Dmitri Mereschkowski
Julianus Apostata
Dmitri Mereschkowski

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IV.

Der berühmte Sophist und Hoflehrer der Beredsamkeit, Hecebolius, hatte seine Karriere an den untersten Stufen des Staatsdienstes begonnen. Zuerst war er Diener im Astartetempel zu Hierapolis gewesen. Mit sechzehn Jahren stahl er aus dem Tempel einige Wertgegenstände und flüchtete nach Konstantinopel, wo er alles mögliche durchmachte; eine Zeitlang trieb er sich auf den Landstraßen herum, bald mit frommen Pilgern, bald mit einer Räuberbande von kastrierten Priestern der vielbrüstigen Göttin Dindymene, die auf einem Esel in den Dörfern herumgeführt wurde und beim Pöbel sehr beliebt war.

Schließlich kam er in die Schule des Rhetors Prohaeresius und wurde bald selbst Lehrer der Beredsamkeit.

Als in den letzten Regierungsjahren Konstantins des Großen das Christentum bei Hofe Mode wurde, nahm Hecebolius den neuen Glauben an. Die Kleriker waren ihm sehr gewogen, was auch auf Gegenseitigkeit beruhte.

Hecebolius wechselte oft und immer zur passendsten Zeit seinen Glauben, je nach der gerade herrschenden Windrichtung: bald trat er vom Arianismus zur Orthodoxie über, bald von der Orthodoxie zum Arianismus; jeder Übertritt bedeutete für ihn eine neue Sprosse auf der Leiter des Staatsdienstes. Die Geistlichen schoben ihn heimlich vorwärts, was er ihnen bei Gelegenheit mit Gleichem vergalt.

Seine Haare ergrauten, seine Beleibtheit verlieh ihm ein würdiges und angenehmes Aussehen, seine klugen Reden wurden immer einschmeichelnder und überzeugender, seine Wangen leuchteten in dem frischen Rot eines gesunden Alters. Seine Augen hatten gewöhnlich einen recht freundlichen Ausdruck; zuweilen leuchtete aber in ihnen etwas wie böser, durchdringender Spott eines frechen und kalten Geistes auf; in solchen Augenblicken senkte er eilig die Lider, und sofort erlosch der aufflackernde Funke. Das ganze Äußere des berühmten Sophisten nahm allmählich etwas von der Würde eines geistlichen Herrn an.

Er war ein strenger Faster und zugleich ein berühmter Gastronom; die Fastenspeisen auf seinem Tische waren im gleichen Maße raffinierter als die leckersten Fleischspeisen bei anderen Leuten, wie seine mönchischen Scherze gepfefferter waren, als die gewagtesten heidnischen. Als Tischgetränk gebrauchte er den mit allerlei Gewürzen zubereiteten Zuckerrübensaft, und viele behaupteten, daß er besser als Wein schmecke; statt des gewöhnlichen Weißbrotes erfand er wohlschmeckende Fladen, die aus den Samen einer Wüstenpflanze, mit denen sich der heilige Pachomius in Ägypten genährt haben sollte, zubereitet waren.

Böse Zungen behaupteten, daß Hecebolius eine allzu große Schwäche für das zarte Geschlecht habe. Man erzählte sich folgende Anekdote. Eine junge Frau hatte einmal ihrem Beichtvater gestanden, daß sie Ehebruch begangen habe. – »Es ist eine große Sünde! Wer war aber der Betreffende, meine Tochter?« fragte der Beichtvater. – »Es war Hecebolius, hochwürdiger Vater.« Das Gesicht des Geistlichen klärte sich auf: »Hecebolius! Nun, das ist ja ein heiliger und frommer Mann. Tue Buße, meine Tochter, und Gott wird dir verzeihen.«

Unter Kaiser Constantius bekam er das hochbesoldete Amt eines Hofrhetors und wurde mit der Senatorentoga mit Purpurstreifen und einer blauen Schärpe über die Schulter ausgezeichnet.

Aber gerade in jenem Augenblick, als er den letzten Schritt in seiner Karriere machen wollte, kam eine unangenehme Überraschung: Constantius starb und ihm folgte Julianus, ein ausgesprochener Feind der christlichen Kirche. Hecebolius verlor aber die Geistesgegenwart nicht: er tat dasselbe, was auch andere taten, aber klüger als die anderen und, was die Hauptsache war, weder zu früh, noch zu spät, sondern gerade zur rechten Zeit.

Julianus veranstaltete bald nach seinem Regierungsantritte im Palast einen theologischen Disput. Der junge, für seine Offenheit und seinen vornehmen Sinn allgemein geschätzte Philosoph und Arzt, Cäsarius von Kappadocien, ein Bruder des berühmten Kirchenvaters Basilius des Großen, trat als Verteidiger der christlichen Lehre gegen den Kaiser auf. Julianus gewährte bei ähnlichen Anlässen vollkommene Redefreiheit und sah es gerne, wenn man ihm, ohne Rücksicht auf seine Person, widersprach.

An dieser Versammlung nahmen zahlreiche Sophisten, Rhetoren, Priester und Kirchenlehrer teil, und es wurde heftig debattiert.

Die Streitenden ließen sich gewöhnlich, wenn auch nicht von den Argumenten des hellenischen Philosophen, so doch jedenfalls von der Majestät des römischen Kaisers imponieren und gaben nach.

Diesmal war aber die Sache anders: Cäsarius wollte nicht nachgeben. Er war noch jung, hatte eine mädchenhafte Anmut in den Bewegungen, seidenweiche Locken und klare, unschuldige Augen. Die Philosophie Platos nannte er »schlauverschlungene Schlangenweisheit« und stellte ihr die himmlische Weisheit des Evangeliums entgegen. Julianus war sehr ungehalten, wandte sich ab, biß sich in die Lippen und beherrschte seine Aufregung nur mit großer Mühe.

Der Streit führte, wie es bei allen ernst gemeinten Disputen der Fall ist, zu nichts.

Der Kaiser verließ die Versammlung mit freundlichem Gesicht und einigen philosophischen Scherzworten; er heuchelte wehmütige Versöhnlichkeit, war aber in Wirklichkeit schwer gekränkt.

In diesem Augenblicke näherte sich ihm der Hofrhetor Hecebolius, den der Kaiser für seinen Gegner hielt.

Hecebolius kniete vor ihm nieder und begann eine Bußrede: er hätte schon lange geschwankt, nun sei er aber durch die Argumentation des Kaisers endgültig bekehrt worden; er verdamme den finsteren Aberglauben der Galiläer; seine Seele kehre zu den Erinnerungen seiner Kindheit, zu den leuchtenden olympischen Göttern zurück.

Der Kaiser half dem Greise auf die Beine und war so gerührt, daß er keine Worte fand; er drückte ihn nur kräftig an die Brust und küßte ihn auf die weichen, rasierten Wangen und auf die roten, fleischigen Lippen.

Um seinen Sieg voll auszukosten, suchte er mit den Blicken Cäsarius.

Julianus behielt Hecebolius einige Tage lang in seiner nächsten Umgebung; er erzählte bei jeder Gelegenheit und jedermann von dessen wunderbarer Bekehrung und war auf ihn stolz, wie ein Priester auf ein Festopfer, oder wie ein Kind auf ein neues Spielzeug.

Er wollte ihm ein Ehrenamt bei Hofe verleihen; Hecebolius lehnte aber ab, weil er einer solchen Ehre unwürdig sei und die Absicht habe, seine Seele durch Buße und Prüfungen zu den hellenischen Tugenden vorzubereiten und sein Herz durch den Dienst bei einem der alten Götter vom galiläischen Greuel zu reinigen. Julianus ernannte ihn zum Hohenpriester von Paphlagonien und Bithynien. Dieses Amt hieß bei den Heiden »Archiereus«.

Der Archiereus Hecebolius verwaltete zwei dicht bevölkerte asiatische Provinzen und gedieh bei diesem Amte ebenso glänzend wie bei dem alten. Er machte sich auch um die Bekehrung zahlreicher Galiläer zum hellenischen Glauben verdient.

Schließlich wurde er Hohepriester am berühmten Tempel der phönizischen Göttin Astarte-Atargatis, der er in seiner frühesten Kindheit gedient hatte. Dieser Tempel lag zwischen Chalkedon und Nikomedia auf einem hohen Felsvorsprung über den Wellen der Propontis; der Ort hieß Gargaria. Hierher strömten von allen Weltgegenden zahlreiche Pilger zusammen, um Aphrodite-Astarte, die Göttin des Todes und der Wollust, anzubeten.


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