Antoine de la Salle
König Ludwigs galante Chronika
Antoine de la Salle

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Der Unglücksrabe.

Nach diesen Geschichten von allerlei Tieren will ich euch kurz und wahrheitsgemäß ein gar anmutsvolles Späßlein von einem Rittersmann erzählen, den ihr, gute Herren, zum größten Teil selbst kennt. Es ist tatsächlich wahr, daß besagter Rittersmann, wie das bei jungen Leuten nun einmal so ist, sich ganz gehörig in eine sehr schöne, edle und junge Dame vernarrte. Sie war in der Gegend, in der sie wohnte, die bestberühmte und weitestbekannte Schönheit. Mochte er aber auch aufstellen, dienstbar und pflichtbereit sein soviel er wollte, um ihre Gunst zu erlangen, so vermochte er es doch niemals dahin zu bringen, daß sie seine Ritterdienste annahm. Darob war er alles andere als zufrieden, denn er liebte sie mit glühender Liebe, unerschütterlicher Treue und so von ganzem Herzen, wie vollkommener niemals eine Frau geliebt worden war. Und dabei darf man nicht vergessen, daß er alles an Kleidern und Aufputz aufwandte, was ein ergebener Diener nur aufwenden kann. Und doch, wie gesagt, fand er seine Dame stets barsch und unzugänglich, und sie zeigte ihm weniger Liebesgefühle, als sie es eigentlich von Rechts wegen hätte tun sollen. Denn sie wußte ja wahr und wahrhaftig, daß sie von ihm treu, heiß und innig geliebt wurde. Offen gesagt, sie war schon zu hart zu ihm, und man muß wirklich annehmen, daß dies aus Stolz geschah, der sie, mehr als gut war, erfüllte, soweit man wenigstens von ihr hörte.

Während die Dinge so standen, ward die andere Dame aus der Nachbarschaft und eine Freundin der vorherbenannten des Werbens dieses Rittersmannes inne, und sie verliebte sich derart in ihn, daß es ärger schon nicht mehr möglich war. Auf gute Weise, die hier zu beschreiben zu lang wäre, wußte sie es einzurichten, daß unser wackerer Rittersmann es bemerkte. Das ging ihm freilich nicht einmal über die Maßen nahe, so vollkommen hatte er sich seiner widerspenstigen, hartherzigen Herrin hingegeben.

Doch da er ein netter Kerl war, so sprang er gar geschickt mit ihr, die in ihn verliebt war, um, damit die andere davon unterrichtet würde und trotzdem keinen Grund bekam, ihren ergebensten Diener dieserthalben irgendwie zu tadeln. Hört nun, wie diese Liebesgeschichte verlief und welches Ende sie nahm.

Ob der weiten Entfernung, die unsern verliebten Rittersmann von seiner Dame trennte, konnte er nicht so oft bei ihr sein, als es sein treues Herz und sein allzu verliebter Sinn begehrte. So kam er eines Tages auf den Gedanken, einige Ritter und Gefolgsleute zu sich zu bitten, lauter gute Freunde, die aber doch nicht von seiner Geschichte wußten. Sie wollten sich in den Marken des Landes ergehen, wo seine Dame sich befand, wollten Falkenjagd halten und Hasen sagen; er aber wußte durch seine Späher genau, daß ihr Ehemann damals nicht daheim, sondern zu Hofe gegangen war, wo er sich öfters aufhielt, ebenso wie der, von dem die Geschichte handelt.

Wie also der verliebte Rittersmann mit seinen Gefährten verabredet hatte, so geschah es: sie brachen am nächsten Morgen ganz früh aus der lieben Stadt, wo der Hof sich aufhielt, auf, jagten hinter den Hasen her und verbrachten derart den Tag bis etwa drei Uhr nachmittags, ohne zu trinken und zu essen. Dann kamen sie in großer Hast in ein kleines Dorf, um sich etwas zu erfrischen. Das Essen war kurz und mager, dann aber stiegen sie wieder aufs Pferd und von neuem machten sie sich frisch auf die Hasenjagd.

Unser Rittersmann freilich, der es nur auf eine einzig Beute abgesehen hatte, hielt die Schar, so gut er konnte, stets von der Stadt fern, wo seine Gefährten sich gern hinbegeben wollten, denn schon oft sagten sie zu ihm:

»Die Vesperstunde naht, es ist Zeit, sich zur Stadt zu begeben. Wenn wir nicht achthaben, werden wir ausgesperrt, und dann sind wir genötigt, in einem dreckigen Dorf liegenzubleiben und allesamt vor Hunger zu sterben.«

»Kümmert euch nicht darum,« versetzte unser verliebter Jüngling, »es ist noch Zeit genug. Und obendrein weiß ich für den schlimmsten Fall einen Ort in dieser Gegend, wo man uns sehr gut ausnehmen wird. Offen gesagt, soweit es nicht an euch hängt, werden uns die Damen dort festlich bewirten.«

Da Leute vom Hofe gern mit Damen zusammen sind, so waren sie es zufrieden, sich nach den Wünschen dessen zu richten, der sie hierhergeführt hatte, und verbrachten die Zeit, solange der Tag währte, mit Hasen- und Rebhuhnjagd. So kam die Stunde der Heimkehr, und nun sagte der Rittersmann zu seinen Gefährten:

»Kommt voran, immer frisch zu, ich werde euch schon führen.«

Etwa um sieben oder acht Uhr abends kam der wackere Rittersmann mit seiner Gesellschaft dorthin, wo sich besagte Dame befand, auf die der Führer der Schar derart scharf war, daß es ihn gar manche Nacht nicht hatte schlafen lassen. Einer pochte an die Tür des Schlosses, und alsbald kamen denn auch die Knechte herzu und fragten, was man wolle. Der, den die Sache am nächsten anging, nahm das Wort und entgegnete:

»Sagt doch, ist der Herr des Hauses und seine Gemahlin daheim?«

»Der Herr ist allerdings nicht da,« erwiderte einer für die andern alle, »aber die Dame ist zu Hause.«

»Dann sagt Ihr, bitte, daß die und die Rittersleute und Junker des Hofes und auch ich, so und so, bei einem Ausflug und der Hasenjagd hier in die Gegend gekommen sind und uns jetzt verirrt haben, so daß es zu spät ist, in die Stadt zurückzukehren. Wir bitten, uns gnädigst für heute als Gäste empfangen zu wollen.«

»Gern,« entgegnete er.

Er ging und richtete seine Botschaft seiner Herrin aus, die ohne langes Fackeln ihnen folgende Antwort zugehen ließ, ohne selbst einen Schritt zu ihnen zu machen: »Edler Herr,« berichtete nämlich der Knecht, »die gnädige Frau läßt Euch sagen, daß der Herr des Hauses, ihr Mann, nicht daheim ist, was sehr zu bedauern ist, denn wäre er da, so würde er Euch gar gastlich aufgenommen haben. In seiner Abwesenheit aber wagt sie niemanden zu empfangen und bittet such, ihr das nicht verübeln zu wollen.«

Ihr könnt euch denken, daß der Rittersmann, der die Gesellschaft hierhergeführt hatte, aus allen Wolken fiel und gar beschämt war, als er diese Antwort hörte, denn er hatte geglaubt, seine Herrin nach Herzenslust sehen und sattsam mit ihr reden zu können, und davon war er nun weit entfernt. Und noch schwerer fiel ihm auf die Seele, daß er seine Gefährten an eine Stätte geführt hatte, wo sie, wie er sich gerühmt hatte, herrlich und in Freuden aufgenommen werden sollten. Als gewandter, edel erzogener Mann zeigte er nicht, was in seinem armen Herzen vor sich ging, sondern er sagte frisch heraus zu seinen Gefährten:

»Ihr Herren, verzeiht mir, daß ich euch diesen zwecklosen Weg machen ließ. Ich dachte nicht, daß die Damen dieses Landes so wenig entgegenkommend sein würden, verirrten Rittersleuten eine Unterkunft zu verweigern. Nehmen wir's in Geduld hin. Ich verspreche euch auf mein Wort, euch anderswohin zu führen, nur wenig abseits von hier, wo wir wesentlich anders aufgenommen werden!« »Also denn vorwärts!« riefen die andern. »Frisch darauf zu. Gott schuldet uns noch ein schönes Abenteuer.« Sie machten sich also auf den weg. Ihr Führer hatte die Absicht, sie zu dem Hause der Dame zu führen, die größere Stücke auf ihn hielt, als er es von Rechts wegen verdiente, und die ihm von Herzen zugetan war. Er beschloß, zur Stunde alle Liebeslasten wegen der Dame, die seiner Gesellschaft so gröblich die Aufnahme verweigert, und bei der er so ertraglos Dienst getan hatte, von sich zu werfen. Und er faßte den Plan, so gut er nur könnte, fortan die andere zu lieben, zu umwerben und ihr gehorsam zu sein, da sie ihm so wohlwollte und er sich, dafern es Gott gefiel, alsbald bei ihr befinden würde.

Um kurz zu sein: nachdem die Gesellschaft mehr als gute anderthalb Stunden sich hatte den Buckel vollregnen lassen, kamen sie zu dem Hause der Dame, von der weiterhin die Rede war. Einer von ihnen pochte gar vernehmlich an die Pforte, denn es war schon recht spät, etwa neun oder zehn Uhr nachts, und sie waren sehr im Zweifel, ob nicht schon alles schliefe. Knechte und Mägde, die eben schlafen gehen wollten, sprangen herfür und fragten, wer dort sei. Das wurde ihnen gesagt, und so begaben sie sich zu ihrer Herrin, die schon im Unterrock dastand und die Nachthaube aufgesetzt hatte, und berichteten ihr:

»Gnädige Frau, an der Tür ist der und der Herr und bittet um Einlaß. In seiner Gesellschaft befinden sich einige Rittersleute und Junker des Hofes, es mögen wohl drei sein.«

»Sie sind herzlich willkommen!« versetzte sie. »Vorwärts, vorwärts! Ihr und Ihr laßt Kapaune und Geflügel schlachten und richtet alles, was es Gutes im Hause gibt, schnell zum Essen her.«

Kurz, als guterzogene großzügige Frau, wie sie es war und heute noch ist, ließ sie alle Vorbereitungen treffen wie ihr weiterhin hören werdet. In aller Hast nahm sie ihr Nachtkleid um, und so schön hergerichtet, wie sie just war, kam sie gar anmutiglich zu den Herren, zwei Fackeln vor sich her und eine einzige Frau bei sich, ein sehr hübsches Mägdelein; denn die andern richteten die Stuben.

Auf der Brücke zum Schloß kam sie ihren Gästen entgegen, und der edle Rittersmann, der sich so sehr ihrer Gunst erfreute, trat als Führer der Schar an deren Spitze, stellte die Herren vor, küßte die Frau, und nach ihm küßten auch die anderen sie gleichermaßen. Alsdann sagte sie als wohlgebildete Dame zu den edlen Gästen:

»Meine Herren, seid herzlich bei mir willkommen. Herrn Soundso (damit bezeichnete sie den Anführer der Gesellschaft) kenne ich schon. Er ist, wenn's ihm beliebt, ganz hier zu Hause. Wenn es ihm gefällig ist, wird er Hausherrnstelle vertreten.«

Kurz und gut, – nachdem alle Höflichkeiten gewechselt waren und das Abendessen alsbald bereitstand, wurde ein jeglicher in einem schönen, großen, mit Geweben und allem Nötigen ausgestatteten und geschmückten Zimmer untergebracht. Man braucht nicht erst zu sagen, daß die Dame und der wackere Rittersmann in der Zeit, da das Abendessen bereitet wurde, lange und so eingehend miteinander sprachen, bis sie sich ganz darüber einig waren, daß sie die Nacht in einem Bett verbringen wollten, denn glücklicherweise war der Ehemann nicht daheim, sondern mehr als vierzig Meilen fern. So kam die Stunde, wo das Essen während dieser Gespräche fertig wurde und sie allesamt denkbar fröhlichst ihr Abendessen einnahmen.

Nach all den Abenteuern des Tages will ich euch nun von der Dame berichten, die der Gesellschaft ihr Haus verschlossen hielt und so unhöflich war, wie man nur sein konnte. Sie erkundigte sich nämlich bei ihren teuren, als diese von ihrer Bestellung zurückkehrten, was der Rittersmann für eine Antwort gegeben habe. Einer sagte:

»Gnädig« Frau, seine Antwort war ganz kurz. Er sagte einfach, daß er seine Gäste an einen Ort nicht weit von hier führen wolle, wo man ihm die beste Aufnahme und den schönsten Empfang bereiten würde.«

Alsbald fiel ihr ein, wer das wohl sein könne, und sie sagte sich innerlich:

»Ach, jetzt ist er zum Hause von der und der hinweggegangen, die ihn, wie ich genau weiß, nicht ungern sieht. Dort wird sich irgend etwas zu meinem Schaden zutragen, – daran darf ich nicht zweifeln.«

Während sie sich diesen Gedanken und Vorstellungen hingab, wurde plötzlich ihr harter Sinn, den sie ohne Schonung ihrem ergebensten Diener gezeigt hatte, in das gerade Gegenteil, in herzlichste, freundlichste Bereitwilligkeit umgewandelt, und der Grund war ihre Unfreundlichkeit an diesem Abend. Derart kam sie zu einem Entschluß, der ebenso zart und holdselig war, wie ihre Haltung zuvor stolz und ablehnend: sie war bereit, ihrem liebsten Diener alles zu bewilligen, was er nur wünschen mochte, so nahm die Sache ihren Lauf. Da sie nun aber fürchtete, daß die Dame, zu der die Gesellschaft sich hinbegeben hatte, den Mann beglücken könne, den sie also hart behandelt hatte, so schrieb sie mit eigener Hand an ihren Freund einen Brief, dessen Zeilen zumeist mit ihrem eigenen kostbaren Blut geschrieben waren, und der Inhalt war derart, daß er, sobald er den Brief gelesen hatte, alle anderen Gedanken von sich tun sollte. Sie schrieb ihm nämlich, er möchte mit dem Boten ohne Begleitung zu ihr kommen, denn er würde so freundlich bei ihr aufgenommen werden, wie liebevoller niemals ein Werber von seiner Liebsten zu seiner Zufriedenheit beglückt worden sei. Zum Zeichen vollkommenster Wahrhaftigkeit aber tat sie in den Brief einen Diamanten, den er ganz genau kannte.

Der Bote, der vollkommen zuverlässig war, nahm den Brief und traf besagten Rittersmann bei seiner Wirtin zusammen mit der ganzen Gesellschaft beim Abendessen an. Gleich nach der Mahlzeit nahm er ihn beiseite, gab ihm den Brief und sagte ihm, er solle sich nichts merken lassen, sondern einfach tun, was darinnen stünde.

Als der wackere Rittersmann diesen Brief sah, war er baß erstaunt und mehr noch erfreut. Denn wenn er auch zu dem Entschluß und der festen Entscheidung gekommen war, aller Liebe und Zuneigung zu derjenigen zu entsagen, die ihm da schrieb, so war er doch nun wieder schwankend, ob sein allerheißestes Begehren nicht durch diesen Brief der Erfüllung nunmehr nahe war. Er nahm also seine Wirtin beiseite und erklärte ihr, sein Herr ließe ihn in aller Eile rufen, und deshalb sei er genötigt, noch in derselben Stunde aufzubrechen. Und dabei stellte er sich, als wenn es ihm das größte Mißbehagen bereitete.

Jene hatte die Erfüllung ihres ersehnten Wunsches ganz nahe gesehen und war deshalb gar froh gewesen. Nun wurde sie alsbald traurig und kummervoll; er aber stieg aufs Pferd, ließ seine Gefährten dort zurück und kam mit dem Boten bald nach Mitternacht zu dem Haus seiner Dame. Und siehe da: eben war deren Mann vom Hofe zurückgekehrt und rüstete sich gerade zum Schlafengehen. Man kann sich denken, in welchem Zustand die Schöne war, die ihren Liebsten durch den Brief hatte herbeiholen lassen. Der wackere Rittersmann, der nun den ganzen Tag nicht aus dem Sattel gekommen war, erst um Hasen zu jagen, dann um Unterkunft zu finden, erfuhr an der Tür, daß der Gemahl seiner Liebsten angekommen sei, und seine Freude darob könnt ihr euch denken. Er fragte also seinen Führer, was da zu tun sei. Sie kamen schließlich zu dem Entschluß, daß er so tun solle, als habe er sich von seinen Gefährten getrennt und verirrt, glücklicherweise aber diesen Führer gefunden, der ihn nun zu dem Schlosse geleitet habe.

Gesagt, getan: die Unglücksstunde war nun einmal nicht abzuwenden, und so suchte er denn den edlen Herrn und seine Gemahlin auf und spielte seine Rolle, so gut er konnte. Nachdem er noch einmal einen Trunk getan hatte, der seine Lage herzlich wenig besserte, wurde er in sein Schlafzimmer geführt, wo er aber während der Nacht nur wenig schlief. Und am nächsten Morgen kehrte er mit seinem Wirt zum Hofe zurück, ohne irgend etwas von dem vollbracht zu haben, was in besagtem Briefe zu lesen gestanden hatte. Ich kann euch aber auch sagen, daß er niemals mehr dorthin zurückkehrte, denn bald danach verließ der Hof dies Land, er ging mit, und alles versank in Vergessenheit, wie das ja oft geschieht.


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