Antoine de la Salle
König Ludwigs galante Chronika
Antoine de la Salle

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Der Zweikampf mit Nestelbändern.

Der edle Herr Talbot, den Gott in seiner Barmherzigkeit behalten möge, war, wie jedermann weiß, ein kühner engelländischer Feldherr, dessen Heldenmut nur seinem unwandelbaren Kriegsglücke zu vergleichen war. Dieser stolze Kämpe nun hat in seinem Leben zwei Urteilssprüche gefällt, die es wahrhaftig wert sind, daß man sie erzählt und immer wieder ins Gedächtnis zurückruft. Und darum will ich sie in kurzen Worten wiedergeben und zum Gegenstand dieser Erzählung machen:

In jener argen Zeit, da der gottverdammte, menschenmordende Krieg zwischen Frankreich und Engelland wütete, der auch heute noch sein Ende nicht erreicht hat, geschah es, wie das ja öfters vorkommt, daß ein französischer Kriegsmann einem Engelländer in die Hände fiel und von ihm gefangengenommen wurde. Damit er sich nun durch Lösegeld wieder freikaufen konnte, so bekam er einen Geleitbrief des Herrn Talbot ausgehändigt und machte sich auf den Weg, um zu seinem Feldherrn zurückzukehren, das Geld aufzutreiben und es seinem Besieger zugehen zu lassen.

Während er solchermaßen heimeilte, begegnete er im freien Felde einem anderen Engelländer, der bei seinem Anblick ihm den Weg verlegte und ihn fragte, woher er käme und wo er hinwolle. Der Franzose sagte ihm, wie die Sache sich verhielt.

»Wo ist denn Euer Geleitbrief?« fragte der Engelländer.

»Ganz dicht dabei,« meinte der Franzose, holte ein Behältnis hervor, das an seinem Wams hing und den Geleitbrief enthielt, und reichte diesen dem Engelländer hin. Der las ihn von vorn bis hinten durch; und da der Brief den üblichen Passus enthielt: ›Dafern der Betreffende keinerlei Kriegswaffen bei sich führt‹, so hakte der Engelländer auf diese Worte ein. Denn er sah an des Franzosen Wams noch die Wehrgehenke, und es bedünkte ihm, daß er sein eignes Urteil darüber haben dürfe, ob die Bedingungen des Geleitbriefes eingehalten seien, sintemalen er die Nestelbänder zum eigentlichen Kriegsgewaffen rechnete. Darum also sagte er:

»Lieber Freund, ich nehme Euch gefangen, denn Ihr habt die Bedingungen des Geleitbriefes nicht eingehalten.«

»Gestattet gütigst: ich habe sie doch eingehalten, – mein Wort darauf,« entgegnete der Franzose. »Ihr seht doch selbst, was ich bei mir habe.«

»Das stimmt nicht,« widersprach der Engelländer. »Beim heiligen Johann: Ihr habt sie nicht eingehalten. Ergebt Euch, oder ich mache Euch nieder.«

Der arme Franzmann, der nur seinen Pagen bei sich hatte und doch keinerlei Waffen führte, mußte sich also seinem Gegner ergeben, sintemalen dieser gar wohl bewehrt war und zudem drei oder vier Schützen zur Bedeckung bei sich hatte. Selbiger schleppte ihn zu einem befestigten Platze, der dort in der Nähe lag, und sperrte ihn daselbst ein.

Wie nun der Franzose merkte, welche Wendung die Sache nahm, ließ er den Vorfall eiligst dem Hauptmann melden. Der fiel natürlich aus allen Wolken und schrieb auf der Stelle einen Brief an den Herrn Talbot. Außerdem aber schärfte er auch noch dem Herold, der den Brief überbringen sollte, genau ein, was sich da zugetragen hatte und was der Gefangene ihn alles ausführlich hatte wissen lassen: daß nämlich einer seiner Leute jemanden gefangengenommen habe, der von dem Feldherrn freies Geleit erhalten hatte.

Der Herold prägte sich alles genau ein, was er im Namen seines Herrn alles ausrichten mußte, machte sich alsdann auf den Weg und überbrachte dem Herrn Talbot das Schreiben. Der las es zunächst selbst durch, dann aber ließ er es durch einen seiner Schreiber vor einigen Rittern, Schildmeistern und anderen Leuten aus seiner Rotte verlesen, die er hatte zu sich rufen lassen.

Wisset nun, daß er alsbald sein Roß bestieg, denn er war hitzköpfig und jähzornig und konnte in den Tod nicht vertragen, wenn einer etwas nicht recht machte; zumal in kriegsrechtlichen Fragen war er besonders eklig, und daß jemand sich über seinen Geleitbrief hinweggesetzt hatte, darüber konnte er nun gar lebendigen Leibes aus der Haut fahren.

Um mich kurz zu fassen: er ließ den Engelländer und den Franzmann vor sich bringen und befahl letzterem, er solle den Vorfall erzählen. Der berichtete zunächst, wie er seinerzeit von einem Gegner gefangengenommen worden sei und sich loskaufen sollte. Dann fuhr er fort:

»Ich reiste also mit eurem Geleitbrief zu unserem Heere zurück, um das Lösegeld aufzutreiben. Dabei begegnete ich diesem Edelmanne dort, der auch zu Euern Leuten gehört, und der fragte mich, wohin ich ginge und ob ich einen Geleitbrief habe. Ich sagte ja und gab ihm den Brief; und als er ihn gelesen hatte, behauptete er, ich hätte die Bedingungen nicht eingehalten. Das bestritt ich und erklärte, er solle mir doch beweisen, wieso. Kurz, er wollte mich nicht anhören, und da ich mich nicht töten lassen wollte, so mußte ich mich ihm ergeben. Ich weiß keinen Grund, um dessentwillen er mich gefangenhalten darf und erbitte deshalb Euer gerechtes Urteil.«

Als der edle Herr Talbot den Franzmann so reden hörte, schwoll ihm die Galle; immerhin fragte er zunächst den Engelländer:

»Was kannst du darauf erwidern?«

»Edler Herr,« sprach jener, »alles, was er sagt, ist ja soweit ganz wahr: ich traf ihn und wollte seinen Geleitbrief sehen. Als ich den aber von Anfang bis zu Ende durchgelesen hatte, da wurde mir klar, daß er die Bedingungen nicht eingehalten und sie gebrochen hatte. Andernfalls hätte ich ihn doch nicht festgenommen.«

»Wieso hat er sie gebrochen?« fragte der Feldherr. »Sag' das auf der Stelle!«

»Edler Herr, weil im Geleitbrief steht: ›Dafern der Betreffende keinerlei Kriegsgewaffen bei sich führt.‹ Und er trug doch noch die Nestelbänder, die Waffengehenke, die stets zur Kriegsausrüstung gehören – denn wie sollte man sich ohne sie wappnen?«

»Ach so!« meinte der Herr Talbot. »Also Waffengehenke gehören zur Bewaffnung?! Nun sage mir, ob er sonst noch irgendwie die Bedingungen nicht eingehalten hat!« »Nein, edler Herr, in anderer Beziehung nicht.«

»Aha, du Schandbube!« brauste der Herr Talbot auf. »So mag dir der Satan ins Gedärme fahren! Also wegen der Nestelbänder hast du einen Edelmann festgenommen, der unter meinem Schutzbrief reiste? Beim heiligen Georg, ich werde dir zeigen, ob Nestelbänder zur Bewaffnung gehören!«

Er schäumte ordentlich vor Wut und lohte vor Grimm. Stracks trat er an den Franzosen heran, löste die Nestelbänder von dessen Wamse, gab sie dem Engelländer, dem Franzosen aber ließ er ein gutes Kriegsschwert reichen, zückte selbst seinen prächtigen Degen und befahl dem Engelländer:

»Jetzt verteidige dich mit dem, was du Gewaffen nennst – wenn du kannst!«

Und zu dem Franzosen sagte er:

»Haut auf diesen Schandbuben ein, der Euch wider Vernunft und Recht festgenommen hat! Wir werden ja sehen, wie er sich mit Eurem Gewaffen verteidigen wird, wenn Ihr ihn aber schont, dann, beim heiligen Georg, schlage ich Euch den Schädel ein!«

So mußte also der Franzmann, mochte er wollen oder nicht, mit dem blanken Schwerte auf den Engelländer eindringen, und dieser arme Teufel lief, so schnell er konnte, durch die Stube vor ihm davon. Talbot sauste immer hinterher und hieß fortwährend den Franzosen, zuzuschlagen, während er dem andern zurief:

»Verteidige dich doch, du Schandbube, mit deinem Gewaffen!«

So wurde denn richtig der Engelländer halbtotgeschlagen und bat Talbot und den Franzosen jämmerlich um Gnade. Der Franzmann aber kam frei, auch das Lösegeld wurde ihm von Herrn Talbot erlassen, und mit seinem Harnisch, seinem Rosse und aller Habe, die ihm bei der Gefangennahme abgenommen worden war, durfte er heimkehren. Dies war der eine der Urteilssprüche des wackeren Herrn Talbot. Bleibt der zweite, mit dem es sich folgendermaßen verhielt:

Er erfuhr, daß einer seiner Leute in einer Kirche das Ziborium, jene Büchse, darein man das Corpus Domini legt, gestohlen und für eine beträchtliche Summe verkauft hatte – wieviel es war, weiß ich nicht genau: es handelte sich um eine schöne, große, vergoldete und wundervoll emaillierte Silberbüchse.

Obgleich nun der Herr Talbot gar furchtbar und grausam von Natur war und im Kriege vor keiner Gewalt zurückschreckte, so hatte er doch vor der Kirche allezeit große Ehrfurcht und erlaubte nie, daß man ein Kloster plünderte oder gar in Brand steckte. Und wenn er hörte, daß etwas Derartiges vorgefallen war, dann konnten diejenigen, die seine Anordnungen nicht eingehalten hatten, ihr blaues Wunder erleben, so streng ging er wider sie vor.

So ließ er sich auch diesmal den Mann vorführen, der das Ziborium aus der Kirche entwendet hatte, und als der vor ihm erschien und der Herr Talbot seiner ansichtig wurde, da kam er ihm auf den Kopf – weiß Gott, so etwas war noch nicht dagewesen! Und in seiner rasenden Wut hätte er ihn unbedingt totgeschlagen, wenn nicht sein Gefolge ihn solange mit Bitten bestürmt hätte, bis er ihm das Leben schenkte. Aber ungestraft wollte er ihn nicht lassen, und deshalb brüllte er ihn an:

»Du verdammter Hurenjäger, wie konntest du es wagen, gegen mein ausdrückliches Verbot die Kirche zu berauben?!«

»Ach, edler Herr, seid mir um Gottes willen gnädig!« wimmerte der armselige Dieb. »Ich bitte Euch flehentlichst um Gnade: es soll ja nie wieder vorkommen.«

»Komm hierher, du Schuft!« schnob jener. Und der andere nahte ihm genau so bereitwillig, wie einer auf Wache zieht. Alsbald ließ der Herr Talbot seine riesige, schwere Faust auf den Schädel des wackeren Pilgersmannes niedersausen und donnerte: »Ha, du Schurke, du hast die Kirche beraubt!«

Und der andere jammerte:

»Edler Herr, seid gnädig, ich bitte Euch! Ich werde es nie wieder tun!« »Wirst du's noch einmal tun?«

»Nein, niemals, edler Herr!«

»So schwöre mir, daß du nie wieder eine Kirche betreten wirst, es sei welche es wolle. Schwöre es, du Schuft!«

»Das will ich tun, edler Herr!« Und so mußte er schwören, daß er nie wieder eine Kirche betreten wolle, worüber alle, die dabeistanden, mordsmäßig lachen mußten. Denn wenn ihnen auch der Dieb leid tat, so machte es ihnen doch einen riesigen Spaß, daß der Herr Talbot ihm für immerdar das Betreten einer Kirche verbot und ihn schwören ließ, daß er nie mehr hineingehen würde. Aber ihr könnt sicher sein, daß er dabei die beste Absicht hatte und glaubte, sehr recht damit getan zu haben.

Und solches waren die beiden Urteilssprüche des Herrn Talbot.


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