Dmitri Mereschkowski
Julianus Apostata
Dmitri Mereschkowski

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VIII.

Die Nacht war stürmisch. Durch die dahinrasenden Wolken drang ab und zu ein Mondstrahl, der sich seltsam mit dem Flackern der Blitze vermengte. Der warme, mit dem salzigen Geruche der faulenden Algen erfüllte Wind peitschte die schrägen Regenströme, die wie Nadeln das Gesicht stachen.

Vor einer einsamen Ruine am Bosporus machte ein Reiter halt. Vor undenklichen Zeiten, als hier noch die Trojaner hausten, hatte dieser Bau als Wachturm gedient; jetzt waren nur einige halbzerstörte Mauern und ein Haufen mit Unkraut überwucherter Steine zurückgeblieben. An der Ruine lehnte eine kleine Hütte, die den verirrten Hirten und Landstreichern bei Unwetter als Zufluchtsstätte diente.

Der Reiter band sein Pferd unter einem halb zerstörten Mauerbogen an, schob die stacheligen Kletten auseinander und klopfte an die niedere Türe.

»Ich bin es, Meroe! Mach auf!«

Die Ägypterin machte auf und ließ ihn in den Turm eintreten.

Das Licht einer trüb flackernden Fackel fiel dem Reiter ins Gesicht. Es war Kaiser Julianus.

Sie traten ein. Die Alte, die hier wie zu Hause war, führte ihn an der Hand.

Sie schob die trockenen Büsche abgestorbener Disteln auseinander; hinter ihnen kam ein enges Loch im Felsen zum Vorschein. Sie stiegen auf Stufen hinab. Das Meer schien ganz nahe zu sein; sein Brausen ließ die Erde erzittern; die Steinmauern schützten sie aber vor Wind. Die Ägypterin machte Licht.

»Herr, hier hast du die Lampe und den Schlüssel. Drehe ihn im Schlosse zweimal um. Die Türe zum Kloster ist offen. Wenn du dem Pförtner begegnest, brauchst du dich nicht zu fürchten. Ich habe ihn bestochen. Sieh nur, daß du dich nicht irrst: es ist die dreizehnte Zelle im oberen Gange links.«

Julianus sperrte die Türe auf und stieg einen langen, steilen Gang mit breiten Stufen aus alten Steinplatten hinab. Der unterirdische Gang verengte sich bald derart, daß zwei Menschen, die sich hier begegneten, unmöglich einander ausweichen konnten. Dieser geheime Gang hatte einst den Wachturm mit einer Befestigung auf dem gegenüberliegenden Ufer der Bucht verbunden; jetzt verband er die Ruine mit einem neuen, christlichen Kloster.

Julianus verließ den Gang hoch über dem brausenden Meere zwischen spitzen, von der Flut abgenagten Felsen; hier fand er eingehauene Stufen und stieg sie hinauf. Oben stieß er auf eine Backsteinmauer. Sie war schlecht erbaut, und viele Steine traten hervor. Wenn man sich mit den Füßen auf diese Steine stützte oder sich an ihnen mit der Hand festklammerte, konnte man leicht in den kleinen Klostergarten hinüberklettern.

Julianus betrat einen reinlichen Hof. Hier atmete alles Ruhe. die Mauern waren mit Teerosen überrankt, die in der warmen Gewitterluft stark und betäubend dufteten.

Die Läden an einem der Fenster im unteren Stock waren nicht verschlossen. Julianus öffnete sie und stieg in das Zimmer.

Ihn umfing die dumpfe Luft des Klosters: es roch nach Schimmel, Weihrauch, Mäusen, Arzneikräutern und frischen Äpfeln, die die vorsorglichen Klosterfrauen in ihren Speisekammern verwahrten.

Der Kaiser gelangte in einen langen, weißgetünchten Gang; rechts und links waren Türen.

Er zählte die dreizehnte Zelle ab und machte leise die Türe auf. Der Raum war schwach von einer Nachtlampe aus Alabaster erleuchtet. Warme, einschläfernde Luft wehte ihm entgegen. Er hielt den Atem an.

Auf einem niederen, mit schneeweißem Linnen bedeckten Lager lag ein Mädchen in einer dunklen Nonnentunika. Sie war wohl während des Gebetes eingeschlafen, denn sie lag in Kleidern; auf die blassen Wangen fiel der Schatten der dunklen Wimpern; die Augenbrauen waren streng und majestätisch, wie bei einer Toten, hochgezogen.

Er erkannte Arsinoe.

Sie hatte sich stark verändert. Nur ihre Haare waren dieselben geblieben: an den Wurzeln von dunkler Goldfarbe, an den Spitzen hellblond, wie gelber Honig in der Sonne.

Ihre Wimpern zuckten, sie atmete auf.

Er sah noch vor sich jenen blendenden, stolzen Amazonenleib, der im Sonnenlichte wie der goldene Marmor des Parthenons leuchtete. Julianus streckte seine Arme zu der im Schatten des schwarzen Kreuzes schlafenden Nonne aus und flüsterte:

»Arsinoe!«

Das Mädchen öffnete die Augen und blickte ihn ruhig, ohne Erstaunen und Angst an, als ob sie sein Kommen erwartet hätte. Als sie aber ganz zu sich gekommen war, zuckte sie zusammen und fuhr mit der Hand über das Gesicht.

Er näherte sich ihr und sagte:

»Fürchte nichts. Nur ein Wort – und ich gehe fort.«

»Warum bist du hergekommen?«

»Ich wollte erfahren, ob es wahr ist . . .«

»Es ist einerlei, Julianus . . . wir werden einander nicht verstehen.«

»Ob es wahr ist, daß du an Ihn glaubst, Arsinoe?«

Sie schwieg. Der Kaiser fuhr fort:

»Erinnerst du dich noch an jene Nacht zu Athen, als du mich, den galiläischen Mönch ebenso versuchtest, wie ich dich jetzt versuche? In deinem Gesicht sehe ich nach den früheren Stolz und die frühere Kraft, aber nicht die sklavische Demut der Galiläer! Warum lügst du? Ein Herz kann sich nicht so verändern, sage mir die Wahrheit.«

»Ich strebe nach Macht,« antwortete sie leise.

»Nach Macht? Du erinnerst dich also noch an unser Bündnis!« rief er freudig aus.

Sie schüttelte traurig lächelnd den Kopf.

»O nein! . . . Ich meine nicht die Macht über Menschen, denn sie ist eitel. Das weißt du doch selbst. Ich will die Macht über mich selbst erlangen.«

»Und zu diesem Zwecke gehst du in die Wüste?«

»Ja. Und auch noch, – um frei zu werden . . .«

»Arsinoe, du liebst wie früher nur dich selbst!«

»Ich wollte, ich könnte mich und die anderen so lieben, wie Er es geboten hat. Doch kann ich es nicht: ich hasse mich und die anderen.«

»Dann ist es besser, gar nicht zu leben!« rief Julianus aus.

»Man muß sich selbst überwinden,« sagte sie langsam, »man muß in sich nicht nur den Abscheu vor dem Tode, sondern auch den Abscheu vor dem Leben überwinden; das letztere ist viel schwieriger, denn das Leben ist schrecklicher als der Tod. Wenn man sich aber ganz überwindet, so macht man keinen Unterschied mehr zwischen Leben und Tod und ist ganz frei!«

Ihre feinen Augenbrauen zogen sich mit dem Ausdrucke unbezwingbarer Willenskraft zusammen.

Julianus blickte sie voller Verzweiflung an und sagte leise:

»Was haben sie aus dir gemacht! Ihr alle seid Peiniger oder Märtyrer. Warum quält ihr euch selbst? Siehst du denn nicht, daß in deiner Seele nur Haß und Verzweiflung wohnt? . . .«

Sie sah ihn haßerfüllt an:

»Warum bist du hergekommen? Ich habe dich nicht gerufen. Gehe, was geht mich an, was du dir denkst? Ich habe an meinen eigenen Gedanken und Qualen genug! . . . Zwischen uns beiden liegt ein Abgrund, den Lebende nicht überschreiten können. Du behauptest, daß ich nicht glaube. Ja, ich glaube nicht, doch ich will glauben, hörst du es? Ich will und werde glauben. Ich werde mein Fleisch ertöten, ich werde es mit Hunger und Durst peinigen, ich werde es gefühlloser als die toten Steine machen. Das wichtigste ist aber die Vernunft! Man muß auch die Vernunft ertöten, denn sie ist der Teufel. Sie ist verführerischer als alle Gelüste. Ich werde sie zähmen. Das wird mein letzter und größter Sieg sein! Und dann bin ich frei. Dann wollen wir sehen, ob sich in mir noch etwas empören wird, was mir sagt: ich glaube nicht.«

Sie faltete ihre Hände und hob sie mit hoffnungslosem Flehen zum Himmel.

»Herr, erbarme dich meiner! Wo bist du, Herr? Erhöre mich und sei mir gnädig!«

Julianus stürzte vor ihr in die Knie, umarmte sie mit beiden Armen und zog sie gewaltsam an seine Brust. Seine Augen funkelten siegesbewußt.

»Jetzt sehe ich, Mädchen, daß du uns nicht verlassen konntest; du wolltest und konntest es nicht. Komme jetzt gleich mit mir, – morgen bist du die Gemahlin des römischen Kaisers, die Herrin der Zeit! Ich bin wie ein Dieb hergekommen und werde wie ein König mit meiner Beute wieder hinausgehen. Welch ein Sieg über die Galiläer!«

Arsinoes Gesicht wurde ruhig und traurig. Sie blickte Julianus voller Mitleid an und sagte, ohne ihn von sich zu stoßen:

»Du bist ja ebenso elend und unglücklich wie ich! Du weißt selbst nicht, wohin du mich rufst. Auf wen hoffst du? Deine Götter sind tot. Vor dieser Pest, vor dem schrecklichen Geruch der Verwesung fliehe ich in die Wüste. Verlasse mich. Ich kann dir nicht helfen. Geh!«

Seine Augen brannten in Zorn und Leidenschaft.

Noch ruhiger, noch mitleidsvoller fuhr sie fort, so daß sein Herz erbebte und erkaltete wie unter einer tödlichen Beleidigung:

»Warum betrügst du dich selbst? Bist du denn nicht ebenso ungläubig und dem Untergange geweiht, wie wir alle? Überlege dir, was deine Barmherzigkeit ist, was alle deine Herbergen und Predigten hellenischer Priester bedeuten. Das alles ist nur den Galiläern nachgeahmt. Alle diese Dinge sind neu; den Männern des Altertums, den Helden von Hellas waren sie unbekannt. Julianus, Julianus, sind denn deine Götter noch die früheren Olympier, die strahlenden und erbarmungslosen Kinder des blauen Himmels, die sich an dem Blute der Opfer und an den Qualen der Sterblichen weideten? Das Blut und die Qualen der Menschen sind für die Götter Nektar und Ambrosia. Deine Götter sind aber durch den Glauben der Fischer aus Kapernaum verführt, sie sind schwach, mild, krank und sie gehen an ihrem Mitleid gegen die Menschen zugrunde; denn, siehst du, das Mitleid gegen die Menschen ist für die Götter tödlich . . .«

Der Sturm hatte sich gelegt. Durch das Fenster sah man den tiefen Himmel zwischen den zerfetzten Wolken in einem traurigen, grünlichen Morgenschimmer erstrahlen, in dem der Stern Aphroditens erstarb. Der Kaiser fühlte schwere Ermüdung. Sein Gesicht war totenblaß. Er machte die größten Anstrengungen, um ruhig zu erscheinen, doch drang jedes Wort, das Arsinoe sprach, in die Tiefe seines Herzens und verwundete ihn.

»Ja,« fuhr sie erbarmungslos fort, »ihr seid krank, ihr seid zu schwach, um eure eigene Weisheit ertragen zu können. Das ist euer Fluch, ihr spätgeborenen Hellenen! Weder im Guten, noch im Bösen seid ihr stark. Ihr seid weder Leben noch Tod, weder Tag noch Nacht. Eure Seele ist hier und dort. Ihr habt das eine Ufer verlassen, doch seid ihr am anderen nicht gelandet. Ihr glaubt und ihr glaubt nicht, ihr schwankt ewig hin und her, ihr wollt allerlei und doch könnt ihr nichts erreichen, denn ihr wißt nicht, was wollen heißt. Stark sind nur diejenigen, die nur eine Wahrheit sehen und für jede andere Wahrheit blind sind. Solche Menschen werden euch, die ihr weise, schwach und zwiespältig seid, besiegen . . .«

Julianus hob mit Anstrengung seinen Kopf, als ob er eine ungeheure Last zu heben hätte, und sagte:

»Du hast unrecht, Arsinoe. Meine Seele kennt keine Furcht, und mein Wille ist unbeugsam. Des Schicksals Mächte führen mich, wenn es mir auch bestimmt ist, früh zu sterben, so weiß ich, daß mein Tod vor dem Angesicht der Götter herrlich schön sein wird. Lebe wohl. Siehst du, ich gehe ohne Zorn, traurig und ruhig, denn du bist für mich tot.«


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