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An Christiane Dieterich

Hannover, den 26ten Junius 1772

Madam

Sie können nicht glauben was für ein Abend es gewesen ist. Die Luft, die den ganzen Tag über beinah in einem kochenden Zustand gewesen war, fing nun an in dem entzückendsten Gleichgewicht zwischen Wärme und Kühlung, welches allein schon in allem Fleisch die schönsten Empfindungen hervorbringen kann, stille zu stehen. Von dem angenehmen Wasser bei meinem Garten wurde ein so feiner Himmel zurückgeworfen, als man nur immer zu Darmstadt sieht. Einige Schwanen, die einen feinen Abend ebenso gut zu schmecken wissen als das Geschöpf, dessen Busen zu malen die Dichter oft die Farbe des Schwanes borgen, plätscherten in dem Widerschein des Himmels, nicht weit von einem natürlichen Canapee, in welches ich mich geworfen hatte. Da lag ich, anfangs fuhr noch dann und wann ein kleines Wünschgen durch meinen Kopf, das mich etwas beunruhigte, bis es endlich ebenfalls in mir zu einem Gleichgewicht kam, zu welchem mich die Natur einzuladen schien, und welches ich für einen so reizenden Zustand, vielleicht für den zweiten im Rang in dieser Welt erkenne, daß ich ihn zu Bezeugung meiner Menschenliebe allen rechtschaffen zum guten Morgen wünsche. Was glauben Sie nun, Madame, was für eine Strafe würde derjenige verdienen, der einen Unschuldigen um den völligen Genuß eines solchen Abends brächte? Wie? Ich sehe, Sie wollen ein strenges Urtel sprechen. Aber halten Sie ein – oder mildern Sie es wenigstens, denn Sie sprechen es sich selbst. Ja, Sie haben mich mit Ihrem Brief um den ganzen Abend gebracht, damit, daß Sie mich einen Hofmann schelten, an meiner Aufrichtigkeit zweifeln, und was das Entsetzlichste ist, glauben, daß ich mich parfümiere. Sie machen mir durch diesen Vorwurf das einzige Besitztum streitig, das ich noch ungestört in diesem Leben zu haben hoffte, nämlich daß ich allezeit ein offenherziger Dorfjunge gewesen bin. Was kann ich denn dafür, daß Sie so schöne Briefe schreiben, warum haben Sie mir nicht solche wie ....... geschrieben, so hätte ich gewiß nicht gesagt, sie wären schön. Und mit einem Wort (kein Wunder wenn man böse wird), daß Sie es wissen, Sie und Ihr Mann können mir nicht verbieten zu sagen, daß mir Ihre Briefe gefallen, ja und Sie nicht einmal, wenn ich Ihnen sagte, daß Sie mir selbst gefielen, daß mir aber Ihr Mann einmal eine Ohrfeige deswegen geben könnte, das ist eine ganz andere Frage. Ich wollte nur, daß Sie der Kützel ankäme die Sache mit den Briefen bei der Deutschen Gesellschaft anhängig zu machen, Sie sollten mir so gewiß in die Prozeßkosten verdammt werden, als ich Görgel heiße. Doch ich will nun stille von dieser Sache sein, teils weil ich von friedlicher vergebender Gemütsart überhaupt bin, und teils weil ich mir fest vorgenommen habe, wenn ich gesund bleibe, mich auf irgendeine eklatante Art zu rächen. Nun bin ich wieder etwas kühler, also nicht mehr Madam, sondern liebste Frau Gevatterin, grüßen Sie mir Ihren werten Mann und alle Freunde und erwarten Sie nächstens eine Antwort auf die übrigen Artikel Ihres Briefes von Ihrem

aufrichtigen Freund und ergebensten Diener

G. C. Lichtenberg

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