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An Abraham Gotthelf Kästner

London, den 17ten April 1770

Wohlgeborner Herr,

Hochzuehrender Herr Hofrat

Ohnerachtet ich seit meines Aufenthalts in London noch nichts gesehen oder gehört habe, was Ew. Wohlgeboren als einen Gelehrten interessieren könnte, so nehme ich mir doch die Freiheit bei der ersten Gelegenheit an Sie zu schreiben. Denn außerdem, daß ich vielleicht gar niemals würde schreiben können, wenn ich etwas Merkwürdiges für Sie abwarten wollte, so bin ich überzeugt, daß Sie auch eine Nachricht von meinen gegenwärtigen Umständen nicht ungern lesen werden, da Sie jederzeit so vielen Anteil an denselben genommen haben. Ich bin am 10ten dieses Monats sehr gesund und beinah am gesündesten unter der ganzen Reise-Gesellschaft hier angelangt. Die Reise dauerte 15 Tage, war äußerst verdrüßlich und oft mit Lebensgefahren verbunden, 3 Meilen hinter Osnabrück brach unsere Chaise so, daß wir eine andere kaufen mußten, wenn wir nicht einige Tage in einem elenden Ort bleiben oder nach Osnabrück zu Fuß zurückkehren wollten. Auf der See habe ich zwei Tage und zwei Nächte zugebracht und über 8 Stunden in einem solchen Sturm, daß unser Vordersegel riß, und die meisten Seeleute seekrank wurden, welches so selten geschieht. Der Kapitän sah sich genötigt, um tiefere See zu gewinnen, nordwärts zu segeln, weil wir alle Augenblicke befürchteten ans Land anzulaufen, so kamen wir über die Breite von Yarmouth hinauf; durch einen Zufall kam eine Öffnung in das Schiff in der Gegend wo mein Bette stund, und eine Welle schlug so herein, daß alles durch naß wurde, ein Neger sah es und hatte so viel Weichherzigkeit in diesem großen Lärmen und da man kaum einen Schritt gehen konnte, mir ein anderes Bette zu bringen. Den folgenden Tag drehte sich der Wind und zwar so vorteilhaft für uns, daß wir in Zeit von 16 Stunden den ganzen Fehler wieder gut machten und des Abends um 10 Uhr im Hafen zu Harwich ankerten. Meine Krankheit auf der See dauerte von morgends 10 Uhr bis abends nach fünfe und hat mich bei weitem nicht so angegriffen als einige andere Personen auf dem Schiffe.

In Utrecht hat mir Herr Hennert, bloß weil ich von Göttingen kam, sehr viele Ehre erzeigt, er führte mich auf das Observatorium, das unter seiner Aufsicht eben nicht sehr zu blühen scheint. Es liegt in der westlichen Seite der Stadt auf dem Walle, und Herr Hennert wohnt an der östlichen auch beinah auf dem Walle, eine gute halbe Stunde davon, sonst aber ist ein kleines Auditorium da, wo Herr Hennert zuweilen die Astronomie liest, auch wohnen Leute in den untersten Etagen, so daß er seine Bequemlichkeit haben kann. Der Turm ist ziemlich hoch 4eckigt, oben steht ein kleines rundes Gebäude darauf, welches ein bewegliches Dach von Holz mit Blei gedeckt hat, rings um dieses runde Häusgen bleibt ein sehr bequemer Platz für große Tubos, in allen diesen Stücken ist es bequemer als das Göttingische. Einen Mauerquadranten haben sie nicht, aber ein vortreffliches Passage-Instrument und ein besonderes Instrument für korrespondierende Sonnenhöhen, von einem Engelländer vortrefflich gearbeitet, einen Azimuthal-Quadranten und einen andern von 2-l/2 Fuß, der auch zu Messungen auf dem Felde gebraucht werden kann, außerdem eine Menge kleiner Instrumente von Muschenbroek. Herr Hennert wünscht sehr mit Ihnen mündlich zu sprechen und ist sehr geneigt einmal eine Reise nach Göttingen zu wagen. Herr Professor Hahn war nicht zu Haus, und ich hatte auch nicht Zeit 2mal nach seinem entlegenen Haus zu gehen. Utrecht und der Haag sind übrigens solche schöne Örter von so neuem und außerordentlichem Ansehen für mich, daß ich mich damals schon reichlich für die vielen Stöße und Unbequemlichkeiten in Westfalen belohnt hielt. Durch Leiden bin ich des Nachts um 3 Uhr auf dem Kanal gekommen, es war nicht in meiner Macht, still zu halten, ich ließ mich wecken, und es war ein seltsamer Zustand für mich, durch eine der berühmtesten Städte so stille durch zu kommen, ich sah die Gipfel einiger prächtigen Gebäude gegen den hellen Himmel und hörte ein Glockenspiel, dieses war Lugdunum batavorum gesehen.

Mylord Marchmont, des Lord Polwarths Vater, ein großer Verehrer der Deutschen, hat mich auf meiner Stube besucht, ich habe nie einen eifrigeren Verehrer von Wolffen in Deutschland gesehen als diesen Herrn, als ich neulich im Hause der Lords einer Versammlung beiwohnte, sprach er zum ersten Mal und nur einige Minuten mit mir, und dennoch fing er von Wolffen an. Er wunderte sich etwas spöttisch, daß die Deutschen viele Sachen erfänden, die man in Engelland nicht nachmachen könnte, und nennte mir Winklern in der Elektrizität und Herrn Störeken mit seinem Schierling. Die Aufnahme der Deutschen Literatur in Engelland würde sehr gewinnen, wenn noch etliche solche Lords hier wären. Er versicherte mich von Harrisons Time-keeper, daß die so sehr beschriene Genauigkeit desselben vermutlich ein bloßer Zufall sei, und konnte mir nicht genug beschreiben was für elende Leute die englischen Künstler gemeiniglich in der Theorie wären. Er kann nicht begreifen, wie sie im Stande sind, Maschinen, die sie oft ganz falsch erklären und verstehn, so gut zu verfertigen. Einen einzigen hat er mir gerühmt, den ich auch besuchen werde. Herrn Demainbray habe ich noch nicht gesehen, weil er in Richmond wohnt, wohin ich erst künftige Woche kommen kann. Ich muß hier etwas zu vornehm leben um viel lernen zu können, ich wollte viel darum geben, wenn ich mit meiner Göttingischen Niedrigkeit in London leben könnte, so aber bin ich genötigt mich täglich zweimal auf verschiedene Art anzukleiden, immer in großen Gesellschaften zu sein und zu speisen, neue Lebensart zu lernen, die ich jenseit der See nie brauchen werde und kann.

Ich habe den König im Parlamentshause gesehen mit der Krone, die Pauls-Kirche, Westmünsters Abtei, Carlton-Haus, den Palast der Prinzessin von Wallis, und im Britischen Museo bin ich gestern gewesen und habe ein Billet erhalten es nächste Woche zu besehen. Ich werde vermutlich nicht sehr lange hier bleiben und alsdann bei meiner Zurückkunft Ew. Wohlgeboren eine genauere Beschreibung von allem geben was ich gesehen habe. Ich erwarte unterdessen Ew. Wohlgeboren Befehle und werde alles mit größter Genauigkeit besorgen, wenn ich noch hier sein sollte. An Herrn Baumann bitte ich gehorsamst meine Empfehlung zu vermelden, wo es möglich ist, werde ich ein gutes Stück Crown und Flint-glass mitbringen. Ich habe die Ehre zeitlebens zu verharren

Ew. Wohlgeboren ganz ergebenster Diener
G. C. Lichtenberg

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