Antoine de la Salle
König Ludwigs galante Chronika
Antoine de la Salle

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der tugendhafte Liebhaber.

Lebte da vor nicht zu langer Zeit in der schönen mächtigen und volkreichen Stadt Genua ein ansehnlicher Kaufmann, der mit Gütern und Reichtümern über und über gesegnet war. Seine Tätigkeit und sein Lebensberuf bestanden darin, mächtige Warenladungen übers Meer nach fremden Ländern, und insbesondere nach Alexandrien zu schaffen. Er war so voll davon, Schiffe zu leiten und Schätze und Reichtümer zu häufen, daß er die ganze Zeit, von seiner zartesten Jugend an bis zu seinem fünfzigsten Lebensjahre überhaupt nicht auf den Gedanken kam, etwas anderes zu tun.

Als er nun in dies genannte Alter gelangt war und anfing, über seinen Zustand nachzudenken, da sah er, daß er all die Tage und Jahre hindurch nichts anderes fertiggebracht hatte, als Schätze zu sammeln und zu mehren, ohne auch nur einen einzigen Augenblick gehabt zu haben, wo ihm innerlich der Gedanke oder die Neigung aufgetaucht wäre, sich zu verheiraten, um Erben für die Menge von Gütern zu erhalten, die er so eifrig und mühsam aufgespeichert und erworben hatte. Wem sollte er sie hinterlassen, wer sollte sie nach ihm besitzen? Sein Herz wurde von bitterem, peinigendem Schmerz zerschnitten, und es mißfiel ihm über die Maßen, daß er seine jungen Tage derart mißbraucht und verschwendet hatte.

In diesem qualvollen Bedauern verblieb er gar manchen Tag. Da begab es sich inzwischen in der bemeldeten, Stadt, daß die kleinen jungen Kinder bei einem Feste, das sie wie alle Jahre gefeiert hatten, in allerlei fremdartigen und bunten Gewändern und Verkleidungen sich in großen Scharen zu einem öffentlichen Platze begaben, wo die städtischen Feiern gewöhnlich abgehalten wurden. Dort sollten sie vor ihren Vätern, Müttern und Freunden spielen, um Lob, Ansehen und Ruhm zu ernten. Zu dieser Versammlung kam auch der gute Kaufmann, der ganz in seine Gedanken und Sorgen vergraben war. Und als er nun sah, wie die Väter und Mütter so viel Freude daran hatten, ihre Kinder spielen und in Gewandheit und Zierlichkeit sich ergehen zu sehen, da wurde sein Schmerz, den er schon vorher empfunden hatte, noch viel ärger. Ja, er wurde so schlimm, daß er gar nicht mehr zusehen konnte, sondern traurig und nachdenklich in sein Haus zurückkehrte, allein in seine Stube ging und dort eine ganze Weile vor sich herjammerte:

»Ach, ich armer, unglücklicher Greis, so bin ich nun und so war ich immer! wie hart hat das Schicksal, wie mitleidlos das Glück mir mitgespielt! Ja, es ist bitter, wenn man so etwas schlucken muß! Ach, du Jammerhahn! Du bist ja durch die vielen Nachtwachen, Arbeiten und Mühen, die du zu Wasser und zu Lande durchgemacht hast, viel abgearbeiteter und matter als jeder andere! Was nützen dir nun dein großer Reichtum und die gehäuften Schätze, die du dir unter Gefahren mit Fleiß und Schweiß zusammengegrabscht hast, für die du deine ganze Zeit verschwendetest, ohne auch nur einen flüchtigen Augenblick darüber nachzudenken, wer sie besitzen wird, wenn du tot und dahingeschieden bist, und wem du sie nach Menschenrecht zur Erinnerung an dich und deinen Namen hinterlassen sollst? Ach, du schlimmes Herz, wie konntest du das zulassen?! Du hast nie an Ehe gedacht, hast sie stets gemieden, gefürchtet, ausgeschlagen, hast sogar die guten und vernünftigen Ratschläge deiner Freunde gehässig mißachtet, die dich unter die Haube bringen wollten, damit du Nachkommen hättest, die deinen Namen, deinen Ruhm weiterführen konnten. Ach, wie glücklich sind doch die Väter, die kluge gute Kinder zurücklassen! Wie habe ich heute die Väter neidisch betrachten müssen, die den Spielen ihrer Kinder beiwohnten, ihr Glück fangen und sich sagen konnten, daß sie ihre Jahre trefflich angewandt hatten, selbst wenn sie nach ihrem Tode nur ein winzig Teil der großen Güter hinterlassen sollten, die ich besitzt. Was kann ich noch für Freude, was für Trost haben?! Wo bleibt mein Name, wo mein Ruhm nach meinem Tode? Wo habe ich einen Sohn, der die Erinnerung an mich wachhält, wenn ich nicht mehr bin, Gesegnet sei die heilige Ehe, durch die das Gedenken an die Väter erhalten bleibt und Besitz und Erbschaft durch den Übergang an holde Kindlein verewigt wird!« Nachdem der gute Kaufmann eine gute Weile derart gegrübelt hatte, kam er plötzlich zu einer heilsamen Lösung seiner Sorgen, indem er sagte:

»Aber wozu brauche ich mich denn trotz meinen vielen Lebensjahren mit Kummer, Angst und Sorgen herumzuquälen. Eigentlich gleicht doch das, was ich bisher tat, dem Gebaren der Vöglein, die ihr Nest bauen und schön herrichten, bevor sie Eier legen. Ich habe Gott sei Dank genügend Schätze zu eigen für eine Frau und, wenn ich welche bekomme, auch einige Kinder, und ich bin nicht so alt und abgeklappert, um alle Hoffnung auf Nachkommenschaft aufzugeben. Jetzt ist es gerade das richtige, Halt zu machen, die Augen aufzusperren und gehörig allenthalben aufzumerken, wo ich eine Frau finde, die für mich paßt und mir Glück bringt.«

So beschloß er seine lange Rede, entfernte sich aus seinem Zimmer, und da sah er auch schon zwei seiner Kameraden kommen, Seeleute wie er, denen er bis ins Einzelne seine Lage darlegte und die er gar herzlich bat, ihm dabei zu helfen, wenn er sich ein« Frau suchte, nach der ihm jetzt mehr als nach irgend etwa, anderem auf der Welt der Sinn stand.

Die beiden Kaufleute hörten seine erbaulichen Worte an, lobten und priesen ihn gar sehr und übernahmen es, den größten Eifer bei der Suche nach einer Frau zu entwickeln. Und während sie Himmel und Hölle in Bewegung setzten, spielte unser Kaufmann, der nun schon ganz Feuer und Flamme war, sich zu verheiraten, den Liebeswerber, kümmerte sich um weiter nichts und suchte in der ganzen Stadt nur noch nach der jüngsten unter den allerschönsten Mädchen. Er stöberte so lange, bis er auch wirklich eine fand, wie er sie sich wünschte: denn sie stammte von angesehenen Eltern, war zum Erstaunen schön, so um die fünfzehn Jahr alt, zierlich, sanft und gut erzogen.

Nachdem er all ihre Tugenden und erquicklichen Vorzüge kennen gelernt hatte, packte ihn solch brennender Wunsch, sie durch regelrechte Ehe zur Herrin seiner Güter zu machen, daß er ihre Eltern und Freunde um ihre Hand bat. Die machten erst einige Schwierigkeiten, aber das dauerte nicht lange, und schließlich willigten sie ein und sagten ja. Und zur Stunde wurde Verlobung gefeiert und die Summe und Sicherheit festgesetzt, die er ihr bewilligen wollte.

Hatte der wackere Kaufmann vordem schon mit allen Fasern seines Herzens an seinem Unternehmen gehangen, so klammerte er sich nun noch um so fester daran, als er sich der Ehe gewiß sah, und obendrein der Ehe mit einer Frau, von der er so schöne holde Kindlein erwarten konnte. Das Hochzeitsfest und die Vermählungsfeier wurde geziemend mit großer Pracht begangen. Und als das Fest aus war, schlug er sich alle Erinnerung an seine frühere Lebensart, sein Umherfahren auf dem Meere, aus dem Sinn, ließ es sich wohl sein und erlustigte sich über die Maßen in der Gesellschaft seiner schönen, sanften Frau.

Aber es dauerte gar nicht lange, da hatte er die Geschichte über und über satt; denn kaum war das erste Jahr herum, da machte es ihm schon keinen Spaß mehr, untätig im Hause herumzusitzen und die Wirtschaft so zu führen wie einer, der daran hängt, sondern er ödete und langweilte sich und jammerte seinem einstigen Beruf als Seefahrer so bitterlich nach, daß es ihm viel netter und bequemer schien, solche Tätigkeit, auszuüben als die häusliche Arbeit, die er freudigen Herzens für Tage und Nächte übernommen hatte, er tat weiter nichts mehr als grübeln und sinnen, wie er wieder seiner Gewohnheit nach gen Alexandrien fahren könnte, und es schien ihm schwer, ja ganz unmöglich, daß er fürder nie mehr ein Schiff lenken, das Meer durchqueren und alle Mühen meiden sollte. Aber war er auch schon ganz fest entschlossen, zu seinem früheren Beruf zurückzukehren, so lag ihm doch der Gedanke schwer auf dem Herzen, ob seine Frau sich darüber nicht ärgern würde. Das schuf ihm Angst und Zweifel, erschütterte ihn in seinem Vorsatz, hinderte ihn an dessen Ausführung: denn er kannte das jugendliche Feuer seines Weibleins und war ganz fest davon überzeugt, daß sie sich nicht würde zügeln können, wenn er sie allein ließe. Außerdem dachte er an den bekannten Wankelmut der Frauen: hatte doch schon, während er hier war, gar mancher junge Galant die Gewohnheit gehabt, bei der Tür vorzusprechen, um sie zu sehen. Er nahm also mit Recht an, daß sie ihr während seiner Abwesenheit bei weitem näher auf den Leib rücken und gar seine Stelle vertreten könnten. Eine lange Zeit hindurch schlug er sich mit derartigen Schwierigkeiten und quälenden Bildern herum, ohne einen Ton zu schnaufen; so kam er endlich zu der Hinsicht, daß er den größten Teil seines Lebens bereits hinter sich hatte, entschied, sich um Weib, Ehe und alles übrige nicht zu scheren, weder um den Haushalt noch all die Einwände und Bedenken, die ihm den Kopf verdreht hatten, und kam zu folgendem kurzen Entschluß:

»Besser leben als sterben! Wenn ich meinen Haushalt nicht schleunigst stehn und liegen lasse, dann kann ich sicher nicht mehr lange vorhalten. Soll ich mich also von dieser schönen holden Frau trennen? Ja, ich lasse sie hier; mag sie sich fortan um sich selbst bekümmern und mit sich fertig werden, wie es ihr behagt, – ich will diese Last nicht mehr auf dem Halse haben. Ach, was werbe ich tun! Welche Entbehrung, welch Kummer für mich, wenn sie sich nicht zügelt und in keuscher Reinheit verbleibt! Aber lieber will ich leben als sterben, um mich mit der Sorge um sie abzuquälen! Sicher will Gott nicht, daß ich um des Leides einer Frau willen mir so enge Sorgenfesseln auferlege. Ich habe ja doch keinen anderen Lohn davon als körperliche und seelische Qualen. Fort mit den Ängsten und Bitternissen, die so viele durchmachen, um nur bei ihren Frauen zu bleiben! Es gibt nichts Grausameres und Zerquälenderes auf der Welt! Wenn mich nur Gott noch so lange leben läßt, daß ich ein paar Abenteuer durchmache, statt in meiner Ehe zu verkommen, dann werde ich nicht mehr zornig noch traurig sein. Ich will jetzt meine Freiheit und die Möglichkeit haben, alles zu tun, was mir Spaß macht!«

Nachdem der wackere Kaufmann seine endlosen Betrachtungen abgeschlossen hatte, traf er sich mit seinen Schiffskameraden und sagte ihnen, daß er noch einmal nach Alexandrien fahren und Waren laden wolle, wie er es sonst so oft mit ihnen zusammen getan hatte. Die Kümmernisse freilich, die ihm seine Ehe bereitete, die verriet er ihnen nicht.

Sie waren bald einig und vereinbarten, beim ersten günstigen Winde zur Abfahrt bereit zu sein. Die Schiffe wurden geladen und segelfertig zur Abfahrtsstelle gebracht, wo sie auf den rechten Wind warten mußten. So hatte denn der wackere Kaufmann seinen festen unerschütterlichen Entschluß gefaßt, und als er, wie Tags zuvor, allein mit seiner Frau nach dem Abendessen in der Stube saß, enthüllte er ihr seinen Plan der bevorstehenden Reise und sagte mit gespielter Fröhlichkeit:

»Teure Gattin, ich liebe dich mehr als mein Leben! Nun tu bitte dein möglichstes, sei fröhlich und bekümmere und ärgere dich nicht über das, was ich dir jetzt sagen will. Ich habe vor, so Gott will, noch einmal Alexandrien zu besuchen, wie ich es seit langer Zeit gewöhnt bin, und mir scheint, du solltest darüber nicht unzufrieden sein, denn du weißt ja: das ist so meine Lebensgewohnheit und mein Beruf, durch die ich Schätze, Häuser, Namen, Ansehen, viel Freunde und Beziehungen erworben habe. All die reichen schönen Gewänder, Schmuckstücke, Armringe und die anderen köstlichen Geschmeide, mit denen du, wie du weißt, reicher als irgendeine Frau dieser Stadt geschmückt bist, sie alle habe ich aus dem Gewinne meines Handels angeschafft. Also diese Reise darf dich nicht bekümmern noch betrüben, denn ich komme ja bald zurück. Und ich verspreche dir: ist mir dieses Mal, wie ich hoffe, das Glück günstig, dann werde ich nie mehr dort hingehen, und will für immer dort Abschied nehmen. Du mußt also jetzt guten Mut fassen, denn ich überlasse dir die Verwaltung und Verfügung über all meine Habe.

»Bevor ich aber fort fahre, will ich dir einige Wünsche ans Herz legen. Zum ersten bitte ich dich, sei während meiner Reise vergnügt und lebe behaglich. Wenn ich mir vorstellen kann, daß du das tust, werde ich sorgenloser reisen. Zum zweiten weißt du: zwischen uns beiden darf nichts verhehlt oder verschwiegen werden, denn Ehre, Ansehen und Gewinn müssen, so wie ich es im Sinne habe, uns beiden gemeinsam sein, und Lob und Ehre des einen sind nicht ohne Vorteil für den anderen, Entehrung des einen nicht ohne Schande für alle beide denkbar. Du sollst nun also begreifen, daß ich nicht so töricht und sinnlos bin zu vergessen, wie hilflos ich dich in deiner Jugend, Schönheit, Sanftmut, Frische und Zärtlichkeit ohne Mann zurücklasse, und daß du von gar manchem während meiner Abwesenheit umworben sein wirst. Ich glaube natürlich gern, daß du im Augenblick die reinsten Absichten und ein keusches ehrenhaftes Herz hast. Aber da ich doch weiß, wie jung du bist und wie dein jugendliches Blut überkocht, so scheint es mir ganz unmöglich, daß dir aus rein natürlichem Drange während meiner Abwesenheit nicht der Wunsch beikäme, einen Mann zu umfangen. Aber Gott sei Dank, das erschüttert mich nicht. Es ist mein Wunsch, daß du nachgibst, wenn deine Natur übermächtig wird; denn ich weiß, daß du doch nicht zu widerstehen vermagst. Hier also kommt der Punkt, wo ich dich gar herzlich bitten muß: laß unsere Ehe so lange du irgend kannst, unangetastet. Ich habe nicht den geringsten Wunsch, dich irgendwie beaufsichtigen zu lassen, um dich zu behindern; ich weiß, daß du selbst darum besorgt sein wirst und dich nach Möglichkeit in Acht nimmst. Es gibt ja keine hinreichend strenge Wache, um eine Frau, die nicht freiwillig dazu bereit ist, daran zu hindern, daß sie ihre Wünsche befriedigt. Wenn dich also deines Fleisches Glut stachelt und derart peinigt, daß du die Macht verloren hast, sie zu bändigen, dann bitte ich dich, teure Gattin, bei der Erfüllung deines Begehrens Klugheit und Vorsicht walten Zu lassen, damit es nicht öffentlich bekannt wird. Tust du das nicht, dann bist du, bin ich, sind all unsere Freunde entehrt und entwürdigt.

»Wenn du also tatsächlich nicht mehr in Keuschheit verbleiben kannst, dann gib dir Mühe, dir deinen guten Ruf wenigstens vor der Öffentlichkeit zu bewahren. Nun will ich dich darüber belehren, wie du dich zu verhalten hast, wenn solch ein Fall eintritt. Du weißt, es gibt hier in der Stadt einen Haufen hübscher junger Männer. Zwischen ihnen erwähle einen einzigen und begnüge dich mit ihm allein, wenn du nicht lassen kannst, was die Natur von dir heischt. Immerhin mußt du auch bei der Wahl besonders darauf sehen, daß es kein Luftikus, kein ehrloser, verlotterter Kerl ist. Denn mit solchen Menschen sollst du dich nicht einlassen: daraus kann dir die schwerste Gefahr erwachsen. Man darf nicht daran zweifeln, daß so ein Kerl eins, zwei, drei dein Geheimnis ausplaudert und unter die Leute bringt. Von solcher Bande wird nichts geheim gehalten und verschwiegen. Wähle also einen, von dem du sicher sein kannst, daß er klug und vernünftig ist, damit er im schlimmsten Falle ebenso bemüht ist, die Sache zu verhehlen, wie du selbst. Darum also bitte ich dich von ganzem Herzen: versprich mir offen und fest, daß du diese Lehre beherzigst und nicht vergißt. Bitte, antworte mir auch nicht, wie andere Frauen das in solchen Fällen tun, wenn man mit ihnen spricht, wie ich es eben mit dir tue; ich kenne schon die Antworten, die sie in solchen Fällen geben: ›Ach, ach, liebster Mann, wie kannst du nur so traurig und bekümmerten Herzens sein!! Wer hat dich so tief beunruhigt? Wo hast du diese grausame, unwetterschwangere Stimmung her? Wie könnte denn überhaupt ein so scheußliches Vergehen erdenklich sein? Gott bewahre mich! Niemals werde ich dir so etwas versprechen! Ja, ich bitte Gott, er möge die Erde auftun und mich lebendigen Leibes verschlingen und verschlucken lassen, wenn ich, – ich sage schon gar nicht, so etwas beginge, sondern auch nur den leisesten Gedanken an einen derartigen schändlichen Fehltritt hätte! Liebe Frau, ich habe dir diese schönen Redensarten vorerzählt, damit du sie vor mir nicht verschwendest. Ich glaube ehrlich und fest, daß du zur Stunde die besten Absichten hast, und bitte dich, verharre darin, solange deine Natur es dir gestattet. Vermeine auch nicht, ich wollte von dir das Versprechen, daß du so handeln sollst, wie ich es dir beschrieben habe. Ich meine nur: Tue so einzig in dem Falle, wo du mit deiner frischen Jugendkraft und deinem jugendlichen Hunger gar nicht mehr anders fertig werden kannst.«

Als der wackere Ehemann zu Ende geredet hatte, begann sein schönes, holdes, rundliches und appetitliches Weibchen in Schamesröte gar gewaltig zu zittern, maßen sie nun auf die Bitten ihres Mannes antworten sollte. Aber die Röte schwand, und sie faßte sich. Sie festigte und wappnete ihren Mut mit Vertrauen, und derart erklang ihre anmutsvolle Antwort, wenn auch ihre Stimme beim Sprechen bebte:

»Holder, heißgeliebter Mann! Ich versichere dich, niemals war ich so entsetzt, verwirrt und aller Besinnung bar als jetzt eben bei deinen Worten, die mich etwas lehrten, was ich nie zuvor gehört oder gewußt habe, denn niemals hatte ich einen solchen Gedanken. Ich nehme an, du willst mich zur Arbeit anhalten, denn du kennst ja meine Einfalt, Jugend und Unschuld, die mir noch recht arg zu sein scheinen. Sicher kann ich in meiner Jugend einen solchen Fehltritt gar nicht tun oder erdenken. Du hast mir gesagt, du seiest sicher und wüßtest bestimmt, daß ich während deiner Abwesenheit unsere Ehe nicht unangetastet lassen könnte. Das quält mein Herz und läßt mich zittern und zagen. Ich weiß nicht, was ich auf deine Gründe antworten und ihnen dawiderhalten kann, denn du hast mir das Wort abgeschnitten. Nur eines will ich sagen, und das kommt aus der Tiefe meines Herzens und dringt zu meinen Lippen, wie es in mir entstanden ist: ich flehe voll Demut und mit gefalteten Händen zu Gott, er möge einen Abgrund auftun, wo ich mit zerschmetterten Gliedern hineingeworfen und in grausamen Todesqualen umgebracht werde, wenn ein Tag kommen sollte, da ich einen Fehltritt in meiner Ehe begehen, ja nur den flüchtigen Gedanken hätte, so etwas zu vollbringen. Wie etwas derartiges entstehen könnte, begreife ich gar nicht. Und da du mir unmöglich gemacht hast, dir diese Antwort zu geben, indem du sagtest, die Frauen hätten solche Antworten zur Gewohnheit, um für ihre Seitensprünge faule Ausreden zu gebrauchen, will ich dir Freude machen und dich von allen Sorgen befreien. Du sollst sehen, daß ich bereit bin, zu gehorchen, acht zu geben und mich zu zügeln, und darum verspreche ich dir zur Stunde voll Überzeugung und festen Herzens, den Tag deiner Rückkunft in wahrer, reiner und vollkommener Keuschheit zu erwarten. Und wenn Gott nicht fügt, daß es anders kommt, kannst du dessen versichert bleiben, und das verspreche ich dir: Ich werde die Lehren beherzigen und besorgen, die du mir gegeben hast, und will mich in nichts gegen sie verstoßen. Sollte dein Herz noch andere Sorgenlasten tragen, dann enthülle sie mir bitte und heiße mich, wie ich deinen Wunsch erfüllen kann; ich begehre gar nichts besseres, als in allem eines Willens mit dir zu sein und zu tun, wie du es wünschst, – nicht nach meinem Sinn.«

Als unser Kaufmann die Antwort seiner Frau hörte, war er so froh, daß er die Tränen nicht zurückhalten konnte. Und er sagte zu ihr:

»Teure Gattin, da deine holde Güte sich zu diesem Versprechen verstanden hat, um das ich dich bat, so flehe ich nur noch: Halte es auch.«

Am nächsten Morgen ganz früh wurde der wackere Kaufmann von seinen Gefährten geholt, um in See zu stechen. Er nahm also Abschied von seiner Frau, empfahl sie dem Schutze Gottes und segelte davon. Der Weg nach Alexandrien ward schnell zurückgelegt und der Wind war so günstig, daß sie schon nach wenigen Tagen anlangten. Aber sie blieben eine lange Weile dort, um ihre Waren los zu werden und neue aufzuladen.

Während dieser Zeit blieb die reizende, anmutige Frau daheim im Hause, und ihre einzige Gesellschaft war ein junges, kleines Mädel, das sie bediente. Wie ich schon gesagt hatte: die schöne Frau war eben erst fünfzehn Jahr alt, und deshalb konnte man einen Fehltritt, den sie etwa beging, weniger ihrer Bosheit als der mangelnden Festigkeit ihrer Jugend zuschreiben. Nachdem also der Hausmann einige Tage ihren schönen Augen entschwunden war, geriet er allmählich in Vergessenheit. Und weil ihre Huld, Schönheit und Anmut schon längst in der ganzen Stadt als einzigartig bekannt waren, kamen die jungen Leute, sobald sie nur von der Abfahrt ihres Mannes hörten, herbei, um sie zu besuchen. Das wollte sie anfangs auf keinen Fall: Sie mochte weder das Haus verlassen noch sich sonst zeigen. Aber da das tagtäglich immer so weiter ging mit Besuchen und Drängen, und weil sie so viel Freude an den holden, klangvollen Liedern und Lautenklängen hatte, die vor ihrer Tür ertönten, so kam sie schließlich hervor, um durch Fensterluken und Ritzen zuzugucken, und derart konnte sie recht gut diejenigen erblicken, die gern auch sie gesehen hätten. Indem sie nun diese Lieder und Tänze vernahm, bekam sie daran so viel Freude, daß gar zärtliche Gefühle ihr Herz bewegten und die innere Glut sie arg bestürmte, ihre Enthaltsamkeit abzuwerfen. So wurde sie gar oft heimgesucht, und schließlich siegten Begier und innerliche Lust, und des Fleisches Stachel drang gar tief. Sie dachte oft, das sie jetzt, wenn sie wollte, so viel Zeit und alles so bequem haben könnte, denn niemand bewachte sie, keiner hinderte sie, ihr Begehren zu stillen, und so kam sie am Ende zu dem Schluß und der Einsicht, daß ihr Mann gar weise gewesen war, als er ihr versichert hatte, daß man in Enthaltsamkeit und Keuschheit auf die Dauer nicht leben könne. Sie wollte jedenfalls seine Lehre beherzigen und das Versprechen halten, daß sie ihm gegeben hatte.

»Es gehört sich,« sagte sie, »daß ich den Rat meines Mannes befolge. Tue ich das, dann begehe ich kein Verbrechen und brauche keine Entehrung zu fürchten, denn er hat mir ja freie Hand gelassen; nur darf ich nicht über die Grenzen hinausgehen, die er mir gezogen hat. Er hat mich darauf aufmerksam gemacht und ernstlich vermahnt, im Falle ich nicht in Keuschheit verbleiben könnte, einen Mann zu erwählen, der vernünftig, guten Rufes und sehr tugendhaft ist, – einen anderen nicht. So will ich denn auch, so gut ich kann, danach handeln; es genügt mir vollkommen, wenn ich von dieser Lehre nicht abweiche. Ich nehme an, er hat es nicht so gemeint, daß dieser Mann alt sein muß; also scheint mir, er muß jung sein und so viel Bildung und Wissen besitzen wie ein Alter. Mir scheint, das war seine Ansicht.«

Gerade nun in diesen Tagen, als unsere schöne Frau diese Betrachtungen anstellte und nach einem tugendsamen jungen Manne suchte, der ihre Glut löschen sollte, langte zu ihrem Glücke ein gar weiser junger Rechtsgelehrter in der Stadt an, der eben von der Universität Bologna kam, wo er mehrere Jahre hindurch gewesen war, ohne nach Hause zurückzukehren. Er hatte sich dem Studium derart hingegeben, daß es im ganzen Lande keinen angeseheneren Gelehrten gab; alle Beamten und behördlichen Personen der Stadt wandten sich an ihn, und er hatte überhaupt nur mit ganz gelahrten Männern zu tun. Seit seiner Ankunft nahm er die Gewohnheit, von der er niemals abließ, alltäglich auf den Markt zum Rathause zu gehen, wo die Gerichtsverhandlungen stattfanden; er begab sich dorthin, um die Sache verschiedener Parteien zu vertreten. Nun führte der gerade Weg von seinem Hause zum Markte durch die Straße, wo das Haus besagter Dame lag, und indem er durch diese Straße ging, mußte er auch regelmäßig vor der Tür dieses Hauses vorbeikommen. Er mochte noch nicht hundertmal dort entlang gegangen sein, da wurde er bereits erschaut und ob seiner ernsten, sachten Art mit viel Gefallen von der Dame ins Auge gefaßt. Und obgleich sie sich niemals um Rechtssachen gekümmert hatte, sagte sie sich doch, daß er sicher ein sehr großer Rechtsgelehrter sein müsse, und außerdem hörte sie ihn von der ganzen Stadt als ein wahres Musterbild von Gelehrsamkeit preisen. Derart also begann sie, all ihre sehnsüchtigen Gefühle auf ihn zu vereinigen, ihr Begehren wuchs, und sie sagte sich, wenn er nichts dawider habe, müsse dieser ihr helfen, die Lehren ihres Mannes zu befolgen. Aber wie konnte sie ihm ihre große, glühende Liebe zu verstehen geben, wie ihm den geheimen Wunsch ihres Herzens enthüllen? Sie wußte es nicht, und das war ihr über die Maßen betrüblich.

Immerhin kam sie auf den Gedanken: da er täglich auf dem Wege zum Markt an ihrer Tür vorbei mußte, wollte sie sich, so prächtig gekleidet, als sie nur konnte, auf den Altan begeben, damit beim Vorübergehen sein Blick auf ihre Schönheit fiele, so daß er Gefallen an ihr fände und sein Wunsch nach dem rege würde, was ihm nicht verweigert werden sollte. Mehrmals zeigte sie sich, ganz entgegen ihrer bisherigen Gewohnheit; aber obgleich sie gar erquicklich anzuschauen und wohl berufen war, ein junges Gemüt in Liebesglut zu entflammen, blieb sie doch dem jungen Manne unbemerkt, denn er ging so bescheidentlich, daß er niemals einen Blick nach rechts oder links warf. Derart also kam die gute Dame in keiner Weise zu dem Erfolge, den sie sich erhofft und ausgemalt hatte. Darüber war sie über die Maßen schmerzerfüllt und betrübt, das kann man sich ja denken, und je mehr sie an ihren Rechtsgelehrten dachte, um so höher flammte und brannte die Lohe.

Schließlich, nachdem sie gar vielerlei Pläne geschmiedet hatte, über die ich der Kürze halber hinweggehen will, entschloß sie sich, ihre kleine Zofe zu ihm zu schicken. Sie rief sie also und hieß sie, das Haus des Herrn Soundso zu suchen; und wenn jene seine Wohnung entdeckt habe, solle sie ihm ausrichten, daß er in aller Eile zum Hause der Frau Soundso, der Gattin des Herrn Soundso, kommen solle. Wenn er frage, was die Dame denn von ihm wünsche, solle sie antworten, das wisse sie nicht, ihr sei nur gesagt worden, daß sein Kommen sehr nötig wäre.

Das Mädchen prägte sich den Auftrag genau ein und ging, den Gelehrten zu suchen. Sie fand ihn auch, denn es dauerte nicht lange, da wurde ihr das Haus gezeigt, wo er gerade in einem großen Kreise seiner Freunde und anderer hochangesehener Personen zu Mittag aß. Das Mädel trat ein, begrüßte die Gesellschaft und wandte sich dann an den Rechtsgelehrten, den sie erfragt hatte; und vor aller Ohren richtete sie ihm bei Tische richtig und genau die Botschaft aus, die ihr aufgetragen worden war.

Der gute Herr kannte den Kaufmann, von dem das Mädel sprach, und sein Haus schon seit seiner Jugend, aber er wußte nicht, daß er verheiratet und wer seine Frau war, und dachte sofort, diese Frau könnte infolge der Abwesenheit des Kaufmannes ihn wegen einer wichtigen Sache angehen wollen, so wie das ja auch ihre Absicht war; nur meinte er etwas anderes als sie. Er antwortete also dem Mädel:

»Kleine, geh und sag' deiner Herrin, sowie das Essen fertig ist, komme ich zu ihr.«

Die Botin überbrachte die Antwort, wie es sich gehörte, und die Kaufmannsfrau empfing sie weiß Gott hochbeglückt; sie erzitterte und wußte gar nicht, was sie anstellen sollte, so groß war ihre Seligkeit, so glühend ihr Begehren, den Rechtsgelehrten in ihrem Hause zu haben. Sie ließ allenthalben putzen und kehren, duftende Kräuter in ihrem Zimmer ausstreuen, das Bett und das Lager zudecken, reiche Überzüge, Teppiche und Gewebe hinbreiten, und dann schmückte und zierte sie sich mit den köstlichsten Gewändern und Geschmeiden, die sie besaß. In diesem Zustande wartete sie eine kleine Weile, die ihr aber ob ihres gewaltigen Sehnens zum Staunen lang schien. So heiß wurde der, der da kam, herbeigewünscht und erwartet; und kaum erblickte sie ihn von weitem, da ging sie vom Zimmer hinab und wieder hinauf, lief hierhin und dorthin, denn sie war ganz durcheinander und es schien, als wäre sie aller Vernunft beraubt. Schließlich begab sie sich in ihr Zimmer und dort legte sie die Ringe und Schmuckstücke heraus, die sie bekommen hatte, und breitete sie hin, um ihrem Liebsten einen recht köstlichen Empfang zu bereiten. Unten aber ließ sie das Kammermädel warten, damit es ihn hineinließe und dorthin führte, wo sich die Herrin befand.

Als er ankam, empfing ihn das Zöflein geziemend, ließ ihn ein, schloß die Tür, sperrte aber all seine Begleiter aus und teilte ihnen mit, daß sie draußen ihren Herrn erwarten sollten. Als die Frau hörte, daß ihr Liebster gekommen war, konnte sie nicht an sich halten, sondern mußte hinab, ihm entgegengehen. Sie begrüßte ihn gar holdselig, nahm ihn bei der Hand und führte ihn in das Zimmer, das für ihn hergerichtet war. Er staunte ganz gewaltig bei seinem Eintritt über den vielerlei Schmuck, die schöne Zier und die kostbare Ausstattung, aber auch über die großmächtige Schönheit der jungen Frau, die ihn hier hinführte.

Sobald er im Zimmer war, setzte sie sich auf einen Sessel neben dem Lager, ließ ihn auf einen anderen dicht bei ihr niedersitzen, und so saßen die beiden alsbald eine ganze Weile, ohne ein Wort zu sagen; denn jeder erwartete, daß der andere beginnen würde; der Rechtsgelehrte vermeinte, sie müsse ihm eine große, schwierige Sache enthüllen und wollte sie beginnen lassen, sie ihrerseits dachte, er wäre so klug, daß er auch ohne nähere Erklärung und Darlegung verstehen müsse, wofür sie ihn gerufen hatte. Als sie nun aber sah, daß er keinen Anlauf nahm, etwas zu sagen, da hub sie an:

»Teurer, lieber Freund, Ihr so überaus kluger Mann, ich will Euch jetzt sagen, was mich bestimmt hat, Euch rufen zu lassen. Ich glaube, Ihr kennt meinen Mann recht gut und steht ihm nahe; er hat mich so, wie Ihr mich hier seht, daheimgelassen, um seine Waren nach Alexandrien zu schaffen, wie er das seit langem gewohnt ist. Vor seiner Abfahrt sagte er mir, er sei ganz sicher, daß ich während seiner Abwesenheit von meiner jugendlichen Glut gezwungen würde, meine Enthaltsamkeit aufzugeben, und daß die Natur mich nötigen würde, mich einem Manne hinzugeben. Ich halte ihn wirklich für einen überaus klugen Menschen, denn das, was ich für unmöglich hielt, erwies sich nun durch die Erfahrung als richtig: meine Jugend, meine Schönheit und mein zärtlich Gemüt können nicht ertragen, daß ich meine Zeit derart zwecklos verbringe und verschwende; meine Natur kann sich damit nicht abfinden. Damit Ihr mich nun aber ganz genau versteht, so wisset: mein kluger, vorsichtiger Mann hatte Bedauern mit meiner Lage, als er abfuhr, – mehr noch als ich selbst, denn er sah ja, daß zarte, junge Blümlein verdorren und vertrocknen, wenn etwas Ungünstiges auf sie einwirkt, das ihrer natürlichen Anlage zuwider ist. Derart betrachtete er auch das, was mir geschehen sollte. Und da er ganz klar voraussah, daß ich zugrunde gehen würde, wenn ich nicht so lebte und mich führte, wie die Natur es erfordert, so ließ er mich versprechen und schwören, ich sollte, wenn ich derart von meiner Natur überwältigt und gezwungen würde, mit meiner Selbstbeherrschung zu brechen, einen klugen, einsichtsvollen Mann erwählen, der vernünftig und verschwiegen genug sei, unser Geheimnis zu bewahren. Nun weiß ich in der ganzen Stadt keinen Menschen, der so wie Ihr dafür geschaffen wäre, denn Ihr seid ebensowohl klug als jung: Und ich denke, Ihr werdet mich weder zurückweisen noch Widerwillen vor mir haben. Ihr seht, wer und wie ich bin, und daß Ihr für die Abwesenheit meines guten Mannes Ersatz schaffen könnt, denn niemand wird darüber ein Wort sagen. Ort, Zeit und alle Umstände sind uns günstig.«

Der gute Herr war in tiefstem Herzen erstaunt, wenn er es sich auch nicht merken ließ. Er nahm die rechte Hand der guten Dame und sagte mit fröhlichem Gesicht und launigem Scherz:

»Ich muß wahrlich der Frau Fortuna unsäglichen Dank aussprechen dafür, daß sie mich heute mit so viel Glück überschüttet hat und mir den schönsten Lohn vor Augen hält, den ich mir je auf dieser Welt hätte erträumen können; bei solch unermeßlicher Güte darf ich nie mehr wagen, mich als Unglücksvogel zu betrachten. Ich kann vielmehr sagen, daß ich heute der glücklichste Mensch auf Erden bin; denn wenn ich mir vorstelle, schöne holdselige Freundin, wie wir unsere jungen Tage in Freuden miteinander verbringen können, ohne daß jemand sich darein mischen wird, dann könnte ich vor Freude weinen. Gibt es einen glückbegünstigteren Menschen als mich? – Nur eine Kleinigkeit kommt mir da ein wenig in die Quere, das auszuführen, was ich nur mit bitterer Betrübnis verschieben möchte; denn ich wäre ja sonst der unglückseligste Mensch auf Erden.«

Als die Dame hörte, daß es ein Hindernis gab, das es ihm unmöglich machte, sofort seine Liebe zu bezeigen, da war sie gar schmerzlich berührt und bat ihn, er möge sich doch näher darüber auslassen, damit sie das Hindernis, wenn möglich, beseitigen könnte.

»Das Hindernis ist so gering,« sagte er, »daß es in kurzer Zeit aus dem Wege geräumt sein wird. Und da Ihr in Eurer Huld es kennen lernen wollt, so will ich es Euch verraten. Als ich auf der Universität Bologna studierte, wurde die Bevölkerung durch Aufständische zur Auflehnung gegen den Herrn verführt. Und ich wurde mit einigen Kameraden beschuldigt, der Urheber und Förderer dieses Aufstandes gewesen zu sein. Deshalb kam ich ins Gefängnis; und als ich dort saß und trotz meiner Unschuld fürchten mußte, das Leben zu verlieren, vertraute ich mich Gott an und versprach ihm, wenn er mich aus dem Kerker befreien und meinen Eltern und Freunden wiedergeben würde, wollte ich ein ganzes Jahr aus Liebe für ihn fasten, Tag für Tag nur Brot und Wasser zu mir nehmen und mich auch aller fleischlichen Genüsse enthalten. Mit seiner Hilfe habe ich den größten Teil dieses Jahres bereits hinter mir. Da es Euch nun in Eurer Güte gefallen hat, mich zu dem Euren zu erwählen, so bitte ich und flehe ich Euch an, wendet Euch nicht einem anderen zu und lasset Euch nicht durch die kleine Frist abschrecken, die ich noch brauche, um meine Fastenzeit zu beenden. Das wird bald erledigt sein und um so eher, wenn ich es hätte wagen können, mich an jemand anderen zu wenden, damit er mir etwas dabei mithelfe; denn ich bin jedes Fastentages ledig, den ein anderer für mich übernimmt. Da ich nun Eure große Liebe und das Vertrauen sehe, das Ihr mir schenkt, so werde ich Euch mit Verlaub auch ein Vertrauen schenken, das ich selbst meinen Brüdern und Freunden nicht geschenkt hätte, und ich bitte Euch: Helft mir einen Teil der noch fehlenden Tage beim Fasten, damit ich sobald als möglich dem anmutsvollen Ansinnen entsprechen kann, das Ihr an mich gestellt habt. Holdselige und herzinnige Freundin, ich habe nur noch sechzig Tage vor mir, und die wollen wir, wenn es Euch recht ist, teilen. Ihr übernehmt die eine Hälfte, ich die andere, natürlich unter der Bedingung, daß Ihr mir versprecht, pünktlich und ehrlich die Bedingungen einzuhalten. Sind die Tage herum, dann können wir in Fröhlichkeit leben. – Habt Ihr also den Wunsch, mich in dieser Weise zu unterstützen, dann sagt es mir jetzt.«

Es ist wohl anzunehmen, daß ihr diese lange Frist nicht über die Maßen behagte; da sie nun aber einmal so sänftiglich gebeten worden war und den Wunsch hatte, daß die Fasten ein Ende nähmen, zumal sie sich berechnete, daß dreißig Tage schließlich nicht unüberwindlich seien, versprach sie alles so zu tun und ohne Trug oder Hinterlist das Fasten durchzuführen.

Als der gute Herr sah, daß er seine Sache gewonnen hatte, nahm er von der Dame Abschied und sagte ihr: Da sein Weg ihn immer an dem Hause vorbeiführe, würde er öfters kommen und sie besuchen. So ging er fort, und schon am nächsten Tage begann die Schöne mit ihrer Enthaltsamkeit; sie hielt sich genau an die Vorschrift und nahm vom Morgen bis zum Sonnenuntergang nichts weiter als ihr Brot und Wasser zu sich. Als sie drei Tage gefastet hatte, besuchte sie der weise Rechtsgelehrte auf dem Wege zum Markt zur gewohnten Stunde und plauderte lange mit ihr. Und als er Abschied von ihr nahm, fragte er sie, ob sie mit Fasten begonnen habe.

Sie sagte ja, und darauf meinte er:

»Fahrt nur so fort und haltet das Versprechen, das Ihr mir gegeben habt.« »Pünktlich will ich es einhalten!« versetzte sie; »verlaßt Euch darauf.«

Er verabschiedete sich und ging, und sie befolgte Tag für Tag die Fastenregel und hielt ihr Versprechen ein, denn sie war eine gute, ehrliche Frau. Aber sie hatte noch keine acht Tage gefastet, da begann sich ihre innere Glut abzukühlen, und das wurde so schlimm, daß sie die Kleider wechseln mußte: Statt der dünnen, zierlichen Sommerkleider, die sie vor Beginn des Fastens getragen hatte, mußte sie sich die dicksten, mit Pelz gefütterten Sachen hervorsuchen. Am fünfzehnten Tage wurde sie wieder von ihrem Liebsten besucht, und er fand sie so schwach, daß sie nur noch mit Mühe im Hause umhergehen konnte. Das einfältige Frauchen merkte noch nichts von der List, so hing sie an ihren Liebesgedanken und so heftig war sie auf die Durchführung des Fastens erpicht, um des fröhlichen, vergnüglichen Fehltrittes willen, den sie in den Armen ihres Rechtsgelehrten zu begehen hoffte. Als dieser sie nun aber bei seinem Kommen so schwach sah, fragte er:

»Was für ein Gesicht habt Ihr und wie geht Ihr? Jetzt merke ich, daß Ihr ernstlich zu fasten begonnen habt. Holde, einzige Freundin, habt nur guten Mut, heut ist die Hälfte unserer Fastenzeit um. Ist Eure Natur schwach, dann besiegt sie durch die Unerbittlichkeit und Strenge Eures Herzens und brechet ja nicht Euer hochherziges Versprechen.«

Er redete ihr so sanft zu, daß er ihr neuen Mut einsprach, um auch die nächsten vierzehn Tage, die noch blieben, nicht unerträglich zu finden. Als der fünfundzwanzigste Tag kam, hatte das gute Ding alle Farbe verloren und schien halb tot. Von all ihrem Begehren, so groß es auch gewesen war, blieb nicht mehr die kleinste Spur. Sie mußte sich ins Bett legen und dauernd darin bleiben; und dabei kam ihr die Einsicht, daß ihr Liebster ihr diese Enthaltsamkeit auferlegt hatte, um ihres Fleisches Gelüste zu kasteien. Sie sah ein, daß die Art, wie er das angefangen hatte, gar klug erdacht war, und daß nur ein weiser Mann solchen Gedanken haben konnte. Aber dadurch ließ sie sich nicht abschrecken: Sie gab den Entschluß, den sie gefaßt, das Versprechen, das sie gegeben hatte, nicht auf. Am vorletzten Tage ließ sie ihren Rechtsgelehrten rufen. Als er sie im Bett sah, fragte er, ob sie etwa den Mut verloren habe, obgleich nur noch ein Tag übrig sei. Aber sie unterbrach ihn und versetzte:

»Ach, bester Freund, Ihr habt mich wahrlich und wirklich geliebt und nicht ehrlos, wie ich es im Sinne gehabt hatte. Deshalb betrachte ich Euch, solange mir Gott mein Leben erhalten wird, als meinen teuersten und einzigsten Freund. Denn Ihr habt mich gelehrt und unterrichtet, mich in völliger Keuschheit zu erhalten, und meine Ehre und den guten Ruf von mir, meinem Manne, meinen Eltern und Freunden nicht anzutasten. Segen über meinen teuren Gatten, dem ich diese gute Lehre zu danken habe, die er mir zur Stärkung meines Herzens hatte zuteil werden lassen! Aber auch Euch, Ihr mein wahrer Freund, danke ich von ganzem Herzen, für all das Gute, das Ihr an mir getan habt. Weder ich noch mein Mann, noch meine Eltern und Freunde können das je wieder abtragen.«

Der gute, wackere Herr, der nun sein Unternehmen geglückt sah, nahm von der Schönen Abschied und sprach ihr noch einmal gut zu, niemals zu vergessen, wie man seine Natur durch Enthaltsamkeit jedesmal überwinden könne, wenn man von ihr gepeinigt würde. Und so kämpfte sie sich die ganze Zeit durch bis zur Rückkehr ihres Mannes, der nie etwas von der Geschichte erfuhr, denn sie verheimlichte es ihm, und ebenso tat auch der Rechtsgelehrte.


 << zurück