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An Johann Christian Dieterich

London. Den 18. Oktober 1775

Mein lieber Dieterich

Da der Himmel in allen seinen Absichten weise und gerecht ist, so freue ich mich immer, wenn ich diese Weisheit und Gerechtigkeit in solchen von seinen Ratschlüssen entdecke, denen man sich gemeiniglich mit Unwillen unterwirft. Der Tod Deines kleinen Töchterchens hat mir diese Art von philosophischer Freude gemacht und allerlei Betrachtungen in mir veranlaßt, mit denen ich Dich zu einer andern Zeit unterhalten will. Ich beklage weder Dich noch sie. Sie hat geschlafen, Brei gegessen, ist vermutlich oft genug geküßt worden, hat ihren Eltern Freude ohne Verdruß gemacht, und hat also Vergnügen gehabt und welches gegeben. So konnte sie wieder eingeschmolzen werden. Diejenigen Pflichten eines tugendhaften Mädchens, die sie nicht erfüllen konnte, werden Deine andern statt Ihrer über sich nehmen, die hoffentlich der Himmel nicht eher einschmelzen wird, bis Ihr Bild abgegossen ist. Sei also zufrieden, mein lieber Dieterich, und gehe an Deine Arbeit, und ich will desgleichen tun, sobald ich noch ein paar Zeilen geschrieben habe.

Am vergangenen Sonnabend habe ich des Abends von 6 bis 8 in Kew ganz allein bei beiden Königlichen Majestäten zugebracht. Du kannst versichert sein, daß ich Deine Sache vorbringen will und zwar so gut als es die Umstände verstatten.

Ich werde entweder den 30ten Oktober oder den 3ten November abreisen.

Vorgestern abend bin ich von einem Pagen des Königs Herrn Garrick vorgestellt worden. Ich wurde nachher in seine Loge geführt und sah in Gesellschaft seiner Frau ein Stück des Shakespeare aufführen. Er machte mir ein großes Kompliment, das ich wohl anführen darf, weil ich es bloß für eines halte. Er sagte, er hätte noch nie einen Ausländer so englisch sprechen hören wie mich und sollte mich kaum für einen halten. Neulich reiste ich durch Stratford am Avon in Warwickshire, dem Ort wo Shakespeare geboren ist. Ich sah sein Haus und habe auf seinem Stuhl gesessen, von dem man anfängt Stücke abzuschneiden. Ich habe mir auch etwas davon für 1 Schilling abgeschnitten. Ich werde es in Ringe setzen lassen und nach Art der Lorenzo-Dosen unter die Jacobiter und Göthiter verteilen.

Die Haubenstöcke zu Deinem Kalender sind gut gestochen. Ich habe einen Mann ausgemacht, der alles übernehmen wird, gegen einige Erkenntlichkeit. Ein Mann von geprüfter Ehrlichkeit und Gnauigkeit. Für Gröningen habe für 19 Guineen Kupferstiche gekauft. Sein Haus in Bremen verdient also wohl von Reisenden besucht zu werden.

Grüße alle Freunde und Freundinnen. Der Wagen, in dem ich nach Kew reise, steht schon vor der Tür.

Ich habe alle Briefe und Päckgen richtig erhalten.

Lebe wohl. Mein Auge ist nicht mehr entzündet, allein es sind Umstände zurückgeblieben, die mich, fürchte ich, früh oder spat um das Gesicht bringen werden.

G. C. Lichtenberg

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