Dmitri Mereschkowski
Julianus Apostata
Dmitri Mereschkowski

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III.

Im benachbarten Kloster waren die Fensterläden und Türen verschlossen und verrammelt; um den tollen Lärm des bacchischen Festes, der aus der Ferne ins Kloster drang, zu übertönen, sangen die Mönche Klagepsalmen.

»Gott, warum verstößest du uns so gar? Und bist so grimmig zornig über die Schafe deiner Weide?«

»Du machest uns zur Schmach unsern Nachbarn, zum Spott und Hohn denen, die um uns her sind. Du machst uns zum Beispiel unter den Heiden.«

Einen neuen Sinn bekamen die alten Worte des Propheten Daniel: »Und hast uns gegeben in die Hände der Gottlosen und dem ungerechten, grausamsten Könige auf Erden.«

Erst als es beim Anbruch der Nacht in den Straßen stiller wurde, verzogen sich die Mönche in ihre Zellen.

Frater Parthenius konnte nicht einschlafen. – Er hatte ein blasses, freundliches Gesicht; wenn er mit jemandem sprach, drückten seine großen, klaren Augen, keusch wie die eines jungen Mädchens, Wehmut und Zweifel aus; er sprach übrigens sehr wenig, undeutlich und brachte die Worte mit großer Anstrengung hervor; was er sprach, war immer so kindlich und unerwartet, daß man ihm nur lächelnd zuhören konnte; zuweilen lachte er grundlos auf, und wenn ihn die strengen Mönche fragten: »Warum grinst du? Warum machst du dem Teufel Freude?«, erklärte er ihnen schüchtern, daß er »über seine eigenen Gedanken« lache; dies bestärkte noch die allgemeine Ansicht, daß er schwachsinnig sei.

Frater Parthenius hatte aber eine seltene Gabe: er war Künstler im Ausmalen der Anfangsbuchstaben in den Kirchenbüchern. Seine Kunst brachte dem Kloster nicht nur Gewinn, sondern auch Ehre und Ruhm selbst in den entferntesten Ländern ein. Er selbst wußte davon nichts; wenn er auch hätte begreifen können, was der Ruhm bei den Menschen bedeutet, so wäre er eher erschrocken als froh gewesen.

Seine Kunst, die ihm schwere Mühe kostete – denn er pflegte auch die winzigsten Einzelheiten zur größten Vollkommenheit zu bringen –, hielt er nicht für Arbeit, sondern für Erholung; er sagte nie: »Ich will arbeiten gehen«, sondern immer: »Pater Pamphilius, gestatte mir, daß ich etwas ausruhe.« Pater Pamphilius, der Prior des Klosters, war ihm mit zärtlicher Liebe zugetan.

Wenn er mit irgendeinem Detail, mit irgendeiner feinen Arabeske fertig war, klatschte er mit den Händen und lobte sich selbst. Er liebte so sehr die Einsamkeit und Stille der Nacht, daß er sich daran gewöhnte, bei Lampenlicht zu arbeiten; die Farben gerieten dabei etwas seltsam, was aber die märchenhafte Pracht der Ornamentik nicht im geringsten beeinträchtigte.

Parthenius zog sich auch an diesem Abend in seine kleine, niedere Zelle zurück, zündete eine tönerne Lampe an und setzte sie auf das Wandbrett, auf dem seine Näpfe, seine Pinsel, Kästchen mit Farben, Zinnober, flüssigem Gold und Silber standen. Er bekreuzte sich, tauchte den Pinsel behutsam in die Farbe und begann die Schweife zweier Pfauen auf dem Kopfstücke einer Seite zu malen; die goldenen Pfauen auf smaragdgrünem Grunde tranken aus einer türkisblauen Quelle; sie hatten ihre Schnäbel erhoben und ihre Hälse gereckt, wie es die Vögel beim Trinken zu tun pflegen.

Andere Pergamentrollen mit noch unvollendeten Miniaturen lagen auf dem Tische.

Es war eine ganze Welt übernatürlicher Gestalten: luftige Zauberschlösser, Bäume, Weinreben und Tiere umgaben und umrankten den geschriebenen Text. Parthenius schuf sie ohne sich etwas dabei zu denken, doch strahlte auf seinem bleichen Gesicht während der Arbeit immer Freude und Heiterkeit. Hellas, Assyrien, Persien, Indien und Byzanz, alle dunklen Vorahnungen kommender Welten, alle Völker und alle Zeitalter reichten sich einfältig die Hand in diesem mönchischen Paradiese, das, in allen Farben der Edelsteine funkelnd, die Anfangsbuchstaben der Heiligen Schrift umgab.

Johannes der Täufer goß aus einer Schale Wasser auf das Haupt des Heilands; daneben aber stand der heidnische Gott des Jordanstromes mit einer Amphora, der Wasser entströmte, und hielt freundlich, wie es dem alten Beherrscher dieser Orte ziemte, ein Handtuch bereit, um es dem Heiland nach der Taufe anzubieten.

Frater Parthenius fürchtete in seiner Herzenseinfalt die alten Götter nicht; er hatte an ihnen seine Freude und hielt sie für längst zum Christentum bekehrt. Auf dem Gipfel eines Hügels malte er oft den Berggott in der Gestalt eines nackten Jünglings; auf der Darstellung des Überganges der Juden über das Rote Meer versinnbildlichte eine Frau mit einem Ruder in der Hand das Meer und ein nackter Mann den Abgrund, Βυϑός, der den Pharao verschlang; am Strande saß die Wüste, in der Gestalt eines trauernden, mit einer sandgelben Tunika bekleideten Weibes.

Hie und da, in der Wendung eines Pferdehalses, in der Falte eines langen Gewandes, in der Pose eines ruhenden und sich auf den Ellenbogen stützenden Berggottes, oder in der Gebärde, mit der der Flußgott Jordan dem Heiland das Handtuch reichte, sah man einen Abglanz der hellenischen Anmut, der Schönheit des nackten Menschenleibes.

In dieser Nacht machte aber dem Parthenius sein »Spiel« keine rechte Freude.

Seine unermüdlichen Finger zitterten; seine Lippen lächelten nicht wie sonst. – Er horchte hinaus, holte aus einer Schublade in seinem Arbeitspulte aus Cypressenholz einen langen, spitzen Pfriem, den er bei den Buchbinderarbeiten gebrauchte, bekreuzte sich und verließ leise, mit der Lampe, deren Flamme er vor dem Luftzuge mit der Hand schützte, in der Hand, die Zelle.

Im Gange war es still und schwül; man hörte das Summen einer Fliege, die in ein Spinnennetz geraten war.

Parthenius stieg in die Kirche hinab. Die einzige Lampe flackerte vor einem alten Diptychon aus Elfenbein. Aus dem Heiligenscheine des Jesuskindes, das in den Armen der heiligen Jungfrau ruhte, hatten die Heiden zwei längliche Saphire herausgenommen, um sie an den alten Platz im Dionysostempel zurückzubringen.

Der Mönch empfand die schwarzen, häßlichen Löcher im Elfenbein, das von Alter gelb war, wie Wunden in einem lebendigen Körper; diese gotteslästerlichen Wunden empörten das Herz des Künstlers, während er den Arm des Jesuskindes berührte, flüsterte er: »Herr, hilf mir!«

In einem Winkel der Kirche fand er eine Strickleiter, die den Mönchen beim Anzünden der Lampen in der Kuppel der Kirche diente. Mit dieser Leiter begab er sich in den engen, finstern Gang, der zur Außentüre führte. Auf einem Strohlager schnarchte der rotbackige und dicke Pförtner, Frater Choricius. Parthenius huschte an ihm wie ein Schatten vorüber. Das Türschloß ging kreischend auf. Choricius erhob sich, machte die Augen halb auf und fiel wieder auf sein Strohlager.

Parthenius kletterte über die niedere Mauer. Die Straßen der einsamen Vorstadt waren wie ausgestorben. Am Himmel leuchtete der Vollmond. In der Ferne rauschte das Meer.

Er näherte sich jener Seite des Dionysostempels, die im Schatten lag, und warf ein Ende der Strickleiter so geschickt hinauf, daß es an der Tatze einer kupfernen Sphynx, die den Giebel schmückte, hängen blieb. Der Mönch erkletterte das Dach.

Irgendwo in der Ferne krähte ein Hahn und bellte ein Hund. Dann trat wieder Stille ein; nur das Meer rauschte noch immer. Er ließ ein Ende der Strickleiter ins Innere des Tempels hinab und kam so in das Heiligtum des Dionysos.

Hier herrschte vollkommene Stille. Die Augen des Gottes, die beiden länglichen, durchsichtig blauen Saphire leuchteten im Mondlicht erschreckend, wie lebendig. Der Gott starrte den Mönch an.

Parthenius fuhr zusammen und bekreuzte sich.

Er erstieg den Altar, auf dem erst vor kurzem der Hohepriester Julianus geopfert hatte. Parthenius spürte unter den Füßen die Wärme der noch nicht ausgekühlten Asche. Er holte aus dem Busen seinen Pfriem hervor. Die Augen des Gottes funkelten ganz dicht vor seinem Gesicht. Der Künstler sah das sorglose Lächeln des Dionysos, seinen vom Mondlicht übergossenen Marmorleib und war für einen Augenblick von der Schönheit des alten Gottes hingerissen.

Dann machte er sich an die Arbeit. Mit der Spitze des Pfriems wollte er die Saphire herausnehmen. Seine Hand schonte unwillkürlich den zarten Marmor.

Endlich war er fertig. Der geblendete Dionysos blickte ihn drohend und klagend mit seinen schwarzen Augenhöhlen an. Parthenius war von Entsetzen ergriffen: es war ihm, als ob ihn jemand beobachte. Er sprang vom Altar, lief zur Strickleiter, kletterte hinauf, ließ dann die Leiter auf die andere Seite herab, ohne sie einmal gehörig festzumachen, so daß er beim Abstiege von den letzten Sprossen abstürzte. Bleich, zerzaust, in beschmierten Kleidern, doch die Saphire fest in der Faust zusammenballend, eilte er leise wie ein Dieb zum Kloster zurück.

Der Pförtner schlief noch immer. Parthenius huschte an ihm vorbei und gelangte in die Kirche. Erst als er wieder das Heiligenbild vor sich sah, wurde er etwas ruhiger. Er versuchte die Saphiraugen des Dionysos in die alten Löcher zu setzen und fand, daß sie vollkommen hineinpaßten. Die Saphire erstrahlten wieder mild im Heiligenscheine des Jesuskindes.

Parthenius kehrte in seine Zelle zurück, löschte das Licht aus und legte sich zu Bett. Plötzlich begann er im Finstern, das Gesicht mit den Händen bedeckend, lautlos zu lachen; er lachte wie ein Kind, das irgend etwas angestellt hat, sich über den gelungenen, Streich freut und sich fürchtet, daß es die Erwachsenen erfahren. Mit diesem Lachen im Herzen schlief er ein.

Als Parthenius erwachte, spielten schon die Strahlen der Morgensonne auf den Wellen der Propontis, die durch das Gitter des kleinen Fensters hineinschimmerten. Auf dem Fensterbrette girrten Tauben und schlugen mit den graublauen Flügeln um sich. In seiner Seele hallte noch immer jenes Lachen nach.

Er trat an seinen Arbeitstisch und blickte freudig auf eine noch unvollendete Initiale. Das Bild stellte das Paradies dar: Adam und Eva saßen auf einer Wiese.

Ein Strahl der aufgehenden Sonne, der durchs Fenster auf das Bild fiel, ließ es in wahrhaft paradiesischer Pracht, in Gold, Purpur und Lasur erglänzen.

Parthenius vertiefte sich in die Arbeit und merkte gar nicht, daß er dem nackten Körper Adams die olympische Schönheit des Gottes Dionysos verlieh.


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