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An Johann Christian Dieterich

[Göttingen, 19. Mai 1797]

Mein lieber Dieterich,

Heute ist der 19. Mai und ein Posttag, ich erfülle also mein Versprechen, so weit es mir möglich ist, denn mit meiner Schwäche will es sich noch nicht geben, und bei der zum Erstaunen schwülen Witterung, die sich hier seit einigen Tagen eingestellt hat, sind die Sachen noch eher schlimmer geworden. Das wird sich aber hoffentlich nach einem erquickenden Gewitter wieder geben. Du mußt nun noch etwas Geduld haben mit meinen Arbeiten. Es ist ja nicht Faulheit, nicht Widerwillen, sondern die reine Unmöglichkeit. Ich würde ja, wie Du weißt, alles für Dich aufopfern. Ich fürchte aber durch Anstrengung in eine Krankheit zu verfallen, die ich nicht so gut aushalten möchte als das Nerven-Übel.

Gestern habe ich dennoch wieder einen Mahnbrief von Hofmann erhalten. Mein Gott! erkläre ihm doch die Sache und wie ich auch mit Dir sogar, mein Bester, stehe und entschuldige mich, daß ich ihm heute nicht schreibe. Es geht ja alles seinen Gang, wer kann denn in der Welt für Unglück? Alles übrige im Hause befindet sich herzlich wohl, bis auf unsern George, ich meine nicht den Kammerdiener, sondern den Prinzen von Wallis. Der arme Schelm hatte gestern heftiges Reißen in den Ohren mit Fieber und hat zu Bette gelegen, heute geht es denn doch wieder ein wenig besser.

Der Médoc ist gestern von Einbeck gut angekommen und sogleich im Gewölbe beigesetzt worden und sieht nun seiner Wiederauferstehung entgegen.

Gestern haben wir zum erstenmal die Blechmaschine versucht und in einem hölzernen Eimer Kartoffeln gekocht. Sie waren in nicht völlig einer halben Stunde übergar, so daß mehrere zerfahren waren. Es sah drollig aus, der Eimer stund nicht im Kamin, sondern vorne davor auf der Erde, und in der Maschine, die im Kamin stund, war ein sehr mäßiges Feuer, dem ungeachtet kochte das Wasser im Eimer unaufhörlich fort. Was dieses Verfahren merkwürdig macht, ist, daß dieses Wasser durch eine Hitze kochen gemacht wurde, die sonst ganz verloren gegangen wäre, denn hätte man sie in dem blechernen Gefäße selbst gekocht wie gewöhnlich, so wäre der Dampf, der sie nun gekocht hat, mitsamt seiner Hitze ganz durch den Schornstein gegangen. Dieses waren wohl die ersten Kartoffeln, die in diesem weltberühmten Kartoffel-Land in einem hölzernen Eimer gekocht worden sind. Obgleich sowohl der Eimer als der hölzerne Deckel ganz neu waren, so hatten sie doch nicht den mindesten Beigeschmack von dem Holze. Es wurden einige in Papier gewickelt aus dem Hause getragen und als eine Seltenheit gezeigt und gegessen.

Mein Auditorium ist wiederum sehr gut besetzt, es werden nahe an 80 sein. Unter meinen Zuhörern befindet sich auch Herr Major von Hinüber, mit dem ich eine mir sehr angenehme Bekanntschaft gemacht habe. Aber die Hitze in der Stunde war auch zum Erstaunen. Ich konnte es kaum aushalten.

Die Franzosen betragen sich nach dem Frieden in den kleinen Staaten Deutschlands sehr schlecht, ja sie haben sogar in einigen Darmstädtischen Ämtern die alten Grausamkeiten wieder ausgeübt, und ihre Forderungen sind unüberschwänglich.

Mein Vetter in Darmstadt genießt wiederum einer großen Ehre. Er geht in Landes-Angelegenheiten mit dem Kanzler von Gatzert nach Wien.

In diesen Tagen sprach man sogar hier stark, die Franzosen würden hieher kommen. Ich glaube es aber noch nicht. Wenn ich es gewiß wüßte, so wollte ich mich wenigstens mit dem Anker Wein eilen, denn es wäre jammerschade, wenn dieser verloren ginge.

Wenn die Witterung am Freitag nach Himmelfahrt als den 26. Mai!!! schön ist, so wollen meine Frau, ich und die Kinder

DEINEN GEBURTS-Tag im Holze unter den 3 Eichen feiern, ganz zuverlässig, denn an dem Tage lese ich wegen des Himmelfahrts-Tages nicht.

Die ganze Anzahl der Neuangekommenen habe ich noch nicht präzis erfahren können, doch habe ich neulich einmal von 160 gehört, es kommen aber noch immer welche an.

Neues ist doch in der Gotteswelt (darunter versteh ich die Stadt Göttingen mit Einschluß des Volborthischen Gartens) nichts vorgefallen, was des Berichtens wert wäre.

Unser kleinstes Mädchen wird alle Tage freundlicher und wirklich auch schöner und weißer (plus blanc), Mimi auch freundlicher und schöner, aber dafür schwärzer (plus noire), meine liebe Frau runder, George gelehrter und tauber, und ich kränklicher, schwächer, gleichgültiger gegen alles, nur in einem Stück, wovon mich Kopf und Herz deutlich überzeugen, habe ich zugenommen, und das ist in der unbegrenzten Liebe und Freundschaft gegen Dich. Nie habe ich noch Deine Abwesenheit so sehr gefühlt. Hierin haben wir alle nur eine Gesinnung, alles ruft: Tausend Grüße von mir

und von mir und von mir

und von mir und von mir.......(Es macht schon ein artiges Chor: Dieser Tenor, Alt und die Diskant-Stimmchen) Und von mir schließe ich im Baß.

Adieu, Adieu
G.C.L.

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