Antoine de la Salle
König Ludwigs galante Chronika
Antoine de la Salle

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Die verliebte Fleischersfrau im Schornstein.

Einst geschah es in Lille, daß ein großer Gelehrter und Prediger des heiligen Dominikusordens durch seine erbauliche sanfte Predigt eines Metzgers Frau so tief und nachdrücklich bekehrte, daß sie ihn über alles in der Welt liebte und sich weder im Herzen noch ansonsten wohlfühlte, wenn sie nicht bei ihm war. Aber Meister Mönch bekam sie auf die Dauer satt, mochte von ihres Leibes Wonnen nichts mehr wissen, er dachte reiflich darüber nach, denn er hätte gern gewollt, daß sie von ihren vielen Besuchen bei ihm abließ.

Ihr war das über die Maßen betrüblich, und je mehr er sie von sich abwimmelte, um so tiefer wurzelte sich ihre Liebe ein. Als der Herr Mönch das sah, verbot er ihr überhaupt seine Stube und schärfte eindringlichst seinen Leuten ein: sie sollten ja nicht mehr dulden, daß sie jemals wieder hineinkäme, was sie auch sagen möge. Nun war sie noch unglücklicher wie zuvor, was nicht verwunderlich ist, denn sie hing gleichsam mit Händen und Füßen in der Schlinge.

Fragt ihr mich aber, aus welchem Grunde der Herr Mönch das tat, so muß ich euch erwidern: Es geschah nicht aus Demut oder weil er fortan in Keuschheit leben wollte, sondern der Grund war, daß er eine Schönere, viel Jüngere und Reichere gefunden hatte, die schon so vertraut mit ihm stand, daß sie den Schlüssel zu seinem Zimmer hatte. Jedenfalls kam es dahin, daß die Fischersfrau ihn nicht mehr aufsuchte, wie sie es gewöhnt war. Ihm gefiel es viel besser und er fühlte sich dabei viel wohler, wenn seine neue Freundin in seinem Zimmer sich die Vergebung ihrer Sünden holte und, wie jene Frauen, von denen weiter vorn die Rede war, ihren Zehnt zahlte.

Eines Tages traf er die Vorbereitungen zu einem vergnügten Tage in seinem Zimmer im Anschluß an das Mittagessen, zu dem seine Freundin versprach, zu erscheinen und ihren Anteil an Wein und Fleisch mitzubringen. Da auch einige seiner Ordensbrüder mit ihm unter einer Decke steckten, so lud er zwei oder drei von ihnen insgeheim ein; und Gott weiß, wie gar herrlich sie es sich ergehen ließen bei diesem Essen, wo auch gehörig gepichelt wurde.

Nun müßt ihr aber wissen, daß unsere Fleischersfrau die Leute des Predigers gut genug kannte. Die sah sie an ihrem Hause vorbeikommen: die einen trugen Wein, die andern Pasteten, die andern Gebäck und sonst allerlei köstliche Dinge. Sie konnte nicht an sich halten, sie zu fragen, was in ihrem Hause für ein Fest vor sich ginge. Darauf bekam sie zur Antwort, all diese guten Sachen seien für jenen Mönch, der sehr angesehene Leute zum Essen bei sich habe.

»Und wer ist das denn?« erkundigte sie sich.

»Das weiß ich wahrhaftig nicht,« erwiderte der Mann. »Ich trag« meinen Wein bloß bis zur Tür, dort kommt unser Herr, nimmt ihn mir ab, und ich weiß nicht, wer drinnen ist.«

»Aha,« meinte sie, »das ist die geheime Gesellschaft. Also geht nur und bedient sie gut.«

Bald kam ein anderer Diener vorbei, den sie ebenso ausfragte und der ihr die gleiche Antwort gab wie sein Gefährte; nur ging er etwas weiter, denn er erklärte: »Ich glaube, da ist eine Dame, die nicht gesehen und erkannt werden will.«

Sie dachte sich gleich, wer das wohl sein mochte, und wäre vor Kummer und Wut schier geplatzt. Sie beschloß bei sich, einmal zu erspähen, wer ihr ihren Freund abspenstig gemacht und sie verdrängt habe. Würde sie ihr aber begegnen, dann wollte sie ihr schon ihre Meinung sagen und ein wenig das Gesicht zerkratzen.

Sie machte sich also auf den Weg in der Absicht, ihren Beschluß auszuführen. Als sie an den ersehnten Ort gelangte, hatte sie nicht die Geduld, die zu erwarten, die sie über alles haßte. Es hätte zu lange gedauert oder sie hätte schon in das Zimmer springen müssen, wo sie selbst so manchen frohen Tag erlebt hatte. Aber da kam sie auf den Gedanken, eine Leiter zu nehmen, die ein Dachdecker von seiner Arbeit hatte stehen lassen, während er zum Essen ging. Diese Leiter stellte sie an der Stelle ans Haus, wo sich die Esse der Küche befand, denn durch diese wollte sie auftauchen, um die Gesellschaft zu begrüßen. Sie wußte ja recht gut, daß sie anders nicht hineinkam. Nachdem sie die Leiter richtig so angelehnt hatte, wie sie es wollte, stieg sie bis zum Schornstein empor und fand auch dabei zufällig einen mittelstarken Strick, an dem sie sich festband. Nachdem sie das, wie es ihr schien, recht gut erledigt hatte, kroch sie in besagte Esse und begann hinabzusteigen und hinunterzurutschen. Das Schlimme nun aber war, daß sie unterwegs stecken blieb, ohne weiter zu können, weder hinauf noch hinab, soviel Mühe sie sich auch gab; und daran war erstens ihr Gesäß schuld, das viel zu feist und gewichtig war, und zweitens der Strick, der abriß, so daß sie sich nicht Hochziehen konnte.

Gott weiß, welch wundersames Mißbehagen sie da empfand. Sie wußte nicht, was tun und was sagen, und gedachte schließlich, den Dachdecker abzuwarten und sich ihm in die Hand zu geben: sie wollte ihn rufen, wenn er wiederkam, seine Leiter und seinen Strick zu suchen. Aber da hatte sie sich gehörig getäuscht, denn der Dachdecker kam erst am nächsten Morgen ganz früh wieder zur Arbeit, weil es zu stark regnete, von diesem Regen bekam sie auch ihr Teil ab, denn sie wurde bis auf die Haut durchnäßt.

Als es auf den Abend ging und schon recht spät war, hörte unsere Fleischersfrau Leute in der Küche miteinander reden. Nun begann sie zu rufen. Die andern waren gar verblüfft und erschrocken und wußten nicht, wer sie rief und wo der Ruf herkam. Aber trotz ihrer Verwunderung hörten sie doch noch einiges: hatten sie erst eine Stimme vernommen, so begann nun auch noch ein anderer Ton zu erschallen. Da vermeinten sie, es sei ein Geist, liefen zu ihrem Herrn und kündigten ihm den Vorfall an. Der aber lag bereits im Schlafraum und war nicht mutig genug, hinzulaufen und nachzusehn, was da war, sondern er verschob alles auf den nächsten Tag.

Ihr könnt euch die herrliche Geduld der guten Frau ausmalen, die während der ganzen Nacht in diesem Schornstein steckte. Und während ihres ganzen Abenteuers regnete es, daß es nur so eine Freude war.

Am nächsten Morgen in der Frühe kam unser Dachdecker zur Arbeit, um den Schaden wieder gutzumachen, den der Regen am vorigen Tage angerichtet hatte. Er war baß erstaunt, seine Leiter ganz wo anders zu finden als dort, wo er sie gelassen hatte. Und obendrein sah er an den Schornstein seinen Strick geknotet. Er wußte nicht, wer und wozu dieser ›er‹ das gemacht haben mochte. Aber er entschloß sich, seinen Strick holen zu gehen, stieg auf seine Leiter hinauf, kletterte zum Schornstein und band seinen Strick los. Und um genau nachzusehen, steckte er den Kopf in den Schornstein, und da sah er unsere Fleischersfrau kläglicher denn eine gebadete Katze hocken. Er riß sämtliche Augen auf und fragte:

»Nanu, was macht Ihr denn da? Wollt Ihr die armen Mönche, im Hause ausrauben?«

»Ach, lieber Freund,« jammerte sie, »wahrhaftig nicht. Ich bitte Euch, helft mir hier hinaus, ich gebe Euch, was Ihr dafür verlangt.« »Oho, da werde ich mich schön hüten,« versetzte der Dachdecker, »ehe ich nicht weiß, wie Ihr hier hineinkamt.«

»Ich will es such sagen, wenn Ihr es durchaus wissen wollt,« erwiderte sie. »Aber ich bitte Euch, erzählt die Geschichte nicht weiter.«

Darauf berichtete sie ihm ausführlich von ihren Liebesgeschichten mit dem Mönche und dem Grunde, um dessentwillen sie hierher gekommen war. Der Dachdecker hatte Mitleid mit ihr, tat nach ihrem Wunsche, und wenn es auch manche Unbequemlichkeit setzte, so brachte er sie doch mit Hilfe seines Strickes hinaus und vom Dache hinunter. Sie aber versprach ihm, wenn er reinen Mund hielte, dann wolle sie ihm Fleisch vom Ochsen und Hammel geben und das ganze Jahr für seinen Haushalt beisteuern. Das tat sie denn auch, und der andere hielt die Geschichte so geheim, daß alle Welt sie erfuhr.


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