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An Johann Christian Kestner

Wertgeschätzter Freund!

Nun habe ich so lange stille geschwiegen, daß ich wenigstens den unerlaubten Vorteil davon habe, einer Entschuldigung überhoben zu sein, denn es ist leider so erschrecklich weit mit mir gekommen, daß meinen Fehler mit einer Entschuldigung gut zu machen, noch einige Unverschämtheit verraten würde, da mein Stillschweigen höchstens eine erbarmenswürdige Faulheit verrät. Ich unterwerfe mich, wertester Freund, ganz willig Ihrer Gerechtigkeit. Legen Sie mir auf was Sie wollen. Soll ich den Noah oder Gottscheds Kritische Dichtkunst, Beusts Gedichte, den Redlichen Hamburger, den Gedultigen Weisen, Ficktulds Neu-Sublimirten Astral-Geist durchlesen? Gut ich will es tun und mir einen Attestat von dem Magister Kern mit Beilagen geben lassen, daß ich alles mit christlicher Gelassenheit getan habe. Nur müssen Sie mir verzeihen. Ich weiß selbst nicht was ich mache, ich bin so erschrecklich leichtsinnig im Briefschreiben, daß ich würklich dieses Frühjahr willens bin äußerliche Mittel zu gebrauchen, denn in einer kleinen Reichsstadt, wo ich 6 gute Freunde habe, ist man so weit gegangen, daß man mich dieses Punkts wegen pro civiliter mortuo deklarieren wird, und alle meine Briefe, die ich schreibe, sind an den Orten, wo sie hin kommen, bloß ganz unerwartete Beweise, daß ich noch würklich existiere. Herr Klügel soll auch ehestens einen Schein von dem Pastor an der Johannis-Kirche erhalten, daß ich noch würklich lebe.

Sehen Sie, in einem solchen Puppenstand lebe ich für meine Freunde. Vielleicht verwandele ich mich bald, und dann wird es Briefe regnen. Der Himmel gebe es.

Außer diesen betrübten Umständen hat sich wenig Neues mit mir zugetragen, das Ihnen nicht unsere gemeinschaftlichen guten Freunde erzählen können. Vielleicht kann ich Ihnen mit einigen dienen, die sich in der hiesigen großen Welt ereignen werden. Herr Professor Dieze verspricht ein Werk über die spanischen Dichter und noch ein anderes, das einen noch schöneren Titul hat; er hat aber für besser gehalten erst die Mamsell Pentherin zu heuraten, und wie man sagt, so hat das Werk guten Fortgang. Der Direktor der hiesigen löblichen Deutschen Gesellschaft, der Herr Professor und Stilist Murray, hat vor einem Jahr einen Bogen von einem Werk drucken lassen, und statt der Fortsetzung hält er den dritten Feiertag mit der ältesten Friederichs Hochzeit, und ich habe auf diese Vereinigung der schwedischen Literatur mit der deutschen eine ganz artige Ode à 4 Reichstaler 16 Groschen gemacht, die Sie ehestens bekommen werden, und die Sie sogar durchlesen sollen, sobald Sie Miene machen werden mir nicht zu verzeihen. Ich hatte eigentlich auf 4 Taler akkordiert, aber vor zwei satyrische traits, die ich von Anfang angebracht habe, habe ich einen Gulden extra angesetzt, weil man Satyrische Einfälle bei einer Hochzeit-Ode niemals mit akkordieren kann.

Überhaupt mache ich seit einiger Zeit zum Erstaunen Verse, und ich finde dabei die Aufschläge von Kamillen hinter das linke Ohr vortrefflich.

Wir sollen hieher einen Professor der Ökonomie Herrn Springer bekommen, wenn es nur kein Engelbrecht oder ein Professor der Kunst, die Wiesen auf der Studier-Stube zu wässern, ist. Ich bin recht begierig hiervon Gewißheit zu erfahren. Vielleicht ist dieser Umstand weniger eine Neuigkeit für Sie als für mich.

Sie haben doch vielleicht von dem Satyrischen Geist gehört, der sich seit einiger Zeit sogar der hiesigen, parfümierten, entsetzlich frisierten, leeren Stutzerköpfe bemächtigt hat. Die Satyrn sind jetzo häufiger als sonst die blaue Matins mit geborgtem Gold. Der Gestürzte Soliman wird Ihnen vielleicht bekannt sein, und ist er es nicht, so bemühen Sie sich nicht darum. Er ist nicht von Kästnern. Nein, Kästner stürzt seine Solimans anders. Er ist von einem Stutzer, wie ich gewiß weiß, der sich neulich mit einem Wiegen-Lied in die Deutsche Gesellschaft hinein gewiegt hat. Außerdem fand man neulich ein Sinngedicht, auf einen Baron, der neulich abgereiset ist, vermutlich Herrn von Schönberg, weil es auf diesen ziemlich paßt, es ist nicht sonderlich, aber doch besser als der Mufti. Hier ist es.

Charakter eines Barons der neulich Göttingen verließ.

Steif, unbesonnen, stolz auf seinen Federhut Und in der feigen Brust tief-adlich dummes Blut, Hochmut und Unverstand auf der frisierten Stirne, Im Beutel selten viel und nichts in dem Gehirne.

Nie still am rechten Ort, gesprächig im Konzert, Geboren für den Ball und das Philister-Pferd, Vernünftigen verhaßt: Das heißt mit wenig Worten, Er war der würdigste von seinem ganzen Orden.

Jetzo bitte ich nochmals wegen meines Stillschweigens um Vergebung und bin mit bußfertigem Herzen

Deroselben ergebenster Freund und Diener
G. C. Lichtenberg

Göttingen, den 30ten März. 1766

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