Dmitri Mereschkowski
Julianus Apostata
Dmitri Mereschkowski

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Zweiter Teil.

I.

Im Hippodrom zu Konstantinopel befand sich neben den Stallungen ein Raum, der den Stallknechten, Mimen und Kutschern als Ankleidezimmer diente. Hier brannten selbst am Tage Lampen, die an der Decke angebracht waren. Es roch nach Dünger und die schwüle Luft war von Stalldunst geschwängert.

So oft der Vorhang, der die Türe verhängte, zurückgeschlagen wurde, drang das blendende Morgenlicht herein. In der sonnendurchfluteten Ferne sah man die leeren Zuschauerbänke, die prunkvolle Treppe, die die Kaiserloge mit den inneren Gemächern des Konstantinischen Schlosses verband, die steinernen Pfeiler der ägyptischen Obelisken und mitten auf dem gelben, glatten Sande – einen großen Opferaltar; drei eherne Schlangen trugen auf ihren flachen Köpfen einen delphischen Dreifuß von wunderbarer Arbeit.

Zuweilen hörte man von der Arena her Peitschenknallen, Schreie der Reiter, das Schnauben der wilden Pferde und das Knirschen des weißen Sandes unter den Rädern, das wie Rauschen von Vogelflügeln klang.

Es war kein Rennen, sondern nur eine Probe für die Spiele, die im Hippodrom in einigen Tagen stattfinden sollten.

In einer Ecke des Stalles stand ein nackter Athlet, dessen Körper mit Öl eingerieben und mit dem Staube der Arena bedeckt war; er trug einen ledernen Gurt um die Hüften und war mit Heben und Senken eiserner Gewichte beschäftigt; er hatte seinen lockigen Kopf in den Nacken geworfen und seinen Rücken derart verbogen, daß die Gelenke krachten, sein Gesicht blau wurde und auf dem dicken Halse die Sehnen, so dick wie bei einem Ochsen, hervortraten.

Ihm näherte sich eine von Sklavinnen begleitete junge Dame. Sie trug eine elegante Morgenstola, die auch über den Kopf gezogen war und das feine, aristokratische, doch etwas abgeblühte Gesicht halb verdeckte. Sie war eine fromme Christin, und wurde von allen Mönchen und Klerikern wegen ihrer großartigen Geschenke an die Klöster und ihrer reichen Almosen hochgeschätzt. Es war eine aus Alexandria zugezogene Witwe eines römischen Senators. Anfangs suchte sie ihre Abenteuer zu verheimlichen; sie merkte aber bald, daß die Verbindung der Liebe zum Zirkus mit der Liebe zur Kirche in Konstantinopel zum guten Tone gehörte. Alle wußten, daß Stratonike, so hieß die Dame, die jungen Lebemänner von Konstantinopel, die ebenso geschminkt, verzärtelt und launisch waren wie sie selbst, nicht ausstehen konnte. So war sie einmal: sie liebte es, den Duft der kostbarsten arabischen Wohlgerüche mit dem aufregenden, warmen Geruch des Stalles und des Zirkus zu verbinden; nach den heißen Tränen der Reue und Zerknirschung, nach den erschütternden Predigten geschickter Beichtväter, bedurfte diese kleine, zarte, gleichsam aus Elfenbein geschnitzte Frau der rohen Liebkosungen irgendeines berühmten Kutschers.

Stratonike betrachtete die Übungen des Athleten mit Kennermiene. Der Athlet bewahrte auf seinem Gesicht den stumpfsinnigen und wichtigen Ausdruck eines Ochsen und schien sie gar nicht zu beachten. Sie flüsterte ihrer Sklavin etwas zu und versank ganz in Bewunderung des mächtigen, nackten Rückens des Athleten, des Spiels seiner schrecklichen, herkulischen Muskeln unter der rauhen, rotbraunen Haut seiner Schultern, während er die Luft in seine Lungen wie in einen Schmiedeblasebalg einzog und die eisernen Gewichte über seinen tierischen, schönen, doch blöden Kopf erhob.

Der Vorhang an der Türe wurde zurückgeschlagen, die Zuschauer wichen zur Seite, und zwei junge, kappadocische Stuten, eine weiße und eine schwarze, rasten in den Stall hinein. Eine junge Kunstreiterin hüpfte, eigentümliche, gutturale Schreie von sich gebend, von einem Pferde aufs andere. Sie machte noch einen letzten Saltomortale und sprang herab, ebenso kräftig, glatt und lustig wie ihre Stuten; auf ihrem nackten Körper sah man kleine Schweißtropfen. Sofort näherte sich ihr der junge, elegant gekleidete Hypodiakon von der Basilika der heiligen Apostel, Zephyrinus; er war ein großer Zirkusfreund, Pferdekenner und ständiger Gast bei den Pferderennen, wo er große Summen auf die Partei der »Blauen« gegen die der »Grünen« wettete. Er trug knarrende Halbschuhe aus Saffian mit roten Absätzen. Mit seinen geschwärzten Augen, seinem gepuderten und geschminkten Gesicht und den sorgfältig gebrannten Locken glich Zephyrinus eher einem jungen Mädchen, als einem Diener der Kirche. Hinter ihm stand ein Sklave, mit zahllosen Paketen, Rollen und Schachteln beladen. Es waren lauter Einkäufe aus den Modegeschäften.

»Krokala, hier ist das Parfüm, das du vorgestern haben wolltest.«

Mit einer höflichen Verbeugung reichte der Hypodiakon der Reiterin ein elegantes mit blauem Wachse versiegeltes Fläschchen.

»Den ganzen Morgen bin ich in den Läden herumgelaufen. Ich habe es nur mit großer Mühe auftreiben können. Es sind reinste Narden! Man hat sie erst gestern aus Apameia gebracht.«

»Und was sind die anderen Einkäufe?« fragte Krokala interessiert.

»Seidenstoffe mit modernen Mustern und noch verschiedene andere Sächelchen für Damen.«

»Alles für deine . . .?«

»Ja, ja alles ist für meine fromme Schwester, die ehrwürdige Matrona Blesilla. Man muß ja seinen Nächsten behilflich sein. Sie verläßt sich bei der Wahl von Stoffen immer auf meinen Geschmack. So laufe ich schon seit Tagesanbruch in ihrem Auftrage herum. Habe keine Kräfte mehr. Doch ich murre nicht, nein, ich murre gar nicht! Blesilla ist ja eine so gütige, man kann wirklich sagen, eine heilige Frau! . . .«

»Leider aber alt!« sagte Krokala lächelnd. »He, Knabe, wisch doch schneller der schwarzen Stute mit frischen Feigenblättern den Schweiß ab!«

»Auch das Alter hat seine Vorzüge,« entgegnete der Hypodiakon, mit selbstzufriedener Miene seine weißen, gepflegten, edelsteinfunkelnden Hände reibend; dann flüsterte er ihr ins Ohr:

»Also heute abend?«

»Ich weiß wirklich nicht, vielleicht . . . wirst du mir auch etwas mitbringen?«

»Du kannst unbesorgt sein, Krokala: ich komme nie mit leeren Händen. Ich habe noch ein Stück tyrischen, lilafarbenen Purpurs. Wenn du nur wüßtest, was es für ein Muster ist!«

Er kniff die Augen zusammen, führte zwei Finger an den Mund, küßte sie und fügte schnalzend hinzu:

»Das Muster ist wirklich himmlisch!«

»Wo hast du das Stück her?«

»Natürlich stammt es aus dem Laden des Sirmicus bei den Bädern des Constantius – für wen hältst du mich denn! – Man könnte daraus ein langes Tarantinidion machen lassen. Denke dir nur, was auf dem Saume gestickt ist! Nun, was glaubst du?«

»Woher kann ich das wissen? Blumen? Oder Tiere?«

»Weder Tiere noch Blumen. Die ganze Geschichte des Zynikers Diogenes, des weisen Bettlers, der in einem Fasse wohnte, ist darauf in Gold und farbiger Seide gestickt!«

»Ach, das muß ja wirklich entzückend sein!« rief die Reiterin aus. »Komm, komm bestimmt. Ich werde warten.«

Zephyrinus warf einen Blick auf die an der Wand angebrachte Wasseruhr, die »Klepsydra«, und hatte es plötzlich sehr eilig.

»Ich habe mich verspätet! Ich muß noch im Auftrage einer anderen Matrone einen Wucherer aufsuchen, dann muß ich zum Juwelier, zum Patriarchen, in die Kirche und in den Dienst. – Auf Wiedersehen, Krokala!«

»Laß mich nur nicht umsonst warten, du Schelm!« rief ihm Krokala, mit dem Finger drohend, nach.

Der Hypodiakon entfernte sich; seine Saffianschuhe knarrten, und der mit den Einkäufen beladene Sklave eilte ihm nach.

Mehrere Stallknechte, Kunstreiter, Tänzerinnen, Gymnasten, Faustkämpfer und Tierbändiger kamen plötzlich in den Ankleideraum gelaufen. Der Gladiator Myrmillio, mit einem eisernen Netz vor dem Gesicht, machte auf einem Feuerbecken eine dicke Eisenstange glühend, mit der er einen neu angelangten, afrikanischen Löwen bändigen wollte; hinter der Mauer hörte man das Gebrüll des Tieres.

»Du wirst mich noch ins Grab bringen, Enkelin, dich selber aber in die ewige Verdammnis! – wieder diese Kreuzschmerzen! Es ist nicht mehr zum Aushalten!«

»Bist du's, Großvater Gnipho? Warum jammerst du immer so?« fragte Krokala geärgert.

Gnipho war ein altes Männchen mit listigen, immer tränenden Augen, buschigen, weißen Augenbrauen, die sich wie zwei weiße Mäuse hin und her bewegten, und einer Säufernase, rotblau wie eine reife Pflaume; an den Beinen trug er geflickte, lydische Hosen und auf dem Kopfe eine phrygische Filzmütze mit nach vorne überhängendem Zipfel und zwei Ohrenklappen.

»Kommst du wieder um Geld?« fragte Krokala erbost. »Wieder bist du betrunken!«

»Es ist eine Sünde, so zu sprechen, Enkelin. Du wirst dich für meine Seele vor Gott zu verantworten haben. Bedenke nur, wozu du mich gebracht hast! Ich lebe jetzt in der Vorstadt der Feigenbäume, in einem Keller, den ich bei einem Götzenmacher mietete. Jeden Tag muß ich zusehen, wie er aus Marmor die verdammten Götzenfratzen aushaut, daß Gott mir verzeihe! Glaubst du, daß so was einem guten Christen, wie ich es bin, leicht fällt? He? Kaum öffne ich morgens die Augen, so höre ich schon, wie der Hauswirt den Stein mit dem Hammer bearbeitet; garstige, weiße Teufel, verdammte Götzen, kommen einer nach dem anderen heraus, lachen mich aus und schneiden schamlose Gesichter! Wie soll man da nicht sündigen und vor Kummer ab und zu in die Schenke laufen? Ach ja! Herr, sei uns Sündern gnädig! Ich wälze mich da in heidnischen Gräueln, wie ein Schwein in der Pfütze. Ich weiß wohl, daß ich alles beim Jüngsten Gericht zu verantworten haben werde. – Und wer ist an allem schuld? Du! Du hast so viel Geld, daß du gar nicht weißt, was damit anfangen; doch für den armen Großvater . . .«

»Du lügst, Gnipho,« entgegnete das Mädchen, »du bist gar nicht so arm, du Geizhals! Du hast doch unter deinem Bette eine Büchse mit Ersparnissen stehen . . .«

Gnipho fuchtelte erschrocken mit den Armen.

»Schweig, sprich nicht davon!«

»Weißt du übrigens, wohin ich jetzt gehe?« fügte er hinzu, um dem Gespräche eine andere Wendung zu geben.

»Wahrscheinlich wieder ins Wirtshaus.«

»Nein, nicht ins Wirtshaus, sondern in einen viel gemeineren Ort – in den Götzentempel des Dionysos! Der Tempel war noch in den Tagen des gottseligen Konstantins mit Schutt angefüllt; morgen soll er aber auf allerhöchsten Befehl des Kaisers Julianus wieder eröffnet werden. Ich habe meine Dienste als Putzer angeboten. Ich weiß allerdings, daß ich dabei mein Seelenheil verliere und es mit der Hölle büßen werde. Und doch habe ich mich dazu verführen lassen. Denn ich bin nackt, arm und hungrig. Und meine eigene Enkelin will mich nicht unterstützen. So weit ist es mit mir gekommen!«

»Laß mich in Ruhe, Gnipho, ich hab dich wirklich satt! Hier hast du etwas und mach, daß du weiter kommst. Und daß du dich nie wieder unterstehst, betrunken zu mir zu kommen!«

Sie warf ihm etwas Kleingeld zu, sprang auf den Rücken eines roten, halbwilden, illyrischen Hengstes, knallte mit der langen Peitsche und raste, auf dem Sattel stehend, wieder in die Arena.

Gnipho blickte ihr nach und rief, vor Vergnügen mit der Zunge schnalzend:

»Mit meinen eigenen Händen habe ich sie großgezogen!«

Der kräftige, nackte Körper der Reiterin glänzte in der Morgensonne, und ihr Haar, so rot wie das Fell des Hengstes, wehte im Winde.

»He, Soticus!« rief Gnipho einem alten Sklaven zu, der den Pferdemist in einen Korb einsammelte. »Komme mit mir, den Dionysostempel reinigen. Du bist ja darin ein Meister. Ich werde dir drei Obole geben.«

»Gut, ich komme mit,« antwortete Soticus, »ich muß aber zuerst noch das Lämpchen vor der Göttin anzünden.«

Er meinte das Standbild der Hippona, der Göttin der Stallknechte, der Pferdeställe und des Düngers. Roh aus Holz geschnitzt, verrußt und häßlich stand sie in einer feuchten und finsteren Wandnische. Der Sklave Soticus, der zwischen Pferden aufgewachsen war, verehrte sie mit Andacht, betete zu ihr mit Tränen in den Augen, schmückte ihre plumpen, schwarzen Füße mit frischen Veilchen und glaubte, daß sie alle seine Krankheiten heilen und ihn im Leben und im Tode erhalten könne.

Gnipho und Soticus traten auf das Forum Constantinum, einen großen, runden, mit zwei Säulenreihen und einem Triumphbogen geschmückten Platz, hinaus. In der Mitte des Platzes erhob sich auf einem Marmorsockel eine riesengroße, über hundertzwanzig Ellen hohe Säule aus Porphyr. Auf der Spitze der Säule stand eine Bronzestatue Apollos, ein Werk des Phidias, die man einst aus einer phrygischen Stadt geraubt hatte. Der Kopf des alten heidnischen Sonnengottes war abgeschlagen und mit barbarischer Geschmacklosigkeit durch das von einem goldenen Strahlenkranz umgebene Haupt des christlichen Kaisers Konstantin des Apostelgleichen ersetzt; Apollo-Konstantin hielt in der Rechten das Zepter und in der Linken den Reichsapfel. Am Fuße des Kolosses stand eine kleine, christliche Kapelle, in der Art des Palladiums; vor nicht allzu langer Zeit, in den Tagen des Constantius, wurde in ihr noch Gottesdienst abgehalten. Die Christen rechtfertigten es damit, daß im Bronzeleib des heidnischen Gottes, in der Brust Apollos, ein Talisman, ein Teilchen von dem heiligen Kreuze des Herrn, das Kaiserin Helena aus Jerusalem mitgebracht hatte, eingeschlossen sei. – Julianus befahl, diese Kapelle zu schließen.

Soticus und Gnipho gelangten in eine lange, schmale Gasse, die direkt zu der Chalkedonischen Treppe, in der Nähe des Hafens, führte. Viele Gebäude waren noch im Bau begriffen und andere wurden umgebaut, denn man hatte sie alle auf Wunsch Konstantins, des Erbauers der Stadt, seinerzeit in solcher Eile errichtet, daß fast alles wieder einstürzte. Unten wimmelte es von Menschen, an den Kaufläden drängten sich Käufer, Sklaven und Lastträger; zahlreiche Wagen rasselten vorbei. Oben auf den Baugerüsten klopften Hämmer, knarrten Flaschenzüge, kreischten scharfe Sägen auf dem harten, weißen Stein; Arbeiter zogen an Stricken große Holzbalken und Blöcke proconnesischen Marmors, die in der Sonne glänzten, hinauf; es roch nach nassem Mörtel und nach der Feuchtigkeit der Neubauten; feiner, weißer Staub fiel auf die Köpfe herab; hier und da leuchteten zwischen den blendend weißen, erst eben getünchten Wänden, in der Tiefe der Nebengassen, die luftig-blauen, lachenden Wellen der Propontis, auf der die Segel der Schiffe wie Mövenflügel glänzten.

Gnipho hörte im Vorbeigehen ein Bruchstück einer Unterhaltung zweier Arbeiter, die über und über mit Alabastermörtel, den sie in einem großen Bottich mischten, beschmiert waren.

»Warum hast du den Glauben der Galiläer angenommen?« fragte der eine.

»Urteile selbst,« antwortete der andere, »die Christen haben nicht zweimal, sondern fünfmal mehr Feiertage. Jeder sieht doch auf seinen Vorteil. Auch dir rate ich dazu. Mit den Christen kommt man viel besser aus.«

An einer Straßenkreuzung wurden Gnipho und Soticus von der Menge an eine Mauer gedrückt. Auf der Fahrstraße stauten sich die Wagen, so daß man weder zu Fuß, noch zu Pferde passieren konnte; man hörte Geschrei, Geschimpfe und Peitschenknallen. Zwanzig Paar starker Ochsen schleppten, die Köpfe unter den Jochen beugend, auf einem großen Wagen mit schweren Steinrädern, die Mühlsteinen glichen, eine schwere Jaspissäule. Unter den schweren Rädern erzitterte die Erde.

»Wo fahrt ihr sie hin?« fragte Gnipho.

»Aus der Basilika des heiligen Paulus zum Tempel der Hera. Die Christen hatten diese Säule gestohlen; jetzt wird sie auf den alten Platz zurückgebracht.«

Gnipho warf einen Blick auf die schmutzige Mauer, bei der er stand; irgendein Gassenjunge von den Heiden hatte mit Kohle eine gotteslästerliche Karikatur auf die Christen hingemalt: einen ans Kreuz geschlagenen Mann mit einem Eselskopf.

Gnipho spuckte empört aus.

In der Nähe eines belebten Marktplatzes sahen sie an einer Mauer ein Bild, das Julianus mit allen Insignien der kaiserlichen Macht darstellte; aus den Wolken stieg zu ihm der beflügelte Gott Hermes mit dem Caduceus herab; das Bild war neu, und die Farben waren noch nicht ganz trocken.

Nach einem römischen Gesetz mußte ein jeder, der an der heiligen Darstellung des Augustus vorüberging, sich verbeugen.

Ein Marktaufseher, »Agoranomos«, hatte ein altes Weib angehalten, das mit einem Korb voll Rüben und Kraut vorüberging.

»Vor Götzenbildern verbeuge ich mich nicht,« beteuerte die Alte unter Tränen. »Auch meine Eltern sind schon Christen gewesen . . .«

»Du hast dich hier nicht vor einem Götzen, sondern vor dem Kaiser zu verbeugen,« entgegnete der Aufseher.

»Der Kaiser ist hier aber mit einem Götzen dargestellt, wie kann ich mich denn vor ihm allein verbeugen?«

»Was geht das mich an! Wenn es befohlen ist, so mußt du dich verbeugen. Und wenn du dich auch vor dem Götzen verbeugst, so fällt dir davon dein Kopf noch nicht ab.«

Gnipho schleppte Soticus weiter.

»Eine teuflische Erfindung!« brummte der Alte. »Entweder mußt du dich vor dem verdammten Hermes verbeugen, oder du machst dich einer Majestätsbeleidigung schuldig. Es gibt keinen andern Ausweg. Es sind wirklich Zeiten des Antichrists! Der Satan kommt mit den grausamsten Verfolgungen. Jeden Augenblick kann man eine Sünde begehen . . . Wenn ich dich so ansehe, Soticus, so muß ich dich beneiden: du lebst friedlich bei deiner Mistgöttin Hippona und kümmerst dich um nichts!«

Sie näherten sich dem Tempel des Dionysos. Neben dem Tempel befand sich ein christliches Kloster; die Mönche hatten alle Fenster und Tore versperrt und verriegelt, als ob sie einen feindlichen Angriff befürchteten. Die Heiden beschuldigten die Mönche, den Tempel ausgeraubt und geschändet zu haben.

Gnipho und Soticus trafen im Inneren des Tempels eine Menge von Maurern, Zimmerleuten und Schlossern, die mit dem Reinigen und dem Ausbessern der beschädigten Teile des Tempels beschäftigt waren.

Die halbverfaulten Bretter, mit denen die viereckige Öffnung im Dache vernagelt war, wurden abgebrochen. Ein Sonnenstrahl drang durch die Finsternis.

Zwischen den korinthischen Kapitälen der Marmorsäulen hingen ganze Netze des durchsichtigen, staubiggrauen Spinngewebes. Man band Besen auf lange Stangen und begann, mit ihnen das Spinngewebe zu entfernen. Eine aufgescheuchte Fledermaus kam aus einer Mauerritze hervor und flatterte, vom Lichte erschreckt, ängstlich von Ecke zu Ecke; ihre nackten Flügel raschelten an den Wänden.

Soticus begann den Schutt aufzuräumen, der den Boden bedeckte; er trug ganze Haufen davon in einem geflochtenen Korbe hinaus.

»Was für einen Unrat haben hier diese verfluchten Christen angehäuft!« brummte der Alte vor sich hin, die Christen, die den Tempel verunreinigt haben, verwünschend.

Man brachte mehrere verrostete Schlüssel herbei und sperrte die Schatzkammer auf. Alles, was von Wert war, hatten die Mönche gestohlen; sie hatten aus den Opferschalen die Edelsteine herausgenommen und von den Priestergewändern alle purpurne und goldene Besätze heruntergerissen. Als man ein kostbares Priestergewand herausnahm und entfaltete, stieg aus seinen Falten eine ganze Wolke goldgelben Mottenstaubes empor. In einem eisernen Räucherbecken sah Gnipho etwas Asche, den Rest des Räucherwerkes, das der letzte Priester bei der letzten Opferung noch vor dem Siege des Galiläers verbrannt hatte. Diesem ganzen, heiligen Tempelkram, den armseligen Fetzen und zerschlagenen Gefäßen entströmte ein Geruch hundertjährigen Schimmels, ein Geruch des Grabes, in den sich noch ein zarter, trauriger Duft des den entehrten Göttern dargebrachten Weihrauchs mischte. Gnipho fühlte plötzlich etwas wie Trauer und Rührung: lächelnd gedachte er seiner Kindheit, der schmackhaften Fladen aus Gerstenmehl mit Honig und Kümmel, der weißen Margeriten und des gelben Löwenzahnes, die er mit seiner Mutter auf den bescheidenen Altar einer ländlichen Göttin zu bringen pflegte; er gedachte der kindlich-frommen Gebete, die er keinem fernen, himmlischen Gott, sondern kleinen, irdischen Hausgöttern, den aus einfachem Buchenholz geschnitzten, häuslichen Penaten, die von der Berührung der Menschenhände fettig wurden und glänzten, dargebracht hatte. – Die toten Götter taten ihm leid; ein schwerer Seufzer entrang sich seiner Brust. Doch gleich kam er wieder zur Besinnung, schlug ein Kreuz und flüsterte: »Teuflisches Blendwerk!«

Die Arbeiter schleppten eine schwere Marmorplatte herbei; es war ein altes Basrelief, das vor vielen Jahren gestohlen worden war, und das man nun in der Hütte eines jüdischen Schusters gefunden hatte. Das Basrelief diente dem Schuster als Ersatz für die eingefallene Herdplatte. Die alte Tuchmachersfrau Philumene, die Nachbarin des Juden, eine fromme Christin, haßte die Frau des Schusters: die verfluchte Jüdin ließ ihren Esel öfters im Gemüsegarten der Tuchmachersfrau grasen. Dieser Streit zwischen den Nachbarinnen hatte viele Jahre lang gedauert. Endlich siegte die Christin: auf ihre Anzeige hin kamen die Arbeiter ins Haus des Schusters, um das Basrelief aus dem Herde herauszunehmen. Bei dieser Gelegenheit wurde der Herd gänzlich zerstört, was für die Schustersfrau einen harten Schlag bedeutete. Die arme Frau fuchtelte mit dem Schürhaken, rief Jehovahs Rache auf die Räuber herab, raufte sich ihr spärliches, graues Haar und heulte jämmerlich über den umgeworfenen Kochtöpfen und dem zerstörten Herde. Die kleinen Judenkinder quietschten wie junge Vögel in einem zerstörten Nest. Das Basrelief wurde aber dennoch auf den alten Platz zurückgebracht.

Philumene wusch den Marmor, der ganz von stinkendem Ruß geschwärzt war; Fettflecken, die von den jüdischen Suppen herrührten, verunstalteten den weißen, pentelicischen Marmor. Die Tuchmacherin rieb den zarten Stein kräftig mit einem nassen Lappen; allmählich traten, von dem übelriechenden Küchenruß befreit, die strengen, göttlichen Gestalten des alten Bildwerkes hervor: ein junger, nackter und keuscher Dionysos ruhte, vom Gelage ermüdet, mit einer Schale in der gesenkten Hand; ein Panther leckte den Weinrest auf; der allen Geschöpfen Freude spendende Gott beobachtete mit wohlwollendem und weisem Lächeln, wie die Stärke des Raubtieres durch die heilige Stärke des Weines gezähmt wurde.

Die Maurer hoben die Marmorplatte an Stricken empor, um sie wieder am alten Platz zu befestigen.

Dicht vor der Statue des Dionysos stand auf einer hölzernen Klappleiter ein Goldschmied. Er setzte in die dunklen Augenhöhlen des Gottes zwei durchsichtige, blaue Saphire ein: es waren die Augen des Dionysos.

»Was ist das?« fragte Gnipho mit scheuer Neugier.

»Siehst du es denn selber nicht? Es sind Augen.«

»So, so . . . Wo stammen aber die Steinchen her?«

»Aus dem Kloster.«

»Haben es denn die Mönche erlaubt?«

»Wie konnten sie es nicht erlauben! Der göttliche Augustus Julianus hat es ja selbst befohlen. Die leuchtenden Augen des Gottes haben das Kleid des Gekreuzigten geschmückt. Das ist für sie bezeichnend: sie reden immer von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit und sind dabei die größten Diebe. – Sieh nur, wie genau die Steine in ihren alten Platz hineinpassen!«

Der sehend gewordene Gott blickte Gnipho mit seinen Saphiraugen an. Der Alte trat zurück und schlug, von Entsetzen ergriffen, ein Kreuz. Ihn quälten Gewissensbisse, während er den Staub abwischte, murmelte er aus alter Gewohnheit vor sich hin:

»Gnipho, Gnipho, was für ein elender Mensch, ja, ein schmutziger Hund du noch bist! Was treibst du noch auf deinen alten Tagen? Warum richtest du selbst deine Seele zu Grunde? Der Böse hat dich mit dem verfluchten Gold verführt. So wirst du in das ewige Feuer geraten, und nichts in der Welt kann dich erretten. Du hast mit diesem heidnischen Gräuel deinen Körper und deine Seele verunreinigt. Besser wäre es, du wärest nie geboren! . . .«

»Was brummst du da, Alter?« fragte ihn die Tuchmacherin Philumene.

»Mein Herz ist mir so schwer, ach so schwer!«

»Bist du denn ein Christ?«

»Nein, ich bin schlimmer als jeder Jude. Ich bin kein Christ, sondern eher ein Feind Christi!«

Er fuhr aber fort, eifrig den Staub zu wischen.

»Willst du, daß ich dich von der Sünde befreie und deine Seele von jedem Unrat reinige? Ich bin ja selbst eine Christin und doch fürchte ich mich nicht vor dieser Arbeit. Hätte ich mich denn dazu entschlossen, wenn ich nicht wüßte, wie ich mich danach reinigen kann?«

Die Tuchmacherin sah sich um, vergewisserte sich, daß niemand zuhörte, und flüsterte geheimnisvoll:

»Ja, es gibt ein solches Mittel! Du mußt wissen, daß mir einst ein heiliger Greis ein Stückchen von einem ägyptischen Baume, den man Persis nennt, geschenkt hat; dieser Baum wächst zu Hermopolis in der Thebaïde. Als die heilige Jungfrau mit dem Jesuskinde auf einer Eselin durch das Stadttor ritt, verbeugte sich dieser Baum Persis vor ihr und berührte mit der Krone den Boden; von nun an bekam er wunderbare, heilkräftige Eigenschaften. Ich besitze einen kleinen Span von diesem Baum; und von dem Span will ich dir ein Stückchen geben. Es ruht eine solche göttliche Gnade darin, daß ein winziges Stäubchen davon in ein großes Faß mit Wasser gelegt, genügt, um über Nacht dem ganzen Wasser eine wunderbare, heilige Kraft zu verleihen, wenn du dich mit diesem Wasser badest, so ist sofort der ganze heidnische Greuel wie weggeblasen; in allen deinen Gliedern wirst du eine wunderbare Leichtigkeit und Reinheit verspüren. In der Heiligen Schrift heißt es ja: Bade dich mit Wasser und du wirst weißer denn Schnee werden.«

»Meine Wohltäterin!« rief Gnipho erfreut aus. »Errette mich Verdammten und gib mir ein Stückchen von diesem Holze!«

»Es ist aber nicht billig, weil du es bist, will ich es dir für eine Drachme lassen.«

»Um Gottes willen, hab doch Einsehen! Ich habe noch nie eine Drachme gesehen, geschweige denn besessen. Gibst du es nicht für fünf Obolen her?«

»Geizhals!« rief die Tuchmacherin empört und spuckte aus. »Eine Drachme willst du nicht hergeben?! Ist dir denn deine eigene Seele keine Drachme wert?«

»Ob ich mich damit auch wirklich reinigen kann?« zweifelte Gnipho. »Vielleicht ist der heidnische Schmutz schon so tief eingedrungen, daß er sich nicht mehr wegwaschen läßt?«

»Du wirst dich schon reinigen!« entgegnete die Alte mit unerschütterlicher Überzeugung. »Jetzt bist du noch wie ein stinkiger Hund. Wenn man dich aber mit dem heiligen Wässerlein auch nur anspritzt, so wird es von deiner Seele wie Schuppen abfallen, und sie wird erstrahlen wie eine weiße Taube.«


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