Antoine de la Salle
König Ludwigs galante Chronika
Antoine de la Salle

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der hohe Herr im Kleiderkasten.

»Es ist kein ungewöhnlich Ding, zumal in unserm Königreich, daß schöne Damen und Fräulein sich oft und gern in der Gesellschaft wackerer Edelleute und Gefährten ergehen. Und was den netten frohen Zeitvertreib betrifft, den sie dort pflegen, und auch die anmutsvollen, schmachtenden Wünsche, die da erklingen, so braucht man sich darüber wohl nicht gar den Kopf zu zerbrechen. War da vor nicht zu langer Zeit ein gar edler Herr, – es dürfte wohl ein Prinz oder ein ähnlich hochgestelltes Tier gewesen sein, aber den Namen lass' ich wohl besser beiseite, – der genoß hohe Gunst einer gar schönen verheirateten Edelfrau. Ihr Ruf ist weit genug bekannt, und selbst der erhabenste Herr unseres Landes ließe sich wohl mit Freuden ihren Ritter nennen. Besagte Dame wollte nun gern dem Edelmann erzeigen, wie grenzenlos wohlgesinnt sie ihm sei. Aber das ging nicht gleich auf den ersten Anhieb so, wie sie es sich wünschte, weil ihr die altbekannten Widersacher und Feinde Amors hartnäckig in die Quere kamen. Zumal aber ward ihr wackerer Gatte ihr hinderlich, der sich in diesem Punkt benahm wie der verfluchte Zerberus. Denn wäre er nicht gewesen, dann hätte ihr ergebenster Diener schon längst von ihr empfangen, was sie ihm von Rechts und der Ehre wegen eigentlich nicht geben konnte.

Kann man sich wundern? Ihr Ergebenster war nicht wenig unzufrieden mit dieser langen Wartezeit, denn das Halali dieser seiner fürstlichen Hatz bedeutete ihm größeres Glück und lag ihm mehr am Herzen und im Sinn als alles Gute, das ihm die Zukunft bringen konnte. Und deshalb setzte er sein Drängen fort, bis die Dame ihm einmal sagte:

»Ich bin auf mein Wort nicht minder unglücklich als Ihr, daß ich Euch nichts Köstlicheres zu bieten vermag. Aber Ihr wißt ja: solange mein Mann daheim ist, muß ich mich auch mit ihm beschäftigen.«

»Ach!« seufzte er, »gibt's denn gar kein Mittel, um meine arge, grausame Pein zu kürzen?«

Wie schon gesagt, auch sie hatte nicht minder den Wunsch, mit ihrem ergebensten Diener einmal ein Stündchen unter vier Augen zu verbringen, und deshalb schlug sie ihm vor:

»Kommt heut nacht zu der und der Zeit und pocht an mein Zimmer. Ich werde Euch hineinbugsieren lassen und irgendwie fertig bekommen, meinen Mann abzuhalftern, wenn mir nicht irgendein Mißgeschick in die Quere kommt.«

Dem Liebesknechte konnte gar nichts Froheres widerfahren. Er erging sich in gar anmutsvollen holden Dankesworten, wie sich's ob dieser Gunst geziemte, die ihn gleichermaßen zum Herrn und Knechte machte, zog sich zurück und wartete gar sehnsuchtsvoll der vorbestimmten Stunde.

Denkt euch nun einmal: vor einem guten Stündlein oder mehr hatte sich die gute Dame mit ihren Frauen und ihrem Manne, der ihr nachkam, in ihre Kemenate zurückgezogen, um zur Nacht zu speisen. Und glaubt mir, sie war durchaus nicht untätig, sondern arbeitete mit allen Mitteln, um ihrem Liebsten ihr Versprechen zu erfüllen. Erst bedachte sie dies, dann das, aber ihr wollte gar nichts Rechtes einfallen, was den verfluchten Ehemann fortjagen konnte. Und doch rückte die ersehnte Stunde immer näher. Während sie noch im tiefsten Grübeln war, erzeigte sich das Schicksal über die Maßen gütig: ihr Mann gab ihr den holden Wink, wie sein und ihr hartes Mißgeschick und Unglück selbst durch seinen eignen Gegner, nämlich besagtem Liebsten, in unbegrenzte Freude, Glück, Seligkeit und vollkommenste Wonne verwandelt werden konnte. Und das kam so:

Der arme Ehemann sah seine Frau nachsinnen und ernstlich grübeln, wußte aber nicht, über wen oder was. Er beschaute sie gar aufmerksam, dann auch die eine und die andere der Frauen, die im Zimmer waren, und betrachtete sich wohl mehrmals die Stube. Und während er so stillschweigend hin und her schaute, gewahrt er zufällig zu Füßen des Lagers einen Kleiderkasten seiner Frau. Um sie nun zum Reden zu bringen und aus ihren Gedanken zu reißen, fragte er, wozu diese Truhe in dem Zimmer herumstehe, und warum sie nicht in die Kleiderkammer oder sonstwohin gestellt würde, statt daß sie sich hier in der Stube breitmache, wo sie wahrlich keine Zierde sei. »Das ist nicht weiter schlimm,« meinte die Frau, »hier kommt keine Menschenseele hinein außer uns. Deshalb habe ich sie mir hier zur Hand gelassen; es sind nämlich noch ein paar Kleider von mir darinnen. Seid nur nicht deswegen unzufrieden, lieber Freund, meine Frauen werden sie gleich hinaustragen.«

»Unzufrieden!« rief er, »aber keine Spur! Von mir aus kann sie geradeso gut hier wie sonstwo stehen, wenn es Euch lieber ist. Aber mir scheint sie doch recht klein, wenn Ihr Eure Kleider hineintun wollt, ohne daß sie Falten bekommen, maßen sie doch heutzutage so lange, große Schleppen haben.«

»Mein Wort, sie ist groß genug,« entgegnete sie.

»Eigentlich kann ich mir das nicht recht denken,« versetzte er, »schaut sie nur einmal daraufhin genau an.«

»Schön, – wollt Ihr eine Wette mit mir machen?«

»Gewiß,« meinte er, »und zwar auf was?«

»Ich wette mit Euch auf ein Halbes Dutzend feinster Hemden gegen die Seide zu einem Unterrock, das wir Euch dahinein stopfen, so lang und breit, wie Ihr seid.«

»Mein Wort,« erhitzte er sich, »ich wette, das geht nicht.«

»Und ich wette, es geht!«

»Aber zunächst,« erklärten die Frauen, »wollen wir doch sehen, wer gewinnt.«

»Versuchen wir's, dann wird es sich herausstellen,« sagte der Edelmann.

Er trat herzu, ließ aus der Truhe die Kleider herausnehmen, die darinnen waren, und als sie leer war, da brachten es die Edelfrau mitsamt ihren Damen nach einiger Mühe fertig, daß der edle Herr recht bequem darinnen saß. Daraufhin entstand ein großes, fröhliches Wortgefecht, worauf die Hausfrau schließlich sagte:

»Ihr habt Eure Wette verloren, – das erkennt Ihr an? Nicht wahr?«

»Mein Wort! Ja,« sagte er. Es stimmt.« Und bei diesen Worten wurde die Truhe zugeklappt, scherzend, lachend und neckend nahmen alle zusammen den Mann mitsamt der Truhe, trugen ihn in ein Kleiderkämmerlein weitab von dem Zimmer und ließen ihn da stehen. Der Mann schreit, wütet, lärmt und schimpft, – alles umsonst: die ganze, schöne, lange Nacht wurde er dort gelassen. Er grübelt, schläft, richtet sich ein, so gut er kann, denn die Hausfrau hat im geheimen Rat bestimmt, ihn an diesem Tage nicht mehr hinauszulassen, weil er dem Kommen dessen, den sie viel lieber hat als ihn, gar so hinderlich gewesen. Nun zurück zu dem, was wir begonnen hatten: lassen wir unsern Mann in der Truhe stecken und berichten wir, wie die Ehefrau ihren Liebsten im Kreise ihrer Frauen erwartete, denn die waren gar brav und verschwiegen, also daß man ihnen alles anvertrauen konnte. So wußten sie auch, daß der Herzliebste, soweit es aus ihn ankam, heut nacht die Stelle des Gemahls vertreten sollte, der in der Truhe sein Folterstündchen verlebte.

Es dauerte nämlich gar nicht lange, da kam auch schon der wackere Anbeter, ohne Lärm zu machen oder jemandem Schrecken einzujagen, und pochte an die Tür. An seinem Klopfen wurde er gleich erkannt, und flugs war jemand da, um ihn hineinzulassen. Er wurde gar froh und zärtlich mit offenen Armen empfangen. Die Hausfrau und ihre Begleiterinnen plauderten überaus hold mit ihm, und schließlich blieb es auch nicht aus, daß er mit seiner Dame ein Weilchen allein blieb, die ihm des langen und breiten erzählte, welche hohe Gunst ihnen Gott beschieden hatte. Sie schilderte ihm, wie sie mit ihrem Manne wettete, ob er in die Truhe hineinkäme, wie er dann hineinkroch, und wie sie mit ihren Frauen den Kasten in ein Kämmerlein trug.

»Wie denn,« rief ihr Liebster, »nie hätte ich gedacht, daß er hier im Hause sei. Weiß Gott, ich dachte, Ihr hättet einen Vorwand gefunden, um ihn fortzuschicken und zu einem Ausgang zu bestimmen, also daß ich für heute seine Stelle bei Euch vertrat.«

»Deshalb werdet Ihr doch nicht forteilen,« meinte sie. »Von dort, wo er steckt, kommt er nicht hinaus, und schreien mag er, soviel er kann, in weitem Umkreis ist keine Seele, die ihn hören könnte. Glaubt mir, von mir aus bleibt er die ganze Nacht dort; wollt Ihr ihn aber befreien, so überlasse ich das Euch.«

»Heilige Jungfrau!« rief der zukünftige Stellvertreter, »kommt er nur hinaus, wenn ich ihm auftue, dann mag er schön warten.«

»Also dann wollen wir es uns wohl sein lassen und nicht mehr daran denken!«

Kurz und gut, die beiden schlüpften aus den Kleidern, krochen gar liebesam in das wunderschöne Bett, machten es sich Arm in Arm bequem und schlürften den Freudentrank, um dessentwillen sie zusammengekommen waren. Aber das kann sich der Leser ja viel besser vorstellen, als der Schreiber es darzustellen vermag. Als dann der Tag graute, machte sich der Herr Liebste so heimlich wie möglich von seiner Schönsten fort und ging heim, um zu schlafen, wie ich hoffe, oder sich durch ein Frühstück zu stärken: denn alles beides hatte er recht nötig.

Die Hausfrau aber war nicht minder pfiffig als klug und wacker: Als es Zeit war, erhob sie sich und sagte zu ihren Frauen:

»Jetzt wird es Zeit, unsern Gefangenen hinauszulassen. Ich will einmal hören, was er sagt, und ob er seine Schuld bezahlen will.«

»Ladet nur alles auf unsern Hals,« meinten die, »wir werden ihn schon beschwichtigen.«

»Nein, das besorge ich selbst,« entgegnete sie. Damit bekreuzt sie sich und geht. Und als wäre nichts geschehen, aber wohl auf dem Sprunge und schlagbereit trat sie in die Kammer, wo ihr Ehemann noch in der verschlossenen Truhe saß. Als er sie hörte, machte er großen Lärm und schrie, wie wenn's ihm ans Leben ginge:

»Was soll das heißen! Soll ich denn hier drin steckenbleiben?«

Als seine Frau ihn so aufbegehren hörte, antwortete sie erschreckt und anscheinend ängstlich, als ob sie von nichts etwas wüßte:

»Herr im Himmel! Was höre ich da für ein Geschrei!?«

»Bei Gott, das bin ich, das bin ich!« rief der Mann. »Ihr?« verwunderte sie sich. »Wie kommt Ihr denn zu dieser Zeit hierher?«

»Woher ich komme?« schalt er, »das wißt Ihr doch recht gut, Frau Liebste, und ich brauche es Euch nicht zu sagen. Aber was Ihr mir da angetan habt, das werde ich Euch ein paar Tage lang zu verspüren geben.«

Und hätte er's gewagt oder sich herausgenommen, so würde er gar gern seinen ganzen Grimm ausgelassen und seine Frau gehörig beschimpft haben. Aber sie kannte ihn gut genug, schnitt ihm das Wort ab und sagte: »Bei Gott, habt Erbarmen. Ich schwöre Euch, ich versichere Euch, ich habe Euch zu dieser Zeit nicht hier vermutet. Glaubt mir, ich hätte in dieser Kammer nicht nach Euch gesucht, und bin ganz sprachlos, daß Ihr noch hier seid. Denn gestern abend hieß ich die Frauen, Euch hinauszutragen, während ich mein Abendgebet sagte, und sie erklärten, sie würden es tun. Und wirklich hat mir eine gesagt, Ihr wäret schon auf und davon und in die Stadt gegangen, würdet auch vor dem nächsten Tage nicht zurückkommen. Und deshalb ging ich ziemlich früh zu Bett, ohne auf Euch zu warten.«

»Beim heiligen Johann! Ihr seht ja, wie das stimmt!« erboste er sich. »Aber kommt doch nun endlich und zieht mich hinaus, denn ich bin so matt, daß ich mich nicht mehr rühren kann.«

»Gern,« meinte sie, »aber erst müßt Ihr mir versprechen, die verlorene Wette zu bezahlen. Denn sonst, – verzeiht, – tue ich's sicher nicht.« »Bei Gott, kommt her!« rief er, »ich werde sie pünktlich bezahlen.«

»Und Ihr versprecht mir das?«

»Gewiß, auf mein Wort!«

Nachdem diese Aussprache glücklich erledigt war, machte die Frau den Kasten auf, und der Edelmann kam todmüde gerädert, zerdrückt und abgearbeitet heraus. Sie aber nimmt ihn in den Arm, umhalst und küßt ihn so hold, wie es niemand schöner konnte, und bat ihn bei Gott, nur ja nicht böse zu sein. Und der arme gefoppte Kerl versprach ihr das und meinte, er habe nichts wider sie, da sie ja nichts davon wisse. Aber ihre Frauen wolle er dafür gehörig strafen, sobald sich das machen ließe! »Mein Wort,« meinte sie, »die haben sich arg an Euch gerächt. Ich bin gewiß, Ihr seid irgendwie übel mit ihnen umgesprungen.«

»Nicht, daß ich wüßte! Aber glaubt mir: den Streich, den sie mir gespielt haben, werden sie teuer bezahlen.« Kaum hatte er das ausgesprochen, da kamen all die Frauen hereingelaufen, und lachten so laut und so von Herzen, daß sie eine ganze Weile gar nicht reden konnten. Und der Herr, der so wundergroße Dinge vorhatte, konnte nicht anders, – er mußte mit einstimmen, als er sie derart lachen sah. Und seine Frau half dabei und brauchte sich dazu nicht einmal zu verstellen. So gab's ein gar herrliches Gelächter von allen Seiten, und der, um den es sich drehte, konnte sich überhaupt nicht fassen. Schließlich aber nahm der Spaß doch ein Ende, und der Herr sagte:

»Meine Damen, ich danke euch sehr für die Liebenswürdigkeit, die ihr mir heut nacht angetan habt.«

»Ganz zu Euren Diensten,« erwiderte eine, »aber noch seid Ihr nicht mit uns glatt: stets und bis heute habt Ihr uns so arg zugesetzt und gequält, daß wir immer schon etwas Derartiges gegen Euch geplant hatten. Und es tut uns nur leid, daß es Euch nicht schlimmer ergangen ist. Wenn wir nicht sicher gewesen wären, daß es unserer Herrin mißfallen hätte, dann säßet Ihr noch hier. Bedankt Euch also dafür.«

»Steht es so?« meinte er. »Nun denn, gut: ihr sollt sehen, wie euch das bekommen wird. Mein Wort, mir ergeht's ja recht nett, wenn man mich bei all dem Mißgeschick, das ich auszustehen hatte, auch noch ausspottet und obendrein, was das Schlimmste ist, gar den Seidenrock bezahlen läßt. Und wirklich, ich sollte eigentlich wenigstens die Hemden bekommen als Entschädigung für die Pein, die man mich hat ausstehen lassen.«

»Das ist ganz berechtigt, bei Gott,« meinten die Damen. »In diesem Punkt wollen wir auf Eurer Seite stehen und Ihr sollt sie bekommen. Nicht wahr, gnädige Frau?«

»Woraufhin denn?« sperrte sie sich, »Er hat doch die Wette verloren.«

»Freilich, das wissen wir wohl, und von Rechts wegen hat er keinen Anspruch. In dieser Beziehung erbittet er sie ja auch nicht, aber er hat sie doch ansonsten wohl verdient.« »Darauf soll's mir schließlich nicht ankommen,« meinte sie. »Ich will ja gern das Zeug drangeben, und ihr, meine Damen, die ihr so für ihn besorgt seid, werdet euch dann wohl auch die Mühe nehmen und die Hemden nähen?!«

»Aber freilich; gewiß!« –

Wie ein Hund, der des Morgens, wenn er sich erhebt, bloß den Kopf zu schütteln braucht, um bereit zu sein, so auch der Edelmann: man brauchte bloß seine Kleider etwas klopfen und über seine Schuhe fahren, da war er schon wieder ganz in Ordnung. So ging er zur Messe, und seine Gemahlin kam mit den Frauen hinterdrein.

Daß die über ihn gehörig kicherten, brauche ich nicht zu versichern. Und glaubt nur: immer wieder pruschten sie plötzlich los, wenn ihnen so einfiel, was für ein Nachtlager der Herr dort in der Truhe gehabt haben mochte, der nicht einmal wußte, daß er in selbiger Nacht auch in das Buch ohne Namen (die Liste der Hahnreie) eingetragen worden war. Und kommt ihm diese Geschichte hier nicht einmal zufällig in die Hand, dann wird er, so Gott will, und wie ich ihm von Herzen wünsche, nie etwas davon erfahren. Darum bitte ich auch die Leser, die ihn kennen, daß sie ihm um Gottes willen diesen Bericht nicht zeigen.


 << zurück weiter >>