, in eine dunkle Nebengasse, unweit des Marktes.

»Es ist hier! Fürchte nicht! Tritt nur ein.«

Sie betraten die Vorhalle eines kleinen, leeren Tempels; eine auf dünnen Ketten hängende Lampe, die jeden Augenblick verlöschen wollte, warf ihren schwachen Schein auf die rohbehauenen, alten Säulen.

»Schließ die Türe.«

Phyllis ließ unhörbar ihre weiche, dunkle Chlamys zu Boden fallen, sie lachte lautlos. Als Agamemnon sie in seine Arme zog, schien es ihm, daß eine gefährliche, glühende Schlange sich um seinen Körper winde. Die gelben Raubtieraugen wurden seltsam groß.

In diesem Augenblick kam aus dem Inneren des Tempels ein durchdringendes Geschrei; weiße Gespenster schlugen so heftig ihre Flügel, daß eine der Lampen beinahe verlöschte.

Agamemnon ließ Phyllis aus seiner Umarmung los und flüsterte:

»Was ist das? . . .«

Im Finsteren regten sich weiße Gespenster. Agamemnon war es ganz ängstlich zumute, und er machte ein Zeichen des Kreuzes.

»Was ist es nur? Gott steh' uns bei! . . .«

Plötzlich zwickte ihn jemand heftig ins Bein. Er schrie vor Schreck und Schmerz auf; einen der unbekannten Feinde packte er am Hals, einen anderen durchbohrte er mit dem Schwert. Jetzt erhob sich ein ohrenbetäubendes Geschrei, Gewinsel, Geschnatter und Flügelschlagen. Die Lampe flackerte noch zum letzten Male vor dem Verlöschen auf; plötzlich rief Phyllis lachend aus:

»Das sind ja Gänse, die heiligen Gänse des Priapus! Was hast du getan! . . .«

Der Sieger stand blaß und bebend mit dem bluttriefenden Schwert in der einen und einer toten Gans in der anderen Hand.

Von der Straße her kamen laute Stimmen, und ein großer Menschenhaufen drang mit Fackeln in den Tempel ein. Die alte Priesterin des Priapus – Scabra – führte sie an. Sie hatte eben, wie es ihre Gewohnheit war, in einer benachbarten Schenke ganz friedlich gezecht, als sie plötzlich die heiligen Gänse schreien hörte; nun kam sie mit dem Gesindel den Vögeln zu Hilfe. Die krumme, rote Nase, das zerzauste, graue Haar, und die wie zwei Stahlklingen glänzenden Augen verliehen ihr das Aussehen einer Furie. Sie schrie:

»Zu Hilfe! Zu Hilfe! Der Tempel ist geschändet! Die heiligen Gänse des Priapus sind ermordet! Ihr seht doch, es sind wieder die gottlosen Christen, haltet sie fest!«

Phyllis hüllte sich ganz in den Mantel und rannte davon. Die Menge schleppte Agamemnon zum Marktplatz; er war ganz bestürzt und hielt noch immer die tote Gans am Halse fest. Man rief nach den Agoranomen, den Marktwächtern.

Die Menge wuchs von Augenblick zu Augenblick an.

Agamemnons Genossen waren herbeigeeilt. Es war aber zu spät: aus allen Spelunken, Schenken, Läden und Gassen eilten, vom Lärm angelockt, immer mehr Menschen herbei. Die Gesichter drückten jenes freudige Interesse aus, das immer bei ähnlichen Anlässen zutage tritt. Da lief der Schmied mit dem Hammer in der Hand, die beiden alten Weiber, der mit Teig beschmierte Bäcker; der Schuster humpelte nach, und den Zug beschloß der kleine, rothaarige Judenjunge, der mit solcher Kraft seinen Kupferteller bearbeitete, als ob es eine Sturmglocke wäre.

Scabra hatte sich mit ihren Fingernägeln fest in Agamemnons Kleidung eingekrallt und schrie wie besessen:

»Wart nur! Ich komm dir schon auch an deinen gemeinen Bart! Kein Härchen lasse ich dir zurück, du Rabenaas! Du bist nicht einmal des Strickes wert, auf dem man dich aufknüpfen wird!«

Endlich erschienen die verschlafenen Agoranomen, die eher Dieben, als Wächtern der öffentlichen Ordnung glichen.

Die Menge lärmte, lachte und schrie derart, daß man kein Wort verstehen konnte. Der eine schrie: »Mord!«, der andere: »Haltet den Dieb!«, der dritte: »Feuer!«

In diesem Augenblicke wurde der ganze Lärm von der Donnerstimme eines halbnackten, rothaarigen Riesen, dessen Gesicht dicht mit Sommersprossen besät war, übertönt; seines Zeichens war er ein Badediener, seinem wirklichen Berufe nach – ein Volksredner. Er schrie:

»Mitbürger! Ich beobachte schon längst diesen Spitzbuben und Schurken und seine Genossen. Sie notieren sich alle Namen. Es sind Spione, Spione des Cäsars!«

Scabra gelang es, ihren Vorsatz auszuführen: mit der einen Hand fuhr sie in den Bart, mit der anderen in das Kopfhaar Agamemnons. Er wollte sie zurückstoßen, doch sie riß mit aller Kraft – und der lange, schwarze Bart und das schöne Kopfhaar blieben in ihren Händen zurück; die Alte fiel auf den Rücken, vor dem Volke stand jetzt statt Agamemnon ein schöner Jüngling mit weichen, flachsblonden Locken und einem kleinen Spitzbart.

Die Menge verstummte vor Erstaunen. Dann erklang wieder die Donnerstimme des Badedieners:

»Seht, Mitbürger, es sind wirklich verkleidete Spione!«

Jemand rief:

»Schlagt sie! Schlagt sie tot!«

In die Volksmenge kam Bewegung, Steine wurden geschleudert. Um Agamemnon scharten sich seine Genossen mit gezückten Schwertern. Den Wollkämmer traf der erste Schlag; er fiel blutüberströmt zu Boden. Der Judenjunge mit dem Kupferteller wurde totgetreten. Die Gesichter nahmen einen tierischen Ausdruck an.

In diesem Augenblick bahnten sich zehn riesenhafte paphlagonische Sklaven mit einer purpurnen Sänfte auf den Schultern den Weg durch die Menge.

»Wir sind gerettet!« rief der blonde Jüngling, indem er sich mit einem der Genossen in die Sänfte warf.

Die Paphlagonier hoben sie auf ihre Schultern und eilten davon.

Die wütende Menge hätte sie beinahe angehalten und in Stücke gerissen, wenn nicht jemand gerufen hätte:

»Seht ihr denn nicht, Mitbürger? Es ist ja der Cäsar, Cäsar Gallus in eigener Person!«

Das Volk war vom Schreck wie versteinert.

Die purpurne Sänfte schaukelte auf den Schultern der Sklaven, wie ein Boot auf hoher See, und verschwand in der Tiefe einer finsteren Gasse.

Seit jenem Tage, an dem man Julianus und Gallus in die kappadocische Feste Macellum gesperrt hatte, waren sechs Jahre vergangen. Kaiser Constantius hatte ihnen wieder seine Gnade zugewendet. Der neunzehnjährige Julianus wurde nach Konstantinopel berufen und bekam dann die Erlaubnis, eine Wanderung durch die Städte von Kleinasien zu unternehmen; Gallus aber machte der Kaiser zu seinem Mitregenten, einem Cäsar, und setzte ihn zum Herrscher des östlichen Reiches ein. Diese plötzliche Gnade bedeutete übrigens nichts Gutes. Constantius pflegte seine Feinde zu treffen, nachdem er sie zuvor mit Gnadenbeweisen eingeschläfert hatte.

»Nun, Glykon, Konstantina mag mir jetzt zureden, soviel sie will; ich gehe nie wieder auf die Straße mit falschem Haare. Jetzt ist es aus!«

»Wir haben ja auch deine Majestät gewarnt . . .«

Der Cäsar lag in den weichen Polstern der Sänfte und vergaß bald seine Angst von vorhin. Er lachte:

»Glykon! Glykon! Hast du gesehen, wie die verfluchte Alte mit meinem Barte in den Händen hingefallen ist? Kaum sah ich mich um, als sie schon dalag!«

Als sie ins Schloß zurückgekehrt waren, gab der Cäsar den Befehl:

»Bereitet schnell das Bad und das Nachtmahl! Ich habe Hunger!«

Ein Höfling brachte ihm einen Brief.

»Was ist das? Nein, nein, die Geschäfte können bis morgen warten . . .«

»Gnädiger Cäsar, es ist ein dringender Brief, direkt aus dem Lager des Kaisers Constantius.«

»Von Constantius! Was mag das sein? Gib ihn her! . . .«

Er entfaltete den Brief, las ihn und erbleichte; seine Knie zitterten; hätten ihn die Höflinge nicht gestützt, wäre er umgefallen.

Der Kaiser forderte seinen »zärtlich geliebten« Vetter in gewählten, sogar schmeichelhaften Ausdrücken auf, nach Mediolanum zu kommen; zugleich gab er den Befehl, die beiden Legionen, die in Antiochia lagen und Gallus' einziger Schutz waren, zu ihm ins Lager zu schicken. Offenbar wollte er seinen Feind entwaffnen und in die Falle locken.

Als der Cäsar wieder die Selbstbeherrschung erlangt hatte, sagte er mit leiser Stimme:

»Meine Frau möchte kommen . . .«

»Die Gemahlin des gnädigen Cäsars geruhte soeben nach Antiochia zu reisen.«

»Wie? Und sie weiß von nichts?«

»Nein.«

»Mein Gott! Mein Gott! was ist nun das? Ohne sie? Sagt dem Gesandten des Kaisers . . . Nein, sagt ihm nichts. Ich weiß ja nichts. Kann ich mich denn ohne sie entschließen? schickt einen Boten. Sagt ihr, daß der Cäsar sie anfleht, sie möchte umkehren . . . Mein Gott, was soll ich tun?«

Er ging fassungslos auf und ab, griff sich zuweilen an den Kopf, drehte mit zitternden Fingern seinen weichen, blonden Bart und wiederholte hilflos vor sich hin:

»Nein, nein, nein, um nichts in der Welt gehe ich hin. Lieber den Tod . . . Ich kenne ja Constantius!«

Ein anderer Höfling brachte ihm ein Schriftstück und sagte:

»Es ist von der Gemahlin des Cäsars. Vor ihrer Abreise bat sie, daß du es unterschreibst.«

»Was? Wieder ein Todesurteil? Clematius von Alexandria! Was zuviel, ist zuviel! So geht es nicht. Drei Todesurteile an einem Tage!«

»Deine Gattin geruhte . . .«

»Ach, es ist ja alles gleich! Wo ist die Feder?! Jetzt ist wirklich alles gleich . . . Warum ist sie aber fort? Kann ich denn allein . . .«

Nachdem er das Urteil unterschrieben hatte, blickte er wieder mit seinen blauen, kindlichen, gutmütigen Augen um sich.

»Das Bad ist bereit; das Nachtmahl wird gleich aufgetragen.«

»Das Nachtmahl? Nein, ich will nicht . . . Was gibt es übrigens heute?«

»Es gibt Trüffeln.«

»Sind sie frisch?«

»Sie kommen soeben mit dem Schiffe aus Afrika.«

»Soll ich mich vielleicht doch etwas stärken? Was denkt ihr, Freunde? Ich fühle mich so schwach . . . Trüffeln? Ich habe noch heute früh daran gedacht . . .«

Ein sorgloses Lächeln huschte über seine bestürzten Züge.

Bevor er noch in das kühle Bad, dessen Wasser von den ihm zugefügten, wohlriechenden Essenzen milchig opalisierte, stieg, sagte er mit hoffnungsloser Gebärde:

»Einerlei, einerlei . . . Man soll nicht nachdenken . . . Herr, sei uns Sündern gnädig! . . . Vielleicht kann es noch Konstantina irgendwie ordnen?«

Als er mit Wohlgefühl in das duftende Bad stieg, nahm sein sattes, rosiges Gesicht wieder den gewohnten, sorglosen Ausdruck an.

»Sagt dem Koch, daß er zu den Trüffeln die saure, rote Sauce reichen soll!«


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