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An Johann Christian Dieterich

Mein lieber Dieterich,

Nun großes Heil und himmlischen Segen zu der neuen Verbindung. Ich werde morgen den herrlichen Tag, der mir so viel von der Zukunft hoffen läßt, mit Empfindungen der wahren Freundschaft und des ungeheuchelten Wohlwollens, nach meiner Art, stille, aber doch sehr fröhlich, begehen. Der Korkzieher hängt schon am Nagel, so daß ich ihn, ohne aufzustehen, greifen kann. Empfehle mich der Neuvermählten und ihrem ganzen lieben Hause herzlich. Ich freue mich auf den morgenden Tag, denn gerade weil ich nicht in der Gesellschaft bin, so habe ich es ganz in meiner Gewalt, dem Vergnügen die Form zu geben, die mir am besten behagt, und da würze ich es denn ganz nach meiner Art. Dort würde ich zu nichts taugen. So sehr mich ein solches Glück meiner Freunde rührt im eigentlichen Verstände und mich stundenlang angenehm unterhält in der Erinnerung, so unerträglich bin ich mir und andern, wenn ich gegenwärtig bin. Denn ich kann Dir im Vertrauen sagen, ich habe sogar, anstatt zu weinen, laut gelacht, wenn ich ein junges Paar habe zu Bett gehen sehen, und so öfters ehmals den ganzen Leichenzug verdorben. – Ich bleibe daher am besten weg und in der Nähe – von meinem eigenen Korkzieher.

Die Ruhr, die Ruhr reißt hier sehr ein. Ich habe mir aus den bisherigen Trauerfällen folgende Regeln abstrahiert, die ich dem nächsten zu Liebe bekannt mache. Sie befällt 1) hauptsächlich Leute, die sich im 72ten Jahre noch rote Kleider machen lassen und den Bräutigams-Trott laufen 2) Personen, die noch um die Gespensterstunde bloß essen was ihnen gut schmeckt, und weil es ihnen gut schmeckt. 3) alle Whistspieler. Es sind ihrer schon 3 gestorben und mit quatre honneurs begraben worden. Ich habe es selbst gesehen. Von Frauenzimmern sterben alle, die nicht nähen und nicht spinnen und doch bekleidet sind wie die Lilien auf dem Felde. Es ist wirklich traurig; unsere halbe Stadt geht darüber zu Grunde. Vorgestern wurde Mamsell.... begraben und gestern die 3 Mamsell.... wer hätte das denken sollen? Und heute gar Madame..... Ich dachte immer, die spänne, aber man kann sich irren. O es schlägt halb 7. Ich muß schließen. Es tut mir fast weh. Ich hätte noch vieles zu sagen. Empfehle mich dem ganzen Hause als einen wahren Freund, Madame Dieterich und Madame Köhler und unserm vortrefflichen lieben AYRER, in dessen Wagen ich gestern um 9 Uhr nach der Stadt nicht gefahren sondern geflogen bin –. Lebe recht wohl.

[Göttingen,] den 11ten August 1794

G.C.Lichtenberg

Wegen Passiv-Besuchs in der fürchterlichsten Eile.

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