Dmitri Mereschkowski
Julianus Apostata
Dmitri Mereschkowski

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VII.

Julianus verließ das Atrium Constantinum und begab sich zum nahen Tempel der Glücksgöttin Tyche, um ihr ein Opfer darzubringen. Während er die breite Treppe herabstieg, trat an ihn der weißhaarige, gebeugte Bischof Maris von Chalkedon heran. Er war vor Alter erblindet und wurde von einem Knaben an der Hand geführt.

Die Schloßtreppe ging auf das Augusteion hinaus. Unten auf dem Platze sammelte sich eine Volksmenge an. Der Bischof hielt den Kaiser mit einer gebieterischen Handbewegung an und richtete an ihn folgende Rede. Seine Greisenstimme klang klar und fest:

»Vernehmt es, ihr Völker, Geschlechter, Stämme und Menschen von jedem Alter, die ihr heute auf der Welt lebt, und alle, die ihr noch auf die Welt kommen werdet! Vernehmt es, ihr himmlischen Mächte und Engel, die ihr bald den Feind vernichten werdet! Nicht der König der Amoniter wird gestürzt werden und nicht König Og von Basan, sondern der Drache, der Abtrünnige, der Große Geist, der aufrührerische Assyrer, der allgemeine Feind und Widersacher, der die Erde mit seinen Freveltaten erfüllt und sich gegen den Himmel aufgelehnt hat. Höre es, Himmel, und verkünde es der Erde! Auch du, Cäsar, vernimm meine Prophezeiung, denn Gott selbst spricht zu dir heute durch meinen Mund. Das Wort Gottes brennt in meinem Herzen, und ich kann nicht schweigen. – Deine Tage sind gezählt. Nur noch eine kurze Spanne Zeit, – und du wirst vergehen und verschwinden, wie der Staub, den der Sturmwind aufwirbelt, wie der Tau, wie das Summen eines fliegenden Pfeiles, wie ein Donnerschlag, wie der schnelle Blitz. Der kastalische Quell wird für ewig verstummen, – man wird an ihm vorbeigehen und über ihn lachen, Apollo wird wieder zum stummen Götzenbilde, Daphne – zum Baume, der nur in der Fabel beweint wird; über den gestürzten Götzentempeln wird aber Gras wuchern. O Schändlichkeit Sanheribs! Wir, Galiläer, von allen verachtete Menschen, die den Gekreuzigten anbeten, wir, Jünger der Fischer aus Kapernaum und selbst Unwissende, verkünden es dir! Wir, die wir vom Fasten geschwächt und halb tot sind, die wir Nächte hindurch wachen und, wie ihr es nennt, sinnlos schwatzen, rufen euch die Worte entgegen: ›Wo sind die Schriftgelehrten und die Widersacher dieser Zeit?‹ Ich entlehne dieses Siegeslied einem unserer einfältigen Brüder. Heraus mit deinen kaiserlichen und sophistischen Redensarten, mit deinen unwiderlegbaren Syllogismen und Enthymemen! Wollen wir sehen, wie unsere ungelehrten Fischer sprechen. Es erklinge das Siegeslied Davids, der mit geheimnisvollen Steinen den hochmütigen Goliath niedergeworfen, viele mit seinem Sanftmut besiegt und den vom bösen Geiste geplagten König Saul mit seinen süßen Gesängen geheilt hat. Wir danken dir, Herr! Heute wird deine Kirche durch die Verfolgungen geläutert. Der Bräutigam naht! Kluge Jungfrauen, entzündet eure Lampen! Bekleidet den Priester mit dem heiligen und unbefleckten Rock, – mit Christo, unserem Hochzeitsgewande!«

Die letzten Worte sprach er singend, wie bei einem Gottesdienste. Die erschütterte Menge antwortete ihm mit beifälligem Murmeln. Jemand rief:

»Amen!«

Der Kaiser hatte die lange Predigt so kaltblütig angehört, als ob gar nicht von ihm die Rede wäre; nur seine Mundwinkel zuckten zuweilen in einem stillen Lächeln.

»Bist du zu Ende, Alter?« fragte er ruhig.

»Hier sind meine Arme, ihr Peiniger! Bindet mich! Führet mich zur Richtstätte! Herr, ich werde die Märtyrerkrone empfangen!«

Der Bischof hob seine trüben, blinden Augen gen Himmel.

»Glaubst du denn wirklich, du Guter, daß ich dich töten werde?« sagte Julianus. »Du irrst. Ich werde dich in Frieden ziehen lassen. Ich hege in meiner Seele keinen Haß gegen dich.«

»Was? Was? Was sagt er?« fragte man in der Volksmenge.

»Versuche mich nicht! Ich werde mich von Christo nicht lossagen! Hebe dich hinweg, du Feind des Menschengeschlechtes! – Henker, führt mich zum Tode. Hier bin ich!«

»Hier gibt es keine Henker, mein Freund. Hier sind lauter gute Menschen, wie du selbst. Beruhige dich! Das Leben ist langweiliger und gewöhnlicher, als du es dir vorstellst. Ich habe dir mit Interesse zugehört, da ich ein Liebhaber jeder Redekunst, selbst der galiläischen bin. Was du nicht alles herbeigeschleppt hast – die Schändlichkeit Sanheribs, den König der Amoniter, die Steine Davids und den Riesen Goliath! Euren Reden fehlt die Einfachheit. Vergleicht sie nur mit den Reden eines Demosthenes, Plato und insbesondere – Homers. Sie alle waren wirklich einfältig wie Kinder und weise wie Götter. Lernt von ihnen die große, würdevolle Ruhe, ihr Galiläer! Gott ist nicht im Sturme, sondern in der Stille. Das ist meine ganze Lektion, meine ganze Rache, denn du selbst hast von mir Rache gewollt.«

»Der Herr möge dich treffen, du Gotteslästerer! . . .« fing Maris wieder an.

»Der Herr wird nicht zulassen, daß ich in meinem Zorne blind werde, und dich wird er nicht sehend machen,« entgegnete der Kaiser.

»Ich danke Gott für meine Blindheit!« rief der Alte aus. »Denn so sehe ich nicht das verfluchte Gesicht des Abtrünnigen!«

»Wieviel Haß doch in so einem gebrechlichen Körper wohnen kann! Ihr predigt immer von Demut und Liebe, Galiläer, – doch welch ein Haß erfüllt ein jedes von euren Worten! – Ich habe soeben eine Versammlung verlassen, wo Brüder einander im Namen des Herrn wie die Tiere in Stücke reißen wollten; und jetzt kommst du mit deiner unbändigen Rede. Warum dieser Haß? Bin ich denn nicht auch euer Bruder? Wenn du nur wüßtest, wie ruhig und gütig jetzt mein Herz ist! Ich wünsche dir alles Gute, und ich bete zu den Olympiern, daß sie deine harte, finstere und leidende Seele erweichen. So ziehe denn in Frieden, blinder Greis, und wisse, daß nicht die Galiläer allein verzeihen können!«

»Glaubt ihm nicht, Brüder! Es ist eine List, die Versuchung der Schlange! Du hast es gesehen, o Herr, wie der Abtrünnige dich, den Gott Israels, beschimpft, – und du darfst nicht dazu schweigen!«

Ohne weiter auf die Flüche des Alten zu achten, schritt Julianus durch das Volk, in seinem einfachen, weißen, von der Sonne beschienenen Gewande, ruhig und weise, wie einer von den Männern des Altertums.


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