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An Johann Gottwert Müller

Göttingen, den 20ten Dezember 1784

Recht sehr viele Freude hat mir Ihr kleiner aber vortrefflicher Brief gemacht. Mit Ihrem freundschaftlichen Anteil an meiner Freude über die Reise nach Italien habe ich indessen eine kleine, erlaubte Veränderung vorgenommen. Ich habe seinen ganzen Wert behalten, aber die Sorten umgesetzt. Leider! Aus meiner Reise ist nichts geworden, nicht allein ganz ohne meine Schuld, sondern auch noch mit einem kleinen Schaden von 500 Talern. Ich hatte Geld und zwar ein Beträchtliches mehr, als für Wagenschmiere und Hafer nötig war, ich hatte Erlaubnis, Gesundheit und Mut – allein mein Freund und Reisegefährte, der dänische Finanzrat Ljungberg in Kopenhagen hatte mir die Sache mit seinem Urlaub zu leicht gemacht, er wurde hingehalten und bekam endlich, nachdem ich lange alle meine Collegia aufgegeben, 60 blanke Louisdor zurückbezahlt und auf 40 andere Verzicht getan hatte, keinen Urlaub. Als ich die Nachricht erhielt, ich glaubte, ich würde niedersinken. In der Tat, ob ich gleich nie närrisch gewesen bin, so weiß ich doch jetzt, wie es einem ist, wenn man es werden will, und das ist das einzige, was ich bei der Sache profitiert habe. Ich hatte mich über 9 Wochen auf die Reise präpariert, ich fühlte schon die klassische Erde unter meinen Füßen, passierte mit dem Cäsar den Rubicon, mit dem Hannibal die Alpen und mit dem Konstantin die Brücke, wo das heilige Kreuz am Himmel stund. Ich stieg zum Kapitol hinauf, betastete die Schiffschnäbel und mir schwindelte am tarpejischen Felsen. – Im zweiten Akt erschien der Laokoon, der Apoll im Belvedere und die mediceische Venus zu Florenz; alle Wände waren mit Raphaels und Correggios behangen. – Im dritten bekletterte ich den Vesuv, ging auf den pontinischen Sümpfen spazieren, die neulich abgebrannt sind, sah den Styx und die Hundshöhle und wandelte in Alleen von blühenden Aloe- und Apfelsinenbäumen – und auf einmal, als wenn der Blitz einschlüge, war nichts da für den ganzen Winter als Göttingischer Schnee, Schlittengeläute und magere Hyazinthen-Zwiebeln an meinem Fenster. Ich will wetten, wenn man so was auf dem Operntheater vorstellen wollte, es ginge alles in Granaten-Bissen. Gottlob aber, daß ich doch jetzt merke, daß nichts entzwei ist. Allein, mein Freund, die Reise ist auch nur aufgeschoben; künftigen September reise ich, wenn ich Gesellschaft bekomme, woran kein Zweifel ist, ganz gewiß. Es ist schon lange, nach reiflicher Überlegung, bei mir ein Grundsatz gewesen, kein Mensch, der es kann, soll Italien ungesehen lassen. Die Reise ist Leib- und Seelen-Stärke. Es war Ihnen für mich bange wegen des Winters. Nein, lieber Mann, Italien muß man im Winter sehen. Einmal schwänzt man einen ganzen Winter, welches für unsereinen wahrlich keine Kleinigkeit ist, man geht dann unter Blüten spazieren, während gewisse Leute zu Itzehoe, die ich nicht nennen will, die schönen Eiszapfen an ihrem Bart bewundern; und dann ist würklich für uns Italien im Sommer zu heiß und, wenn man sich nicht in manchen uninteressanten Gegenden Monate lang aufhalten will und kann, sehr ungesund. Zwischen Rom und Neapel stehen schon die Pomeranzen- und Apfelsinenbäume an den Heerstraßen, und da, dünkt mich, läßt sich das Lied: »Ein Kind, geboren zu Bethlehem, Bethlehem« ohne Pelz und Feuerstübchen anstimmen. Könnten Sie mitgehen, liebster Freund, was wäre das für ein Glück! Achthundert Taler müßte man haben, jeder Mitreisende meine ich, und dafür sähen wir Dresden, Prag, Wien, Triest, Venedig, Mailand, Turin, Pavia, Bologna, Florenz, Rom, Neapel, vielleicht Kalabrien und Messina; rückwärts Loretto, Lucca, Livorno, die Alpen, Genf, Lausanne, Bern, Zürich, Basel pp. Welche Ernte da für Sie, die gewiß auf dem Wege sind, unser Fielding und mehr zu werden! Was können da für psychologische Prospekte gesammelt werden! Einem Mann, wie Sie, muß der Buchhändler die Reise bezahlen. ...

Nun, lieber Freund, ein paar Worte vom braunen Manne. Ich habe Ihren Roman zweimal und mit großer Aufmerksamkeit gelesen. Sie haben mein Urteil verlangt, und dies gebe ich sehr gerne; inwiefern sich daraus auf das Urteil des jetzigen Publikums oder der Nachwelt schließen läßt, darum bekümmere ich mich nicht. Auf diese Weise kann ich mich kurz fassen.

Ich halte ihn im ganzen für vortrefflich, und ich wüßte nach meiner Empfindung im Deutschen nichts von der Art das ihm gleich käme. Zumal hat mich der zweite Teil hingerissen, ich zählte gegen das Ende die Blätter die noch übrig waren, und mich befiel ein wahrer Unwillen, als ich fand, daß ich nur noch 16 hatte. Verschiedene Bogen, zumal des zweiten Teils, flogen dahin, ohne daß mir auch nur einfiel, daß ein Herr Müller und ein Professor Lichtenberg in der Welt war, ich hatte mich ganz auf dem Waldheimischen Gute einlogiert. Der hats getroffen, sagte ich endlich, wenn ich einmal nach meiner Dose griff, und da ist es mir unbeschreiblich, was ich in diesen Zwischenzeiten für Freude Ihrentwegen empfand. Das ist Dein Freund, der dieses schreibt, und der Vater und Unterstützer einer so rechtschaffenen Familie, war ohngefähr was ich dachte.

Nun will ich Ihnen auch mit eben der Offenherzigkeit sagen, was mir nicht gefallen hat. Ich spreche nicht von Fehlern, davor behüte mich der Himmel, sondern ich sage nur, wie die Dinge durch Mein, Mein Glas aussehen. Es sind ohnehin nur Kleinigkeiten. Was mir nicht ganz gefallen hat, sind die Sterneschen Ausschweifungen, zumal die, wozu zuweilen nicht die Sache in sich, sondern bloß das Wort die Veranlassung ist. Doch nehme ich davon die Lehre vom Stoß der Nase aus, Auch ist hier mehr als das Wort die Veranlassung. die zumal wegen des Schlusses, wozu vielleicht meine Billardkugeln Veranlassung gegeben haben, daß die erste abfliegt, wenn man die letzte stößt, unnachahmlich schön ist. Ich tadle die Stellen in sich selbst nicht, sie sind sehr witzig, nur scheinen sie mir zuweilen eine üble Wirkung in der Verbindung zu tun. Und das ist schade, denn wenn der Leser, der nun mitten in der Handlung ist, der sich und den Verfasser nicht mehr kennt, sondern bloß die Helden des Stücks, auf so etwas stößt, so ist er oft unbarmherzig genug, selbst das Schöne nicht zu erkennen, das diese Stellen enthalten. Man wirft Perlen vor die Schweine. Das Schwein ist unschuldig. Fielding scheint dieses gefühlt zu haben. Er fängt daher nur seine Bücher mit Betrachtungen an. Der Leser, wenn er die Aufschrift Xtes Buch sieht, ruht, so wie der Verfasser und wohl gar der Setzer. Selbst die Aufschrift ist Intermezzo, und nun kann der Leser Betrachtungen vertragen, die nicht zur Sache gehören, so wie er eine Meilische Vignette ansieht. Ich setze nämlich voraus, daß die Abteilung in Bücher nicht bloß in Worten geschehe, sondern daß auch der braune Mann sowohl als Waldheim sein Pfeifchen ausklopft und mit dem Kinde oder der Geliebten spielt, wenn er welche hat. Sollte dieses aber nicht immer angehen, so ist ein Schlußleisten und ein weißes Blatt hinreichend. Der Mensch ist nun einmal so. Muntus fuld tezibi, sagt Merck.

Für das zweite wollte ich für den armen Plümicke bitten. Ihr Tadel ist gerecht, bitter und witzig, folglich satyrisch-schön, allein ich denke, für ein solches Buch ist der Mann zu unbeträchtlich. Wollen Sie einmal einen Hasenfuß wie diesen verewigen, so findet sich ja wohl ein besonderer Bogen. Denn hier verliert die Satyre auch ihren Zweck, denn es ist unmöglich, am Schluß eines solchen Romans sich noch der Namen zu erinnern, die darin verschwinden, wie ein Regentropfen im Meere. Es ist ein boshafter Rat, den ich Ihnen geben will, aber er führt zum Zweck! Stellen Sie den albernen Menschen als handelnde Person im Stücke selbst auf; wenn Sie ihn Pfläumicken, Dumecken oder so was nennten, so wäre er kenntlich genug; so züchtigte Voltaire seinen Fréron unter dem Namen Frelon, der nun freilich noch eine herrliche Nebenidee mit sich führt.

Das ist alles, was ich zu sagen habe. Weitere Entschuldigung hinzufügen, hieße Ihren Geist verkennen. Empfehlen Sie mich Dero Frau Liebsten, dem lieben Kleinen und meinem teuren Repräsentanten bei der Taufe, Herrn Pflug, und allen Freunden und besuchen Sie uns ja künftigen Sommer. Ich habe mich nun noch etwas mehr ausgebreitet, und Sie können ganz bei mir logieren. Dieterich hat das benachbarte große Büttnersche Haus für 6000 Taler gekauft. Nun bekommen wir auch einen Garten hinter dem Hause, und da wollen wir leben, wie (sagte einmal ein hiesiger Bauer) die Engel im Hanfsamen. ... An Georg Heinrich Hollenberg

Wohlgeborner Herr, Hochzuehrender Herr Landbauverwalter, Preiswürdiger graduierter Papa!

Bravo, Bravo! lieber Freund. So muß es gehen. Heute Hochzeit und in einem Jahr Knall und Fall Kindtaufe. Was hilft einem sonst alle Mathesis und alles Kanäle ziehen. Papa Hollenberg – das klingt mir so herrlich, daß ich es heute wohl 10 mal und einmal zum Fenster hinaus gesprochen habe, daß es alle Welt hätte hören können. – O schreiben Sie mir doch wie Sie jetzt aussehen. Ist es denn wahr, daß man, wenn man Papa wird, sich eine große Perücke anschaffen, einen geblümten Schlafrock und Gürtel und gelbe Pantoffel tragen und zuweilen mit der langen Pfeife im Mund und dem Tabaksstopfer am kleinen Finger im Fenster stehen muß, auch ob des Sonntags ein anderer Schlafrock nötig ist; auch ob man langsamer über die Straße gehen muß als vorher, und wie viel Zeit Sie etwa jetzt brauchen vom Tor im Kaiser nach der neuen Rathaustreppe zu gehen, auch ob man den Abendsegen in demselben Ton wie vorher lesen darf, ohne zu husten, wenn man anfängt, und ob man des Nachts notwendig an der Seite schlafen muß, wo die Wiege steht, oder ob man sich hinten an die Wand legen kann, und ob es durchaus nötig ist dem Gesinde im Hause, zumal den Dienstmädchen, mit ernsthaftem Gesicht und gutem Exempel vorzugehn – Sehen Sie, lieber Mann, das sind Hauptfragen, die, wenn sie mir gehörig gelöst werden, mich wohl gar selbst noch einmal dahin bringen könnten, wo Sie jetzt sind.

Doch, mein lieber Hollenberg, allen Scherz bei Seite, Sie haben mir mit Ihrem Brief eine Freude gemacht, die mich bis zu Tränen gerührt hat. Ich sehe, Sie sind glücklich, was Sie mich von Ihrer vortrefflichen Liebsten haben wissen lassen, beweist dieses unwidersprechlich, und ich nehme so vielen wahren Anteil an allem was Sie angeht, daß Ihr Glück jederzeit keinen geringen Teil des meinigen ausmacht. Behalten Sie mir ferner Ihre Liebe wie bisher, und erwerben Sie mir die Freundschaft Ihrer, wie ich aus den wenigen Zeilen gesehen habe, edeldenkenden Frau, und wenn Sie wieder einmal mit einem kleinen Mädchen erfreut werden, das ein paar Lot schwerer ist (so nennen wir ruchlose unverheiratete Sünder die kleinen Jungen), so dedizieren Sie diese puellam cum appendice

Ihrem ewig treuen Freund
G. C .Lichtenberg

Göttingen, den 13ten November 1785

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