Dmitri Mereschkowski
Julianus Apostata
Dmitri Mereschkowski

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XIV.

Julianus verbrachte den ganzen Winter in eiligen Rüstungen zum Feldzuge. Im Anfang des Frühjahrs, am 5. März, verließ er Antiochia mit einem Heere von 65 000 Mann.

In den Bergen taute der Schnee. Die Mandelbäume in den Gärten standen noch nackt und ohne Blätter, doch bereits mit durchsichtigen, weißen und rosa Blüten bedeckt. Die Soldaten zogen in den Krieg freudig, wie zu einem Feste.

Auf den Werften von Samosata war eine Flotte von 1200 Schiffen aus riesengroßen Cedern, Fichten und Eichen, die in den Klüften des Taurus gefällt worden waren, erbaut. Die Schiffe wurden auf dem Euphrat bis zur Stadt Callinice gebracht.

Julianus bewegte sich in Eilmärschen über Hierapolis nach Karrai und von dort weiter gegen Süden, den Euphrat entlang, zur persischen Grenze. Gegen Norden wurde ein anderes Heer, das 30 000 Mann stark war und von den Comites Procopius und Sebastianus befehligt wurde, entsandt. Dieses Heer mußte sich mit dem des armenischen Königs Arsakios vereinigen, Anadiabena und Chiliokomon verwüsten, Corduena passieren und die Hauptmacht an den Ufern des Tigris unter den Mauern von Ktesiphon erreichen.

Alles bis ins kleinste Detail hatte der Kaiser mit der größten Sorgfalt vorbereitet, erwogen und bedacht. Alle, die seinen Kriegsplan kannten, staunten über dessen Weisheit, Größe und Einfachheit.

Anfang April kamen sie nach Circesium, der letzten römischen Festung, die Diocletian an der Grenze von Mesopotamien beim Zusammenfluß des Euphrats mit dem Aboras erbaut hatte. Sie schlugen eine Schiffsbrücke. Julianus gab den Befehl, die Grenze am nächsten Morgen zu überschreiten.

Spät am Abend, als alle Vorbereitungen abgeschlossen waren, kam er müde doch frohen Mutes in sein Zelt, zündete seine Lampe an und nahm seine Lieblingsarbeit, der er täglich einen Teil seiner Nachtruhe opferte, vor; es war ein umfangreiches philosophisches Werk – »Wider die Christen«. Er arbeitete daran bruchstückweise unter den Tönen der Kriegstrompeten, der Lagerlieder und der Rufe der Wachposten. Julianus weidete sich am Gedanken, daß er den Galiläer mit allen Mitteln – wie mit dem römischen Schwert auf dem Schlachtfelde, so auch mit der hellenischen Weisheit in den Büchern – bekämpfe. Er trennte sich nie von den Werken der Kirchenväter, den kirchlichen Kanons und den von den Konzilen aufgestellten Glaubensbekenntnissen. Die alte, zerfetzte Pergamentrolle des Neuen Testamentes, das er ebenso eifrig studierte wie den Plato und den Homer, trug höhnische Randbemerkungen von seiner Hand.

Der Kaiser legte seine staubige Rüstung ab, wusch sich, setzte sich an den Feldtisch und tauchte einen gespitzten Rohrstiel ins Tintenfaß. Als er sich eben zum Schreiben anschickte, wurde er gestört: zwei Boten waren im Lager eingetroffen; der eine kam aus Italien, der andere aus Jerusalem. Julianus ließ sich von beiden Bericht erstatten.

Die Nachrichten waren wenig erfreulich; die herrliche Stadt Nikomedia in Kleinasien war von einem Erdbeben zerstört worden; auch in Konstantinopel hatte man unterirdische Stöße gespürt, wodurch die Bevölkerung sehr erschreckt wurde; die Sibyllinischen Bücher verboten ihm, im Laufe eines Jahres die römische Grenze zu überschreiten.

Der Bote aus Jerusalem brachte einen Brief des Würdenträgers Alypios von Antiochia, den Julianus mit dem Wiederaufbau des Tempels Salomonis betraut hatte. Es lag ein seltsamer Widerspruch darin, daß der Verehrer des vielgöttischen Olymps den von den Römern zerstörten Tempel des einigen Gottes Israels aufzubauen beschloß, um angesichts aller Völker und Zeiten die Prophezeiung des Evangeliums zu widerlegen: »Es wird hie nicht ein Stein auf dem anderen bleiben, der nicht zerbrochen werde.« Die Juden nahmen den Aufruf des Kaisers mit großer Freude auf. Von allen Zeiten strömten Gaben in großer Menge zusammen. Der Plan zum Tempel war großartig. Die Arbeiten sollten mit der größten Eile ausgeführt werden. Mit der Oberaufsicht betraute Julianus seinen Freund, den früheren Statthalter von Britannien, den Comes Alypios von Antiochia.

»Was ist geschehen?« fragte der Kaiser besorgt, argwöhnisch das finstere Gesicht des Boten betrachtend; er hatte den Brief noch nicht erbrochen.

»Göttlicher Augustus, es ist ein großes Unglück geschehen!«

»Rede. Fürchte dich nicht.«

»Solange man die Trümmer forträumte und die Überreste der alten Mauern des Tempels Salomonis abbrach, ging alles gut; als man aber den Grund zu dem Neubau legen wollte, flogen aus den Kellergewölben flammende Feuerkugeln hervor; sie warfen die Steine auseinander und versengten die Arbeiter. Am nächsten Tage befahl der edle Alypios, die Arbeiten wieder aufzunehmen. Das Wunder wiederholte sich. So auch zum drittenmal. Die Christen triumphieren, die Hellenen sind entsetzt, und kein einziger Arbeiter ist zu bewegen, in den Keller hinabzusteigen, vom ganzen Bau blieb kein Stein auf dem anderen, – alles ist zerstört.«

»Du lügst, Taugenichts! Du bist wohl selbst ein Galiläer . . .« schrie ihn der Kaiser zornig an und erhob seine Hand zum Schlage über dem vor ihm knienden Boten. »Es ist dummer Weiberklatsch! Konnte denn Comes Alypios keinen gescheiteren Boten finden?«

Er brach eilig die Siegel, entfaltete und durchflog das Schreiben. Der Bote hatte recht; Alypios bestätigte seine Worte. Julianus traute seinen Augen nicht; er las den Brief noch einmal aufmerksam, ihn dicht vor die Lampe haltend. Plötzlich errötete er. Er biß sich in die Lippen, so daß Blut hervortrat, knitterte das Schreiben zusammen und warf es dem neben ihm stehenden Arzt Oribasius zu:

»Lies das, – du glaubst doch an keine Wunder. Entweder ist Comes Alypios verrückt, oder . . . Nein, das kann nicht sein! . . .«

Der junge alexandriner Gelehrte hob den Brief auf und las ihn mit jener Ruhe und Bedächtigkeit, mit der er überhaupt alles tat.

»Ich kann darin kein Wunder erblicken,« sagte er, seine klaren Augen auf Julianus richtend. »Die Gelehrten haben diese Erscheinung schon längst beschrieben: in den Kellern alter Gebäude, die durch viele Jahrhunderte luftdicht verschlossen waren, sammeln sich zuweilen gewisse leicht entzündliche Dämpfe an. Es genügt, in einen solchen Keller mit einer brennenden Fackel hinabzusteigen, um eine Explosion herbeizuführen; die sich plötzlich entzündenden Dämpfe können den Unvorsichtigen gefährlich werden. Den Unwissenden erscheint das als ein Wunder; das Licht des Wissens zerstreut aber auch hier, wie überall, die Finsternis des Aberglaubens und befreit die menschliche Vernunft von Fesseln. – Alles ist schön, denn alles ist natürlich und mit dem Willen der Natur übereinstimmend.«

Er legte den Brief ruhig auf den Tisch; über seine feinen, eigensinnigen Lippen glitt ein selbstzufriedenes Lächeln.

»Ja, ja, gewiß!« sagte Julianus mit bitterem Hohn, »man muß sich doch irgendwie trösten! Alles ist erklärlich, alles ist natürlich: das Erdbeben in Nikomedia, das Erdbeben in Konstantinopel, die Prophezeiungen der Sibyllinischen Bücher, die Dürre in Antiochia, die Feuersbrünste in Rom, die Überschwemmungen in Ägypten, – alles ist selbstverständlich und natürlich. Es ist nur sonderbar, daß alles gegen mich gerichtet ist; die Erde und der Himmel, das Wasser und das Feuer und, wie es scheint, auch die Götter sind gegen mich! . . .«

Sallustius Secundus betrat das Zelt.

»Erhabener Augustus, die etruskischen Wahrsager, die du nach dem Willen der Götter befragen ließest, bitten dich abzuwarten und die Grenze morgen noch nicht zu überschreiten: die heiligen Hühner der Haruspicien wollen trotz aller Gebete kein Futter anrühren; sie sitzen mit gesträubten Federn auf ihren Stangen und picken nicht an den Weizenkörnern; es ist ein böses Vorzeichen!«

Julianus zog zornig die Brauen zusammen, plötzlich leuchteten aber seine Augen freudig auf, und er begann so unerwartet zu lachen, daß alle ihn stumm und erstaunt ansahen.

»Also so ist es! Sie picken nicht? Was? Was sollen wir mit den dummen Hühnern anfangen? Sollen wir vielleicht ihnen folgen und zur großen Freude aller Galiläer nach Antiochia heimkehren? – Weißt du was, mein Freund, geh doch zu den etruskischen Wahrsagern und verkünde ihnen Unseren Willen: sie sollen sofort alle heiligen Hühner in den Fluß werfen; – wenn sie genug getrunken haben, bekommen sie vielleicht auch Appetit! . . .«

»Gnädigster Augustus, habe ich deinen Willen richtig verstanden: ist dein Entschluß, die Grenze morgen zu überschreiten, unabänderlich?«

»Ja! Ich schwöre es bei allen unseren zukünftigen Siegen, ich schwöre es bei der Größe unseres Reiches, daß mich keinerlei wahrsagender Vogel mehr abschrecken wird; weder Wasser noch Feuer, weder Erde noch Himmel, und selbst die Götter können mich länger zurückhalten! Es ist zu spät. Der Würfel ist gefallen. – Freunde, gibt es denn in der ganzen Natur etwas Göttlicheres als der Wille des Menschen? Gibt es denn in allen Sibyllinischen Büchern etwas Mächtigeres, als die zwei Worte: ich will? – Deutlicher als je empfinde ich das Geheimnis meines Schicksals. Alle prophetischen Vorzeichen haben mich bisher nur umgarnt und geknechtet. Jetzt kann ich nichts mehr verlieren. Wenn die Götter mich verlassen, so werde auch ich . . .«

Er sprach nicht zu Ende und verstummte mit einem seltsamen Lächeln auf den Lippen. Als sein Gefolge sich entfernt hatte, näherte er sich der kleinen, silbernen Merkurstatue, um vor dem Feldaltar sein allabendliches Gebet zu verrichten und einige Körner Weihrauch in das Feuerbecken zu werfen; plötzlich wandte er sich mit dem gleichen, seltsamen Lächeln ab, legte sich auf das Löwenfell, das ihm als Lager diente, löschte die Lampe aus und verfiel in einen so ruhigen und festen Schlaf, wie er oft Menschen, die vor einem großen Mißgeschick stehen, befällt.

Das Morgenrot dämmerte kaum, als er freudig erwachte. Im Lager hörte man bereits Lärm und Trompetenstöße.

Julianus sprang auf sein Pferd und eilte zum Ufer des Aboras. Der frühe Aprilmorgen war frisch und beinahe windstill. Ein schläfriger Windhauch brachte die nächtliche Frische des großen asiatischen Stromes. Über die ganze Breite des von den Frühlingsgewässern angeschwollenen Euphrats, von den Türmen der Stadt Circesium bis zum römischen Lager zogen sich zehn Stadien weit die Reihen der Kriegsschiffe, seit den Tagen des Xerxes hatte man keine so drohende Flotte gesehen.

Die ersten Sonnenstrahlen erschienen hinter der Grabpyramide des Cäsars Gordianus, der einst die Perser besiegt hatte und an dieser Stelle von Philippus Arabs ermordet worden war. Der Rand der Sonne erglühte über der stillen Wüste wie Kohlenglut, und sofort röteten sich alle Wipfel des Mastenwaldes, der in der Morgendämmerung schlief.

Der Kaiser gab ein Zeichen, und acht große Menschenmassen zu fünftausend Mann setzten sich in Bewegung; die Erde bebte und dröhnte unter ihren gemessenen Schritten. Das römische Heer ging über die Brücke und überschritt die Grenze Persiens.

Julianus' Pferd schwamm durch den Fluß und brachte ihn auf einen hohen, sandigen Hügel auf dem anderen Ufer; es war feindliches Land.

An der Spitze der Palatinischen Kohorte ritt der Centurio der Gardeschildträger, Anatolius, der Verehrer Arsinoes.

Anatolius blickte den Kaiser an; Julianus schien etwas verändert: der Monat, den er in frischer Luft zugebracht hatte, war ihm gut bekommen; in dem kühnen Krieger mit den von der Sonne gebräunten Wangen und den jugendlichen und unternehmungslustigen Augen konnte man nur schwer den Schulmeister und Philosophen mit dem mageren, gelben Gesicht, den finsteren, gelehrten Blicken, den zerzausten Haaren, dem wirren Bart, den zerstreuten und hastigen Bewegungen und den Tintenflecken auf den Fingern und auf der cynischen Toga, – den Rhetor Julianus, über den sich die Gassenjungen lustig machten, wieder erkennen.

»Hört, hört: der Cäsar will sprechen.«

Alles verstummte; man hörte nur noch das leise Klirren der Waffen, das Rauschen des Wassers unter den Schiffen und das Knistern der seidenen Fahnen.

»Tapfere Krieger!« begann Julianus mit lauter Stimme. »Ich sehe in euren Gesichtern einen solchen Mut, daß ich nicht umhin kann, euch freudig zu begrüßen. Wisset, Kameraden: das Schicksal der Welt ruht in unseren Händen, wir erneuern die alte Majestät des Römischen Reiches. Stählt eure Herzen und seid auf alles gefaßt: es gibt kein Zurück! Ich werde an eurer Spitze und in euren Reihen, zu Fuß und zu Pferde mitkämpfen und gleich dem letzten unter euch alle eure Mühsale und Gefahren teilen; denn von heute an seid ihr weder Soldaten, noch Sklaven, sondern meine Freunde und Kinder! – Wenn aber das schwankende Schicksal will, daß ich im Kampfe falle, so werde ich glücklich sein, für Rom zu sterben, wie die großen Männer – Scaevola, die Curtier und die erlauchten Sprossen der Decier starben. Seid tapfer, Kameraden, und wisset: nur die Starken siegen!«

Er zog sein Schwert aus der Scheide und wies den Soldaten auf den fernen Wüstenhorizont.

Die Soldaten erhoben ihre Schilde, stießen sie zusammen und riefen:

»Heil dem Sieger Augustus!«

Die Kriegsschiffe durchschnitten die Wellen des Stromes, die römischen Adler flogen über den Kohorten, und das weiße Roß trug den Kaiser der aufgehenden Sonne entgegen.

Aber der kalte, blaue Schatten der Pyramide des Gordianus fiel auf den goldenen, glatten Sand; – Julianus mußte bald die Morgensonne verlassen und in den langen, unheimlichen Schatten des einsamen Grabes hineinreiten.


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