Dmitri Mereschkowski
Julianus Apostata
Dmitri Mereschkowski

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XX.

Die Hofdichter, die in ihren Epigrammen Julianus »victorinus« – »Siegerlein« nannten, erfuhren jetzt mit Erstaunen von seinen Siegen in Gallien, was ihnen früher lächerlich erschien, wurde zu einem schrecklichen Ernst. Man sprach auch von der Magie und den geheimen Mächten, die den Freund des Maximus von Ephesus unterstützten.

Julianus hatte die Städte Argentoratum, Brocomagus, Tres Tabernae, Saliso, Nemetes, Vangion und Magontiacum erobert und dem Reiche zurückgegeben.

Die Soldaten vergötterten ihn. Bei jedem Schritte glaubte er fester daran, daß die Olympier ihm gewogen seien und ihn unterstützten. Er fuhr aber fort, christliche Kirchen zu besuchen und veranstaltete sogar zu Vienna am Rhodanus einen feierlichen Dankgottesdienst.

Mitte Dezember kehrte der siegreiche Cäsar nach einem langen Feldzuge in sein Winterquartier, in das von ihm bevorzugte an der Seine gelegene Städtchen Lutetia – Paris zurück.

Es war abends; die Einwohner der Stadt staunten über die seltsame blaßgrüne Farbe des Himmels. Unter den Schritten der Soldaten knirschte der erst eben gefallene Schnee.

Paris-Lutetia lag auf einer kleinen Insel im Flusse, von allen Seiten von Wasser umgeben. Zwei Holzbrücken verbanden die Stadt mit dem Ufer. Die Häuser waren in einem besonderen gallisch-römischen Stile erbaut und hatten weite glasbedeckte Flure, die ihnen die offenen Vorhallen der südlichen Länder ersetzten. Aus vielen Schornsteinen stieg Rauch empor. Die Bäume waren bereift. In den Gärten standen an den nach Süden gekehrten Wänden einzelne von den Römern hergebrachte Feigenbäume; obwohl sie sorgfältig mit Stroh umhüllt waren, schienen die armen Kinder des Südens zu frieren. In diesem Jahre herrschte trotz der Westwinde, die vom Ozean Tauwetter brachten, ein strenger Winter. Große Eisschollen trieben auf der Seine und stießen miteinander zusammen. Die römischen und griechischen Soldaten betrachteten mit Erstaunen das ungewohnte Schauspiel. Julianus verglich die durchsichtigen bald blauen und bald grünen Eisschollen mit phrygischen grüngeäderten Marmorplatten.

Diese traurige und geheimnisvolle Schönheit des Nordens fesselte und rührte ihn, wie die Erinnerung an seine ferne Heimat.

Er begab sich ins Schloß. Es war ein riesengroßes Gebäude mit schweren Steinbögen und Türmen, die sich schwarz gegen den hellen Abendhimmel abhoben.

Julianus betrat die Bibliothek. Hier war es feucht und kalt, so daß man im großen Kamin Feuer machen mußte.

Man brachte ihm einige Briefe, die in Lutetia während seiner Abwesenheit eingetroffen waren; darunter war einer aus Kleinasien vom Göttlichen Jamblichus.

Draußen tobte der Schneesturm. Im Kamine heulte der Wind. Es schien, daß jemand an die geschlossenen Fensterläden klopfe. Julianus las den Brief des Meisters. Aus den Zeilen wehte ihm ein südlicher Hauch, ein Hauch von Hellas entgegen; er schloß die Augen und sah vor sich die marmornen Propyläen; sie leuchteten im Dunkeln, zogen wie Gespenster vorüber und schmolzen wie Wolken in der Sonne.

Er fuhr zusammen und erhob sich. Das Feuer im Kamin war erloschen. Eine Maus nagte an einer Pergamentrolle. Er fühlte das Verlangen, ein lebendes Menschenantlitz zu sehen. Plötzlich fiel ihm seine Frau ein. Ein sonderbares Lächeln verzerrte seine Lippen.

Julianus hatte kurz vor seiner Abreise nach Gallien eine Verwandte der Kaiserin Eusebia, namens Helena, die der Kaiser zu dieser Verbindung gezwungen hatte, geheiratet. Er liebte sie nicht. Obwohl seit der Hochzeit mehr als ein Jahr verstrichen war, hatte er sie fast nie gesehen oder gesprochen: sie war in der Ehe Jungfrau geblieben. Helena hatte sich von ihrer frühesten Kindheit an nach dem Kloster gesehnt; sie wollte eine Braut Christi werden, und der Gedanke an eine Ehe flößte ihr Grauen ein. In der ersten Zeit nach der Hochzeit hielt sie sich für verloren; als sie aber sah, daß Julianus von ihr nichts verlangte, beruhigte sie sich. Sie lebte im Schlosse wie eine Nonne, immer einsam, bleich, still, von Kopf bis zu Fuß in schwarze christliche Gewänder gehüllt. In ihren geheimen Gebeten hatte sie das Gelübde der Keuschheit abgelegt.

Von böser Neugierde getrieben, begab sich Julianus in jener Nacht durch die leeren, finsteren Gänge zu dem Schloßturme, den Helena bewohnte.

Ohne anzuklopfen trat er in die nur schwach beleuchtete Zelle. Das Mädchen kniete an einem Betpulte vor einem großen Kruzifix.

Er trat leise, seine Hand vor die Flamme der Lampe haltend, an sie heran und beobachtete sie einige Zeit schweigend. Sie war so sehr in das Gebet vertieft, daß sie ihn gar nicht eintreten sah. Er rief:

»Helena.«

Sie schrie auf und wandte ihm ihr blasses Gesicht zu.

Er musterte lange und aufmerksam das Kruzifix, das Evangelium und das Betpult.

»Du betest immer?«

»Ja, ich bete, – auch für dich, gottgeliebter Cäsar . . .«

»Auch für mich? So! Du hältst mich wohl für einen großen Sünder, Helena?«

Sie schlug stumm die Augen nieder. Über seine Lippen glitt wieder ein seltsames stilles Lächeln.

»Fürchte nichts. Antworte. Glaubst du vielleicht, ich hätte irgendeine besonders schwere Sünde auf dem Gewissen?«

Er näherte sich ihr und sah ihr in die Augen. Sie sprach kaum hörbar:

»Eine besonders schwere? – Ja. Ich glaube, zürne mir aber nicht . . .«

»Sage mir, welche Sünde du meinst. Ich will Buße tun.«

»Lache nicht über mich,« sagte sie noch leiser und ernster, ohne ihn anzublicken. »Ich habe für deine Seele vor Gott Rechenschaft abzulegen.«

»Du – für mich?«

»Wir sind auf ewig aneinander gebunden.«

»Wodurch?«

»Durch das Sakrament.«

»Durch die kirchliche Trauung? Wir sind ja noch einander fremd, Helena.«

»Ich fürchte für deine Seele, Julianus,« sagte sie, ihre ruhigen unschuldigen Augen auf ihn richtend.

Er legte ihr die Hand auf die Schulter und blickte lächelnd in ihr blutleeres Nonnengesicht. Das Gesicht war keusch und kalt, und die blaßrosa Lippen des schönen, kleinen Mundes, der halb geöffnet war und kindliche Angst ausdrückte, zeichneten sich darauf seltsam ab.

Plötzlich beugte er sich über sie und küßte sie, ehe sie sich besinnen konnte, mitten auf den Mund.

Sie sprang auf, lief in die entgegengesetzte Ecke der Zelle und bedeckte das Gesicht mit den Händen; dann zog sie die Hände wieder langsam vom Gesicht, blickte ihn mit vor Angst wahnsinnigen Augen an und begann plötzlich sich und ihn zu bekreuzen.

»Hebe dich hinweg, Verdammter! Dieser Raum ist heilig! Ich beschwöre dich im Namen des heiligen Kreuzes, – verschwinde, versinke! Es stehe Gott auf, daß seine Feinde zerstreut werden! . . .«

Er wurde zornig. Er ging zur Türe und sperrte sie ab. Dann wandte er sich wieder an seine Frau:

»Helena, beruhige dich. Du hast mich für jemand anderen gehalten; ich bin aber ebenso Mensch wie du. Ein Geist hat weder Fleisch, noch Bein, wie du sie an mir siehst. Ich bin dein Gatte. Die Kirche Christi hat unseren Bund gesegnet.«

Sie fuhr langsam mit der Hand über die Augen.

»Verzeihe mir . . . Ich habe mich getäuscht. Du kamst so plötzlich herein. Ich habe ja schon Visionen gehabt. Er irrt hier nachts umher. Ich habe Ihn schon zweimal gesehen; Er hat mir von dir erzählt. Seit jener Zeit fürchte ich mich. – Er sagte mir, daß in deinem Gesicht . . . Julianus, warum siehst du mich so an . . .?«

Sie zitterte wie ein gefangener Vogel und drückte sich scheu an die Wand. Er näherte sich ihr wieder und umarmte sie.

»Was tust du? . . . Laß mich! . . .«

Sie versuchte zu schreien und ihre Dienerin zu rufen:

»Eleutheria! Eleutheria!«

»Du Dumme! Bin ich nicht dein Gatte? . . .«

Sie begann plötzlich leise und hilflos zu schluchzen:

»Bruder! Es darf nicht sein. Ich habe ein Gelübde abgelegt; ich bin eine Braut Christi. Ich glaubte, daß du . . .«

»Die Braut des römischen Cäsars kann nicht eine Braut Christi sein!«

»Julianus, wenn du an Ihn glaubst . . .«

Er lachte.

Sie nahm ihre letzten Kräfte zusammen, um ihn von sich zu stoßen.

»Hebe dich hinweg, du Teufel! . . . Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? . . .«

Immer noch lachend bedeckte er ihren feinen weißen Hals, im Nacken, wo das Haar ansetzt, mit wütenden gierigen Küssen.

Es schien ihm, als ob er einen Mord begehe. Sie war so ermattet, daß sie ihm fast nicht widerstrebte; sie flüsterte nur flehend:

»Erbarme dich meiner, Bruder, habe Erbarmen! . . .«

Mit frevler Hand riß er ihr die schwarzen Nonnenkleider vom Leibe. Seine Seele war von namenlosem Grauen erfaßt, doch hatte er noch nie im Leben einen solchen Rausch genossen. – Plötzlich schimmerte durch das zerrissene Gewand ihre nackte, weiße Haut. Der römische Cäsar sah mit einem herausfordernden Lächeln in die finstere Ecke der Zelle, wo sich vor dem Betpulte, von der flackernden Lampe erleuchtet, das schwarze Kruzifix erhob.


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