Dmitri Mereschkowski
Julianus Apostata
Dmitri Mereschkowski

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XIII.

Im Haine der Daphne war es dunkel. Ein heißer Wind trieb die Wolken vor sich hin. Kein Regentropfen labte die von der Sonnenglut versengte Erde. Die schwarzen Äste der Lorbeerbäume zitterten krampfhaft wie Arme von Betenden. Die titanischen Mauern der Cypressen rauschten und ihr Rauschen war wie die Rede erzürnter Greise.

Durch das Dunkel in der Nähe des Apollotempels schlichen lautlos zwei Männer. Der eine war klein und hatte grünliche Katzenaugen, die auch im Finstern sahen; er führte an der Hand den anderen, der viel größer war.

»Ach, Neffe! Wir werden uns noch in irgendeinem Graben den Hals brechen . . .«

»Es gibt ja hier überhaupt keine Gräben. Warum hast du solche Angst? Seitdem du dich hast taufen lassen, bist du wie ein altes Weib!«

»Ein altes Weib! Als ich in den Hyrkanischen Wäldern allein mit dem Speer bewaffnet den Bären jagte, schlug mein Herz gleichmäßig und ruhig. Hier ist aber die Sache anders! Paß nur auf, Neffe, wir werden schon Seite an Seite an einem Galgen baumeln! . . .«

»Schweige, Narr!«

Der Kleine zog den Großen weiter mit sich; der Große schleppte ein mächtiges Bündel Stroh auf dem Rücken und einen Spaten in der Hand.

Sie schlichen sich an die Rückwand des Tempels heran.

»Hier ist es! Zuerst mit dem Spaten. Die innere Bretterwand mußt du mit der Axt durchhauen,« flüsterte der Kleine, sich durch das Gesträuch tastend. Hier fand er in der Mauer ein Loch, das nachlässig mit Ziegelsteinen verdeckt war.

Das Rauschen der Bäume im Winde übertönte die Schläge des Spatens. Plötzlich erscholl ein Schrei, wie der eines kranken Kindes.

Der Große fuhr zusammen und hielt inne.

»Was ist das?«

»Ein böser Geist!« rief der Kleine; seine grünen Katzenaugen traten vor Entsetzen aus ihren Höhlen, und er klammerte sich an die Kleider seines Genossen. »Onkelchen, liebes Onkelchen, verlaß mich nicht! . . .«

»Es ist ja nur ein Uhu. Wie wir nur so erschrecken konnten!«

Der große Nachtvogel flatterte, mit den Flügeln rauschend, auf und flog mit gedehnten Schreien davon.

»Lassen wir es bleiben,« sagte der Große. »Es wird sowieso nicht brennen.«

»Warum sollte es nicht brennen? Das Holz ist morsch und trocken und von Würmern zerfressen; wenn man es nur anrührt, zerfällt es gleich in Staub. Ein einziger Funke wird genügen. AIso, mein Lieber, haue zu und säume nicht!«

Der Kleine trieb den Großen ungeduldig an.

»So, jetzt stopfe das Stroh ins Loch, so, noch mehr! Zum Ruhme des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes! . . .«

»Warum springst du so herum und windest dich wie ein Aal? Warum grinst du?« versetzte der Große wütend.

»Warum soll ich nicht lachen, Onkelchen? Jetzt freuen sich auch die Engel im Himmel. Vergiß aber nicht, Bruder, das eine: wenn man uns erwischt, darfst du es nicht leugnen! Ich habe mit der ganzen Sache nichts zu schaffen . . . wir werden ein schönes Feuerchen anzünden . . . hier ist der Feuerstein. Mach es geschwind.«

»Geh zum Teufel!« versuchte ihn der Große wegzustoßen. »Du wirst mich nicht dazu verführen können, du Schlange! Zünde selbst an . . .«

»Aha, jetzt willst du dich gerne drücken? . . . Nein, das geht nicht, mein Lieber!«

Der Kleine begann vor Wut zu zittern und packte den Großen bei seinem roten Bart.

»Ich werde dich zuerst anzeigen! Mir wird man es glauben . . .«

»Nun, laß mich in Ruhe, du Teufel! . . . Gib den Feuerstein her! Es ist nichts zu machen, man muß das Unternehmen zum Ende bringen.«

Funken sprühten. Der Kleine legte sich zur größeren Bequemlichkeit platt auf die Erde und glich so noch mehr einer Schlange. Feuerzungen hatten bald das mit Teer durchtränkte Stroh ergriffen. Rauchwolken erhoben sich. Harz knisterte im Feuer. Eine große Feuersäule loderte empor und ihr roter Widerschein fiel auf das erschrockene Gesicht des riesenhaften Aragarius und auf die listige Affenfratze des kleinen Strombicus. Er glich einem häßlichen, kleinen Teufel; er klatschte mit den Händen, hüpfte und lachte wie ein Betrunkener oder Verrückter.

»Alles, alles werden wir zerstören zum Ruhme des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes! Sieh nur die Feuerschlangen an, wie die herumlaufen! Ein lustiges Feuerchen ist es, Onkel, was? . . .«

In seinem wollüstigen Lachen klang die ewige Roheit der Menschen – die Freude am Zerstören.

Aragarius wies in die Finsternis und sagte:

»Hörst du es? . . .«

Der Hain war nach wie vor leer; sie glaubten jedoch im Heulen des Windes und im Rauschen des Laubes Menschenstimmen und Geflüster zu hören. Aragarius sprang plötzlich auf und rannte davon.

Strombicus klammerte sich an den Saum seiner Tunika fest und winselte mit durchdringender Stimme:

»Onkelchen! Onkelchen! Nimm mich auf die Schultern! Du hast ja lange Beine. Wenn sie mich erwischen, werde ich dich anzeigen! . . .«

Aragarius blieb für einen Augenblick stehen.

Strombicus sprang geschickt wie ein Eichhörnchen auf seine Schultern, und der Sarmat raste weiter. Der kleine Syrier drückte mit seinen zitternden Knien fest die Hüften des Riesen zusammen und umschlang mit den Armen seinen Hals, um nicht herunterzufallen. Trotz des Entsetzens, das ihn erfüllte, lachte er unaufhaltsam und ausgelassen.

Die Brandstifter verließen den Hain und gelangten aufs Feld, wo die dürren Ähren sich zu der dürren Erde neigten. Zwischen den Wolken leuchtete am Rande des schwarzen Himmels der Streif des untergehenden Mondes. Der Wind pfiff ihnen um die Ohren. Der kleine Strombicus saß zusammengekauert auf den Schultern des Giganten Aragarius und glich so mit seinen kleinen, grünlichen Katzenaugen einem bösen Geiste oder einem Werwolf, der auf einem Opfer reitet. Eine unheimliche Angst bemächtigte sich des Riesen: es war ihm, als ob es nicht Strombicus sei, sondern der Teufel in eigener Person, der in Gestalt einer großen Katze auf seinen Schultern hocke, sein Gesicht zerkratze, winsele, lache und ihn in den Abgrund jage. Der Riese machte verzweifelte Sprünge, um die wütende Katze von sich abzuschütteln; die Haare standen ihm zu Berge, und er heulte vor Entsetzen. Der riesige Doppelschatten hob sich schwarz vom hellen Streifen am Horizont ab; so rasten sie über das tote Feld dahin, dessen staubige Ähren sich zu der steinigen, von der Sonne verbrannten Erde neigten.


Zur selben Stunde hatte Julianus im Schlafzimmer des antiochischen Palastes eine geheime Unterredung mit dem Präfekten des Ostens, Sallustius Secundus.

»Woher sollen wir, allergnädigster Cäsar, das Brot für ein solches Heer herbeischaffen?«

»Ich habe Triremen nach Sizilien, Ägypten, Apulien und andere Provinzen, wo die Ernte gut war, ausgesandt,« erwiderte der Kaiser. »Ich sage dir, daß wir genügend Brot haben werden.«

»Und das Geld?« fuhr Sallustius fort, »Wäre es nicht vernünftiger, das Unternehmen aufs nächste Jahr zu verschieben und noch etwas abzuwarten?«

Julianus ging ununterbrochen im Zimmer mit großen Schritten auf und ab. Plötzlich blieb er vor dem Alten stehen und rief zornig aus:

»Abwarten! Es ist, als ob ihr euch alle verschworen hättet. Abwarten! Als ob ich jetzt noch abwarten, zögern und wägen könnte! Warten denn die Galiläer? Sieh es doch ein, Alter: ich muß etwas Unmögliches vollbringen, ich muß aus Persien entweder als großer und schrecklicher Sieger heimkehren, oder überhaupt nicht wiederkommen. Eine Versöhnung, ein Mittelweg ist nicht mehr möglich. Was erzählt ihr mir da von Vernunft? Glaubst du vielleicht, daß Alexander von Makedonien die Welt durch seine Vernunft besiegt hat? Erscheint denn der bartlose Jüngling, der mit einem Fähnchen Makedonier gegen den Beherrscher Asiens auszog, solchen vernünftigen Leuten, wie du einer bist, nicht wahnsinnig? Wer hat ihm den Sieg verliehen? . . .«

»Ich weiß nicht,« erwiderte der Präfekt ausweichend, mit einem leisen Lächeln. »Ich glaube, es war der Held selbst . . .«

»Nicht er selbst, sondern die Götter!« rief Julianus aus. »Hörst du, Sallustius, die Götter können auch mir einen noch größeren Sieg verleihen, als dem Helden von Makedonien! Ich habe in Gallien begonnen und will in Indien aufhören. Ich werde die ganze Welt vom Abend bis zum Morgen durchschreiten, wie der große Makedonier, wie Gott Dionysos. Wir wollen sehen, was dazu die Galiläer sagen werden; wir wollen sehen, ob diese Menschen, die das einfache Gewand des Philosophen auslachen, auch das Schwert des römischen Cäsars verspotten werden, wenn er als Sieger aus Asien heimkehren wird! . . .«

Seine Augen leuchteten wie im Fieber. Sallustius wollte etwas entgegnen, doch zog er es vor zu schweigen. Als aber Julianus wieder mit großen, unruhigen Schritten auf und ab zu gehen begann, schüttelte der Präfekt den Kopf, und in seinen klugen Augen leuchtete etwas wie Mitleid.

»Das Heer soll zum Feldzug bereit sein,« fuhr Julianus fort. »Ich will es so, hörst du? Keinerlei Verzögerungen, keinerlei Widerspruch! Wir haben dreißigtausend Mann. König Arsakios von Armenien hat mir ein Bündnis zugesagt. Wir haben Brot. Was brauchen wir noch? Ich muß die Gewißheit haben, daß ich jeden Augenblick gegen die Perser ausrücken kann. Davon hängt nicht nur mein Ruhm und das Heil des Römischen Reiches ab, sondern auch der Sieg der ewigen Götter über die Galiläer! . . .«

Das breite Fenster stand weit offen. Ein staubiger, heißer Wind drang ins Zimmer und bewegte die drei feinen Flammenzungen in der dreidochtigen Lampe. Eine Sternschnuppe durchschnitt den schwarzen Himmel und erlosch. Julianus fuhr zusammen: der Stern war ein böses Vorzeichen.

An die Türe wurde geklopft; man hörte draußen mehrere Stimmen.

»Wer ist da? Tretet ein,« sagte der Kaiser.

Es waren seine Freunde, die Philosophen. An ihrer Spitze ging Libanius; er schien noch aufgedunsener und eingebildeter als gewöhnlich.

»Was wollt ihr?« fragte der Kaiser kühl.

Libanius kniete nieder, noch immer seine stolze Miene bewahrend.

»Entlasse mich, Augustus! Ich kann nicht länger am Hofe leben. Jeden Tag muß ich hier Kränkungen erdulden . . .«

Er erzählte lange und ausführlich von irgendwelchen Geschenken und Geldern, die man ihm vorenthalten, von der Undankbarkeit, unter der er leide, von seinen Verdiensten und von den großartigen Lobhymnen, die er auf den römischen Cäsar verfaßt habe.

Julianus blickte, ohne auf seine Worte zu hören, angeekelt und gelangweilt auf den berühmten Redner herab und dachte: »Ist das denn wirklich jener Libanius, an dessen Reden ich mich in meiner Jugend berauscht habe? Diese Kleinlichkeit! Dieser Ehrgeiz!«

Nun begannen alle durcheinander zu reden; sie zankten sich, schrien, beschuldigten sich gegenseitig der Gottlosigkeit, der Bestechlichkeit und der Unzucht und tischten allen möglichen Klatsch auf; es war eine häßliche Palastrevolution von Schmarotzern, die, vor lauter Sattheit toll geworden, bereit waren, einander aus Ehrgeiz, Haß und Langweile in Stücke zu reißen; sie waren keine Philosophen mehr.

Schließlich sprach der Kaiser leise ein Wort, das sie wieder zur Besinnung brachte:

»Meine Lehrer!«

Sofort verstummten alle, wie eine erschreckte Schar von Elstern.

»Meine Lehrer,« wiederholte er mit bitterem Lächeln, »ich habe euch genug zugehört; gestattet mir, daß ich euch eine Parabel erzähle. – Ein ägyptischer König besaß mehrere zahme Affen, die vortrefflich den pyrrhischen Kriegstanz aufzuführen verstanden; man setzte ihnen Helme auf, band ihnen Larven vors Gesicht und verbarg ihre Schwänze unter königlichen Purpurgewändern; solange sie tanzten, konnte man schwer glauben, daß es Affen und keine Menschen wären. An diesem Schauspiel hatte man lange Zeit seinen Spaß. Einmal warf aber einer von den Zuschauern eine Handvoll Nüsse auf die Bühne. Und was geschah? Die Schauspieler zerrissen ihren Purpur und ihre Masken, entblößten ihre Schwänze, fielen auf alle Viere und begannen zu kreischen und sich wegen der Nüsse zu balgen. – So führen gewisse Menschen mit großer Würde den pyrrhischen Weisheitstanz auf, solange man ihnen nicht etwas hinwirft. Sobald man aber vor ihnen Nüsse hinstreut, verwandeln sich die Weisen in Affen; sie zeigen ihre Schwänze, kreischen und beißen aufeinander los. Wie gefällt euch diese Parabel, meine Lehrer?«

Alle schwiegen.

Plötzlich nahm Sallustius den Kaiser leise bei der Hand und wies aufs offene Fenster.

Über dem schwarzen Wolkenfetzen zog sich langsam, vom starken Winde bewegt, ein blutroter Schein hin.

»Es brennt! Es brennt!« riefen alle aus.

»Es ist hinter dem Flusse,« kombinierten die einen.

»Nicht hinter dem Flusse, sondern in der Vorstadt Garandama!« verbesserten andere.

»Nein, nein, in Gesir, bei den Juden!«

»Es ist weder in Gesir, noch in Garandama,« rief jemand mit jener freudigen Erregung aus, die sich der Menschen beim Anblicke einer Feuersbrunst bemächtigt, »sondern im Haine der Daphne!«

»Es ist der Apollotempel!« flüsterte der Kaiser; plötzlich strömte ihm alles Blut zum Herzen.

»Es sind die Galiläer!« schrie er mit entsetzlicher Stimme und stürzte zur Türe und dann auf die Treppe.

»Sklaven! Rasch! Mein Roß und fünfzig Legionäre!«

In wenigen Augenblicken war alles bereit. Man führte ihm seinen wilden, schwarzen Hengst vor, der am ganzen Körper zitterte und wütend mit blutunterlaufenen Augen schielte.

Julianus raste, von fünfzig Legionären begleitet, durch die Straßen von Antiochia. Die Volksmenge stob vor ihm in Angst auseinander. Jemand wurde umgeworfen, ein anderer totgeritten. Das Dröhnen der Pferdehufe und das Klirren der Waffen übertönten alle Schreie.

Sie ließen die Stadt hinter sich. Die wilde Jagd dauerte mehr als zwei Stunden. Drei Legionäre mußten zurückbleiben, da ihre Pferde verreckten.

Der Feuerschein wurde immer heller. Brandgeruch wehte ihnen entgegen. Ein blutroter Widerschein lag auf den Feldern mit den staubigen Ähren. Von allen Seiten strömten Neugierige, wie Falter zum Licht, zusammen. Es waren die Bewohner der nahen Dörfer und der Vorstädte von Antiochia. Julianus sah und hörte in den Stimmen und den Gesichtern den Ausdruck von großer Freude, als ob die Leute zu einem Fest liefen.

Endlich sah er mächtige Flammenzungen, die, in schwere, schwarze Rauchwolken gehüllt, über den zackigen Wipfeln des heiligen Haines loderten.

Der Kaiser ritt in den heiligen Hain. Hier wogte eine große Menschenmenge. Man hörte Scherzworte und Gelächter. In den stillen, seit vielen Jahren verlassenen Alleen wimmelte es von Menschen. Der Pöbel entweihte den Hain, brach die Äste der alten Lorbeerbäume, trübte die Quellen und zertrat die zarten, verschlafenen Blumen. Die Narzissen und Lilien wehrten sich noch im Sterben mit ihrem letzten Duft gegen den Brandgeruch und die Ausdünstung des Pöbels.

»Ein Wunder Gottes! Ein Wunder Gottes . . .« rief man sich in der Menge freudig zu.

»Ich habe es mit eigenen Augen gesehen, wie ein Blitz einschlug und das Dach in Brand steckte! . . .«

»Es war kein Blitz! Was lügst du? Die Erde selbst hat sich aufgetan und im Inneren des Tempels, gerade unter dem Götzenbilde, Feuer ausgespien . . .«

»Geschieht ihnen schon recht! Eine solche Schandtat! Die Gebeine des Heiligen wollten sie nicht in Ruhe lassen! Sie dachten wohl, sie würden ungestraft bleiben. Warum nicht gar? Da haben sie ihren Apollotempel und ihre Prophezeiungen der Kastalischen Quellen! – Es geschieht ihnen wirklich recht! . . .«

Julianus sah in der Menge ein nur halbbekleidetes Weib mit zerzausten Haaren und einem Säugling auf den Armen, das wohl erst eben aus dem Bette gesprungen war. Sie weidete sich am Anblick des Feuers mit freudigem und sinnlosem Lächeln; das Kind weinte und schrie und auf seinen Wimpern glänzten Tränen; bald beruhigte es sich aber und begann die braune, volle Brust der Mutter zu saugen, mit dem einen Händchen sich gegen sie stemmend und das andere zum Feuer ausstreckend, als ob es das glänzende, lustige Spielzeug erhaschen wolle.

Der Kaiser hielt sein Pferd an, denn er konnte keinen Schritt weiter. Heiße Luft wehte ihm wie aus einem Ofen ins Gesicht. Die Legionäre warteten auf seine Befehle. Es war aber nichts mehr zu machen; er sah, daß der Tempel verloren war.

Es war ein prachtvolles Schauspiel. Das Gebäude war ganz von Flammen ergriffen; die innere Bretterverkleidung, die morschen Mauern, die trockenen Balken, Pfähle und das Dachgestühl – alles war in einen Haufen glühender Scheite verwandelt; sie fielen krachend ein, und zahllose Funken flogen in den Himmel, der unheimlich blutrot leuchtete und sich immer tiefer und tiefer herabzusenken schien; die Flammenzungen beleckten die Wolken, loderten im Winde und klatschten wie ein schwerer Vorhang.

Die Lorbeerblätter schrumpften von der Hitze, wie vor Schmerz, ein und rollten sich zusammen. Die Wipfel der Cypressen loderten in hellen Pechflammen, gleich riesenhaften Fackeln; der weiße Rauch sah wie der Rauch von Räucherwerk und Brandopfern aus; große Harztropfen traten auf der Rinde der Bäume hervor, als ob die uralten Cypressen, die Altersgenossinnen des Tempels, seinen Untergang mit goldenen Tränen beweinten.

Julianus starrte unverwandt in das Flammenmeer. Er wollte den Legionären etwas befehlen, doch er zog nur sein Schwert aus der Scheide, gab dem Pferde die Sporen und flüsterte, die Zähne in ohnmächtiger Wut zusammenbeißend:

»Diese Schurken, diese Schurken! . . .«

In der Ferne brüllte die Menge. Ihm fiel es ein, daß sich an der Rückseite des Tempels die Schatzkammer befand und daß die Galiläer das Heiligtum plündern könnten. Er gab ein Zeichen und ritt mit seinen Legionären hin. Unterwegs wurden sie von einem Trauerzug aufgehalten.

Mehrere römische Wächter, die wohl erst eben aus dem nahen Dorfe Daphne herbeigekommen waren, trugen eine Bahre.

»Was ist das?« fragte Julianus.

»Die Galiläer haben den Priester Gorgius mit Steinen erschlagen,« antworteten die Römer.

»Und die Schatzkammer?«

»Die Schatzkammer ist unversehrt. Der Priester stellte sich vor die Türe, um das Heiligtum vor Schändung zu schützen. Er wich nicht von der Schwelle, bis er, von einem Steine getroffen, niederfiel. Dann töteten sie seinen Knaben. Der galiläische Pöbel hat sie zertreten und wäre in die Schatzkammer eingebrochen, wenn wir nicht rechtzeitig gekommen wären und die Menge zerstreut hätten.«

»Lebt er noch?« fragte Julianus.

»Er atmet kaum.«

Der Kaiser sprang vom Pferde. Die Träger setzten die Bahre vorsichtig auf die Erde. Julianus neigte sich und schlug den Saum der ihm wohlbekannten, beschmierten Chlamys, die die beiden Körper verdeckte, zurück.

Auf einer Unterlage aus frischen Lorbeerblättern lag der Greis; seine Augen waren geschlossen; seine Brust hob sich langsam. Als Julianus die rote Säufernase, die ihm vorhin so unpassend vorgekommen war, sah und sich an die magere Gans im Weidenkorbe, das letzte Opfer für Apollo, erinnerte, wurde sein Herz von Mitleid ergriffen. Auf den weichen, schneeweißen Haaren des Priesters waren Bluttropfen hervorgetreten; die spitzen, schwarzen Lorbeerblätter bildeten um sein Haupt gleichsam einen Kranz.

An seiner Seite lag auf der gleichen Bahre der kleine Körper Euphorions. Sein totenblasses Gesicht schien noch schöner, als es im Leben war; auf den wirren, goldigen Locken schimmerten hellrote Bluttropfen; er stützte eine Wange auf die Hand und schien von einem leichten Schlummer umfangen zu sein. Julianus dachte:

»So muß wirklich der von den Galiläern gesteinigte Eros, der Sohn der Göttin der Liebe, aussehen!«

Der römische Kaiser kniete andächtig vor dem Märtyrer der olympischen Götter. Trotz des Unterganges des Tempels und trotz des sinnlosen Siegesgeheuls des Pöbels, fühlte Julianus an dieser Leiche die Gegenwart des Gottes. Es wurde ihm weich ums Herz, und sein Haß verschwand. Er neigte sich mit Tränen der Rührung über der Bahre und küßte die Hand des heiligen Greises.

Der Sterbende öffnete die Augen und fragte mit schwacher Stimme:

»Wo ist der Knabe?«

Julianus legte vorsichtig die Hand des Sterbenden auf die goldigen Locken Euphorions.

»Er liegt an deiner Seite.«

»Lebt er noch?« fragte Gorgius, den Kopf des Kindes mit einer letzten Liebkosung berührend.

Er war so schwach, daß er seinen Kopf nicht nach ihm wenden konnte. Julianus hatte nicht den Mut, dem Sterbenden die Wahrheit zu sagen. Der Priester blickte den Kaiser flehend an.

»Cäsar, ich vermache ihn dir. Verlasse ihn nicht . . .«

»Sei ruhig, ich werde für deinen Knaben alles tun, was nur in meiner Macht ist.«

So empfing Julianus in seine Obhut den Knaben, dem selbst der römische Kaiser weder Gutes noch Böses mehr zufügen konnte.

Gorgius ließ seine erkaltende Hand auf den Locken Euphorions ruhen. Sein Gesicht belebte sich plötzlich; er wollte etwas sagen, aber er lallte nur zusammenhanglos:

»Da sind sie! Da sind sie . . . Ich habe es ja gewußt . . . Frohlocket! . . .«

Er blickte mit weitgeöffneten Augen vor sich hin, seufzte schwer auf, blieb aber mitten in diesem Seufzer stecken, und sein Augenlicht erlosch.

Julianus verhüllte das Gesicht des Toten.

Plötzlich erschollen die feierlichen Klänge eines Kirchengesangs. Der Kaiser wandte sich um und sah einen feierlichen Zug, der sich langsam die breite Cypressenallee entlang bewegte. Von einer großen Volksmenge gefolgt, schritten greise Priester in goldgestickten, edelsteinfunkelnden Ornaten, würdige Diakone mit klirrenden Räucherfässern, schwarze Mönche mit brennenden Wachskerzen, Jungfrauen, Jünglinge und Kinder mit Palmenzweigen; hoch über der Menge prangte auf einem prunkvollen Wagen der Schrein mit den Gebeinen des heiligen Babylas; die Flammen der Feuersbrunst spiegelten im blassen Silber. Es waren die Gebeine, die auf kaiserlichen Befehl von Daphne nach Antiochia überführt wurden. Die Ausweisung glich eher einem Siegeszuge.

»Wolken und Dunkel ist um Ihn her!« stieg das feierliche Lied der Galiläer, das Toben der Feuersbrunst und das Pfeifen des Windes übertönend, in den blutroten Himmel. – »Wolken und Dunkel ist um Ihn her.«

»Feuer gehet vor Ihm her und zündet an umher Seine Feinde.«

»Berge zerschmelzen wie Wachs vor dem Herrn, vor dem Herrscher des ganzen Erdbodens.«

Julianus erbleichte, als er die herausfordernden und frohlockenden Worte hörte:

»Schämen müssen sich alle, die den Bildern dienen und sich der Götzen rühmen. Betet Ihn an, alle Götter!«

Julianus sprang aufs Pferd, entblößte sein Schwert und schrie:

»Soldaten, mir nach!«

Er wollte sich mitten in die Menge stürzen, den Pöbel auseinanderjagen, den Sarg mit den Gebeinen umwerfen und die Gebeine mit den Füßen treten. Aber eine Hand hatte die Zügel seines Pferdes ergriffen.

»Fort!« schrie er wütend und holte sein Schwert zum Hiebe aus; doch ließ er seine Hand sofort wieder sinken: vor ihm stand der weise Greis Sallustius Secundus, der gerade zur rechten Zeit aus Antiochia herbeigekommen war. Sein Gesicht drückte Trauer und Ruhe aus.

»Cäsar! Überfalle nicht die Wehrlosen. Besinne dich! . . .«

Julianus steckte sein Schwert in die Scheide.

Der eherne Helm drückte und brannte ihm wie glühend den Kopf. Er riß ihn herunter, warf ihn zu Boden und wischte sich die großen Schweißtropfen aus der Stirne. Er ritt dann allein ohne Begleitung mit entblößtem Haupte der Menge entgegen und ließ den Zug durch eine Handbewegung stillstehen.

Er wurde erkannt. Der Gesang verstummte.

»Volk von Antiochia!« sprach Julianus beinahe ruhig, sich mit seiner ganzen Willenskraft beherrschend, »Wisset: die Empörer und die Brandstifter, die den Apollotempel vernichtet haben, werden erbarmungslos bestraft werden. Ihr spottet über meine Barmherzigkeit; wollen wir sehen, wie ihr über meinen Zorn spotten werdet. Der römische Augustus könnte leicht eure ganze Stadt dem Erdboden gleich machen, so daß die Menschen Antiochia vergessen würden. Ich will mich aber einfach von euch zurückziehen. Ich unternehme einen Feldzug gegen die Perser. Wenn ich nach dem Ratschluß der Götter als Sieger heimkehre, wehe euch dann, Aufrührer! Wehe dir, du Sohn des Zimmermannes aus Nazareth! . . .«

Er streckte sein Schwert über den Köpfen der Menge aus.

Plötzlich glaubte er hinter sich eine seltsame, gleichsam unmenschliche Stimme zu hören:

»Der Sohn des Zimmermannes aus Nazareth zimmert dir einen Sarg.«

Julianus fuhr zusammen, wandte sich um, doch konnte er niemanden sehen. Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht.

»Was ist das? Ist es mir nur so vorgekommen?« sagte er leise und zerstreut vor sich hin.

In diesem Augenblick vernahm man aus dem Inneren des Tempels ein furchtbares Krachen: ein Teil des Holzdaches stürzte ein und begrub unter sich die Kolossalstatue des Apollo. Das Standbild fiel von seinem Sockel herab; die goldene Schale, aus der er ewig der Mutter Erde opferte, erklirrte traurig. Die Funken flogen in einer Feuergarbe zu den Wolken. Eine schlanke Säule in der Vorhalle schwankte, und ihr korinthisches Kapitäl, in seiner Zerstörung noch immer schön, fiel, wie eine weiße Lilie mit gebrochenem Stiele, zur Erde. Julianus war es, als ob ihn der ganze brennende Trümmerhaufen erdrücke.

Der alte Psalm Davids zum Ruhme des Gottes von Israel stieg feierlich zum nächtlichen Himmel empor, das Toben der Feuersbrunst und den Sturz des Götzen übertönend:

»Schämen müssen sich alle, die den Bildern dienen und sich der Götzen rühmen. Betet Ihn an, alle Götter!«


 << zurück weiter >>