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An Samuel Thomas Sömmerring

Nun, teuerster Freund, tausend Dank für Ihre Vergebung meiner Sünden. Es soll nicht wieder geschehen. Ich will gewiß präziser antworten. Freilich jammerschade, daß sich auf das Fleisch nicht rechnen läßt, sobald die Nerven schwach sind. Ich habe wahrlich den besten Willen, kann aber gar nicht auf mich oder eigentlich meine Gesundheit rechnen.

Für Ihre herrlichen Bemerkungen über die Guillotine bin ich Ihnen recht sehr verbunden. Gerne rückte ich sie ein, wenn die Damen so was vertrügen, diese Untersuchungen sind in der Tat ein wenig schauderhaft. Auf alle Weise würde ich aber den Aufsatz aufnehmen, wenn Sie mir erlaubten Sie zu nennen. Denn Beiträge von solcher Hand kann man einiger gespaltenen hysterischen Trembleusen wegen nicht weglegen. Ich erbitte mir hierüber Ihre baldige geneigte Erklärung. Mir ist eingefallen: sollte nicht eine Durchschneidung des Rückenmarks doch allem Bewußtsein ein Ende machen? In Darmstadt tödete man ehemals die Ochsen so, daß man ihren Kopf an die Erde zog, hiernach stieß ihnen der Metzger ein kleines Messer in das Genick, in dem Augenblick fiel das Tier zur Erde und regte sich nicht mehr. Freilich fing er, sobald ihm nachher die großen Arterien am Halse durchschnitten wurden, wieder sehr an zu zappeln. Ich glaube aber gewiß, wenn man das Tier so gelassen hätte, so wäre es ohne alle Bewegung gestorben. Beim Köpfen geschieht nun freilich beides zugleich. Oder ist die Betäubung des Tieres bloß scheinbar und besteht etwa bloß in einer Lähmung der Glieder bei übrigens bleibendem Bewußtsein? Ich fürchte fast, es ist so was. – Ich erinnere mich in Pitavals Causes célèbres gelesen zu haben, daß ein junger Gelehrter, dessen Namen ich vergessen habe, der sich bei der Enthauptung die Augen nicht wollte verbinden lassen, als der Kopf abflog, sich ganz frei umgesehen und dabei die untere Kinnlade so stark bewegt habe, daß der Kopf darüber zu rollen anfing. Hat der wohl seinen Rumpf gesehen und erkannt? Oder hat er noch den Rumpf gefühlt?

Es freut mich sehr, daß das Traktätchen über die Augen so vielen Beifall erhält und daß es Nutzen stiftet. Ich wüßte jetzt aber nichts hinzuzusetzen, wenigstens nichts was Sie, teuerster Freund, nicht unendlich viel besser könnten. Ich glaube aber, es wird fast am besten sein, wenn es nicht zu gelehrt und auch nicht zu weitläuftig wird, auch nicht viel teuerer.

Wenn Sie meinen lieben, dicken Freund Varrentrapp sehen, so danken Sie ihm in meinem Namen für sein Genealogisches Handbuch recht herzlich, und sobald der herzliche Dank von ihm angenommen ist, so gehen Sie allmählig zu einem Verweis über, so derb Sie ihn nur geben können. Stellen Sie sich vor, der Mensch war in Kassel und kam nicht hieher. Ist das nicht abscheulig? Ich erfuhr von einem Purschen, daß er da wäre, und weil mir zugleich erzählt wurde, daß er willens wäre von da nach Frankfurt zu echappieren, so schickte ich einen Expressen ab ihn dort arretieren zu lassen, der Mensch kam aber zu spät. Aber warte, er solls kriegen. Diesesmal wars ein Expresser, das nächstemal wirds ein Steckbrief.

So sehr ich Sie, mein Teuerster, in Ihrer gegenwärtigen Lage bedauern muß, so würde ich doch einen Teil meines noch übrigen Lebens gerne hingeben, wenn unser vortrefflicher Forster jetzt auch in dieser Lage wäre. Ich kann wahrlich nicht ohne Wehmut an den Mann zurückdenken, so oft dieses auch geschieht, zumal da ich fast wöchentlich etwas erfahre, was mir immer mehr Licht über den Hauptquell alles Unheils gibt, das ihn befallen hat! O wie gerne, wie gerne hätte ich ihm ein paar Bogen gewidmet, wäre ich noch das kinderlose und wegen der Zukunft unbekümmerte frei denkende und frei schreibende Wesen, das ich ehmals war. Jetzt muß es beim frei Denken sein Bewenden haben. Sapienti sat. Wenn Sie einmal ein freies Stündchen haben: so geben Sie mir doch einmal eine etwas detaillierte Nachricht von ihm, vielleicht nütze ich es doch noch einmal gelegentlich, und dann fügen Sie auch etwas von sich selbst bei. Mein Gott, wenn ich Sie doch jetzt einmal sehen und sprechen könnte! Wie machen wir so was mögliche Lieber, lieber Mann, überlegen Sie dieses. Könnten Sie nicht hier warten bis sich das Ungewitter verzogen hat? Es ist doch hier wohlfeiler als jetzt zu Frankfurt.

Nun zum Beschluß noch ein Anliegen. Vielleicht haben Sie irgendwo gelesen, daß ich das Leben des Kopernikus für das deutsche Pantheon schreiben soll. Sie sind des Kopernikus Landsmann. Sind Sie ein Deutscher? Und wenn Sie es sind, was für einen Anspruch machen Sie auf diesen Titul? Helfen Sie mir hier ein wenig, Sie und Kopernikus zu einem Deutschen zu machen. Wenn wir es nur so weit darin bringen, daß der Satz: Sömmerring und Kopernikus sind Deutsche, nicht unerlaubter klingt als der: Kant und Haller sind Deutsche, das hört man denn doch wohl.

Nun leben Sie recht wohl und empfehlen Sie mich den lieben Ihrigen recht herzlich und vergessen Sie nicht

Ihren
G.C.Lichtenberg

Göttingen, den 5ten Junii 1795

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