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An Friedrich Christian Lichtenberg

Göttingen, den 21. Juni 1790

Mein lieber Bruder!

Endlich, endlich scheint es, als wenn der Himmel mich meinen Freunden noch auf einige Zeit wiedergeben wollte. Ich finde nun erst seit 8 Tagen, daß meine Kräfte und mein Mut und meine Heiterkeit wiederkommen, ob dieses reelle oder bloß scheinbare oder Interims-Besserung sei, will ich nicht ängstlich untersuchen und danke dem Himmel mit Inbrunst dafür. Was ich gelitten habe, mein lieber Bruder, ist unmöglich auszudrücken, und in den letzten Zeiten, wo die Schmerzen zwar nachließen, stellte sich eine Auszehrung ein, die mich gleichgültig gegen alles machte, so wie auch gänzlich unfähig etwas zu unternehmen. Die geringsten Bewegungen des Gemüts oder des Leibes verursachten mir einen Puls, der mehr einem steten Triller als abgesetzten Schlägen glich, dabei wurden mir Hände und Füße kalt und bei jeder Bewegung stellte sich ein Schwindel ein, der mir mit unmittelbarer Auflösung drohte. Schreiben konnte ich öfters wochenlang gar nicht, nicht einmal Büchertitel für die Bibliothek. Noch begreife ich kaum, wie ich den langen Brief wegen der Sämereien an den Vetter habe schreiben können, es war aber bloß eine temporelle Stärkung vermutlich, die mir der Gedanke an Säen und Pflanzen, an den Frühlingsgeruch und meinen Garten mitteilte, was mich so lange erhielt. Siehe, lieber Bruder, dieses war auch die Ursache, warum ich Deinem Wunsche, an den Landgrafen zu schreiben, nicht habe willfahren können. Schon die Vorstellung, daß ich so etwas tun sollte, machte mich ängstlich, und ich habe oft, wenn es mir einfiel, anfangen müssen, etwas zu unternehmen, das mich ganz von mir wegbrachte. Mein gewöhnliches Mittel war in solchen Fällen, in allen Sprachen, die ich etwas verstehe, bis auf 100 zu zählen. Es wird ja aber jemand diesem braven Herrn gesagt haben, daß ich krank bin. Indessen hoffe ich es künftig einmal wiedergutzumachen.

Nun seit 8 Tagen etwa verspüre ich sehr merkliche Besserung, und diese habe ich größtenteils folgender Lebensart zuzuschreiben, die ich seit 5 Wochen führe. Ich wohne auf einem sehr angenehmen Garten in einem herrlichen Zimmer, das rund herum den vortrefflichsten Prospekt hat. Des Morgens um 4 Uhr stehe ich auf und bin um 5 Uhr, wenn es die Witterung verstattet, schon im Garten, wo ich eine Schale Bouillon, die ich aus der Prinzen Küche erhalte, ausesse und eine Stunde nachher den Driburger Brunnen trinke. Um halb 9, wenn es heiß wird, gehe ich auf mein Zimmer, lese und gehe umher bis um halb 12. Dann fahre ich in die Stadt, esse da, präpariere mich auf mein Collegium und lese von 4-5 vor gerade jetzt 106 Zuhörern, worunter 4 Grafen sind. Um 5 fahre ich in der Gegend umher und bin um 7 Uhr wieder auf dem Garten, wo ich etwas kalte Schale und Salat esse, lese und spaziere dann wieder und lege mich um 9 oder halb 10 zu Bett. Des Sonnabends und des Sonntags bin ich ganz auf dem Garten. Dieses hat geholfen, meine Heiterkeit kommt wieder, so wie Vergnügen an der Arbeit.

Erlaube mir nun, lieber Bruder, daß ich schließen darf; sobald ich ganz hergestellt bin, werde ich einen Brief an Dich anfangen und täglich fortsetzen, der Dich näher mit meiner Lage bekannt machen soll. Noch bitte ich, mich der Jungfer Base und allen Freunden gehorsamst zu empfehlen, namentlich noch dem lieben Vetter. Danke ihm recht sehr für seine prompte Besorgung meiner ungestümen Aufträge. Künftigen Sonntag esse ich von seinem Schnittkohl, es würde schon eher geschehen sein, wenn mir die Erdflöhe nicht darin zuvorgekommen wären. Der Frau Schwester bezeige mein herzliches Beileid; es ist keine Phrase, die ich da schreibe, ich liebe die gute Frau, und Mitleiden mit Kranken zu haben, hat mich der Himmel in den letzten 8 Monaten gründlich gelehrt. Lebe recht wohl. Cura ut valeas. Was doch die Römer für Leute müssen gewesen sein, ihre Briefe immer mit Cura ut valeas meque mutuo diligas zu schließen. Es ist alles, mein lieber Bruder, was ich in der Welt Gottes von Dir verlange. Lebe recht wohl....

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