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An Ludwig Christian Lichtenberg

Mein lieber Bruder,

Der Himmel hat am vergangenen Sonnabend unsere kleine Herde wieder mit einem Mutterschäfchen vermehrt. Ich schreibe dieses mit Empfindungen, die mir kaum noch die Fähigkeit dazu lassen. Sprechen würde ich nicht können, wenn ich Dir dieses in der Wochenstube vor dem Bette sagen sollte. Die Güte, die Geduld und das Vertrauen auf den Himmel bei dieser vortrefflichen Frau, und unsere wechselseitige Liebe, die Freundschaft die täglich wächst, sind nicht für Worte. Sie sowohl als das Kind sind so gesund, als es nur möglich ist. Als ich ihr den liebevollen Schluß Deines Briefs vorlas, drückte sie mir die Hand und wendete ihr Gesicht ab um ihre Freudentränen zu verbergen. Ich bin überzeugt, der Himmel wird sorgen. Sparen und arbeiten muß freilich die Ordre du Jour sein, und in der Welt gibt es dazu für Menschen von Gefühl kein größeres Reizungs-Mittel als Kinder und eine solche Ehe, von der noch gestern gesagt wurde, sie habe wohl nicht viele ihresgleichen in der Welt, und der Anteil, den alle gute Menschen an unserm Schicksale deswegen nehmen, ist unbeschreiblich. Friede und häusliches Vergnügen den ganzen Tag. Liebe für unsere Kinder und unserer Kinder für uns, keinen Pfennig Schulden usw., wer das sehen will, der komme zu uns. Sind wir unglücklich, so haben wir den Trost, es weniger verdient zu haben als irgendeine Familie in der Welt. Um die Fortsetzung Deiner brüderlichen Liebe dürfen wir wohl nicht bitten, denn einen größeren Trost in der Welt haben Wir nicht und schwerlich Du ein Dir mehr ergebenes Herz als unser für sich und Dich vereintes. Wir wollen aber doch, geliebts Gott, sorgen daß die Herde nicht größer wird!

Da ich nicht selbst schreiben kann und mag, so tue uns die Liebe und laß den Vorfall in dem Friedheimischen Hause ansagen, bloß als einen Auftrag von Mir und meiner Frau. Sie werden alsdann zugleich empfinden, daß sie einen Fehltritt begangen haben, da sie Dir die Niederkunft der jungen Madame nicht anzeigten, und doch ist der Verweis auch so, daß es nicht läßt, als hättest Du es übel genommen, da das Ganze bloß ein Auftrag ist. Dieterich wird es freilich schreiben, aber ich wünschte doch, daß auch etwas von meiner Seite geschähe, da die Leute meiner Frau sehr viel Ehre erzeugt haben.

Der Beifall, den Du dem Operi geschenkt hast, ist für mich der größeste Triumph. Wahrlich ich verlange keinen größern Lohn, denn, die Wahrheit zu gestehen, ich habe Dich gefürchtet und fürchte überhaupt (salvis juribus fraternis versteht sich) wenig Menschen als Dich. Lebten wir beisammen, so wollten wir etwas aus dem Werk machen, das schwerlich seinesgleichen haben würde. Das Schreiben ist verdrüßlich, allein wo das pro und contra mündlich Schlag auf Schlag gegeben und pariert werden kann, da geht es ohne großen Gewinn nicht ab, und es entstehen Gedanken von großem Wert, die keiner Partei ganz gehören, und die, isoliert, auch keine Partei gehabt haben würde. Zwei Verbesserungen gehören ganz meiner Frau zu. S.102 Z.4 hatte ich beschnitten statt verstümmelt gesetzt, und sie fand es unanständig. Aber wahrlich, ich bin ihr Dank schuldig für eine andre Verbesserung, deren Unterlassung übele Folgen wo nicht für mich, doch für Dieterich hätte haben können, indem das Buch gewiß zu Wien würde verboten worden sein. Nämlich S.229 Zeile 12 der Note hatte ich gesetzt: Hier ist mehr als Trianon, (auf welches bekanntlich die selige Königin von Frankreich Millionen verschwendet hat). Kaum hatte ich ihr den Sinn erklärt, als sie mir sagte: O das lasse ja weg und wahrlich ich bin froh, daß ich es weggestrichen habe. Jetzt begreife ich kaum wie ich so etwas habe schreiben können. Aber ich dachte bloß an die sinnlose Verschwenderin und nicht an das unglücklichste Geschöpf der ganzen Welt auf dem Schinderkarrn mit abgeschnittnen Haaren und mit an den Ellnbogen durchgescheuertem Wams!!! Meine liebe Frau dachte nur an die letzte Szene, die freilich alles verschlingt. Ich werde sie künftig immer bei ähnlichen Gelegenheiten befragen.

Ihren Gruß an Dich gab Sie mir mit gefaltenen Händen und ich mußte mich entfernen. Lebe recht wohl, mein lieber Bruder. Es wird alles gut gehen.

Den Sterbetag unserer unvergeßlichen Mutter, den 11ten Junii habe ich, wie einen Heiligen-Tag, begangen. Ich glaube, wenn ich fähig wäre irgend in der Welt etwas Schlechtes zu machinieren, so würde der Gedanke an folgende Unvergeßlichen alles in der Brut zerstören, an unsere Mutter, an meine Frau und Kinder und an Dich!

Adieu, Adieu.

Künftig etwas auf Deine Bemerkungen über das Brot und die Kokus-Nußschale. Heute habe ich nicht einen Augenblick mehr Zeit.

G.C.Lichtenberg

[Göttingen.] Den 15ten Junii 95

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