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An Johann Christian Dieterich

Hannover, den 21. März 1772. Sonnabends morgends um 8 Uhr

Lieber Dieterich!

Guten Morgen zum erstenmal auf meiner neuen Stube, die noch einmal so groß und noch einmal so schön ist als meine andere. Gleich bei meinem Aufstehen diesen Morgen, als ich zum erstenmal an das Fenster in dieser Stube trat und das gläserne Schild betrachtete, das mein Wirt ausgehenkt hat (des bessern applausus wegen vermutlich), machte ich sogleich eine Entdeckung die ich notwendig angeben muß, weil sonst im künftigen viel kritisches Blut verschwitzt oder gar verspritzt werden könnte, um mich mit mir selbst zu vereinigen, da es doch in diesem Stück unmöglich ist. Du und ich haben uns nämlich beide in dem Namen meines Wirts geirrt, er heißt nicht Mettmershaußen mit zwei t, auch nicht Metmershaußen mit einem t, noch viel weniger Meckmershaußen mit einem ck, wie Dieterich und sein Anhang bloß gemutmaßet haben, sondern Mechmershausen mit einem ch, ich habe dieses von dem Originalschild diesen Morgen abgeschrieben und nach der Hand noch einmal verglichen, um allen Einwürfen vorzubeugen, die etwa von meinen jetzigen bösen Augen könnten hergeholt werden. Ich schätze mich in der Tat recht glücklich, daß ich noch bei meinen Lebzeiten den Samen zu unendlichen Streitigkeiten gleichsam in der Geburt erstickt und dadurch dem immer mehr einreißenden gedruckten Packpapier nach Vermögen steure. Glaube nicht, Gevatter, daß dieses leeres Geschwätz sei, die Hälfte der Bücher, die Du hast, handeln von solchen Materien, wie Dir die Herren Boie und Falck erweisen können, und unnütze Quartanten würden weggefallen sein, wenn sich mancher Mann hätte die kleine Mühe nehmen wollen, einen Riegel von einem Quartblättchen, wie ich hier getan habe, vor das rechte Loch zu schieben. Nachdem ich nun einer der heiligsten Pflichten, ich meine der Pflicht gegen unsere Ur-Ur-Enkel, ein Gnüge getan, so gehe ich mit desto größerer Leichtigkeit mit Herz und Feder an die Beantwortung Deines Briefs.

Er wurde mir gestern abend in einer starken und vergnügten Gesellschaft bei Herrn Kriegssekretär Ramberg, zugleich mit einem Glas Punsch, in die Hand gesteckt; weil mir die Wahl zwischen einem Glas Punsch und einem Brief von Dir nie schwer fällt, so hatte ich würklich Deinen Brief schon ganz offen in der Hand, ehe ich einmal dachte, daß der Kerl auch noch Punsch hätte. Er ist von Dieterich, sagte ich zu Schernhagen, der neben mir saß, nun der gute Dieterich schreibt doch auch recht fleißig an Sie, sagte der Mann mit seinem ehrlichen Ton; eine vortreffliche Gelegenheit, dachte ich bei mir selbst, Dietrichs Gesundheit zu trinken, und nun nahm ich den Punsch, schloß Christelchen mit ein, und das hieß ich mir Punsch. Das Rezept kann ich euch geben: ihr nehmt etwas Arrak und etwas Wasser und Zitronen und Zucker, dann (schade nur, daß es kein Gewürzkrämer verkauft) schließt ein empfindliches Herz ganz der Erinnerung an eure Freunde auf, und wenn euch die Hoffnung sie wieder zu sehen Freudentränen in euer Auge treibt, so trinkt geschwind auf ihre Gesundheit, das ist der wahre Punsch und der wahre Comment. – –

Mein Gott, was für ein Bauermägdchen habe ich soeben gesehen! Sie hatte eine feine Serviette über den Kopf geschlagen und unter dem Kinn zugesteckt, ich kann noch nicht begreifen, woher ich weiß, daß sie eine Serviette um den Kopf hatte, denn meines Wissens habe ich ihr nur immer grade auf die Augen und auf den Mund gesehen. Zum Unglück hatte sie nichts zu verkaufen, was ich brauchte, und umgekehrt, was ich brauchte verkaufte sie nicht. Gütiger Gott, dachte ich bei mir selbst, was sind doch alle irdischen Apotheker-Augen-Salben gegen die deinigen gerechnet, und mit diesem Gedanken kehrte ich meine Augen weg, damit so wenig als möglich von der Salbe auf das Herz fiele. Ich wollte Deinen Brief beantworten, und da kam das Bauer-Mägdchen dazwischen, also nun da es weg ist, so wollen wir an unsere Arbeit.

Du schreibst mir, Du hättest schöne Regenspurger Mädte bekommen, weil man nun bei mir: der Met sagt, so verfiel ich in einen lächerlichen Fehler und dachte, Du hättest Regenspurger Mägde gemeint (ganz ohne Scherz). Nun dachte ich: noch mehr schöne Mägde, wo will das hinaus, ich las weiter: die wie Ungarischer Wein schmecken, was Henker, Regenspurger Mägde schmecken wie Ungarischer Wein, das ist doch sonderbar, aber das muß ich sehen, wenn ich nach Göttingen komme, nun weiter, und haben wir Deine Gesundheit darin schon etlichemal getrunken, dieses verstund ich nicht, und nun fing ich an zu glauben, das ganze sei eine Allegorie oder ein Mißverständnis von meiner Seite, und es war das letztere würklich; mußte auch wohl eines sein.

Zwischen dieser Zeile und dieser: war ich etwas vor dem Tore, jetzo ist es ¾ auf 3 des Sonnabends und meine Augen sehr erbärmlich, ich weiß nicht was ich anfange, endlich werde ich doch noch nach Herrn Zimmermann schicken müssen. Das Bauermägdchen kann unmöglich schuld daran gewesen sein, unterdessen will ich Herrn Zimmermann fragen. Dein Rezept, das Du mir versprochen, finde ich nicht, oder soll es das sein, daß ich keinen Wein trinken soll, am allerwenigsten ungarischen. Wahrlich nicht, gestern habe ich 2 Gläser leichten Punsch nach obigem Rezept getrunken, sonst nichts, und der Argwohn meines Bedienten ist seit neulich so hoch gestiegen, daß er immer das Bette selbst machen wollte, wenn ich den ganzen Nachmittag zu Hause war, es auch etlichemal gemacht hat, diese unnötige übelangebrachte Vorsicht des Kerls, der sonst unverbesserlich gut ist, hat es, bloß der Hausleute wegen, nötig gemacht ihm einen derben Verweis zu geben, ohnerachtet ich nicht die mindeste Neigung habe mit der unausstehlichen Magd zu spielen. Als sie zum erstenmal wieder in die Stube kam, hatte er doch wieder so viel Eifer, daß er auf der Diele so laut zu ihr sagte, daß ich es hören konnte, spreche sie nicht mit dem Herrn, der hat mehr zu tun, als sich mit ihr abzugehen. Sie sagte etwas sehr geschwind, das ich nicht verstehen konnte, und trat herein. Wie nah doch Utschitels und Bediente einander sind, bald läßt sich jener zu diesem herab und muß, und bald nimmt sich dieser die Erlaubnis sich zu jenem hinauf zu schwingen, ohne Befehl dazu zu haben, was aber auch der Erfolg sein mag, so habe ich mir fest vorgenommen, dem meinigen die Flügel zu beschneiden und die Grenzen gnauer zu bestimmen.

Die Frau Professor Hollmann habe ich gekannt, aber den Hund von dem Grafen von Salmour nicht, der Tod gefällt mir beinah seiner Unparteilichkeit wegen, die Frau eines Philosophen und der Hund eines Grafen sind ihm einerlei, welcher Mensch macht nicht einen Unterschied hier zwischen.....

Hier habe ich nicht einmal einen Hund zu dem ich sagen kann Du? (ich muß dieses so ganz abgerissen hinschreiben, um mein Herz etwas zu erleichtern, das mir soeben über einem gewissen Gedanken anschwoll). Einen Papagei wollte ich mir heute kaufen, aber der Kerl forderte 6 Louisdor, das Tier wäre gerne bei mir geblieben. Ich will mir es sehr gerne einen Louisdor des Monats kosten lassen und mir jemand mieten den ich duzen kann, der sich in die Backe kneipen läßt und sonst aus einer feinen Erde gemacht ist. Wenn ich nicht bald hierzu tue, so merke ich schon was es geben wird, ich werde des Tages 4mal in der Bibel lesen, gelbe Ringe um die Augen bekommen und meine Briefe mit: Dero Geehrtes habe erhalten, wenn Dieselben noch wohl sind pp anfangen.

Daß Christelchen meinen Brief nicht verschmäht hat, sagt mir auch Herr Boie. Du kannst nicht glauben, was für Festigkeit diese Überzeugung meinem Innern gegeben hat. Ich hätte ihr heute wieder geschrieben, um ihr meine Dankbarkeit deswegen zu bezeigen, wenn nicht über eine Kleinigkeit die gar nicht hieher gehört etwas Unruhe innerhalb meiner wieder entstanden wäre, und dieses muß erst gedämpft sein, eher getraue ich nicht an Damen zu schreiben, sie bemerken Dinge die unsereiner vorbei geht. Ich höre, sie will mir wieder antworten; so unschätzbar mir ihre Briefe auch sind, so heilig ich sie aufbewahre (denn am jüngsten Tag will ich ihr sie alle noch zeigen, wenn sie sie sehen will), so muß ich doch bitten, da sie mehr zu tun hat als Briefe an mich zu schreiben, sich durch diese Korrespondenz nicht binden zu lassen, sondern sie kann mich ruhig drei-viermal schreiben lassen und dann einmal mir armen Fremdling wieder etwas von einer Verbrämung dafür zuwerfen, und ich will mich gern für reichlich belohnt halten.

Montag [23. März] früh um 7 Uhr

Gestern hatte ich Besuch, der auch den Abend bei mir blieb, unter diesen war Herr Geheimer Sekretär Schernhagen, er gab mir gleich bei seinem Eintritt in die Stube das Rezept für meine Augen, nebst einem Gruß und einem gerechten Verweis von Herrn Dumont. Wie das Rezept ist, werde ich erfahren, der Verweis ging mir just auf den rechten Fleck und war vortrefflich: Zum Beweis, hieß es, daß ich mehr an ihn denke, als er an mich, schicke ich ihm hier ein Mittel für seine Augen. Sage ihm für beides in meinem Namen herzlichen Dank und versichere ihn, daß ich täglich an meinen Bruder denke und ihm noch keine Zeile geschrieben habe, ich könnte ihm noch andere Personen nennen, der Mensch ist in diesem Stück überhaupt ein besonderes Ding und der Professor Lichtenberg nun gar noch ein besonderer Mensch. Ich will ihm aber ehestens schreiben oder mich in den Briefen an Dich zuweilen an ihn wenden. Empfehle mich seinem ganzen Hause.

Den gestrigen Nachmittag hatte ich ausgesetzt, an Herrn Boie und einige andre Freunde zu schreiben, und ich konnte ihn nicht für mich behalten, daher fallen diese Freunde heute aus. Sage Herrn Boie, daß ich ihm mit der nächsten fahrenden Post antworten werde. Grüße alle guten Freunde und sei versichert, daß ich beständig sein werde Dein treuer Bruder

G.C.L.

Mit meinen Augen ist es heute wieder so ziemlich leidlich, aber es hält nicht Bestand. Adieu.

An den Herrn Grafen von Wittgenstein und Herrn Hofrat Bode vermelde meine untertänigste und gehorsamste Empfehlung.

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