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An Christiane Dieterich

Stade, den 28.Juni 1773

Liebste Frau Gevatterin,

Und sowie ich in den Speisesaal hineintrat, war ein schicklicher Platz zum Observieren das erste worauf ich dachte. Nach einer Wahl von etlichen Augenblicken kam es zum Schluß, ich stund, und die Beobachtungen nahmen ihren Anfang. Ich hatte mich, wie ich erst nach der Hand gehörig einsah, herrlich postiert. Zur Rechten etwas von mir, doch so, daß wir einander mit den Rockfalten berührten, stund ein Mädchen, welcher ich mit meinen Augen fast an die Nase reichte, und ich konnte frei über ihre linke Achsel weg die Tafel mit meinen Augen bestreichen; wollte ich frei stehen, so schob ich nur meinen rechten Arm an ihrem linken Arm (ohne die Rockfalte zu berühren, welchen mutwilligen Gedanken ich mir ernstlich hiermit verbitte) vorbei, so stund ich voran; grad umgekehrt verfuhr ich, wenn ich wieder bedeckt sein wollte. Zur Linken stund mir ein Tölpel von 6 Fußen, dem ich mit meinem Scheitel, ich meine den, welchen mir der Perückenmacher in Hannover aufgesetzt hatte, an den dritten Westenknopf, von oben gerechnet, reichte. Hinter diesen, dachte ich, willst du dich zurückziehen, wenn du ganz versteckt sein willst, und überhaupt hinter diesem Kerl bist du wie zu Haus. Dort die dicke Dame, grade gegen uns über, in dem blauen Kleide ist die Königin, sagte der Hausknecht, indem sein Zeigefinger seinen Weg nach der Königin durch meine rechte Locke nahm, daß ich fast böse geworden wäre: Halt er das Maul, ich sehe sie schon lange, antwortete ich bloß mit einem kurzen Schütteln des Kopfes, das sich in Nicken endigte. Der Kerl, ob er gleich nichts als ein bloßer Hausknecht war, verstund diese Sprache und überließ mich von der Stunde an meiner eignen Führung.

Die Tafel, woran gespeist wurde, war ein länglichtes Viereck. Die Königin saß an einer langen Seite, in der Mitte zwischen zwo Damen; gegen ihr über eine Dame zwischen zween Chapeaux, und an jeder schmalen Seite noch zwo Damen. Die speisende Gesellschaft bestund also aus einer Königin, sieben Damen und zween Cavaliers. Die Reihe war nicht bunt an der Tafel und konnte es nicht sein, hingegen bei uns (den Zuschauern) war sie es desto mehr, man hätte allemal einen Kavalier auf eine Dame rechnen können, oder eigentlicher zu reden, auf jedes Dienstmädchen einen Handwerkspurschen oder Hausknecht. Die Königin war ziemlich hoch und mit Geschmack frisiert und hatte um den Hals, der übrigens konventionsmäßig bloß war, einen sehr simpeln Schmuck und war, wie Sie schon von dem Hausknecht gehört haben, in blaue Seide leicht gekleidet. Um ihre Arme, die von sündlicher Schönheit sind, hatte sie ebenfalls etwas gebunden. An dem Halsschmuck muß an dem Tage etwas versehen worden sein, denn die eine Hand war öfters bemüht, in jener Gegend etwas zu redressieren, schien aber nichts ausrichten zu können. Sobald sie bei dem Essen eine Hand entbehren konnte, so lehnte sie sich mit vielem Anstand mit dem einen Arm auf den Tisch und aß mit der Rechten allein. Sie war, ohne selbst viel zu reden, sehr aufmerksam auf alles, was geredet wurde, und hielt den Kopf allemal in einer horchenden Stellung gegen die sprechende Person. Sie lächelte öfters und lachte einmal ganz laut, wobei sie die ganze Tischgesellschaft und auch uns ansah. Wir Knechte und Mägde lachten auch mit, ich, indem ich mich hinter den Tölpel zurückzog; denn weil ich mich etwas dabei schämte, so war mir das Mädchen zum Schutz nicht groß genug. Ich hatte von dem Spaß kein Wort verstanden, ob ich gleich sonst Späße und Französisch verstehe. So viel habe ich aber noch kurz vor der Retirade hinter den Kerl bemerkt, daß der Einfall, über den gelacht worden war, von einer von den Damen an der schmalen Seite hergerührt hatte. Die Chapeaux schienen ihn sehr zu approbieren. Übrigens war die Dame von den Jahren, wo der Einfall schon sehr gut sein muß, wenn ein Kavalier darüber lachen soll, nämlich bei 8 Wachslichtern geschätzt 56, also vermutlich 60 Jahr.

Die Königin ist wahrscheinlicher Weise, denn stehen habe sie nicht gesehen, nicht sehr groß, allein stark von Person. Ihre Gesichtsfarbe ist gesund, meliert, aber doch mehr weiß als rot. Ihre Augen zwar nicht lebhaft, aber durchdringend und verraten Nachdruck, Feuer und Geist. Der Heroismus, den sie bei ihrer Arretierung bewies (denn sie kriegte den Offizier, der ihr den Arrest ankündigte, beim Schopf zu fassen), ist in ihrem Gesicht, wiewohl mit sehr viel weiblicher Sanftmut verwaschen, ausgedrückt. Auf dem Wall hat sie zwei Zelten aufschlagen lassen, unter welchen sie frühstückt und des Abends Tee trinkt. Bei schönem Wetter geht sie durch die Straßen der Stadt spazieren, gibt den Kindern die Hand, läßt sich dieselbe von ihnen küssen und spricht mit den Leuten. Sie ist da sehr geliebt, und es ist wohl kein Paar Fäuste in Celle, das nicht willig nach dem spanischen Rohr oder nach dem Dreschflegel griffe, wenn einmal einer von den Schuften, ich meine ihren Feinden, seinen Weg durch die dasigen Gegenden nehmen sollte.

Von Celle nach Hamburg hat sich mit mir nicht viel Sonderliches zugetragen, es war abscheuliches Wetter und ich saß in einem Fußsack bis unter die Arme. Diese angenehme Lage bei einem kalten nassen Wetter brachte bei mir ein paar Gedanken auf die Flügel, die bisher sich immer eingehalten hatten. O wenn Sie die wüßten, wenn Sie wüßten, was ich in Hamburg gesehen, gehört, gegessen, gelacht und getan habe, da würden Sie sagen: der kleine Professor ist doch ein loser Schalk, und dann einmal: O die ehrliche Seele; am Maul bricht er sichs ab, der arme Teufel; ach, der gute Mann; der Spitzbube, wart, ich will ihm machen. Aber was denn? machen Sie, was Sie wollen. Ich bin doch Ihr ergebenster Diener und Freund

G.C. Lichtenberg

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