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An Johann Christian Dieterich

London, den 15ten Februar 1775

Mein lieber Dieterich,

Nun das ist brav, wahrlich brav, das schwört eine deutsche Seele auf englischem, klassischem Grund und Boden. Christelchen wieder ein Mädchen? Noch nicht zufrieden, Louisgen und Fritzgen der Welt gegeben zu haben? Zwei Püppchen, worüber mancher sich den Kopf zerbräche und doch nicht herausbrächte. – – Ein niedliches kleines Mädchen also. Wahrhaftig, wenn ich so niedlich wäre als ich klein bin, so sollte ihr ein ebenso niedliches kleines Männchen zu Dienste stehen. Das kleine niedliche Mädchen hat mich so gefreut, daß ich wieder einmal an meine Muse dachte. Aber ich fand leider – – Weiber, die fünf Jahre gewartet haben, fangen wieder an, aber Musen, die fünf Jahre nicht gesungen haben, singen nie wieder. Glück und Segen wünsche ich dem kleinen Ding, und ich hoffe, es wird in den Jahren 1790 nicht an bereitwilligen Leibern und Seelen fehlen, meine Wünsche in Erfüllung zu bringen. Ich muß mich an das Jahr 1775 halten, das mir leider genug zu schaffen macht.

Nun bin ich endlich in dem lieben London, wornach ich gewünscht und geangelt und alle vier ausgestreckt habe. Vorgestern abend war ich über eine Stunde bei dem König und der Königin ganz allein in einem kleinen, vortrefflichen Kabinett, die Königin ganz mit Juwelen behangen und der König in einem gestickten Kleid mit dem Orden über den Rock in unbeschreiblicher Majestät, und diesen Morgen nach 9 Uhr habe ich der Königin schon wieder aufwarten müssen, sie war in einer Dormeuse und schwarzen Salopp ganz en famille. Sie schickte mich zu Lady Charlotte Finch, der Oberhofmeisterin von der Prinzessin, da saß ich eine halbe Stunde allein mit einer der bestbelobten Damen in England. Dieses war in St. James, alsdann ging ich zurück durch den Park nach der Königin Palast, wo ich mit einem herrlichen Frühstück bewirtet wurde, hierauf wurden mir alle Gemälde und alle Zimmer gezeigt und endlich auch die Elefanten. Im Nachhausegehen sah ich etwas, das mir noch immer vor Augen schwebt, es war weiß, schwarz und rot und sprach mit mir, ich glaube, es war der Teufel. Bruder, wenn Du den Teufel gesehen hast, sage mir doch, ob er in paille geht mit einer schwarzen frisierten Schürze und aussieht, als wenn er 16 Jahr alt wäre, und mit den Augen allerlei zu sagen scheint, wozu es im Englischen keine Worte gibt. Damit Du mich besser verstehst, Klauen hatte dieser Teufel nicht oder wenigstens sehr kleine, und diese hatte er in ein paar blaue atlassene Schuhe gesteckt, von einem Schwanz konnte ich gar nichts sehen, Hörner auch nicht, allein ich glaube, er trug ein paar in der Tasche, um sie der ersten besten vorbeigehenden Ehefrau unter die Dormeuse zu schieben.

Lord Boston ist sehr übel und vergeht zusehends. Warum kommen Herrn Irby's Zeitungen nicht? Nun, mein lieber Dieterich, mit noch ein paar Kommissionen, die ich ja nicht zu vergessen bitte. Ich wünschte gerne etwas Kohlraben-Samen, so viel sich in einen Brief packen läßt, hieher zu haben, vergesse es ja nicht, und dann etwas weißen Maulbeersamen, ich glaube, zu Leipzig ist er zu bekommen, ich bitte Dich, tue mir die Freundschaft, laß aber keinen auf den andern warten, sondern schicke, was Du zuerst bekommst, gleich, aber NB.

In meinem Leben bin ich noch nicht so mit Schmerzen geplagt gewesen als diesen Winter, meine Apotheker haben mich schon über 30 Taler gekostet, ich habe mich öfters tot gewünscht, aber ganz unter der Decke, daß es weder Tod noch Mensch hören könnte, dieses unter uns. London ist ganz mein Ort, es gefällt mir nicht sowohl der vielen Vergnügen wegen, denn das sind Kleinigkeiten, sondern wegen der Artigkeit und Achtung, womit man traktiert wird, sobald man nur etwas reinlich einherwandelt und bezahlt, was man ißt und trinkt. Meine alten Bekannten bekümmern sich (3 oder 4 ausgenommen) so wenig um mich als ich mich um sie. Sie erwarten meinen Besuch und können warten, bis ich wieder in Holland oder Frankreich ans Land steige; ich werde sie nicht besuchen.

Vorgestern morgen boxten sich zwei Kerle am untern Ende der Straße, worin ich wohne; gleich beim Anfang schlug der eine den andern so mit der Faust, daß er gleich tot darnieder fiel. Den Toden habe ich wegtragen, aber das Stiergefecht selbst nicht mit angesehen.

Neulich habe ich an einem der wichtigsten Tage dem Parlament beigewohnt, habe von 2 bis halb 8 auf einem Fleck gestanden, Mittagessen und Kaffee darüber versäumt und bloß durch Augen und Ohren gezehrt. Ich bin vorige Woche zweimal beim König gewesen hier in London. Gestern habe ich Yoricks Grab besucht. Ich sehe und höre so viel, daß ich 10 Jahre daran zu verdauen haben werde. Neulich habe ich in einem Dorfe Hammersmith unter Matrosen, Fuhrleuten und Spitzbuben über die Amerikaner disputiert.

Nun eine Bitte. Schicke doch, wo möglich, 2 Exemplare von der besten Ausgabe der Oeuvres du philosophe de Sanssouci, ich glaube, es ist eine in Quart, und 2 von den Mémoires de Brandenbourg in 4to, Du kannst sie an Elmsley schicken und darauf assignieren, sie sind für die Irbys. Lebe wohl.

G. C. Lichtenberg

Grüße Freund Baldinger und Dumont. Mein Gott, was will ich erzählen, wenn ich zurückkomme. Ich laufe und renne den ganzen Tag, mit allen Sinnen sperrweit offen. Denke nur hin. Adieu.

Habe ich nicht ein schönes Siegel, es ist überdas in Gold gefaßt.

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