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An Johann Christian Dieterich und Frau

[Hannover.] Dienstags abends [17. März] um 9 ½] Uhr 1772

Lieber Dieterich

Soeben erhalte ich Deinen Brief schon, den Du wahrscheinlicher Weise erst gestern nach vier Uhr auf die Post gegeben hast, so nahe sind wir einander noch; weil ich leicht morgen und übermorgen keine Zeit zu schreiben haben mögte, so bestreiche ich, bloß Deinetwegen, meine Augen noch einmal mit meinem Augenwasser und unterhalte mich, die kurze Zeit, die ich noch aufbleiben darf, mit Christelchen und Dir. Aber ums Himmelswillen, ihr Leute, Dich und Boie meine ich (denn Christelchen konnte es noch nicht wissen, als sie mir schrieb), warum bedauert mich keiner unter euch nur mit einer Silbe meiner armen Augen wegen. Zoten, und Worte mit Sternchen, und Verweise ohne Sternchen, ich meine welche grad heraus, können sie mir schreiben, arme Schwestern können sie auch wohl noch trösten, aber wenn sie einem armen Bruder einen Pfennig zuwerfen sollen, da haben sie nichts bei sich, die Sünder. Ich hoffe, ihr werdet beiderseits diesen freundschaftlichen Verweis ohne Murren einstecken, widrigenfalls muß ich euch sagen, daß ich auch weiß was Theologie ist, daß ich auch weiß was Sprüche einschärfen heißt, daß ich das geistliche spanische Rohr so gut führen und die Ketten der Finsternis so gut über euren verstockten Häuptern schütteln kann als die Hochwürdigsten Fäuste, die je eine Brust bekreuzt oder eine Kanzel bepaukt haben. Aber fahrt nur so fort, hört auf mitleidig gegen eure guten Freunde zu sein, da wird euch, wie Herr Dr. Leß bewiesen hat, der Teufel endlich reiten, daß ihr auf Straßenräuberei oder Komödienschreiberei verfallt, Witwen und Waisen betrügt oder Epigrammata schreibt, hurt und musiziert, falsche Eide schwört oder Bonsmots macht und endlich mit den Lotterbuben Shakespeare, Racine und Lessing früh oder spat zum Teufel fahrt. Hier muß ich ein Glas Wasser trinken, um mein siedendes Blut etwas zu kühlen; ich trinke es und lösche das Feuer, das an der Spitze von zweihunderttausend Preußen die Herzen ganzer Millionen der Goezischen Sittenlehre hätte aufschließen können.

Heute ist nun der vierte Tag, daß ich meiner Augen wegen einsitzen muß, unterdessen bin ich nicht ohne die angenehmste Gesellschaft, Herr Geheimer Sekretär Schemhagen sitzt zuweilen ganze Nachmittage bei mir. Morgen gehe ich aus, es werde daraus was es wolle. Man hat mir schon geraten Quecksilber-Kuren zu gebrauchen, aber es klingt nur so malhonette, eine Quecksilber-Kur, lieber galant gestorben, als ungalant Quecksilber gebraucht. Es ist ausgemacht, die kleine Veränderung der Luft, der Speisen und der Lebensart, oder was es ist, hat in mir eine merkliche Veränderung bewürkt, wenn ich des Abends ein einziges Glas Wein trinke, so schlafe ich die halbe Nacht nicht, etliche Mal bin ich schon wieder aufgestanden, und tränke ich eine Bouteille, so säße ich so sicher ein paar Stunden drauf auf der Hauptwache als jetzo auf meiner Stube, so arbeitet der Teufel alsdann in mir. Es hegt hierin etwas Größeres als die Erbsünde zum Grund und, unter uns, ich glaube, ich habe die Hektik. Sollte es aber, welches ich höchlich wünsche, diejenige belebende Kraft sein, die die nunmehr immer höher steigende Sonne im Frühling allen lebenden Geschöpfen von der Spargelpflanze bis zum Mädchen hinauf, kurz allem was Odem oder Wurzeln hat, einhaucht, gut alsdann – – wenn es diese Krankheit ist, die heilt sich allenfalls ohne Zimmermann. Weiter kann ich diesen Abend der Augen wegen nicht schreiben, und doch mag ich noch nicht zu Bette gehen, ich stecke mir also eine Pfeife an und lösche das Licht aus, um noch eine Viertelstunde ganz klar an meine Freunde zu denken. Das Rauchen im Dunkeln ist würklich eine angenehme Beschäftigung, und wenn man sonst wohl ist, so denke ich, kommt es unmittelbar nach dem Küssen im Dunkeln, also gute Nacht –

Donnerstag [19. März] morgens um 9 Uhr

Gestern war ich, wie gesagt, aus, habe mich etwas mit meinem Quadranten beschäftigt und hernach den Leuten am Observatorio 2 Stunden zugesehen arbeiten, der Tag war angenehm, heute aber ists wieder abscheulich, überhaupt aber habe ich die Sonne nun in 14 Tagen nicht gesehen.

Gestern habe ich auch erfahren, daß es vorgestern hier im Archive gebrannt hat, der Brand hätte können gefährlich werden, aber ungültige Prätensionen brennen nicht leicht, deswegen wurde es wieder gelöscht. Also wollte ich Dir auch anraten, daß Du Deine Deutschen Gedichte und Romane so legst, daß sie zunächst an Grattenauers Ofen kommen, so bist Du vor Feuerschaden sicher, denn diese brennen so wenig als Arndts Paradiesgärtgen.

Christelchens gute Gesinnungen wegen des Canapee erkenne ich mit dankbarer Seele, den gütigen Vorschlag meine ich, denn die Ausführung selbst würde mich belästigen, der ich mich ganz außer Stand sehe je etwas dagegen zu tun, und das hieße recht in der Sprache des Apostels: glühende Kohlen auf mein Haupt sammeln. Außerdem sieht es mit meiner Zurückkunft etwas weitläuftig aus (einen Besuch auf ein paar Tage nicht mit gerechnet), denn wahrscheinlicher Weise gehe ich nicht vor der Mitte oder Ende des Junius nach Osnabrück, alsdann wird dort erst noch gebaut, dort für Sünden gebüßet und dann observiert, rechne selbst, ob es möglich sein wird vor Oktober an eine Zurückkunft zu gedenken. Indessen da der König hier so gut für mich gesorgt hat, daß ich nicht nötig habe ängstlich zu sparen, so komme ich gewiß dieses Frühjahr einmal nach Göttingen, wahrscheinlicher Weise werde ich die Reise antreten, sobald meine Sachen nach Osnabrück gepackt sind, unter den Tagen, die ich in Göttingen sein werde, soll der schönste in Kerstlingeröder Feld zugebracht werden, ich gehe und Du auch, Christelchen und die junge Herrschaft fährt. Wenn ich neulich von 4 Wochen sprach, nach welchen ich in Göttingen sein wollte, so geschähe dieses an Wunsches statt, daß es doch Gott geben wolle, daß ich alsdann hinkommen könnte, doch wer weiß was geschieht.

Daß Herr Falck meine Rasereien am Posttage zu lesen wünscht, ist mir ein wahres Vergnügen, ihn sowohl als Herrn Neyron würde ich gewiß neulich genannt haben, wenn ich gewußt hätte, daß sie so sehr wie ich von der Wahrheit überzeugt wären, daß auch Menschen zuweilen diejenigen züchtigen, die sie lieb haben. Diese beiden Freunde lernen mich nicht erst aus meinen Briefen kennen und haben mit mir zu gleicher Zeit auf Deinem Canapee gesessen, können also meine Briefe lesen, wenn sie sich die heillose Mühe nehmen wollen. Weil aber (eine kleine Klausul:) jedermann seine Heimlichkeiten hat, wie er sich leicht überzeugen kann, wenn er mit der Hand an seinem eignen Fleisch, oder an eines oder einer andern, mit der Hand herunter streicht, so werden mir alle Leser dieser Briefe verzeihen, wenn ich zuweilen verdeckte Gerichte, mit der Aufschrift, für wen sie bestimmt sind, serviere.

Der Tod des guten Leibmedikus ist mir würklich nah gegangen, auch bloß seiner Frau und Kinder wegen, denn selbst sterben kann so übel nicht sein, denke ich jetzt, da es nebelt und regnet und ich böse Augen habe. Der ehrliche Mann hätte nicht so bald in sein Haus ziehen sollen. Herr von Selchow und Herr von Meyenberg werden sich dieses zur Warnung dienen lassen, um so mehr, da die Warnung von einem Arzt kommt. Hätte Schröder diesen Vorfall gewußt, er hätte diese Tausende ersparen können, das Honorarium, das ihm 2 Studenten für sein Praktikum bezahlen, wäre hinlänglich gewesen ihm den Palast zu erkaufen, den er diese Woche bezogen hat.

Daß Du vor meinem Witz die Segel streichst, will ich diesesmal als ein Kompliment annehmen, künftig wollen wir einander ohne Kompliment begegnen, nur bitte ich mir wie bisher freie Schiffahrt aus.

Jetzt bleibt mir nichts übrig als mich mit Dieterichen noch etwas zu zanken, und aus diesem Gericht will ich eine verdeckte Schüssel für ihn und seine liebe Frau machen, die übrigens meine Vorwürfe absolut nicht treffen. Adieu.

Für Christelchen und ihren Mann, der (diese Worte entlehne ich aus einer Stelle in der Reisebeschreibung) allenfalls verdient hätte, so niedlich auch der Kerl sonst ist, ihr zweiter Kammerdiener zu sein.

Mein Gehalt ist zwar noch nicht ganz fest gesetzt, aber ich weiß von der sichersten Hand, daß ich, so lange ich von Göttingen abwesend bin, nicht unter 100 Reichstaler des Monats bekommen werde, dabei geht meine Besoldung fort, und alle gehabte Kosten für Instrumente u.d.gl. werden mir vergütet.

Den Vorwurf, daß sich M*** auf meinen Beutel freue, hätte ich von Dir nicht erwartet. Sie hat die Großmut nie erfahren, deren ich sonst in dergleichen Fällen fähig bin, was ich ihr gegeben habe, sind Kleinigkeiten, und sie muß noch für Göttingen sehr unschuldig sein, wenn sie solche Geschenke für wichtig hält. Ich möchte Dir fast zur Demütigung und Strafe auferlegen sie in meinem Namen zu grüßen.

Soeben habe ich die Sonne gesehen, dieses kannst Du allenfalls laut lesen, aber nichts von dem andern, verbrenne alles zusammen. Ich bin Dein treuer Diener

G.C. Lichtenberg

Noch den Freitag [20. März] morgen

Herrn von Hanger habe ich die Zeit über nicht gesehen, kann also auch Herrn Boie und Colom auf ihre Haupt-Artikel nicht antworten. Der gestrige Tag schloß sich vortrefflich, um 3 ½ Uhr ging ich nach meinem Garten, und dann um den ganzen Wall, und guckte in alle Kanonen hinein und betastete sie alle, um 6 Uhr trank ich Tee bei Madame Schernhagen und um 8 ging ich wieder nach Haus, mit meinem Auge ist es etwas besser. Morgen ziehe ich eine Etage tiefer und, sobald das Wetter wärmer wird, ganz in den Garten, der eine vortreffliche Lage hat, wovon ich künftig eine Beschreibung geben will. Mir ist bange, daß ich bei meinen Observationen zu viele Zuschauer haben werde, hier sind keine angesehene Personen, die nicht versprochen haben zu kommen, teils mir selbst, teils andern, die es mir wieder sagen sollten. Und doch läßt sich alles in andrer Leute Gegenwart machen, nur keine gnaue astronomische Observationen. soeben fällt mir ein, daß es noch mehrere Dinge gibt, die sich nicht in vieler andren Gegenwart machen lassen. Lebe recht wohl.

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