Dmitri Mereschkowski
Julianus Apostata
Dmitri Mereschkowski

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XII.

In Athen sollte Julianus Mönch werden.

Es war ein Frühlingsmorgen. Die Sonne war noch nicht aufgegangen. Er war bei der Frühmesse gewesen und ging gleich aus der Kirche einige Stadien längs des mit Platanen und wildem Wein bewachsenen Ufers des Illissos.

Er liebte diesen einsamen Platz, am Ufer des Stromes, der auf dem steinigen Boden wie Seide rauschte. Von hier konnte er durch den Nebel die rötlichen, sonnenverbrannten Felsen der Akropolis und die Umrisse des noch kaum vom Morgenlicht berührten Parthenons erkennen.

Julianus band seine Sandalen ab und ging barfuß in das seichte Wasser des Flusses. Es roch nach den aufgehenden Blüten der Reben; in diesem Dufte lag schon der Vorgeschmack des Weines, wie in den ersten Gedanken der Kindheit schon eine Vorahnung der Liebe liegt.

Ohne die Füße aus dem Wasser zu nehmen, setzte er sich auf die Wurzeln einer Platane und begann in dem Buche »Phädrus«, das er mitgebracht hatte, zu lesen.

Sokrates sagt im Dialog zu Phädrus:

»Wenden wir unsere Schritte zum Ufer des Illissos. Wir wollen einen einsamen Platz wählen und uns da niedersetzen. Scheint es dir nicht auch, Phädrus, daß die Luft hier besonders zart und duftend ist, und daß selbst im Zirpen der Zikaden etwas Süßes liegt, das an den Sommer erinnert? Am besten gefällt mir hier aber dieses hohe Gras.«

Julianus blickte um sich: alles war noch so, wie es vor acht Jahrhunderten gewesen war; die Zikaden begannen soeben im hohen Grase ihren Gesang. Er dachte:

»Diesen Boden hatten die Füße des Sokrates berührt.« Er steckte seinen Kopf in das dichte Gras und küßte die Erde.

»Ich begrüße dich, Julianus! Du hast dir ein schönes Plätzchen zum Lesen ausgesucht. Darf ich dir Gesellschaft leisten?«

»Setze dich her. Es freut mich. Ein Dichter stört nie die Einsamkeit.«

Julianus blickte den hageren, mit einem viel zu langen Mantel bekleideten Dichter Publius Optatianus Porphyrius an und mußte lächeln: er war so klein, blutarm und mager, daß man annehmen konnte, er werde sich bald aus einem Menschen in eine Zikade verwandeln, wie es in der Sage Platos von den Poeten erzählt wird.

Publius verstand es, wie eine Zikade, beinahe ohne Speise zu leben; doch hatten ihm die Götter die Fähigkeit, Hunger und Durst nicht als solche zu empfinden, versagt: sein aschgraues, unrasiertes Gesicht und seine blutleeren Lippen drückten Hunger und Kummer aus.

»Publius, warum trägst du einen so langen Mantel?« fragte Julianus.

»Er gehört nicht mir,« erwiderte der Dichter mit philosophischer Ruhe, »das heißt, er gehört auch mir, aber nur vorübergehend. Du mußt wissen, daß ich mein Zimmer mit dem jungen Hephästion, der in Athen die Redekunst studiert, teile; einmal wird er sicher ein ausgezeichneter Advokat werden; heute ist er aber noch arm, wie ich, arm, wie ein lyrischer Dichter – damit ist alles gesagt! Unsere Kleider, Eßgeschirr und selbst das Tintenfaß haben wir längst versetzt. Uns ist nur dieser eine Mantel geblieben. In den Morgenstunden gehe ich aus, während Hephästion seinen Demosthenes studiert; in den Abendstunden nimmt er den Mantel, ich aber bleibe zu Hause und dichte. Leider ist Hephästion groß, während ich klein bin. Da ist nichts zu machen: ich gehe ›langen Gewandes‹, wie die alten Trojanerinnen.«

Publius Optatianus lachte, und sein aschfahles Gesicht gemahnte an das einer lustig gewordenen Klagefrau.

»Siehst du, Julianus,« fuhr der Dichter fort, »ich spekuliere auf den Tod einer steinreichen Witwe eines römischen Pächters: die glücklichen Erben werden bei mir die Grabinschrift bestellen und ein ordentliches Honorar bezahlen. Leider ist aber die Witwe eigensinnig und gesund: trotz aller Anstrengungen der Ärzte und der Erben will sie nicht sterben. Ich hätte mir schon längst einen Mantel angeschafft. – Höre einmal, Julianus, komm mit mir.«

»Wohin denn?«

»Vertraue mir. Du wirst mir dankbar sein . . .«

»Was sind das für Geheimnisse?«

»Sei nicht faul und laß das Fragen. Ein Dichter wird dem Freunde der Dichter nichts Böses tun. Du sollst eine Göttin sehen . . .«

»Welche Göttin?«

»Artemis, die Jägerin . . .«

»Ist es ein Bild oder eine Statue?«

»Sie ist schöner als alle Bilder und Statuen. Wenn du die Schönheit liebst, so nimm deinen Mantel und komm mit!«

Der Dichter tat so geheimnisvoll, daß Julianus neugierig wurde. Er erhob sich, nahm seinen Mantel und folgte ihm.

»Ich mache dir zur Bedingung, daß du kein Wort sprichst und nicht staunst. Sonst verschwindet der Zauber. Im Namen Kalliopes und Eratos, vertraue dich mir an! . . . Es sind nur wenige Schritte. Um dir unterwegs die Zeit zu vertreiben, will ich dir den Anfang meiner Grabinschrift auf die Pächterswitwe vorlesen.«

Sie gelangten auf die staubige Landstraße. Über der rosigen Akropolis funkelte in den ersten Sonnenstrahlen der kupferne Schild der Athene Promachos; die Spitze ihres feinen Speeres leuchtete wie eine brennende Kerze.

Längs der steinernen Mauern, hinter denen im Schatten der Feigenbäume Quellen rieselten, zirpten die Zikaden so laut, als ob sie den Dichter übertönen wollten, der mit heiserer, doch begeisterter Stimme seine Verse vortrug.

Publius Optatianus Porphyrius war nicht unbegabt; sein Leben hatte sich aber höchst seltsam gefügt. Noch vor einigen Jahren besaß er in Konstantinopel, in der Nähe der Chalkedonischen Vorstadt ein schönes Häuschen, »einen wahren Tempel der Hermes«, wie er es nannte; sein Vater hatte einst mit Olivenöl gehandelt und ihm ein kleines Vermögen hinterlassen, das zu einer sorglosen Existenz vollkommen ausreichte. Sein unbändiges Temperament gab ihm aber keine Ruhe. Er schwärmte für das alte Hellenentum und empörte sich über das, was er den »Triumph der christlichen Sklaverei« nannte. Einmal schrieb er ein freigeistiges Gedicht, das dem Kaiser Constantius mißfiel. Constantius hätte dem Gedicht wohl nicht die geringste Bedeutung zugemessen, wenn darin nicht eine Anspielung auf die Person des Kaisers enthalten gewesen wäre; diese konnte er ihm aber nicht verzeihen. Den Dichter traf die gebührende Strafe: sein Häuschen und sein ganzes Vermögen wurden konfisziert, er selbst aber auf eine kleine, einsame Insel des Archipelagus verbannt. Auf dieser Insel gab es nichts, als Felsen, Ziegen und Fieber. Optatianus war dieser Prüfung nicht gewachsen; er verdammte alle seine Gedanken an die alte Römerfreiheit und beschloß, was es auch koste, sein Vergehen wieder gut zu machen.

Während ihn in den schlaflosen Nächten auf der Insel Fieber plagte, schrieb er eine Lobhymne, die aus einzelnen Verszeilen des Vergils bestand: die einzelnen Verse des alten Dichters waren so aneinander gefügt, daß sie ein neues Gedicht bildeten. Dieses schwere Kunststück fand bei Hofe Beifall: Optatianus hatte den wahren Geist seiner Zeit erraten.

Nun versuchte er noch schwierigere Kunststücke: so schrieb er einen Dithyrambus auf Constantius, der aus Versen verschiedener Länge bestand; die Verszeilen bildeten darin ganze Figuren, wie z. B. eine vielläufige Hirtenschalmei, eine Wasserorgel und einen Altar, dessen Rauch aus einigen ungleichen, kurzen Zeilen bestand. Ein Wunder der Geschicklichkeit waren seine quadratischen Gedichte, die aus zwanzig und vierzig Hexametern bestanden; einzelne Buchstaben waren darin mit roter Tinte geschrieben: wenn man die roten Buchstaben innerhalb der Quadrate untereinander verband, erhielt man bald das Monogramm Christi, bald eine Blume, bald ein kompliziertes Ornament; die sich hierbei bildenden Zeilen enthielten neue Komplimente; schließlich konnte man die vier letzten Hexameter des Gedichtes auf achtzehn verschiedene Arten lesen: von vorne, von hinten, aus der Mitte, von der Seite, von oben herunter, von unten herauf und so weiter; wie man es auch las, immer erhielt man neue Lobpreisungen.

Diese wahnsinnige Arbeit kostete dem armen Dichter beinahe seinen Verstand. Um so vollständiger war sein Sieg. Constantius geriet in Entzücken. Er glaubte, daß Optalianus alle Dichter des Altertums in den Schatten gestellt habe. Er schrieb ihm einen eigenhändigen Brief, in dem er behauptete, daß er immer bereit sei, die Musen zu beschirmen. »In unserem Zeitalter,« schloß das in hochtrabendem Stil gehaltene Schreiben: »folgt meine wohlwollende Aufmerksamkeit einem jeden, der da dichtet, wie der leise Hauch des Zephyrs.« Der Dichter erhielt jedoch sein konfisziertes Eigentum nicht zurück; man gab ihm nur etwas Geld und die Erlaubnis, die verfluchte Insel zu verlassen und sich in Athen anzusiedeln.

Sein Leben in Athen war wenig erfreulich: der Gehilfe des jüngsten Stallknechtes am Zirkus lebte im Vergleich zu ihm in Herrlichkeit und Freuden. Der Dichter mußte ganze Tage lang bei ehrgeizigen Würdenträgern, in Gesellschaft von Sargtischlern, jüdischen Händlern und Veranstaltern von Hochzeitszügen, antichambrieren, ehe er einen Auftrag auf ein Epitalam, ein Epitaph, oder eine Liebesepistel erhielt. Die Bezahlung war elend. Porphyrius verlor aber nicht den Mut und hoffte noch immer, dem Kaiser einmal ein solches Kunststück zu überreichen, daß dieser ihm gänzlich verzeihen würde.

Julianus sah, daß trotz aller Erniedrigungen, die Porphyrius erfahren mußte, in ihm die Liebe zu Hellas noch nicht erloschen war. Er war ein feiner Kenner der alten Dichter, und Julianus unterhielt sich sehr gerne mit ihm.

Sie verließen die Landstraße und näherten sich einer hohen Mauer, die eine Palästra umschloß.

Ringsherum war es einsam. Zwei schwarze Lämmer weideten auf der Wiese. Vor den verschlossenen Toren, wo aus den Fugen in den steinernen Stufen wilder Mohn und Löwenzahn hervorwuchsen, stand ein mit zwei weißen Pferden bespannter Wagen; die Mähnen der Pferde waren wie bei den Pferden auf alten Bildwerken zugestutzt.

Ein alter Sklave mit einem eiförmigen, kahlen Schädel, der kaum von einem weißen Flaum bedeckt war, beaufsichtigte das Gespann. Der Alte war taubstumm, doch sehr höflich. Er hatte Optatianus erkannt und nickte ihm freundlich zu, auf das verschlossene Tor der Palästra zeigend.

»Gib mir für einen Augenblick deinen Geldbeutel,« sagte Optatianus zu seinem Begleiter. »Ich will diesem alten Narren einen oder zwei Dinare Trinkgeld geben.«

Er warf dem Taubstummen eine Münze zu und dieser öffnete mit sklavischer Dienstfertigkeit, unartikulierte Laute von sich gebend, das Tor.

Sie betraten das lange, halbdunkle Peristyl.

Zwischen den Säulen sah man gedeckte Gänge, die sogenannten »Xystoi«, die für die Übungen der Athleten bestimmt waren; in diesen Gängen gab es keinen Sand, und sie waren ganz mit Gras überwuchert. Die beiden Freunde traten in den breiten, inneren Hof.

Julianus' Neugier war durch all das Geheimnisvolle aufs höchste erregt. Optatianus führte ihn schweigend an der Hand.

In den zweiten Hof gingen die Türen der »Exedras«, der marmornen Hallen, die einst den athenischen Weisen und Rednern als Hörsäle gedient hatten. Dort zirpten die Zikaden, hier klangen die wohlgesetzten Reden hervorragender Männer; über den saftigen Gräsern, die üppig wie auf Gräbern wucherten, schwärmten Bienen; es war eine stille, traurige Stimmung. Plötzlich hörten sie eine weibliche Stimme, das Klirren eines auf den Marmorfußboden anschlagenden Kupferdiskus und Lachen.

Sie schlichen wie Diebe heran und versteckten sich im Halbschatten zwischen den Säulen des »Elaiothesion«, wo sich einst die Ringkämpfer vor den Kämpfen mit Öl eingerieben hatten.

Zwischen den Säulen hindurch konnten sie einen länglichen, viereckigen Platz unter freiem Himmel überblicken, der zum Ballspiel und Diskuswerfen bestimmt war; der Platz war wohl erst vor kurzem gleichmäßig mit frischem Sand bestreut worden.

Julianus blickte hin und taumelte einige Schritte zurück.

Zwanzig Schritte vor ihm stand ein junges Mädchen, vollkommen nackt. Sie hielt in der Hand einen kupfernen Diskus.

Julianus machte eine rasche Bewegung, um fortzugehen; doch sah er in den aufrichtigen Augen und in dem blassen Gesicht des Optatianus eine so tiefe Andacht, daß er sofort begriff, warum ihn dieser Verehrer des Hellas hergeführt hatte; er fühlte, daß in der Seele des Dichters kein einziger sündiger Gedanke aufkommen könne und daß sein Entzücken heilig sei. Optatianus hatte seinen Freund bei der Hand erfaßt und flüsterte ihm ins Ohr:

»Julianus, wir befinden uns jetzt im alten Lakonien. Weißt du noch die Verse des Properz: Ludi Laconum?«

Und er flüsterte ihm ganz leise, doch begeistert zu:

Multa tuae, Sparte, miramur jura palaestrae,
Sed mage virginei tot bona gymnasii;
Quod non infames exerceret corpore ludos,
Inter luctantes nuda puella viros.

Viele Gesetz', o Sparta, bewundern wir deiner Palästra;
Aber das Gute der jungfräulichen Übung zumeist;
Daß nicht unehrbar zur Behendigkeit bilden die Glieder
Unter den Jünglingen nackt ringende Mädchen im Kampf.

»Wer ist das?« fragte Julianus.

»Ich weiß nicht, ich wollte es nicht erfahren . . .«

»Es ist gut. Sei still.«

Nun sah er gierig auf die Diskuswerferin, ganz ohne Schamgefühl; er fühlte, daß hier jedes Schamgefühl unnötig und unweise sei.

Das Mädchen trat einige Schritte zurück, beugte sich, setzte den linken Fuß vor und warf mit der Rechten den Diskus so hoch empor, daß der kupferne Kreis in den Strahlen der aufgehenden Sonne aufleuchtete und klirrend am Fuße einer weit entfernten Säule niederfiel. Julianus glaubte vor sich ein Marmorbildwerk des Phidias zu sehen.

»Dein bester Wurf!« sagte ein etwa zwölfjähriges Mädchen, das, mit einer glänzenden Tunika bekleidet, bei einer der Säulen stand.

»Myrrha, reich mir den Diskus!« sagte die Diskuswerferin. »Ich kann ihn noch höher schleudern, du wirst es bald sehen! Meroe, geh etwas zur Seite, sonst verwunde ich dich, wie Apollo den Hyacinthos.«

Die alte Sklavin Meroe, ihrer bunten Kleidung und ihrer braunen Gesichtsfarbe nach zu schließen eine Ägypterin, bereitete in Alabastergefäßen wohlriechende Essenzen zum Bade. Julianus dachte sich, daß der taubstumme Sklave und der Wagen mit den weißen Pferden dieser Liebhaberin der alten Spiele gehörten.

Als das Mädchen mit dem Diskuswerfen fertig war, ließ sie sich von der schwarzäugigen, blassen Myrrha einen geschwungenen Bogen und einen Köcher reichen, und entnahm diesem einen gefiederten Pfeil. Das Mädchen zielte nach einem schwarzen Kreis, der an dem entgegengesetzten Ende des Ephebeon hingemalt war. Die Bogensehne erklang, der Pfeil flog pfeifend auf und traf das Ziel; ihm folgte ein zweiter und ein dritter.

»Artemis, die Jägerin!« flüsterte Optatianus.

Der zartrosa Strahl der aufgehenden Sonne drang plötzlich zwischen den Säulen hindurch und traf das Gesicht und den fast knabenhaften Busen des Mädchens.

Sie warf Bogen und Köcher fort und bedeckte mit den Händen ihre von der Sonne geblendeten Augen.

Einige Schwalben flogen schreiend über der Palästra und verschwanden im Himmel.

Sie nahm ihre Hände vom Gesicht und verschränkte sie über dem Kopfe. Ihre Haare waren an den Enden von heller Goldfarbe, wie gelber Honig in der Sonne; an den Wurzeln waren sie etwas dunkler und rötlich, sie hatte ihre Lippen zu einem Lächeln kindlicher Freude geöffnet; die Sonne glitt an ihrem nackten Körper herab immer tiefer und tiefer. So stand sie rein und nackt da, vom Sonnenlicht wie von einem keuschen Gewand umhüllt.

»Myrrha,« sagte das Mädchen nachdenklich und langsam, »sieh dir nur den Himmel an! Man möchte sich in ihn hineinstürzen und mit einem Schrei wie die Schwalben in ihm ertrinken, weißt du noch, wir sprachen neulich davon, daß die Menschen nie glücklich sein könnten, weil sie keine Flügel hätten? Wenn wir den Vögeln nachblicken, beneiden wir sie . . . Man muß ganz leicht, ganz nackt sein, Myrrha, – wie ich es jetzt bin, – sich ganz hoch und tief im Himmel fühlen und wissen, daß es ewig so bleiben wird, daß es in der Welt nichts gibt und nichts geben kann, als den Himmel und die Sonne um den leichten, nackten Körper! . . .«

Sie richtete sich ganz auf, streckte ihre Arme zum Himmel, seufzte auf, wie man über etwas seufzt, das man auf ewig und unwiederbringlich verloren hat.

Die Sonnenstrahlen glitten immer tiefer und tiefer herab; sie umfingen bereits mit glühender Liebkosung ihre Hüften. Das Mädchen zuckte, von Scham ergriffen, zusammen, als ob irgendein Lebender und Leidenschaftlicher ihre Nacktheit gesehen hätte. Mit der ewigen, schamhaften Gebärde der Aphrodite von Knidos verdeckte sie mit der einen Hand ihre Brüste und mit der anderen ihre Lenden.

»Meroe, gib schnell meine Kleider her!« schrie sie auf, mit erschrockenen, großen Augen um sich blickend.

Julianus wußte nicht mehr, wie er die Palästra verlassen hatte; sein Herz glühte. Der Dichter schien feierlich und traurig gestimmt, wie einer, der eben aus einem Tempel kommt.

»Du zürnst mir doch nicht?« fragte er Julianus.

»O nein! Weshalb?«

»Vielleicht war es für den Christen ein Ärgernis? . . .«

»Nein, es war kein Ärgernis.«

»Ja. Ich habe es mir auch so gedacht.«

Sie kamen wieder auf die staubige Landstraße, auf der es inzwischen recht heiß geworden war, und gingen nach Athen.

Optatianus sagte leise, wie vor sich hin:

»Wie sind wir jetzt schamhaft und häßlich! Wir fürchten unsre eigene, traurige und armselige Nacktheit, wir verbergen sie, denn wir fühlen uns unrein. Wie anders war es früher! – Einst war es doch wirklich so, Julianus, daß die spartanischen Mädchen ganz nackt und stolz in der Palästra vor das Volk traten. Niemand fürchtete sich vor Versuchung. Die Reinen sahen auf Reine. Sie waren wie die Kinder, wie die Götter. – Wenn ich aber bedenke, daß dies nie wiederkehren wird, daß es mit dieser Freiheit, Reinheit und Lebensfreude für immer vorbei ist . . .«

Er ließ seinen Kopf sinken und seufzte tief auf. Sie gingen durch die Straße der Dreifüße. In der Nähe der Akropolis nahmen die Freunde stumm voneinander Abschied.

Julianus trat in den Schatten der Propyläen. Er ging an der Stoa Poikile mit den Bildern des Parrhasius, die die Schlachten bei Marathon und Salamis darstellten, dann an dem kleinen Tempel der Flügellosen Nike vorbei und näherte sich dem Parthenon.

So oft er die Augen schloß, sah er den nackten, herrlichen Leib der Jägerin Artemis vor sich; und wenn er sie wieder öffnete, schien ihm der sonnenlichtüberflutete Marmor des Parthenons goldig und beseelt, wie der Leib der Göttin.

Er war bereit, vor aller Augen diesen von der Sonne durchwärmten Marmor zu umarmen und ihn, wie einen lebendigen Leib, zu küssen, und wenn es ihm auch das Leben kostete.

In der Nähe standen zwei schwarzgekleidete, junge Männer mit blassen, strengen Gesichtern; es waren Gregorius von Nazianz und Basilius von Cäsarea. Die Hellenen fürchteten sie wie ihre ärgsten Feinde; die Christen hofften, in diesen beiden Freunden einst große Kirchenlehrer zu sehen. Sie beobachteten Julianus.

»Was hat er nur heute?« sagte Gregorius. »Sieht denn ein Mönch so aus? Diese Bewegungen! Und wie er die Augen schließt! Dieses Lächeln! Glaubst du denn wirklich an seine Frömmigkeit, Basilius?«

»Ich habe es ja doch selbst gesehen, wie er in der Kirche betete und weinte . . .«

»Es ist nur Heuchelei!«

»Warum kommt er dann zu uns, warum sucht er unsere Gesellschaft und beschäftigt sich mit der Auslegung der heiligen Schrift?«

»Er treibt seinen Spott mit uns oder will uns verführen. Traue ihm nicht! Er ist der Versucher! Wisse, mein Bruder, daß das Römische Reich sich in der Person dieses Jünglings ein großes Übel heranzieht. Er ist der Feind!«

Die Freunde gingen mit gesenkten Blicken weiter. Sie beachteten weder die strengen, jungfräulichen Karyatiden des Erechtheions, noch die Propyläen, den im blauen Himmel leuchtenden, weißen Tempel der Nike Apteros und das Parthenon. Ihre Gesichter waren finster, denn sie hatten nur den einen Wunsch, – alle diese teuflischen Götzentempel zu zerstören.

Die Sonne warf auf den weißen Marmor zwei lange, schwarze Schatten der beiden Mönche Gregorius von Nazianz und Basilius von Cäsarea.

»Ich will sie sehen,« sagte sich Julianus, »ich muß erfahren, wer sie ist!«


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