Dmitri Mereschkowski
Julianus Apostata
Dmitri Mereschkowski

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VII.

In den kleinasiatischen Städten Nikomedia, Pergamon und Smyrna, wo der neunzehnjährige Julianus die hellenische Weisheit studierte, hörte er viel von dem berühmten Theurgen und Sophisten Jamblichus aus Chalkys, einem Schüler des Neoplatonikers Porphyrius, dem Göttlichen Jamblichus, wie man ihn allgemein nannte.

Er reiste zu ihm nach Ephesus.

Jamblichus war ein kleiner, magerer, runzeliger Greis. Er pflegte immerwährend über seine Krankheiten – Podagra, Gliederreißen und Kopfschmerzen – zu klagen; er schimpfte auf alle Ärzte, kurierte sich aber mit großem Eifer und sprach besonders gerne von Breiumschlägen, Mixturen, Arzneien und Pflastern; er trug immer eine weiche, warme, doppelte Tunika, doch konnte er sich selbst im Sommer nie erwärmen; er liebte die Sonne, wie eine Eidechse.

Jamblichus hatte sich von seiner frühesten Jugend an der Fleischnahrung entwöhnt; sie flößte ihm Ekel ein, und er konnte nicht begreifen, wie die Menschen Fleisch essen können. Seine Magd bereitete ihm einen besonderen Brei aus Gerstengrütze, ein wenig warmen Wein und Honig; der Alte konnte mit seinen zahnlosen Kiefern nicht einmal Brot zerkauen.

Zahlreiche Schüler aus Rom, Antiochia, Karthago, Ägypten, Mesopotamien und Persien umgaben ihn; sie lauschten mit der größten Ehrfurcht seinen Lehren und glaubten, daß Jamblichus Wunder verrichten könne. Er behandelte sie wie ein Vater, der seiner vielen, kleinen, unruhigen Kinder überdrüssig ist. Wenn die Schüler sich zankten oder stritten, verzog der Meister sein Gesicht wie vor Schmerz und winkte mit der Hand ab. Er sprach sehr leise, und je lauter seine Schüler stritten, um so leiser wurde seine Stimme; er vertrug keinen Lärm und haßte laute Stimmen, wie auch knarrende Sandalen.

Julianus betrachtete den launischen, immerwährend frierenden und kranken Greis mit enttäuschten Blicken und konnte nicht begreifen, womit er die Menschen so anzog.

Er dachte an die Erzählungen, die über den Alten im Umlauf waren: seine Schüler sollen einmal den Göttlichen beobachtet haben, wie er während des Gebetes durch eine wunderbare Kraft zehn Ellen hoch über dem Boden erhoben wurde, wobei ihn ein goldener Lichtschein umgab; man erzählte sich auch, daß der Meister einmal in der Stadt Gadara in Syrien aus zwei heißen Quellen die Götter Eros und Anteros hervorgezaubert hätte; der eine Genius der Liebe sei fröhlich und blondgelockt, der andere traurig und dunkel gewesen; beide hätten sich an Jamblichus, wie Kinder, geschmiegt und wären dann plötzlich auf seinen Wink verschwunden.

Julianus lauschte aufmerksam den Worten des Meisters, doch konnte er in ihnen keinerlei Kraft entdecken. Die Metaphysik der Porphyriusschule erschien Julianus tot, trocken und furchtbar kompliziert. Jamblichus trieb die Überwindung dialektischer Schwierigkeiten in den Disputen als eine Art Spiel. Seine Lehren von Gott und der Welt, von den Ideen und der Plotinischen Trias zeugten von großem Wissen, enthielten aber keinen einzigen Lebensfunken. Julianus hatte etwas anderes erwartet.

Und doch wartete er noch immer.

Jamblichus hatte seltsame, grüne Augen, die auf seinem dunklen, von vielen Runzeln durchfurchten Gesicht noch seltsamer erschienen: es war jene grüne Farbe, die manchmal der Abendhimmel zwischen dunklen Gewitterwolken hat. Julianus glaubte in diesen anscheinend unmenschlichen, aber noch weniger göttlichen Augen jene verborgene Schlangenweisheit leuchten zu sehen, von der Jamblichus noch nie ein Wort zu seinen Schülern gesprochen hatte. – Wenn aber der Göttliche gleich darauf müde und leise fragte, warum sein Gerstenbrei oder der Umschlag noch nicht fertig sei, oder über Gliederreißen klagte, so war der ganze Zauber seiner Persönlichkeit sofort verschwunden.

Einmal gingen Jamblichus und Julianus außerhalb der Stadt, am Meeresstrande, spazieren. Es war ein milder, trauriger Abend. In der Ferne über dem Hafenort Panormos schimmerten die weißen, mit Bildsäulen geschmückten Treppen und Giebel des Tempels der Ephesischen Artemis. Auf dem sandigen Ufer des Kaystros, wo nach einer Überlieferung Latona Artemis und Apollo geboren hatte, stand das dünne, dunkle Riedgras ganz unbeweglich. Von den zahlreichen Altären, die im heiligen Haine der Orthigia standen, stieg der Rauch in aufrechten Säulen geradewegs in den Himmel. Im Süden waren die blauen Berge von Samos sichtbar. Die Brandung war leise, wie die Atemzüge eines schlafenden Kindes; die durchsichtigen Wellen bespülten den glatten, schwarzen Sand; es roch nach Salzwasser und Seetang, die von den Sonnenstrahlen erwärmt waren. Die untergehende Sonne verbarg sich unter Wolken und vergoldete ihre Ränder.

Jamblichus ließ sich auf einen Stein nieder; Julianus setzte sich ihm zu Füßen. Der Meister ließ seine Hand auf dem struppigen, schwarzen Haar des Schülers ruhen.

»Bist du traurig?«

»Ja.«

»Ich weiß es. Du suchst und findest nicht. Du hast nicht die Kraft, zu sagen: Er ist, – und du wagst nicht, zu sagen: Er ist nicht.«

»Wieso hast du es erraten, Meister? . . .«

»Mein armer Junge! Seit fünfzig Jahren kranke ich an dem gleichen Leiden. Und werde wohl bis zu meinem Tode daran kranken. Kenne ich denn Ihn besser als du? Habe ich Ihn denn gefunden? Das sind ewige Geburtswehen. Alle anderen Schmerzen verschwinden vor diesen. Die Menschen glauben, daß sie an Hunger, Durst, körperlichen Schmerzen und Armut leiden: in Wirklichkeit leiden sie aber nur unter dem Gedanken, daß es Ihn vielleicht nicht gibt. Das ist der einzige Schmerz der Welt, wer wagt es, zu sagen: Er ist nicht, und wer weiß, welch einer Kraft man bedarf, um zu sagen: Er ist

»Und du, hast du dich Ihm noch nie genähert?«

»Dreimal in meinem Leben habe ich die große Wonne des vollkommenen Aufgehens in Ihm erfahren. Plotinus wurde dieses Glück viermal zuteil, Porphyrius fünfmal. Ich hatte in meinem Leben drei Augenblicke, die meinem ganzen Leben erst einen Wert verleihen.«

»Ich habe danach deine Schüler gefragt: sie wissen nichts . . .«

»Dürfen denn die etwas wissen? Ihnen genügen auch die leeren Schalen der Weisheit: denn der Kern ist tödlich.«

»Wenn ich daran auch sterbe, Meister, – gib mir den Kern!«

»Wirst du auch den Mut haben, ihn zu empfangen?«

»Sage es nur, sage es!«

»Was kann ich dir denn sagen? Ich kann es gar nicht ausdrücken . . . Und ist es auch gut, darüber zu sprechen? Lausche nur der abendlichen Stille, sie wird es dir ganz ohne Worte eröffnen.«

Er streichelte noch immer dem Schüler, wie einem Kinde, den Kopf. Julianus dachte: »Da ist es nun, worauf ich gewartet habe!« Er umschlang die Knie des Meisters mit den Armen, hob zu ihm flehend die Augen empor und sagte:

»Meister, habe doch Mitleid! Eröffne mir alles, verlasse mich nicht . . .«

Jamblichus begann leise, wie vor sich hin, als sähe und höre er nichts, seine seltsamen, unbeweglichen, grünen Augen auf die von innen vergoldeten Wolken gerichtet:

»Ja, ja . . . Wir alle haben die Stimme des Vaters vergessen. Wie Kinder, die man noch an der Wiege von ihrem Vater getrennt hat, hören wir Ihn und erkennen Ihn nicht. Alles, alle himmlischen und irdischen Stimmen müssen erst in der Seele verstummen; dann werden wir Ihn hören . . . Solange in uns die Vernunft herrscht, die unsre Seele wie die Sonne erleuchtet, bleiben wir in uns selbst und können Gott nicht sehen, wenn aber die Vernunft sich gen Abend wendet und dem Untergang nahe ist, fällt auf die Seele, wie ein nächtlicher Tau, eine unsagbare Wonne . . . Die Bösen können diese Wonne nie erfahren; nur der Weise wird zu einer Leier, die unter der Hand Gottes erzittert und ertönt. Woher kommt dieses Licht, das die Seele erleuchtet? – Ich weiß es nicht. Es kommt immer ganz plötzlich und unerwartet; suchen kann man es nicht. Gott ist uns immer nahe. Man muß immer bereit sein, man muß ruhig warten, wie die Augen darauf warten, daß die Sonne aufgeht, oder, wie sich die Dichter ausdrücken, dem dunklen Ozean entsteigt. Gott kommt nicht und geht nicht, er erscheint nur. Da ist Er. Er ist die Verneinung der Welt, die Verneinung von allem, was besteht. Er ist – Nichts, Er ist – Alles.«

Jamblichus erhob sich von seinem Stein und streckte die mageren Hände aus. Dann fuhr er fort:

»Still, still, ich sage, – still! Lauscht Ihm alle! Da ist Er. Es verstumme die Erde und das Meer, die Luft und selbst der Himmel. Lauscht! Er erfüllt die Welt, durchdringt mit seinem Atem die Atome, er durchleuchtet den Urstoff, – das Chaos, das für die Götter ein Gegenstand des Schreckens ist, – wie die Abendsonne die Wolken durchleuchtet . . .«

Julianus lauschte andächtig diesen Worten, und es schien ihm, daß die schwache und leise Stimme des Meisters die Welt, den Himmel und die letzten Grenzen des Meeres erfülle. Aber seine Trauer war noch so tief und groß, daß seiner Brust ein Seufzer entfuhr:

»Vater, verzeihe mir! Wenn es aber dem so ist, welchen Sinn hat dann noch das Leben? Wozu dient dieser ewige Wechsel der Geburten und der Tode? Wozu das Leid? Wozu das Böse? Wozu das Fleisch? Wozu die Zweifel? Wozu die Sehnsucht nach Unmöglichem? . . .«

Jamblichus warf ihm einen milden Blick zu und strich ihm wieder über die Haare.

»Hier ist eben das große Geheimnis, mein Sohn. Wenn Er ist, so gibt es kein Böses, keine Welt, kein Fleisch. Entweder ist Er, oder die Welt. Es scheint uns, es gäbe ein Böses, ein Fleisch und eine Welt. Es ist aber ein Gespenst, ein Trugbild des Lebens. Wisse: alle, wie Menschen, so auch stumme Geschöpfe, haben eine einzige Seele. Einst haben wir alle im Schoße des Vaters, im ewigen, unvergänglichen Lichte geruht. Unser Blick fiel aber einmal aus der Höhe auf den finstern und toten Urstoff, und wir erkannten darin, wie in einem Spiegel, unser eigenes Bild. Und die Seele sagte dann zu sich selbst: ich kann, ich will frei sein. Ich bin wie Er. Werde ich denn nicht den Mut haben, von Ihm abzufallen und alles zu sein? – Die Seele geriet vor der Schönheit ihres eigenen Bildes, das sich im Körper spiegelte, wie Narcissos vor dem Bache, in Verzückung. Und sie stürzte. Sie wollte bis ans Ende fallen und sich von Gott auf alle Ewigkeit trennen, doch konnte sie es nicht: die Füße des Sterblichen berühren die Erde, sein Haupt ragt über alle Himmel. Und nun steigen die Seelen aller Kreaturen zu Ihm hinauf und von Ihm hinunter auf der ewigen Stufenleiter der Geburten und der Tode. Sie wollen sich vom Vater entfernen und können es nicht. Jede Seele will selbst Gott sein, doch alles ist vergeblich: sie sehnt sich ewig nach dem Schoße des Vaters; auf Erden findet sie keine Ruhe; es zieht sie immer zu dem Einzigen hin. Wir müssen zu Ihm zurückkehren, und dann werden wir alle Gott sein, und Gott wird in uns sein. – Glaubst du, daß du der einzige bist, der sich nach Ihm sehnt? Sieh nur, wie groß die himmlische Trauer ist, die aus dem Schweigen der Natur spricht. Lausch nur hin: fühlst du denn nicht, daß sich alles voller Gram nach Ihm sehnt?«

Die Sonne war untergegangen. Die goldenen, gleichsam glühenden Ränder der Wolken erloschen. Das Meer war bleich und luftig wie der Himmel, der Himmel tief und heiter wie das Meer. Auf der Landstraße rollte ein Wagen vorbei. Ein Jüngling und ein Mädchen, vielleicht ein Liebespaar, saßen darin. Die Frauenstimme sang ein bekanntes, trauriges Liebeslied. Und dann wurde alles wieder still und noch trauriger. Die schnelle, südliche Nacht senkte sich vom Himmel herab.

Julianus flüsterte:

»Ich habe schon so oft daran gedacht: warum ist die Natur von solcher Trauer erfüllt? Je schöner sie ist, um so trauriger ist sie . . .«

Jamblichus erwiderte lächelnd:

»Ja, ja . . . Sieh nur hin: sie möchte gerne sagen, warum sie trauert, – und sie kann es nicht. Sie ist stumm. Sie schläft und bemüht sich, Gott im Traume zu sehen, doch kann sie es nicht, denn das Irdische bedrückt sie zu stark. Sie ahnt ihn dunkel und wie im Traume. Alle Welten, alle Sterne, das Meer und die Erde, die Tiere, Pflanzen und auch die Menschen sind nur Träume der Natur von Gott. Alles, was sie sieht, wird geboren und stirbt. Sie erschafft nur im Geiste, wie auch wir es zuweilen im Traume tun; sie erschafft mühelos, und kennt weder Umstände, noch Schranken. Darum sind ihre Schöpfungen so schön und frei, so zwecklos und so göttlich. Das Spiel ihrer Traumgebilde ist wie das Spiel der Wolken. Es hat keinen Anfang und kein Ende. – Die Anschauung ist das einzige, was es in der Welt wirklich gibt. Je tiefer sie ist, um so stiller ist sie. Der Wille, der Kampf, die Tat sind nur geschwächte, unvollendete oder getrübte Gedanken Gottes. Die Natur erschafft in ihrer großen Untätigkeit Formen, wie der Geometer: nur das, was er sieht, besteht; so gebiert auch sie aus ihrem mütterlichen Schoße Formen auf Formen. Ihre stumme, dunkle Anschauung ist nur das Abbild einer anderen, die klarer ist. Die Natur sucht nach Worten und findet sie nicht. Die Natur ist die schlafende Mutter Kybele mit den ewig geschlossenen Lidern; erst der Mensch hat das Wort gefunden, das sie vergeblich gesucht hat: die Seele des Menschen ist die Natur, die ihre traumschweren Augenlider öffnet, erwacht und bereit ist, Gott zu sehen, Ihn nicht mehr im Traume, sondern Angesicht vor Angesicht zu schauen . . .«

Auf dem dunkel und tief gewordenen Himmel traten die ersten Sterne hervor: bald erloschen sie, bald leuchteten sie wieder auf, als wäre es das Spiel großer, am Firmament befestigter Edelsteine; immer neue und neue, zahllose Sterne flammten auf. Jamblichus wies auf sie hin.

»Womit soll ich die Welt, alle diese Sonnen und Sterne vergleichen? – Ich vergleiche sie mit einem Netz, das man ins Meer ausgeworfen hat. Gott umfaßt die Welt, wie das Wasser das Netz umfaßt; das Netz bewegt sich, doch kann es das Wasser nicht aufhalten; – die Welt will Gott einfangen und kann es nicht. Die Welt bewegt sich, doch Gott bleibt ruhig und unbeweglich, wie das Wasser, in das man das Netz ausgeworfen hat. Wenn sich die Welt nicht bewegt hätte, so hätte auch Gott nichts erschaffen und wäre in seiner Ruhe verblieben; denn wohin und wonach sollte er streben? – Dort, im Kelche der ewigen Mütter, im Schoße der Weltenseele, ruhen die Samen, die Ideen und Formen von allem, was ist, war und sein wird; da ruht auch der Logos – der Keim einer Grille, eines Grashalmes und eines olympischen Gottes . . .«

Julianus rief laut, und seine Stimme klang in der Stille der Nacht wie ein Todesschrei:

»Wer ist Er? Wer ist Er? warum antwortet Er nicht, wenn wir rufen? Wie ist sein Name? Ich will Ihn kennen, hören und sehen! Warum flieht Er vor meinen Gedanken? Wo ist Er?«

»Mein Kind, was bedeutet der Gedanke vor Ihm? Er hat keinen Namen: Er ist so beschaffen, daß wir nur sagen können, was Er nicht sein kann; was Er ist, – wissen wir nicht. Kannst du leiden, ohne Ihn zu preisen? Kannst du lieben, ohne Ihn zu preisen? Kannst du verdammen, ohne Ihn zu preisen? – Er, der alles erschaffen hat, ist nichts von allem, was Er erschaffen hat. Wenn du sagst: Er ist nicht, so preisest du Ihn nicht weniger, als wenn du sagst: Er ist. Von Ihm kann man nichts behaupten, man kann weder von seiner Existenz noch von seinem Wesen, noch von seinem Leben sprechen, denn Er ist über jedes Sein und über jedes Leben erhaben. Darum sage ich auch, daß Er die Verneinung der Welt, die Verneinung deines Gedankens ist. Wenn du dich von aller Wirklichkeit, von allem, was besteht, lossagst, so wirst du Ihn im Abgrund der Abgründe, in der Tiefe jener unsagbaren Finsternis, die dem Lichte gleicht, finden; opfere Ihm deine Freunde und Verwandte, deine Heimat, Himmel und Erde, dich selbst und deine Vernunft. Dann wirst du kein Licht mehr sehen, denn du wirst selbst das Licht sein. Du wirst nicht mehr sprechen: Er und Ich; du wirst fühlen, daß Er und Ich eins sind. Und deine Seele wird über deinen eigenen Körper spotten, wie über ein Gespenst. Dann wird nur Schweigen herrschen, und es wird keine Worte mehr geben. Und wenn in diesem Augenblicke auch die Welt zusammenstürzte, – du würdest dich freuen; denn wozu brauchst du die Welt, wenn du bei Ihm bleibst? Deine Seele wird sich nichts mehr wünschen, denn Er kennt keine Wünsche; sie wird nicht mehr leben, denn Er ist über alles Leben erhaben; sie wird nicht mehr denken, denn Er steht höher als alle Gedanken. Der Gedanke ist das Suchen nach Licht. Er sucht aber nicht das Licht, denn er selbst ist das Licht. Er durchdringt die ganze Seele und verwandelt sie in einen Teil seiner selbst. Und dann ruht sie leidenschaftslos und einsam über der Vernunft, der Tugend, dem Reiche der Ideen, der Schönheit, im Abgrunde, im Schoße des Vaters des Lichtes. Die Seele wird zu Gott, oder, mit anderen Worten, sie denkt, daß sie in aller Ewigkeit Gott war, ist und bleiben wird.

*

Mein Sohn, so leben die Olympier, so leben alle gottähnlichen und weisen Menschen: es ist eine Entsagung von allem, was in der Welt ist, Verachtung aller irdischen Leidenschaften, eine Flucht der Seele zu Gott, den sie von Angesicht zu Angesicht schaut.«

Er verstummte. Julianus fiel ihm zu Füßen, die er nicht zu berühren wagte. Er küßte nur die Erde, auf der die Füße des Heiligen ruhten. Dann hob der Jünger seinen Blick und richtete ihn in die seltsamen, grünen Augen, in denen das nun enthüllte Geheimnis der »Schlangenweisheit« leuchtete; sie waren ruhiger und tiefer als der Himmel: eine heilige Kraft schien ihnen zu entströmen. Julianus flüsterte:

»Meister, du kannst alles. Ich glaube! Befiehl den Bergen, und sie werden sich rühren. Sei wie Er! Tu ein Wunder! Verrichte Unmögliches! Erbarme dich meiner! Ich glaube, ich glaube! . . .«

»Mein armer Sohn, was bittest du? Ist denn das Wunder, das in deiner Seele geschehen kann, nicht größer als alle Wunder, die ich verrichten kann? Mein Kind, ist denn die Kraft, durch die du sagen darfst: Er ist, und wenn Er auch nicht ist, so wird Er sein, nicht ein schreckliches und wohltuendes Wunder? Du sollst sagen: Er werde, denn ich will es so!«


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