Dmitri Mereschkowski
Julianus Apostata
Dmitri Mereschkowski

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XIII.

»Die Götter haben die Sterblichen in die Welt gesandt, damit sie schön redeten.«

»Herrlich! Das hast du herrlich gesagt, Mamertinus! – wiederhole es noch einmal, ehe du es vergißt! Ich will es mir aufschreiben!« So bat den berühmten athenischen Advokaten Mamertinus sein Freund und aufrichtiger Verehrer, der Lehrer der Beredsamkeit, Lampridius. Er holte aus seiner Tasche eine wächserne Doppeltafel und einen spitzen Stahlstift hervor und schickte sich an zu schreiben.

»Ich sage,« fing Mamertinus von neuem an, mit einem gezierten Lächeln seine Tischgenossen an der Abendtafel musternd, »ich sage: die Menschen sind von den Göttern gesandt . . .«

»Nein, nicht so! Du hast es anders gesagt, Mamertinus!« unterbrach ihn Lampridius: »du hast es viel besser gesagt: die Götter haben die Sterblichen in die Welt gesandt.«

»Nun, ich habe gesagt: die Götter haben die Sterblichen in die Welt gesandt, nur damit sie schön redeten.«

»Jetzt hast du noch die Silbe ›nur‹; hinzugefügt, und es klingt noch besser.«

Lampridius notierte sich mit großer Andacht die Worte des Advokaten, wie einen Ausspruch des Orakels.

Es war bei einem Abendessen, das der römische Senator Hortensius seinen Freunden auf der in der Nähe von Piräus gelegenen Villa, die seiner jungen und schönen Pflegetochter Arsinoe gehörte, gab.

Mamertinus hatte an diesem Tage seine berühmte Rede zur Verteidigung des Bankiers Barnabas gehalten. Niemand zweifelte, daß der Jude Barnabas ein abgefeimter Schwindler sei. Abgesehen von seiner Beredsamkeit, verfügte der Advokat über eine Stimme, von der eine seiner zahllosen in ihn verliebten Verehrerinnen behauptete: »Ich höre niemals auf seine Worte; mich interessiert weder was, noch worüber er spricht; ich berausche mich allein an seiner Stimme; in den Schlußsilben der Worte klingt sie ganz außergewöhnlich. Es ist keine Menschenstimme, sondern göttlicher Nektar, das Seufzen einer Äolsharfe!«

Obwohl das gemeine Volk den Wucherer Barnabas »einen Blutsauger, der sich von der Habe der Witwen und Waisen nährt« nannte, waren die Richter von Athen so sehr von der Verteidigungsrede des Mamertinus entzückt, daß sie seinen Klienten freisprachen. Der Advokat hatte vom Juden fünfzigtausend Sesterzen erhalten und war daher während des kleinen Festmahles, das Hortensius ihm zu Ehren gab, bei bester Laune. Er hatte die Gewohnheit, sich immer krank zu stellen und beanspruchte die sorgsamste Behandlung.

»Ich bin heute so müde, meine Freunde,« sprach er jammernd. »Ganz krank bin ich. – wo bleibt aber Arsinoe?«

»Sie muß gleich kommen. Arsinoe bekam soeben aus dem Museum von Alexandria einen neuen physikalischen Apparat zugeschickt und ist mit ihm sehr beschäftigt. Ich will sie aber gleich rufen lassen,« schlug Hortensius vor.

»Nein, es ist nicht nötig,« sprach der Advokat nachlässig. »Es ist nicht nötig. – Dieser Unsinn! Ein junges Mädchen und Physik! Wie soll sich das nur reimen? Schon Aristophanes und Euripides haben die gelehrten Frauen verlacht. Und mit Recht! Was deine Arsinoe für Launen hat, Hortensius! Wenn sie nicht so schön wäre, könnte man glauben, daß sie mit ihrer Bildhauerei und Mathematik . . .«

Er sprach den Satz nicht zu Ende und blickte zum offenen Fenster.

»Was kann ich dagegen tun?« erwiderte Hortensius. »Es ist ein verzogenes Mädchen. Ein Waisenkind, hat weder Vater noch Mutter. Ich bin ja nur der Vormund und will sie an nichts hindern!«

»Ja, ja . . .«

Der Advokat hörte nicht mehr zu.

»Meine Freunde, ich fühle . . .«

»Was denn?« riefen gleichzeitig einige besorgte Stimmen.

»Ich fühle . . . es scheint mir, daß es hier zieht! . . .«

»Willst du, daß wir die Fensterläden schließen?« schlug der Hausherr vor.

»Nein, lieber nicht: es wird zu heiß werden. Ich habe meine Kehle zu sehr angestrengt. Übermorgen muß ich wieder eine Verteidigungsrede halten. Gebt mir meinen Lungenschützer und einen Teppich für die Füße. Ich fürchte, daß ich in dieser nächtlichen Frische heiser werde.«

Hephästion, jener junge Mann, mit dem der Dichter Optatianus sein Zimmer teilte, ein Schüler des Lampridius, und Lampridius selbst beeilten sich, dem Mamertinus seinen Lungenschützer zu holen.

Es war ein schöngesticktes Stück weißer, weicher Wolle, das der Advokat immer bei sich hatte, um damit bei der geringsten Gefahr einer Erkältung seine kostbare Lunge zu schützen.

Mamertinus machte sich selbst den Hof, wie der Liebhaber einem verwöhnten Frauenzimmer. Alle waren daran gewöhnt. Er liebte sich so naiv und zärtlich, daß er die gleiche Liebe auch von den andern beanspruchte.

»Diesen Lungenschützer hat mir Matrone Fabiola gestickt,« teilte er schmunzelnd mit.

»Die Gattin des Senators?« fragte Hortensius.

»Ja. Ich will euch eine Anekdote von ihr zum besten geben. Einst hatte ich einen ganz kurzen Brief, – ich muß zugeben, daß er schon sehr schön war, aber immerhin eine Bagatelle von etwa fünf griechischen Zeilen – an eine andere Dame geschrieben, die gleichfalls meine Verehrerin ist, und die mir einen Korb Kirschen geschickt hatte. Ich dankte ihr für das Geschenk in scherzhaften Wendungen, wobei ich den Plinius imitierte. Denkt euch nur, meine Freunde: Fabiola, die meinen Brief so schnell als möglich lesen und für ihre Sammlung berühmter Briefe abschreiben wollte, sandte zwei Sklaven aus, die auf der Landstraße meinem Boten auflauerten. Und nun wird dieser plötzlich nachts in einer hohlen Gasse überfallen: er glaubt, es seien Räuber; doch sie krümmen ihm kein Haar, schenken ihm Geld, nehmen ihm den Brief ab und lassen ihn laufen. So las Fabiola meinen Brief zuerst; sie lernte ihn sogar auswendig.«

»O gewiß, ich kenne sie ja! Es ist eine wirklich ausgezeichnete Frau!« fiel Lampridius ein. »Ich sah mit eigenen Augen, daß sie alle deine Briefe in einer geschnitzten Schatulle aus Zitronenholz, wie wahre Kostbarkeiten, verwahrt. Sie lernt sie auswendig und behauptet, sie seien besser als alle Verse. Fabiola sagt mit Recht: ›Wenn Alexander der Große die Werke Homers in einem Kästchen aus Zedernholz verwahrte, warum soll ich dann nicht die Briefe des Mamertinus in einer Schatulle aus Zitronenholz aufbewahren?‹«

»Meine Freunde, diese Gänseleber mit Safransauce ist ein Wunder der Kochkunst! Ich rate euch, sie zu versuchen, wer hat sie zubereitet, Hortensius?«

»Der Oberkoch Daedalus.«

»Heil dem Daedalus! Dein Koch ist ein wahrer Dichter.«

»Liebster Gargilianus, wie kannst du nur einen Koch mit einem Dichter vergleichen?« wandte der Lehrer der Beredsamkeit ein. »Beleidigst du damit nicht die göttlichen Musen, unsere Beschützerinnen?«

»Die Musen können sich nur geschmeichelt fühlen, Lampridius. Ich glaube, daß die Gastronomie eine Kunst ist, wie jede andere. Es ist Zeit, daß man solche Vorurteile fallen läßt!«

Gargilianus, ein römischer Beamter aus der Kanzlei des Präfekten, war ein wohlbeleibter und wohlgenährter Herr, mit einem dreifachen, sorgfältig rasierten und parfümierten Kinn, mit kurz geschorenen, grauen Haaren, durch die die roten, fettigen Falten seiner Kopfhaut hindurchschimmerten, und einem klugen Gesicht. Seit vielen Jahren war in Athen keine einzige gesellschaftliche Veranstaltung ohne seine Gegenwart denkbar. Gargilianus liebte im Leben nur zwei Dinge: einen guten Tisch und einen guten Stil. Die Gastronomie und die Poesie verschmolzen bei ihm zu einem einzigen Genuß.

»Sagen wir, ich nehme eine Auster,« sagte er, indem er mit seinen fetten Fingern, auf denen große Amethyste und Rubinen funkelten, eine Auster an den Mund führte.

»Ich nehme also eine Auster und schlucke sie . . .«

Er verschluckte sie, schloß die Augen und schnalzte mit der Oberlippe. Diese Oberlippe verlieh ihm einen besonders gierigen Ausdruck: sie trat hervor, war etwas zugespitzt und geschwungen und glich einem kleinen Rüssel, wenn er irgendeinen wohlklingenden Vers von Anakreon oder Moschos goutierte, bewegte er sie ebenso wollüstig, wie wenn er sich bei einem Nachtmahl an einer Suppe aus Nachtigallenzungen delektierte.

»Ich verschlucke sie und fühle sofort,« fuhr Gargilianus tiefsinnig und ohne Übereilung fort, »und ich fühle, daß diese Auster von der Küste Britanniens, und keineswegs aus Ostia oder Tarent stammt. Wollt ihr, meine Freunde, so will ich euch zeigen, daß ich imstande bin, mit geschlossenen Augen zu unterscheiden, aus welchem Meere jeder beliebige Fisch und jede Auster stammt!«

»Was hat das alles mit der Poesie zu schaffen?« unterbrach ihn ungeduldig Mamertinus, der es nicht liebte, wenn man in seiner Gegenwart einem anderen zuhörte.

»Denkt euch nun dazu, meine Freunde,« fuhr der Gastronom unentwegt fort, »daß ich schon seit langer Zeit nicht am Ufer des Ozeans gewesen bin, den ich so sehr liebe und nach dem ich mich sehne. Ich will behaupten, daß eine gute Auster einen so frischen und salzigen Geruch hat, daß es genügt, sie zu verschlucken, um sich sofort an den Strand des Ozeans versetzt zu fühlen; ich schließe die Augen, und sehe die Wellen, sehe die Felsen, atme den Hauch des Meeres ein, des ›nebeligen Meeres‹, wie es Homer nennt. Nein, sagt mir nur ganz aufrichtig, welcher Vers der Odyssee könnte mir so deutlich und vollständig die Stimmung des Meeres wiedergeben, wie der Geruch einer frischen Auster? Oder sagen wir, ich schäle mir einen Pfirsich und koste von seinem wohlduftenden Safte. Sagt mir nur, warum soll der Duft eines Veilchens oder einer Rose dem Geschmacke eines Pfirsichs vorzuziehen sein? Die Dichter beschreiben die Formen, die Farben und die Töne. Warum soll aber nicht auch ein Geschmack ebenso schön sein, wie eine Farbe, Form oder ein Ton? Es ist nur ein Vorurteil, meine Freunde, nichts als ein Vorurteil! Der Geschmack ist die wertvollste, von uns aber noch nicht genügend gewürdigte Göttergabe. Die Verbindung verschiedener Geschmäcke ergibt eine ebenso erhabene und verfeinerte Harmonie, wie die Verbindung von Tönen. Ich behaupte, es gibt eine zehnte Muse, die Muse der Gastronomie.«

»Nun ja, bei Pfirsichen oder Austern mag es noch stimmen,« wandte der Lehrer der Beredsamkeit ein, »wie kann man aber auch in einer Gänseleber mit Safransauce Schönheit finden?«

»Sage mir, Lampridius, findest du vielleicht nicht nur in den Idyllen des Theokrit und den Komödien des Plautus, sondern auch in den rohesten Späßen der in diesen Komödien auftretenden Sklaven eine gewisse Schönheit?«

»Ja, vielleicht.«

»Siehst du, mein Freund; so finde ich auch eine große Schönheit in der Gänseleber; ich bin wirklich imstande, den Oberkoch Daedalus für diese Speise mit Lorbeer zu bekränzen, wie den Pindar für eine olympische Ode.«

In der Türe erschienen zwei neue Gäste: Julianus und der Dichter Publius. Hortensius wies Julianus den Ehrenplatz an. Die hungrigen Augen des Publius flammten auf, als er die vielen leckeren Speisen sah. Der Dichter trug eine neue Chlamys, die ihm wie angegossen saß. Vermutlich war die Pächterswitwe inzwischen gestorben, und die Erben hatten bei ihm wohl das Epitaph bestellt und bezahlt.

Das Gespräch wurde fortgeführt.

Jetzt erzählte der Lehrer der Beredsamkeit Lampridius, wie er einst in Rom aus Neugierde dem Sermon eines christlichen Predigers beigewohnt hatte, der »gegen die heidnischen Grammatiker« sprach. Die Grammatiker, behauptete der Christ, ehrten die Menschen nicht nach ihren Tugenden, sondern nach der Güte ihres Stils. Sie glaubten, es sei weniger verbrecherisch, einen Menschen zu töten, als das Wort »Homo« mit falscher Aspiration zu sprechen. Lampridius war über diese Anschuldigungen tief empört: er behauptete, daß die christlichen Prediger den guten Stil der Rhetoriker nur aus dem Grunde haßten, weil sie wüßten, daß ihr eigener Stil barbarisch sei; sie richteten die alte Redekunst zugrunde und vermengten die Unwissenheit mit der Tugend; einen jeden, der schön redet, hielten sie für verdächtig. Lampridius glaubte, daß an jenem Tage, an dem die Strebsamkeit unterginge, auch Hellas und Rom untergehen und die Menschen zu stummen Tieren werden würden. Die christlichen Prediger täten alles, um die Menschen in dieses Unglück zu stürzen.

»Wer weiß?« bemerkte Mamertinus nachdenklich. »Vielleicht ist der gute Stil auch wichtiger als die Tugend. Tugendhaft können ja auch Barbaren und Sklaven sein.«

Hephästion erklärte seinem Tischnachbar Junius Mauricus, was die Worte Ciceros »causam mendaciunculis adspergere« bedeuteten.

»Mendaciunculi – bedeutet soviel wie ›kleine Lügen‹. Cicero erlaubte und empfahl sogar, die Rede mit kleinen Lügen – mendaciunculis – zu spicken. Er hat nichts gegen kleine Unwahrheiten einzuwenden, wenn sie den Stil verzieren.«

Nun begann ein Streit darüber, ob der Redner seine Reden mit einem Anapäst oder mit einem Daktylus beginnen solle.

Julianus langweilte sich.

Alle wandten sich an ihn mit der Frage, welcher Ansicht er über den Gebrauch der Anapäste und der Daktyle sei.

Er gab aufrichtig zu, daß er darüber noch nie nachgedacht habe; doch glaube er, daß der Redner ein größeres Gewicht auf den Inhalt der Rede, als auf solche Nebensächlichkeiten legen müsse.

Mamertinus, Lampridius und Hephästion waren empört: sie waren der Ansicht, daß der Inhalt der Rede ganz nebensächlich sei; dem Redner müsse es ganz gleich sein, ob er für oder gegen etwas spräche; nicht nur der Sinn der Rede sei ganz nebensächlich, sondern auch der Sinn der einzelnen Worte; die Hauptsache sei der Klang, die Musik der Worte, neue wohltönende Kombinationen von Lauten; eine Rede solle so klingen, daß ein Barbar, der kein Wort griechisch verstünde, die Schönheit der Rede empfinden müsse.

»Hier sind zwei Verse des Properz,« sagte Gargilianus: »urteilt selbst, wie wichtig in der Poesie die Laute sind und wie nebensächlich der Sinn ist. Hört zu:

Et Veneris dominae volucres, mea turba, columbae
Tinguunt Gorgoneo punica rostra lacu.

Wie entzückend! Welche Musik! Was geht mich der Sinn an? Die ganze Schönheit liegt hier in den Lauten, in der Wahl der Vokale und der Konsonanten. Für diesen Wohlklang gebe ich die ganze Tugend Juvenals und die ganze Weisheit des Lucrez. Beachtet doch nur, wie süß das ist, wie das nur so rieselt:

Et veneris dominae volucres, mea turba, columbae!«

Und er schnalzte vor Entzücken mit seiner Oberlippe.

Nun wiederholten alle die zwei Verse des Properz. Sie konnten sich an ihrer Schönheit gar nicht satt trinken, ihre Augen leuchteten, und sie stachelten sich gegenseitig zu einer wahren Orgie von Worten auf.

»Hört doch nur, wie das klingt,« flüsterte Mamertinus mit seiner weichen, wie eine Äolsharfe tönenden stimme: »Tinguunt Gorgoneo...«

»Tinguunt Gorgoneo!« wiederholte der Beamte des Präfekten. »Bei Pallas, selbst der Himmel muß seine Freude daran haben: es ist so, als schlucke man dicken, warmen Wein, der mit attischem Honig vermengt ist:

Tinguunt Gorgoneo...«

»Beachtet nur, wie oft sich hier der Buchstabe G wiederholt, es ist wie das Girren einer Turteltaube. Und weiter geht es:

punica rostra lacu...«

»Herrlich, unvergleichlich!« flüsterte Lampridius mit vor Entzücken geschlossenen Augen.

Julianus schämte sich für alle diese Leute, verfolgte aber neugierig diesen wollüstigen Rausch, der von sinnlosen Lauten herrührte.

»Die Worte müssen ein wenig sinnlos sein,« schloß Lampridius wichtig, »sie müssen dahinfließen, rieseln, singen, weder das Ohr, noch das Herz berühren, – erst dann hat man den vollen Genuß an ihrer Musik.«

Julianus hatte während der ganzen Zeit zur Türe geblickt, als ob er jemanden erwartete; plötzlich erschien im Türrahmen unhörbar und von niemandem bemerkt, wie ein Schatten, eine weiße, schlanke Gestalt.

Die Fensterläden standen weit offen; das reine Licht des Mondes drang in den Festsaal, vermengte sich mit dem rötlichen Widerschein der Lampen und spielte auf der Mosaik des spiegelglatten Fußbodens und auf den Wänden, die mit der Darstellung des unter den Küssen des Mondes einschlafenden Endymion geschmückt waren.

Die weiße Gestalt stand unbeweglich wie eine Marmorstatue; das altathenische Peplos aus weicher, silberweißer Wolle fiel in langen, geraden Falten herab und wurde unterhalb der Brust von einem feinen Gürtel zusammengehalten; das Mondlicht traf nur das Kleid, das Gesicht blieb im Schatten. Die Eingetretene blickte auf Julianus, und Julianus blickte auf sie. sie lächelten einander zu, und wußten, daß niemand dieses Lächeln bemerken würde. Sie hatte ihren Finger an die Lippen gelegt und lauschte dem Tischgespräch.

Mamertinus, der mit Lampridius lebhaft über den grammatikalischen Unterschied zwischen dem ersten und dem zweiten Aorist disputierte, rief plötzlich aus:

»Arsinoe! Da bist du endlich! Du hast dich also doch entschlossen, uns zuliebe deine physikalischen Apparate und deine Statuen zu verlassen?«

Sie trat in den Saal und begrüßte mit einem natürlichen Lächeln die Gäste. Es war jene Diskuswerferin, die Julianus vor einem Monat in der verlassenen Palästra beobachtet hatte. Der Dichter Publius Optatianus, der in Athen alles und alle kannte, hatte die Bekanntschaft mit Hortensius und Arsinoe gemacht und seinen Freund Julianus bei ihnen eingeführt.

Arsinoes Vater, der alte römische Senator Helvidius Priscus, war in einem der letzten Regierungsjahre Konstantins des Großen gestorben und hatte vor seinem Tode seine beiden Töchter, die ihm eine germanische Gefangene geboren, der Obhut seines alten Freundes Quintus Hortensius anvertraut, den er, wegen seiner Liebe zum alten Rom und wegen seines Hasses gegen das Christentum hoch schätzte. Ein entfernter Verwandter, der große Purpurfabriken in Sidon besaß, hatte Arsinoe unermeßliche Reichtümer vermacht.

Sie war immer von einer Schar von Verehrern umgeben. Nach der Art, wie sie sich kleidete, frisierte und nach ihrem tadellosen, natürlichen Benehmen konnte man sie für eine echte Griechin der alten Zeit, wie es solche nur noch verschwindend wenige gab, halten. Ihre Gesichtszüge waren aber etwas unregelmäßig und ließen den nordischen Bluteinschlag erkennen.

Eine Zeitlang hatte sich Arsinoe ganz der Wissenschaft hingegeben und im Museum zu Alexandria bei den berühmtesten Gelehrten gearbeitet; von der Physik Epikurs, Demokrits und Lecruz' war sie ganz gefangen genommen; diese Lehren, die die Seele von der »Furcht vor Göttern« befreiten, sagten ihr besonders zu. Später widmete sie sich mit der gleichen, etwas krankhaften und hastigen Leidenschaftlichkeit der Bildhauerei. Sie war nach Athen gekommen, um die besten alten Vorbilder, die Werke des Phidias, Scopas und Praxiteles zu studieren.

»Ihr redet schon wieder über die Grammatik?« fragte die Tochter des Helvidius Priscus die Tischgenossen, den Saal betretend. »Laßt euch nicht stören, fahrt fort. Ich will nicht mit euch streiten, denn ich habe Hunger. Ich habe den ganzen Tag gearbeitet. Schenk mir Wein ein, Knabe.«

»Meine Freunde,« fuhr Arsinoe fort, »mit allen euren Zitaten aus Demosthenes und den Regeln des Quintilianus seid ihr doch die unglücklichsten Geschöpfe; die Redekunst wird euch noch zugrunde richten. Wie sehne ich mich nach einem Menschen, der sich weder um Homer, noch um Cicero kümmert, und der, wenn er spricht, weder an die Aspirationen, noch an die Aoriste denkt. – Julianus, willst du mich heute nach dem Essen an den Meeresstrand begleiten? Denn ich habe heute wirklich keine Lust, diese Unterhaltungen über Daktyle und Anapäste mitanzuhören . . .«

»Du hast meine Gedanken erraten, Arsinoe,« murmelte Gargilianus, der der Gänseleber mit der Safransauce etwas zu eifrig zugesprochen hatte; am Schlusse der Tafel überfiel ihn fast jedesmal, zugleich mit einer Schwere im Magen, auch eine gewisse Abneigung gegen Gespräche über literarische Dinge.

»›Literarum intemperentia laboramus,‹ sagte schon der schlaue Seneca, der Lehrer Neros. Ja, ja, das ist unser Unglück! Wir kranken an Unmäßigkeit in literarischen Dingen. Wir vergiften uns selbst . . .«

Er wurde nachdenklich und holte aus der Tasche einen Zahnstocher aus Mastixholz hervor. Sein feistes, kluges Gesicht drückte Ekel und Langeweile aus.


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