Dmitri Mereschkowski
Julianus Apostata
Dmitri Mereschkowski

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III.

Am Morgen gab es Unterricht im Katechismus. In der Religion wurde Julianus von einem anderen Lehrer, einem arianischen Priester, unterrichtet. Der Mönch Eutropius hatte knochige, immer feuchte und kalte Hände und helle, traurige Froschaugen; er war hoch und mager wie eine Hopfenstange und ging immer gebückt. Er hatte die unangenehme Manier, ab und zu seine Hände zu belecken, mit ihnen über die spärlichen grauen Haare an den Schläfen zu fahren und schließlich die Finger so ineinander zu falten, daß die Glieder krachten. Julianus kannte ganz genau die Reihenfolge dieser Bewegungen, und dies fiel ihm auf die Nerven. Eutropius trug eine schwarze, schmutzige, geflickte Kutte und behauptete, die schlechte Kleidung aus christlicher Demut zu tragen; tatsächlich tat er es nur aus Geiz.

Diesen Lehrer hatte Eusebius von Nikomedia, der geistliche Vormund des Julianus, ausgewählt und nach Macellum geschickt.

Der Mönch verdächtigte seinen Zögling einer »geheimen Widerspenstigkeit des Geistes«, die, wie er behauptete, Julianus mit ewiger Verdammung bedrohe, wenn er sich nicht bessere. Eutropius wurde nicht müde, von den Gefühlen zu predigen, die der Knabe seinem Wohltäter, dem Kaiser Constantius, entgegenbringen sollte. Bei jeder Gelegenheit, ob er das neue Testament erläuterte, oder das arianische Dogma oder einen Propheten durchnahm, alles lief immer auf das eine hinaus: »heilige Demut und kindlicher Gehorsam« waren die Wurzeln aller Dinge. – Alle Taten der christlichen Demut und Liebe, alle Opfer der Märtyrer wurden von ihm nur als Stufen, die den Triumphator Constantius zum Throne führten, betrachtet; während der arianische Mönch von den Wohltaten sprach, die der Kaiser seinem Neffen erwiesen hätte, starrte der Knabe seinen Lehrer zuweilen durchdringend an; er wußte, was der Mönch in diesen Augenblicken dachte, und auch dieser wußte, was in der Seele des Knaben vorging. Doch sprachen sie nie davon.

So oft aber Julianus bei der Aufzählung der alttestamentarischen Patriarchen oder mitten in einem Gebet stecken blieb, faßte ihn Eutropius stumm, doch mit einem wollüstigen Ausdruck in seinen Froschaugen, mit zwei Fingern, gleichsam liebkosend, am Ohre; und der Knabe fühlte, wie zwei harte und scharfe Fingernägel sich in sein Fleisch einschnitten.

Eutropius hatte trotz seines scheinbar finsteren Wesens einen spöttischen und in seiner Art lustigen Charakter; er gab seinem Schüler die zärtlichsten Namen, wie »mein Teuerster«, »Erstgeborener meiner Seele«, »mein geliebtester Sohn«, und spottete zugleich über dessen kaiserliche Abstammung; jedesmal, wenn er ihn am Ohr kniff und der Knabe vor Schmerz erbleichte, fragte der Mönch in ehrerbietigem Tone:

»Geruhen vielleicht kaiserliche Majestät eurem einfältigen und demütigen Sklaven zu zürnen?«

Und dann beleckte er wieder seine Handflächen, glättete die Haare an den Schläfen, ließ die Fingergelenke knacksen und bemerkte dazu, daß bösartige und faule Knaben mit der Rute behandelt werden sollten, wie es auch in der Heiligen Schrift heiße: »Die Rute erleuchtet den finsteren und widerspenstigen Geist.« Er sagte es nur, um den »teuflischen Geist des Hochmuts« in Julianus zu demütigen: der Knabe wußte, daß Eutropius es nie wagen würde, seine Drohung zu erfüllen; und auch der Mönch war davon überzeugt, daß der Knabe eher sterben, als sich züchtigen lassen würde; und doch redete der Lehrer oft und ausführlich von der notwendigen Strafe.

Als einmal am Schlusse der Unterrichtsstunde die Rede auf eine dunkle Stelle in der heiligen Schrift kam, erwähnte Julianus die Antipoden, über die er etwas von Mardonius gehört hatte. Vielleicht tat er es auch absichtlich, um den Mönch aus der Fassung zu bringen. Der aber begann laut mit seiner hohen Fistelstimme zu lachen, wobei er sich die Hand vor den Mund hielt.

»Wer hat dir, Teuerster, von den Antipoden erzählt? Ich alter Sünder muß wirklich lachen. Ich weiß wohl, daß beim alten Narren Plato davon die Rede ist. Glaubst du wirklich, daß es Menschen gibt, die mit den Füßen aufwärts herumspazieren?«

Eutropius begann die gottlosen und ketzerischen Lehren der Philosophen durchzunehmen: die Annahme, daß es nach dem Ebenbilde Gottes geschaffene Menschen gäbe, die mit den Füßen aufwärts gehen und so das Firmament verspotten, sei doch höchst schändlich und gotteslästerlich. Als aber Julianus, der sich durch ein solches Urteil über die von ihm so sehr geliebten Philosophen verletzt fühlte, die Rede auf die Kugelgestalt der Erde brachte, hörte Eutropius plötzlich zu lachen auf und geriet in solche Wut, daß er über und über rot wurde und mit den Füßen zu stampfen begann.

»Nur von dem Heiden Mardonius kannst du solche gottlosen Lügen gehört haben!«

Wenn er in Wut geriet, begann er immer zu stottern und zu spucken; sein Speichel kam dem Knaben giftig vor. Der Mönch erging sich in wütenden Beschimpfungen über alle großen Gelehrten der Hellas; er hatte vergessen, daß er nur ein Kind vor sich habe und hielt eine lange Strafpredigt; Julianus hatte nämlich seine empfindlichste Stelle getroffen. Den alten »vor Alter blödsinnigen« Pythagoras beschuldigte er schamloser Frechheit; von den Lügengeschichten Platos glaubte er kein Wort verlieren zu müssen: seine Lehren nannte er einfach »ekelhaft«, die Lehren des Sokrates »unsinnig«.

»Lies nur einmal bei Diogenes Laertius über Sokrates nach!« sagte er giftig zu Julianus. »Da wirst du erfahren, daß er ein Wucherer gewesen war und den schändlichsten Lastern, von denen es sich gar nicht zu reden ziemt, gefröhnt hat.«

Am gehässigsten sprach er jedoch über Epikur:

»Ich glaube nicht, daß Epikur einer ernsthaften Widerlegung bedarf: die viehische Lust, mit der er sich aller Art schändlicher Genüsse hingab, und die Gemeinheit, die ihn zum Sklaven seiner Wollust machte, beweisen zur Genüge, daß er kein Mensch, sondern ein Vieh gewesen ist.«

Als er sich etwas beruhigt hatte, begann er ein sehr schwieriges Dogma der arianischen Lehre zu beweisen, wobei er die »ketzerische« orthodoxe Kirche ebenso unflätig beschimpfte, wie vorhin die Weisen des Altertums.

Durchs Fenster kam in das Zimmer ein frischer Lufthauch aus dem nahen Garten. Julianus stellte sich so, als ob er den Ausführungen des Mönches aufmerksam folge; in Wirklichkeit war er mit ganz anderen Dingen beschäftigt; er dachte an seinen geliebten Lehrer Mardonius, an seine weisen Reden und an das gemeinsame Lesen im Homer und Hesiod; wie anders waren diese Unterrichtsstunden als die des Mönches!

Mardonius pflegte den Homer nicht zu lesen, sondern nach der Art der alten Rhapsoden zu singen; so oft er das tat, bemerkte Labda lachend, daß er »wie ein Hund vor dem Monde heule«. Es sah in der Tat höchst komisch aus: der alte Eunuch pflegte jeden Versfuß im Hexameter eindringlich zu betonen und im Takt beide Arme zu schwingen; sein runzliges Gesicht drückte dabei ungeheure Würde aus. Die feine Weiberstimme stieg dabei immer höher. Julianus bemerkte gar nicht, wie häßlich und lächerlich der Alte in solchen Augenblicken war; ein kalter Schauer des Entzückens überlief seinen Rücken; die göttlichen Hexameter rauschten und flossen dahin wie Wellen: er sah den Abschied Hektors von Andromache, Odysseus, der sich auf dem einsamen Strande der Insel der Kalypso nach seinem heimatlichen Ithaka sehnte, und sein kindliches Herz empfand süße Sehnsucht nach Hellas, dem Vaterlande der Götter, dem Vaterlande aller, die die Schönheit anbeten. Die Stimme des Lehrers zitterte vor Rührung, und Tränen liefen über seine gelben Wangen.

Manchmal erzählte ihm Mardonius von der Weisheit, von der strengen Tugend und von dem Tode der Freiheitshelden. – Wie anders waren doch diese Reden, als die des Eutropius! – Er erzählte ihm die Lebensgeschichte des Sokrates, und so oft er auf die Verteidigungsrede des Philosophen vor dem Volke von Athen zu sprechen kam, sprang er auf und rezitierte die Rede aus dem Gedächtnisse; sein Gesicht nahm einen ruhigen, etwas verächtlichen Ausdruck an: man glaubte nicht den Angeklagten, sondern den Richter des Volkes zu hören; Sokrates bat nicht um Gnade; die ganze Macht und alle Gesetze des Staates seien hinfällig vor der Freiheit des menschlichen Geistes; die Athener können ihn wohl töten, doch nie die Freiheit und das Glück seiner unsterblichen Seele nehmen. – Und so oft dieser Skythe, dieser Barbare, dieser von den Ufern des Borysthenes gekaufte Sklave das Wort »Freiheit« ausrief, glaubte Julianus darin eine Schönheit zu fühlen, vor der alle Schönheit der homerischen Gestalten verblaßte. Er blickte seinen Lehrer mit weitgeöffneten, beinahe wahnsinnigen Augen an und bebte in seliger Verzückung.

Der Knabe erwachte aus seinen Träumen, als er die knochigen kalten Finger des Mönches an seinem Ohre fühlte. Die Katechismusstunde war zu Ende. Er kniete nieder und sprach das Dankgebet. Kaum war er den Eutropius los, als er in seine Zelle lief, eines seiner Lieblingsbücher ergriff und damit in den Garten eilte, um es da ungestört lesen zu können. Es war ein verbotenes Buch: das Symposion des verruchten und gottlosen Plato. Auf der Treppe stieß er zufällig mit dem eben fortgehenden Eutropius zusammen.

»Wart' einmal, Teuerster! Was für ein Buch hat da deine kaiserliche Majestät?«

Julianus blickte ihn ruhig an und reichte ihm das Buch.

Der Mönch las auf dem Pergament-Einband den mit großen Buchstaben geschriebenen Titel: »Episteln des Apostels Paulus« und gab das Buch, ohne es aufzuschlagen, dem Knaben zurück.

»So ist es recht! Denke immer daran, daß ich die Verantwortung vor Gott und dem erhabenen Kaiser für dein Seelenheil trage. Lies keine ketzerischen Bücher, insbesondere nicht Werke jener Philosophen, deren eitle Weisheit ich dir heute aufgedeckt habe.«

Es war die gewohnte List des Knaben: verbotene Bücher pflegte er in Pergamenthüllen mit unschuldigen Titeln zu stecken. Julianus hatte von seiner frühesten Kindheit an lügen und heucheln gelernt, und zwar mit einer Vollkommenheit, wie sie sonst Kindern nicht eigen ist. Besonderen Genuß machte es ihm, den Mönch Eutropius zu betrügen. Oft heuchelte, log und betrog er ohne besondere Not, rein aus Gewohnheit; er befriedigte und stillte so seinen Haß und Rachedurst. Aber den Mardonius betrog er nie.

Unter den zahllosen müßigen Dienern und Mägden, die in Macellum hausten, gab es immer Zwischenträgereien, Verleumdungen, Intrigen, Ränke und Angebereien. Die Dienerschaft, die sich vor dem Hofe gern auszeichnen wollte, beobachtete die in Ungnade gefallenen kaiserlichen Brüder auf Schritt und Tritt, bei Tag und bei Nacht.

Von den ersten Tagen seiner frühesten Kindheit an hatte Julianus täglich den Tod erwartet und sich allmählich an diese ständige Angst gewöhnt; er wußte, daß ihn bei jedem seiner Schritte im Hause und im Garten Tausende von Augen beobachteten. Der Knabe hörte und sah verschiedene Dinge, mußte sich aber so stellen, als ob er nichts sähe oder verstünde. Einmal fing er einige Worte aus dem Gespräch zwischen Eutropius und einem von Constantius gesandten Spion auf; im Verlaufe dieses Gespräches nannte der Mönch Julianus und Gallus »kaiserliche Ferkel«. Ein anderes Mal hörte der Knabe, als er zufällig an den Küchenfenstern vorbeikam, wie der Koch, ein alter Säufer, den Gallus durch irgend etwas aus der Fassung gebracht hatte, zu seiner Geliebten, einer Sklavin, die gerade das Geschirr abwusch, sagte: »Gott sei mir gnädig, Priscilla, ich wundere mich nur, warum man sie bis heute noch nicht erwürgt hat!«

Als Julianus nach der Katechismusstunde aus dem Hause lief und das Grün der Bäume sah, atmete er wie erlöst auf.

Der ewige Schnee auf der gespaltenen Spitze des Argäos hob sich blendend vom blauen Himmel ab. Von den nahen Gletschern kam ein kühler Hauch. Durch das undurchdringliche Dickicht der südlichen Eichen mit glänzendem, schwarzgrünem Laube liefen Alleen; hier und da fiel ein Sonnenstrahl durch das Dickicht und flimmerte im grünen Platanenlaube. Der Garten war an einer Seite von keiner Mauer begrenzt und endete an einem Abgrund. Unten zog sich bis zum Horizont, bis zu dem Antitaurischen Gebirge eine Wüste hin. Sie atmete gleichsam unerträgliche Hitze aus. Im Garten aber rauschten kühle Bäche und Wasserstürze, sangen Springbrunnen und rieselten Quellen unter Oleandergesträuch. Macellum war vor vielen Jahrhunderten die liebste Zufluchtstätte des prunkliebenden und halb wahnsinnigen kappadocischen Königs Ariarathes gewesen.

Julianus begab sich mit seinem Plato zur einsamen Grotte, die in der Nähe des Abgrundes lag. Hier stand die Statue eines bockbeinigen, die Schalmei blasenden Pans und vor dieser ein kleiner Altar. In einer Marmormuschel rieselte Wasser, das aus einem Löwenrachen strömte. Der Eingang zur Grotte war dicht mit gelben Rosen verwachsen; zwischen ihnen durch fiel der Blick auf die graublauen Hügel der Wüste, die sich wie Meereswellen rundeten und in der Ferne verloren; die ganze Grotte war von dem Duft der Teerosen erfüllt. Es wäre hier unerträglich schwül gewesen, wenn nicht der eiskalte Wasserstrahl gewesen wäre. Der Wind brachte weiße und gelbe Rosenblätter herbei und streute sie auf den Boden und in das Wasser. In der warmen Dämmerung vernahm man nichts als das Summen der Bienen.

Julianus lag auf dem Moose und las in seinem Buche; vieles verstand er allerdings nicht, aber der ganze Reiz lag darin, daß das Buch verboten war.

Als er genug gelesen hatte, tat er den Plato wieder in den Einband der Episteln des Apostels Paulus und legte ihn zur Seite; dann näherte er sich mit leisen Schritten dem Altare des Pan und nickte dem lustigen Gotte wie einem alten Spielgenossen zu. Darauf schob er den Haufen des dürren Laubes zur Seite und holte aus dem Inneren des Altares, der durchbrochen und mit einem Deckel verdeckt war, einen sorgfältig in ein Tuch gewickelten Gegenstand heraus. Er packte ihn vorsichtig aus und stellte ihn vor sich hin. Es war das Werk seiner Hände: ein prachtvolles Modell eines Schiffes, eine »Liburnische Trireme«. Dann ließ er das Schiff auf dem Wasser des Brunnenbeckens schwimmen; die Trireme schaukelte auf den kleinen Wellen. Alles war fertig: das Schiff hatte drei Masten, vollständiges Takelwerk und Ruder, einen vergoldeten Bug und Segel, die er aus einem von Labda geschenkten Seidenfetzen verfertigt hatte; nur das Steuerruder fehlte. Der Knabe machte sich sofort an die Arbeit. während er an einem Brettchen herumschnitzte, blickte er ab und zu durch die Rosenhecke in die Ferne, auf die wellenförmigen Hügel der Wüste. Über seinem Spielzeug vergaß er bald alle Beleidigungen und Demütigungen, die er täglich erdulden mußte, vergaß seinen Haß und die Todesangst, in der er ständig lebte. Er stellte sich vor, er sei der irrende weise Odysseus, der sich in einer einsamen Höhle hoch über dem Meere ein Schiff baue, um in seine geliebte Heimat zurückkehren zu können. – Aber dort, wo zwischen den Hügeln die weißen Dächer von Cäsarea wie Schaum auf den Wellen des Meeres schimmerten, sah er ein Kreuz, das kleine, funkelnde Kreuz über der Basilika. Und dieses Kreuz störte ihn in seinen Gedanken. Das ewige Kreuz! Er bemühte sich, nicht hinzublicken und vertiefte sich ganz in die Arbeit an seiner Trireme.

»Julianus! Julianus! Wo steckt er denn? Es ist Zeit zur Kirche. Eutropius läßt dich in die Kirche rufen!«

Der Knabe fuhr auf und versteckte sein Schiff eilig in die Höhlung des Altars; dann brachte er sein Haar und seine Kleidung in Ordnung. Kaum hatte er die Grotte verlassen, als sein Gesicht wieder den undurchdringlichen, unkindlichen Ausdruck von Heuchelei annahm; es war so, als hätte ihn plötzlich das Leben verlassen.

Eutropius packte mit seiner knochigen, kalten Hand die Hand des Knaben und führte ihn in die Kirche.


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