Antoine de la Salle
König Ludwigs galante Chronika
Antoine de la Salle

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Die Schäferstunde.

Ein Edelmann aus Flandern, ein junger, ausgelassener Herr, der gern spielte und gut sang, befand sich einst im Hennegau in der Gesellschaft eines anderen Edelmannes gleichen Schlages, der dort wohnte und den er öfters besuchte als Flanderns Marken, wo er eigentlich seinen schönen prächtigen Sitz hatte. Aber wie das so häufig kommt: die Liebe war der Grund, weshalb er im Hennegau blieb, denn er war verliebt, ja geradezu vernarrt in ein junges Mädchen zu Maubeuge, und Gott weiß, was er um derentwillen alles tat.

Sehr oft veranstaltete er Feste, Maskeraden, Bankette, und im allgemeinen überhaupt alles, was, wie er glaubte, seiner Dame gefallen konnte und ihm möglich war. Eine Weile stand er auch recht in ihrer Gunst, aber doch nicht in dem Maße, wie er es gern gewollt hätte. Sein Kamerad, der Edelmann aus dem Hennegau, der die ganze Geschichte kannte, war ihm nach Kräften behilflich, und an mangelndem Eifer seinerseits lag es jedenfalls nicht, wenn die Beziehungen zwischen den beiden nicht besser wurden, als sie es waren.

Was soll ich lange erzählen? Der gute Edelmann aus Flandern wußte schließlich ebensowenig wie sein Gefährte, wie er es anstellen sollte, um von seiner Dame mit holdester Gunst begnadet zu werden. Er fand sie die ganze Zeit gar hart, obwohl er ihr immer weiter zusetzte. Da jedoch die Dinge nun einmal so lagen, wie ihr gehört habt, sah er sich am Ende gezwungen, nach Flandern zurückzukehren. Er nahm also geziemenden Abschied von seiner Dame und ließ ihr seinen Gefährten als Gesellschafter zurück, versprach ihr auch, oft zu schreiben und sich nach ihrem Befinden zu erkundigen, falls er nicht bald wieder zurückkäme. Und sie versprach, ihm ihrerseits Nachrichten zukommen zu lassen.

Einige Zeit, nachdem unser Edelmann nach Flandern zurückgekehrt war, überkam die Dame der Wunsch, eine Wallfahrt zu machen, und sie richtete alles darauf ein. Als nun das Gefährt vor ihrem Hause stand und der Kutscher, ein hübscher, starker, flinker Kerl, im Wagen alles herrichtete, warf sie ihm ein Kissen auf den Kopf, so daß er vornüber auf die Hände fiel, und begann laut und heftig zu lachen. Der Kutscher richtete sich auf, sah sie lachen und sagte:

»Bei Gott, Fräulein, Ihr habt mich zu Fall gebracht, aber glaubt mir, ich werde mich dafür rächen, und noch ehe es Nacht ist, werde ich Euch auch zu Falle bringen.«

»Ihr seid so übel nicht,« versetzte sie. Damit nimmt sie ein anderes Kissen, und ehe der Kutscher darauf acht hatte, bringt sie ihn rücklings zu Falle wie zuvor. Und wieder lachte sie laut, ohne sich den geringsten Zwang anzutun.

»Was soll das, Fräulein?« meinte der Kutscher. »Habt Ihr etwas gegen mich, dann nur zu. Mein Wort, wäre ich jetzt bei Euch, dann würde ich nicht zögern, mich auf der Stelle zu rächen.«

»Und was tätet Ihr?« fragte sie.

»Wäre ich oben, dann würde ich es Euch sagen.«

»Also wunders was, wenn man such so hört,« sagte sie. »Aber Ihr hättet doch nicht den Mut, mich hier aufzusuchen.«

»Nein?« meinte er. »Ihr werdet ja sehen.«

Er sprang vom Wagen, ging ins Haus und stieg nach oben, wo das Fräulein noch im Unterrock stand und sich unbändig freute. Sofort geht er auf sie los, und, um kurz zu sein, sie nahm es ruhig ihn, daß er ihr raubte, was er ihr ehrlicherweise nicht wiedergeben konnte.

So also geschah das, und als die Zeit kam, brachte sie einen hübschen Kutscherssohn zur Welt, oder, besser gesagt, einen hübschen Sohn. Das ging aber nicht so verschwiegen vor sich, daß nicht alsbald auch der Hennegauer Edelmann davon erfuhr. Er war ganz baff und schrieb in Hast durch besonderen Boten an seinen Kameraden in Flandern, daß seine Dame mit Hilfe eines Kutschers ein Kindlein zur Welt gebracht habe.

Ihr könnt euch denken, daß der andere starr vor Staunen war, als er diese Nachricht hörte. Er zögerte auch nicht lange, sondern kam nach dem Hennegau zu seinem Freund und Kameraden, und bat ihn, mit ihm die Dame aufzusuchen. Denn er wollte ihr gehörig den Marsch blasen und ihr die Niedrigkeit und Gemeinheit ihres Sinnes vorhalten. Obgleich sie ob des ihr widerfahrenen Mißgeschickes damals noch kaum auf der Bildfläche erschien, so fanden die beiden Edelleute doch schließlich die Möglichkeit, zu ihr zu gelangen. Sie war recht beschämt und befangen über ihre Ankunft wie eine, die ganz genau weiß, daß sie von ihnen nichts angenehmes zu hören bekommen sollte. Aber schließlich faßte sie sich und empfing sie, wie es sich geziemte. Sie begannen von dem und jenem zu reden, und dann machte sich der gute Edelmann aus Flandern an seine Aufgabe und begann ihr unbeschreibliche Grobheiten zu sagen:

»Ihr seid die verworfenste und ehrloseste Frau, die man sich überhaupt vorstellen kann!« rief er. »Ihr habt Eure Nichtsnutzigkeit und niedrige Sinnesart genugsam gezeigt, da Ihr Euch einem dreckigen, ekligen Kutscher hingegeben habt, wieviel anständige Leute haben Euch ihre Dienste angeboten und Ihr habt sie abgewiesen. Ihr wißt ja auch, was ich für mein Teil alles getan habe, um Eure Gunst zu erlangen. War ich nicht mehr wert, diese Beute oder besseres zu erlangen, als so ein Lump von Kutscher, der nichts für Euch getan hat?!«

»Ich bitte Euch, gnädiger Herr, sprecht nicht mehr davon,« versetzt: sie. »Was geschehen ist, läßt sich nicht ändern. Aber ich kann Euch versichern: wäret Ihr zu der Stunde dagewesen, als der Kutscher kam, dann hätte ich für Euch das gleiche getan, was ich damals für ihn tat.«

»Ach, so war es?!« versetzte er. »Beim heiligen Johann! Er kam also im rechten Augenblick! Der Teufel mag dreinschlagen, daß ich nicht so glücklich war, Eure Stunde zu kennen«

»Nein, wirklich!« entgegnete sie, »er kam eben just zu der Zeit, wo man kommen mußte.«

»Hol der Teufel Eure Stunde, Euch selbst und Euren Kutscher!« fluchte er.

Und er lief davon, sein Gefährte folgte ihm, und seitdem hat sich keiner mehr um sie gekümmert. Sie hatten ja auch guten Grund dazu.


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