Dmitri Mereschkowski
Julianus Apostata
Dmitri Mereschkowski

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VI.

Der Cäsar erinnerte sich noch an die unendlichen Kämpfe zwischen den Orthodoxen und den Arianern, denen er auf dem Konzil zu Mailand unter Kaiser Constantius beigewohnt hatte. Er beschloß, diese Feindschaft für seine Zwecke auszunützen und gleich seinen christlichen Vorgängern Konstantin dem Großen und Constantius ein Konzil einzuberufen.

Einmal erklärte er seinen erstaunten Freunden bei einem intimen Gespräch, daß er die Absicht habe, alle Verfolgungen und Gewalttätigkeiten gegen die Galiläer einzustellen, ihnen volle Glaubensfreiheit zu gewähren, und alle die Ketzer – Donatisten, Semiarianer, Marcioniten, Montanisten, Cäcilianer und wie sie alle noch hießen –, die nach den Konzilbeschlüssen unter Konstantin und Constantius verbannt worden waren, zu begnadigen und zurückzuberufen. Er war überzeugt, daß es das beste Mittel sei, um die Christen zu vernichten. »Ihr werdet es sehen, meine Freunde!« sagte der Kaiser, »wenn sie alle wieder zurückkehren, so wird unter diesen Menschenfreunden ein solcher Kampf ausbrechen, daß sie sich gegenseitig wie Raubtiere in Stücke reißen und dem Namen ihres Meisters mehr Schimpf antun werden, als ich es mit den grausamsten Strafen erreichen könnte!«

In allen Ecken und Enden des Römischen Reiches wurden Edikte und Schreiben versandt, nach denen es den verbannten Klerikern gestattet wurde, unbehelligt in ihre früheren Wohnorte zurückzukehren. Eine allgemeine Glaubensfreiheit wurde verkündet. Zugleich wurden die weisesten galiläischen Kirchenlehrer aufgefordert, nach Konstantinopel an den Hof zu kommen, um über einige kirchliche Angelegenheiten zu beraten. Die meisten der Eingeladenen wußten nichts vom Zweck, von der Zusammensetzung und von den Vollmachten der Versammlung; alle diese Fragen wurden in den Sendschreiben absichtlich höchst unklar dargelegt. Viele erkannten die schlaue List des gottlosen Kaisers und lehnten die Einladung ab, sich mit einer Krankheit oder der weiten Entfernung entschuldigend.

Der blaue Morgenhimmel erschien dunkel im Vergleiche zu dem blendend weißen Marmor der doppelten Säulenreihe, die den großen Schloßhof, das Atrium Constantinum umgab. Weiße Tauben wirbelten mit freudigem, weichem Flügelrauschen wie Schneeflocken herum und entschwanden den Blicken. In der Mitte des Hofes stand im hellen Wasserstaube eines Springbrunnens eine Aphrodite Kallipygos; der feuchte Marmor schimmerte wie lebendige Haut. Die Mönche, die an ihr vorübergehen mußten, wandten sich ab, um sie nicht zu sehen; sie stand aber zwischen ihnen schelmisch, nackt und zart.

Julianus hatte für das Konzil diesen etwas seltsamen Platz nicht ohne eine geheime Nebenabsicht gewählt. Die dunklen Kutten der Mönche erschienen hier noch dunkler, und die ausgemergelten, düsteren Gesichter der verbannten Ketzer noch finsterer; sie schlichen wie schwarze, häßliche Schatten über den sonnenbeschienenen Marmor.

Alle fühlten sich geniert; ein jeder gab sich Mühe, gleichgültig und sogar selbstbewußt zu erscheinen, und stellte sich so, als ob er den neben ihm stehenden Feind, dem er, oder der ihm das Leben vergiftete, nicht erkenne; und trotzdem warfen sie einander verstohlen prüfende und gehässige Blicke zu.

»Heilige Mutter Gottes! Was ist nun das? Wo sind wir hingeraten?« regte sich der greise und beleibte Bischof von Sebaste, Eustathius, auf. »Laßt mich, laßt mich hinaus . . .«

»Beruhige dich, mein Freund!« überredete ihn der Oberst der Gardelanzenträger, der Barbar Dagalaïfus, ihn höflich von der Türe wegschiebend.

»In einem Konzil von Ketzern habe ich nichts zu suchen! Laßt mich hinaus!«

»Der allergnädigste Cäsar hat befohlen, daß alle Teilnehmer am Konzil . . .« entgegnete Dagalaïfus, indem er den Bischof mit der größten Liebenswürdigkeit zurückzuhalten suchte.

»Es ist kein Konzil, sondern eine Räuberhöhle!« schrie Eustathius empört.

Unter den Christen fanden sich auch solche, die sich über das kleinstädtische Aussehen, über die Kurzatmigkeit und die prononcierte armenische Aussprache des Eustathius lustig machten. Er war dadurch ganz eingeschüchtert, drückte sich in eine Ecke, wurde kleinlaut und wiederholte nur verzweifelt vor sich hin:

»Gott! Womit habe ich das verdient? . . .«

Auch Euandros von Nikomedia bereute, hierher gekommen zu sein und den eben in Konstantinopel eingetroffenen Jünger des Didymos Juventinus mitgebracht zu haben.

Euandros war ein großer Dogmatiker, ein Mann von scharfem und tiefem Geist; seinem Studium hatte er seine Gesundheit geopfert und war frühzeitig gealtert; seine Sehkraft war geschwächt und seine kurzsichtigen, gutmütigen Augen drückten immer Müdigkeit aus. Die zahlreichen ketzerischen Lehren beschäftigten immer seinen Geist; sie gaben ihm keine Ruhe, quälten ihn bei Tage, erschreckten ihn in seinen Träumen und zogen ihn mit ihren verführerischen Finessen und Kunstgriffen an. Er sammelte viele Jahre lang alle diese Lehren zu einem umfangreichen Manuskript, das »Gegen die Ketzer« betitelt war; er tat es mit dem gleichen Eifer, mit dem andere Liebhaber allerlei Raritäten sammeln. Er suchte mit Gier nach neuen Ketzerlehren und erfand selbst solche, die es nie gegeben hatte; je eifriger er sie bekämpfte, um so mehr verfing er sich in ihnen. Zuweilen flehte er Gott verzweifelt an, er möchte ihm doch einen einfältigen Glauben verleihen; Gott wollte ihm aber diese Einfalt nicht geben. Im täglichen Leben war er unbeholfen und vertrauensselig wie ein Kind. Den bösen Menschen fiel es sehr leicht, Euandros zu betrügen; über seine Zerstreutheit waren viele köstlichen Geschichten im Umlauf.

Seine Zerstreutheit war auch der Grund, warum er zu dieser unsinnigen Versammlung gekommen war; teilweise lockte ihn auch die Aussicht, hier irgendeine neue Abart von Ketzerei kennen zu lernen. Bischof Euandros machte ein verdrießliches Gesicht und beschirmte seine schwachen Augen mit der Hand vor dem blendenden Sonnenlicht und Marmor. Das Ganze kam ihm nicht ganz geheuer vor; er wollte möglichst bald in seine halbfinstere Zelle zu seinen Büchern und Handschriften zurückkehren. Den Juventinus ließ er nicht von seiner Seite; er verspottete die verschiedenen ketzerischen Lehren und warnte den Jüngling vor Ärgernis.

Durch den Saal schritt ein stämmiger Greis mit breiten Backenknochen und einem Kranze grauer, weicher Haare; es war der siebzigjährige Bischof Purpurius, ein afrikanischer Donatist, den Julianus aus der Verbannung zurückgerufen hatte.

Den Kaisern Konstantin und Constantius war es nicht gelungen, die Ketzerei der Donatisten zu unterdrücken. Ganze Ströme von Blut wurden nur aus dem Grunde vergossen, weil vor fünfzig Jahren in Afrika ein gewisser Donatus unrechtmäßig an Stelle eines Cäcilianus zum Bischof geweiht worden war; vielleicht war es auch umgekehrt, nämlich so, daß Cäcilianus an Stelle des Donatus geweiht worden war, – es ließ sich nicht mehr mit Bestimmtheit feststellen. Jedenfalls tobten zwischen den Cäcilianern und den Donatisten mörderische Kämpfe; diesem Bruderzwist, der nicht einmal zwei Meinungen, sondern nur zwei Namen zur Ursache hatte, war kein Ende abzusehen.

Juventinus sah, wie ein cäcilianischer Bischof im Vorübergehen mit dem Saume seines Meßgewandes das Gewand des Donatisten Purpurius streifte. Dieser fuhr zusammen, hob angeekelt mit zwei Fingern, so daß es alle sehen konnten, sein durch die Berührung eines Ketzers verunreinigten Mantel in die Höhe und schüttelte ihn kräftig, um den unsichtbaren Unrat zu entfernen. Euandros erzählte Juventinus, daß, wenn ein Cäcilianer zufällig in eine Kirche der Donatisten käme, diese ihn herausjagten und dann die Steinfließen, die der Fuß des Ketzers berührt hätte, sorgfältig mit Salzwasser abwuschen.

Dem Bischof Purpurius folgte auf den Fersen, wie ein Hund, sein treuer Leibwächter, der Diakon Leona, ein halbwilder, riesengroßer Neger von schrecklichem Aussehen, mit plattgedrückter Nase und dicken Lippen, eine riesenhafte Keule in den sehnigen Armen. Er gehörte zur Sekte der Selbstverstümmler, »Circumcellionen«, die in den hetulischen Dörfern hausten. Sie liefen mit Waffen in der Hand auf den Landstraßen herum, boten den ihnen begegnenden Wanderern Geld an und schrien: »Tötet uns, sonst töten wir euch!« Die Circumcellionen verstümmelten sich mit Feuer und mit Eisen und ertränkten sich zur Ehre Christi; doch begingen sie nie Selbstmord durch Erhängen, denn die Todesart des Judas Ischariot war ihnen verhaßt. Zuweilen stürzten sich ganze Haufen von Anhängern dieser Sekte unter Absingen von Psalmen in Abgründe; sie behaupteten, daß der zur Ehre des Höchsten begangene Selbstmord die Seele von allen Sünden reinige. Das Volk verehrte sie als Märtyrer, vor dem Selbstmorde gaben sie sich allen möglichen Genüssen hin – aßen, tranken und vergingen sich an Weibern. Viele von ihnen gebrauchten statt des von Christus verbotenen Schwertes schwere Keulen, mit denen sie mit ruhigem Gewissen, »im Einklang mit der Schrift«, die Heiden und die Ketzer totschlugen; während sie Blut vergossen, schrien sie: »Ehre sei Gott!« Die Bewohner der friedlichen afrikanischen Städte und Dörfer fürchteten diesen heiligen Ruf mehr, als das Gebrüll von Löwen und die Kriegstrompeten der Feinde.

Die Donatisten betrachteten die Circumcellionen als ihre Leibgarde; da die hetulischen Bauern wenig von der Dogmatik verstanden, so wiesen ihnen die Donatisten, die gebildete Theologen waren, an, wen sie »im Einklang mit der Schrift« erschlagen sollten.

Euandros zeigte dem Juventinus einen schönen Jüngling, mit einem Gesicht, so unschuldig und zart, wie bei einem jungen Mädchen; es war ein Kainit.

»Selig sind,« so predigten die Kainiten, »unsere stolzen und aufrührerischen Brüder: Kain, Cham, die Bewohner von Sodom und Gomorrha – das Geschlecht der Höchsten Sophia, der verborgensten Weisheit! Kommt zu uns alle Verfolgten, alle Aufrührerischen, alle Besiegten! Gesegnet sei Judas! Er allein unter den Aposteln besaß das höchste Wissen, die Gnosis. Er hatte Christus verraten, damit Christus sterbe und auferstehe; Judas wußte, daß Christus mit seinem Tode die Welt erlösen werde. Der in unsere Weisheit Eingeweihte muß alle Grenzen überschreiten, alles wagen, das Greifbare verachten und jede Angst vor dem Greifbaren überwinden; er muß alle Sünden, alle fleischlichen Genüsse kennen lernen, und so von jenem heilsamen Abscheu gegen alles Fleisch erfüllt werden, der die höchste Reinheit der Seele bedeutet!«

»Sieh, Juventinus, hier ist ein Mensch, der sich für unvergleichlich erhabener als alle Seraphim und Erzengel hält,« sagte Euandros, auf einen jungen, schlanken Ägypter hinweisend, der etwas abseits stand, nach der letzten byzantinischen Mode gekleidet war, zahllose wertvolle Ringe an den gutgepflegten, weißen Händen hatte und dessen feinen Lippen, die wie bei einer Dirne geschminkt waren, ein listiges Lächeln umspielte; es war der Valentinianer Cassiodorus.

»Die Orthodoxen,« lehrte Cassiodorus, »haben zwar eine Seele wie die anderen Tiere, doch keinen Geist. Nur wir, die wir in die Geheimnisse der Gnosis und der Pleroma eingeweiht sind, verdienen den Namen Mensch; alle anderen sind Schweine und Hunde.«

Cassiodorus schärfte seinen Schülern ein:

»Ihr müßt alle kennen, euch aber soll niemand kennen. Vor dem Uneingeweihten verleugnet die Gnosis, schweigt, verachtet alle Beweise, verachtet jedes Glaubensbekenntnis und jedes Martyrium. Liebt das Schweigen und das Geheime. Seid unsichtbar und ungreifbar vor euren Feinden, wie die körperlosen Mächte. Die gewöhnlichen Christen bedürfen zu ihrer Erlösung guter Werke. Wir, die wir die höchste göttliche Erkenntnis, die Gnosis besitzen, brauchen die guten Werke nicht. Wir sind Kinder des Lichtes. Sie sind Kinder der Finsternis. Wir fürchten uns nicht mehr vor der Sünde, denn wir wissen: dem Körper, was des Körpers, dem Geiste, was des Geistes ist. Wir stehen so hoch, daß wir, wie sehr wir auch sündigen, nie fallen können: unser Herz bleibt in der Sünde ebenso rein wie das Gold im Schmutze.«

Ein schielender Greis von verdächtigem Aussehen, mit lüsternem Faunsgesicht, der Adamit Prodicus, behauptete, daß seine Lehre die Menschen in den Urzustand der paradiesischen Unschuld zurückführe. Die Adamiten verrichteten ihre Andachten nackt in wie Badestuben überheizten Kirchen, die sie Eden nannten; wie Adam und Eva vor dem Sündenfalle, schämten sie sich ihrer Nacktheit nicht und behaupteten, daß bei ihnen alle Männer und Frauen sich durch große Sittenreinheit auszeichneten; doch waren die Sitten bei diesen paradiesischen Zusammenkünften recht zweifelhafter Art.

Neben dem Adamiten Prodicus saß auf dem Fußboden eine blasse alte Frau, mit schönen, strengen Gesichtszügen und mit vor Müdigkeit halb geschlossenen Augen. Sie trug ein Bischofsornat; es war die Prophetin der Montanisten. Mehrere ausgemergelte Kastraten mit gelben Gesichtern dienten ihr mit der größten Ehrfurcht, schmachteten sie mit verliebten Augen an und nannten sie »himmlische Taube«. Sich jahrelang in der Verzückung einer unerfüllbaren Liebe verzehrend, predigten sie, daß dem Menschengeschlechte durch eine keusche Enthaltsamkeit ein Ende gemacht werden müsse. Diese blutleeren Träumer saßen scharenweise auf den sonnenverbrannten Ebenen Phrygiens, in der Nähe der zerstörten Stadt Pepuza, die Augen unverwandt auf die Linie des Horizonts gerichtet, von wo der Heiland erscheinen sollte; an nebeligen Abenden wähnten sie über der grauen Ebene zwischen den golden glühenden Wolkenstreifen die Herrlichkeit Gottes, das Neue Zion, das sich auf die Erde herablasse, zu sehen. Jahre kamen und gingen, und sie starben in der Hoffnung, daß das Himmelreich sich endlich auf die sonnenverbrannten Ruinen von Pepuza herablassen werde.

Zuweilen hob die Prophetin ihre müden Augenlider empor, richtete den trüben Blick in die Ferne und murmelte auf syrisch:

»Maran ata! Maran ata!« – »Der Herr kommt! Der Herr kommt!«

Die bleichen Kastraten verneigten sich vor ihr und lauschten ihren Worten.

Während Euandros alle diese Erklärungen gab, glaubte Juventinus zu träumen; sein Herz krampfte sich vor bitterem Mitleid zusammen.

Plötzlich trat Stille ein. Alle richteten die Blicke zum anderen Ende des Atrium, wo auf einem Marmorpodium der Cäsar Julianus erschien. Er war mit der einfachen, weißen Chlamys der alten Philosophen bekleidet; sein Gesichtsausdruck war selbstbewußt; er wollte leidenschaftslos erscheinen, doch leuchtete in seinen Augen ab und zu der Funke boshafter Schadenfreude. Er wendete sich an die Versammlung mit den Worten:

»Hochwürdige Väter und Lehrer! Wir haben es für gut befunden, denjenigen von unseren Untertanen, die sich zu den Lehren des Gekreuzigten Galiläers bekennen, die möglichste Nachsicht und Gnade zu erweisen; man soll den Verirrten mehr Mitleid als Haß entgegenbringen, die Widerspenstigen durch Zureden, und nicht mit Schlägen, Beleidigungen oder Körperstrafen zur Wahrheit zurückbringen. In der Absicht, den durch die unendlichen kirchlichen Streitigkeiten immerwährend verletzten Weltfrieden wiederherzustellen, habe ich euch, galiläische Weise, herberufen. Unter Unserem Protektorat und Schutz werdet ihr, wie Wir es hoffen, ein Beispiel jener hohen Tugenden zeigen, die eurer geistlichen Würde, eurer Glaubensstärke und Weisheit ziemen . . .«

Er sprach diese vorher vorbereitete Rede mit schönen Gesten und fließend, wie ein geübter Redner, der vor einer Volksversammlung spricht. Seine wohlwollenden Worte enthielten aber auch einzelne vergiftete Spitzen; so erwähnte er u. a., daß er sich noch an die sinnlosen und erniedrigenden Streitigkeiten der Galiläer auf dem berühmten Mailänder Konzil unter Constantius erinnern könne; mit gehässigem Lächeln sprach er auch von gewissen frechen Aufwieglern, die, da sie ihre Glaubensbrüder nicht mehr verfolgen, quälen und töten dürften, Öl in das Feuer des Hasses gössen, unter dem Volke dumme Märchen verbreiteten und die Welt mit brudermörderischer Wut erfüllten: diese seien die Feinde des Menschengeschlechtes, die Schuldigen an der größten aller Plagen, – der Anarchie. Der Cäsar schloß seine Rede mit einem beinahe offenbaren Hohn:

»Nun haben Wir eure Brüder, die durch die Konzilbeschlüsse unter Konstantin und Constantius verbannt worden waren, aus der Verbannung zurückgerufen, da Wir allen Bürgern des Römischen Reiches die gleiche Freiheit gewähren wollen. – Lebt nun in Frieden, ihr Galiläer, wie es euch euer Meister geboten hat. Um allen Streitigkeiten ein Ende zu machen, fordern wir euch, ihr weisen Lehrer, auf, jeden Haß zu vergessen, euch in brüderlicher Liebe zu einigen und ein einziges für alle gültiges Glaubensbekenntnis auszuarbeiten und aufzustellen. Zu diesem Zwecke haben Wir euch, dem Beispiele Unserer Vorgänger Konstantin und Constantius folgend, in Unser Haus berufen; beratet und entscheidet kraft der Macht, die euch die Kirche verliehen hat. Wir gewähren euch jede Freiheit und ziehen Uns, in Erwartung euerer Beschlüsse, indessen zurück.«

Ehe noch jemand in der Versammlung zur Besinnung kommen oder etwas entgegnen konnte, verließ Julianus, von seinen Freunden, den Philosophen, umgeben, das Atrium.

Alle schwiegen; jemand seufzte schwer auf; in der tiefen Stille hörte man nur das freudige, weiche Rauschen der Taubenflügel im Himmel und das Plätschern der Marmorfontäne.

Plötzlich erschien auf dem hohen Podium, auf dem soeben der Kaiser gestanden hatte, jener gutmütige Greis mit dem Aussehen eines Kleinstädters und der armenischen Aussprache, über den sich vorher alle lustig gemacht hatten; sein Gesicht war gerötet, seine Augen brannten. Der Bischof von Sebaste war durch die Rede des Kaisers aufs höchste beleidigt. Von heiligem Eifer erfüllt, trat Eustathius vor die Versammlung.

»Väter und Brüder!« rief er aus, und in seiner Stimme lag eine solche Gewalt, daß es niemandem mehr einfiel, über ihn zu lachen.

»Wollen wir in Frieden auseinandergehen. Derjenige, der uns zur Beschimpfung und zum Ärgernis berufen hat, kennt weder die kirchlichen Kanons, noch die Konzilbeschlüsse und haßt selbst den Namen Christi. Wollen wir also unseren Feinden die Freude nicht gönnen und uns jedes zornigen Wortes enthalten. Ich beschwöre euch im Namen des Allerhöchsten Gottes: laßt uns schweigend auseinandergehen!«

Er sprach mit lauter Stimme, seine Blicke auf die mit roten Vorhängen vor der Sonne geschützte Galerie gerichtet: in der Tiefe der Galerie war zwischen den Säulen der Kaiser mit seinen Freunden erschienen. Durch die Menge lief ein Flüstern des Erstaunens und des Schreckens. Julianus blickte Eustathius gerade ins Gesicht. Der Greis hielt diesem Blicke stand und schlug seine Augen nicht nieder. Der Kaiser erbleichte.

In diesem Augenblicke erschien auf dem Podium der Donatist Purpurius und schrie, den Bischof roh wegdrängend:

»Hört auf ihn nicht! Geht nicht auseinander und verletzt nicht den Willen des Cäsars. Die Cäcilianer sind so wütend, weil der Kaiser uns aus der Verbannung erlöst hat! . . .«

»Nein, Brüder! . . .« versuchte ihn Eustathius mit flehender Stimme zu überschreien.

»Wir sind nicht eure Brüder! Hebet euch hinweg, ihr Verdammten! Wir sind der reine Weizen Gottes, ihr aber seid das trockene Stroh, das der Herr ins Feuer werfen wird! . . .«

Auf den von Gott abtrünnigen Kaiser weisend, fuhr Purpurius im feierlichen, singenden Tonfalle der kirchlichen Lobhymnen fort:

»Ruhm und Ehre sei dem allgütigen, allweisen Augustus! Auf Löwen und Ottern wirst du gehen, und treten auf den jungen Löwen und Drachen, denn Er hat seinen Engeln befohlen über dir, daß sie dich behüten auf allen deinen Wegen. Ehre und Ruhm!«

Die Versammlung geriet in Aufregung; die einen sagten, daß man dem Rate des Eustathius folgen und auseinandergehen solle; die anderen verlangten das Wort, denn sie wollten sich die einzige Gelegenheit, ihre Ansichten vor irgendeiner Versammlung, welcher Art sie auch sei, auszusprechen, nicht entgehen lassen. Die Gesichter röteten sich, die Stimmen wurden immer lauter.

»Soll nur einer von den cäcilianischen Bischöfen einmal in unsere Kirchen hineinschauen,« triumphierte Purpurius, »wir werden ihm unsere Hände aufs Haupt legen, nicht um ihn etwa zum Bischof zu weihen, sondern um seinen Schädel zu zermalmen!«

Viele vergaßen den Zweck der Versammlung und begannen sich über spitzfindige, theologische Fragen herumzustreiten; ein jeder suchte die Unerfahrenen für sich zu gewinnen und die Zuhörer den andern abspenstig zu machen.

Der Basilidianer Tryphon, der aus Ägypten gekommen war, zeigte den sich um ihn drängenden Neugierigen ein Amulett, – einen durchsichtigen Chrysolith, mit der eingeschnittenen Inschrift »Abraxas«.

»Wer den Sinn des Wortes Abraxas erkennt,« suchte Tryphon seine Zuhörer zu überzeugen, »der wird die höchste Freiheit erlangen, unsterblich werden und im Genuß aller Freuden der Sünde sündenlos bleiben. Abraxas drückt in Buchstaben die Zahl der Höchsten Himmel aus, nämlich – 365. Über den 365 Sphären, den Hierarchien der Äonen, der Engel und Erzengel schwebt eine gewisse Namenlose Finsternis, die schöner ist als jedes Licht, unbeweglich und ohne Anfang . . .«

»Eine namenlose Finsternis herrscht in deinem dummen Kopfe!« schrie ein arianischer Bischof und ging mit geballten Fäusten auf Tryphon los.

Der Gnostiker verstummte sofort; er faltete seine Lippen zu einem verachtungsvollen Lächeln, schloß die Augen und sprach kaum hörbar mit erhobnem Zeigefinger:

»Die höchste Weisheit!«

Er trat eilig zurück, als wolle er den Händen des Arianers entgehen.

Die Prophetin aus Pepuza hatte sich, von den verliebten Kastraten gestützt, erhoben. Schrecklich, bleich, mit zerzausten Haaren und trüben, wahnsinnigen Lippen stand sie da und heulte begeistert, ohne etwas zu sehen und zu hören:

»Maran ata! Maran ata! – Der Herr kommt! Der Herr kommt!«

Die Anhänger des Jünglings Epiphanius, der in den Bethäusern Kephalonias halb als heidnischer Gott, halb als christlicher Märtyrer verehrt wurde, verkündeten:

»Brüderlichkeit und Gleichheit! Andere Gesetze gibt es nicht. Zerstört alles! Mögen die Menschen ihr Eigentum und ihre Frauen, wie das Gras, das Wasser, die Luft und die Sonne als Allgemeingut teilen!«

Die Ophiten, die Schlangenanbeter, erhoben ein kupfernes Kreuz, um das sich eine kleine, zahme Nilschlange wand. Sie sprachen:

»Die Weisheit der Schlange gibt den Menschen die Erkenntnis von Gut und Böse. Hier ist der Heiland, der schlangenähnliche – Ophiomorphos. Fürchtet nichts und höret auf Ihn. Denn Er hat nicht gelogen: esset von der verbotenen Frucht, und ihr werdet sein wie die Götter!«

Ein Marcosianer, ein parfümierter und sorgfältig frisierter Stutzer, dem alle Frauenherzen zuflogen, hatte mit der Gewandtheit eines Taschenspielers eine durchsichtige Glasschale mit Wasser erhoben und rief den Neugierigen zu:

»Seht! Seht! Ein Wunder! Das Wasser wird gleich sieden und sich in Blut verwandeln.«

Die Colarbasianer zählten an den Fingern ab und bewiesen, daß alle pythagoreischen Zahlen, alle Geheimnisse des Himmels und der Erde, in den Buchstaben des griechischen Alphabets enthalten seien:

»Alpha und Omega – der Anfang und das Ende. Zwischen ihnen liegt aber die Dreifaltigkeit, – Beta, Gamma und Delta, – Vater, Sohn und heiliger Geist. Seht nur, wie einfach es ist.«

Die Fabioniten, die Vielfresser – Karpokratianer, die Wüstlinge – Barbeloniten predigten so ekelhafte Dinge, daß die Frommen sich die Ohren zuhielten und ausspien. Viele wirkten auf die Zuhörer durch jene geheimnisvolle Anziehungskraft, die alles Wahnsinnige und Ungeheuerliche auf den menschlichen Geist ausübt.

Jeder war von seinem Rechte überzeugt. Jeder sah in jedem seinen Feind.

Selbst eine ganz unbedeutende, in den entferntesten Wüsten Afrikas verlorene Sekte, die der Rogatianer, lehrte, daß Christus bei seiner Wiederkunft die richtige Auslegung und Auffassung der Evangelien nur bei ihnen, in einigen Dörfern von Mauritanien, und sonst nirgends in der Welt, finden werde.

Euandros von Nikomedia hatte den Juventinus vergessen und fand kaum Zeit, alle ihm noch unbekannten Ketzerlehren mit dem Eifer eines Raritätensammlers auf seine Wachstafel zu notieren.

Von der oberen Marmorgalerie herab blickte indessen der junge Kaiser, von Weisen in altertümlichen, weißen Gewändern umgeben, mit Augen, die von brennendem und befriedigtem Haß erfüllt waren, auf diese wahnsinnig gewordenen Menschen. Ihn umgaben alle seine Freunde: der Pythagoreer Proculus, Nymphidianus, Eugenius Priscus, Aedesius, sein alter Lehrer Jamblichus der Göttliche und der Archiereus der Dindymene, der würdige Hecebolius; sie spotteten nicht, sondern bewahrten vollständige Ruhe, wie es den Weisen ziemt; nur ab und zu glitt über ihre streng geschlossenen Lippen das Lächeln eines stillen Mitleides. Es war ein Triumph der hellenischen Weisheit. Sie sahen auf das Konzil herab, wie Götter auf die Kämpfe der Menschen, wie die Zirkusbesucher auf die in der Arena einander auffressenden Tiere herabblicken. Im Schatten des purpurnen Vorhanges fühlten sie sich wohl und erfrischt.

Unten rasten aber die schweißtriefenden Galiläer; sie predigten und warfen einander Bannflüche an den Kopf.

In der allgemeinen Verwirrung gelang es dem jungen, mädchenhaften Kainiten, mit dem schönen, zarten Gesicht und den traurigen, kindlich klaren Augen, das Podium zu erklimmen; er rief mit solch begeisterter Stimme, daß alle sich nach ihm umwandten und verstummten:

»Selig sind, die sich dem Herrn nicht unterworfen haben! Selig sind Kain, Cham und Judas, die Bewohner von Sodom und Gomorrha! Selig ist ihr Vater, der Engel der Finsternis und des Abgrundes!«

Der wilde Afrikaner Purpurius, den man eine ganze Stunde lang nicht zu Worte kommen ließ und der sein Herz erleichtern wollte, stürzte sich, seine behaarten, sehnigen Arme erhebend, gegen den Kainiten, um »dem Gottlosen den Mund zu verwehren«.

Man suchte ihn zurückzuhalten und zu überreden:

»Vater, es schickt sich nicht!«

»Laßt mich! Laßt!« schrie Purpurius, sich aus den Händen der ihn Haltenden losreißend. »Ich kann diese Schändlichkeit nicht dulden! Dies für dich, Kains Enkel!«

Der Donatist spie dem Kainiten ins Gesicht.

Alles wogte durcheinander. Es wäre wohl ein Handgemenge entstanden, wenn nicht die Lanzenträger herbeigeeilt wären. Die römischen Soldaten brachten die einander bekämpfenden Christen auseinander und redeten ihnen zu:

»Seid doch still! Das kaiserliche Schloß ist kein passender Ort für dergleichen, habt ihr denn so wenig Kirchen zum Streiten?«

Man hatte Purpurius hochgehoben, um ihn fortzubringen.

Er schrie:

»Leona! Diakon Leona!«

Der Leibwächter bahnte sich den Weg durch die Soldaten, warf zwei von ihnen zu Boden und befreite Purpurius. Die furchtbare Keule des Circumcellionen sauste und pfiff über den Köpfen der Häresiarchen.

»Ehre sei Gott!« brüllte der Afrikaner, sich nach einem Opfer umblickend.

Plötzlich ließ er die Keule hilflos sinken. Alle waren wie versteinert. In der Stille ertönte das durchdringende Geschrei eines der wahnsinnigen Kastraten der Prophetin aus Pepuza. Er war auf die Knie gefallen und schrie mit vor Angst verzerrtem Gesicht auf das Podium weisend:

»Der Teufel! Der Teufel! Der Teufel!«

Über der Menge der Christen stand auf dem Marmorpodium mit gekreuzten Armen, ruhig und majestätisch, in dem altertümlichen, weißen Gewand eines Philosophen, Kaiser Julianus; seine Augen brannten drohend und frohlockend. Vielen erschien er in diesem Augenblicke als der leibhaftige Teufel.

»So erfüllt ihr das Gebot der Liebe, ihr Galiläer!« rief er der vor Schreck erstarrten Versammlung zu. »Jetzt sehe ich, was euere Liebe bedeutet. Wahrlich, Raubtiere sind barmherziger als ihr, die ihr euch Menschenfreunde nennt. Ich werde zu euch mit den Worten eures Meisters sprechen: Weh euch Schriftgelehrten! Denn ihr habt den Schlüssel der Erkenntnis weggenommen. Ihr kommt nicht hinein und wehret denen, die hinein wollen. Weh euch, Schriftgelehrten und Pharisäer!«

Nachdem er sich eine Weile an dem drückendem Schweigen geweidet hatte, fügte er ruhig und langsam hinzu:

»Da ihr euch selbst nicht zu regieren versteht, sage ich euch, um euch vor noch größerem Übel zu bewahren; höret auf mich, ihr Galiläer, und unterwerft euch mir!«


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