Antoine de la Salle
König Ludwigs galante Chronika
Antoine de la Salle

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Der wiedergefundene Esel.

Im schönen Burgunderlande, wo lauter so gute Dinge geschehen, gab es vor kurzem einen Arzt, und Gott weiß, was er für ein tüchtiger Kerl war. Weder Hippokrates noch Galienus wußten mit ihrer Wissenschaft so zu schalten, wie er es tat: Statt Sirup, Getränken, Dosen, Lösemittel und all den hundert verschiedenen Behandlungsarten, die Ärzte vorschreiben, um das Wohlbefinden der Menschen zu erhalten oder ihnen die verlorene Gesundheit wiederzugeben, bediente er sich nur eines einzigen Mittels: er gab Klistiere.

Was für eine Krankheit man auch vorzuweisen und anzugeben hatte, stets ließ er Klistiere geben, und jedesmal ging die Geschichte so gut ab und von der Hand, daß alle Welt mit ihm zufrieden war. Jedermann genas, und so drang sein Ruf in die Lande, wuchs und mehrte sich, von allen wurde er zu Rate gezogen, selbst in die Häuser der Fürsten und hohen Herren, in die großen Abteien und blühenden Städte wurde er gerufen. Weder Aristoteles noch Galien genossen solches Ansehen, und zumal bei dem einfachen Volke war unser Meister grenzenlos bewundert und angesehen. Und sein Ruhm wuchs schließlich in solchem Maße, daß er von den Leuten für jede Sache um Rat gefragt wurde. Er wurde unaufhörlich von den Leuten bestürmt und wußte schon gar nicht mehr, wen er noch anhören sollte. Hatte eine Frau einen groben, faulen oder schlechten Kerl zum Manne, dann kam sie zu dem Meister gelaufen, um ihn um ein Heilmittel zu bitten; kurz, worum man überhaupt einen Menschen um Rat fragen kann, – in allem wurde unser guter Doktor als Sachverständiger gerühmt.

Da geschah es eines Tages, daß ein guter schlichter Landsmann seinen Esel verlor. Nachdem er lange Zeit nach ihm herumgesucht hatte, kam er auf den Gedanken, sich an jenen gelehrten Herrn zu wenden, der so überaus weise war. Just aber, wie er zu ihm kam, war der Arzt derart von Volk überlaufen, daß er nicht wußte, auf wen überhaupt hören. Doch der wackere Mann brach sich durch das Gedränge Bahn, und obgleich der Meister mit anderen sprach und ihnen antworten, erzählte er ihm seine Geschichte, nämlich, daß er seinen Esel verloren habe, und daß er ihn um Gottes willen bäte, ihm den rechten Weg zu weisen und irgend etwas zu geben, damit er ihn wiederfinden könne

Der Meister hörte mehr auf die andern als auf ihn, und als der Lärm und sein Geschwätz, von dem er kein Wort hörte, beendet war, wandte er sich zu ihm und war der Meinung, daß er irgendein Leiden habe. Um ihn also los zu sein, sagte er zu seinen Leuten:

»Gebt ihm ein Klistier«

Nachdem er das gesagt hatte, wandte er sich den anderen zu.

Der gute schlichte Landmann, der seinen Esel verloren hatte, wußte gar nicht, was der Meister gesagt hatte. Er wurde von dessen Leuten beim Kragen genommen, und die gaben ihm, so wie es ihnen aufgetragen worden war, ein Klistier, worüber er gewaltig staunte, denn er hatte gar keine Ahnung, was das war.

Als er nun sein Klistier weg hatte und das Zeug in seinem Bauch war, machte er sich auf und ging fort, ohne weiter nach seinem Esel zu fragen, denn er glaubte fest und steif, daß er ihn dadurch wiederfinden würde, er war auch noch nicht weit gegangen, da begann es in seinem Bauch zu kollern und zu wirbeln, so daß ihm schließlich nichts weiter übrigblieb, als sich in eine alte unbewohnte Hütte zu verkriechen, um dort dem Klistier seinen Lauf zu lassen, maßen es den Ausgang ins Freie verlangte. Aber bei dieser Erleichterung machte er so gewaltigen Lärm, daß des armen Mannes Esel – der sich verlaufen hatte, zufällig hier in diese Gegend geraten war und ganz dicht vorbeikam, – alsbald zu wiehern und zu schreien begann.

Flugs sprang der wackere Mann, auf, lief herzu, sang ein Tedeum und sah auch schon seinen Esel kommen, den er durch das Klistier wiedererlangt und gefunden zu haben vermeinte. Und der Meister, der es ihm hatte geben lassen, erntete dadurch noch unvergleichlicheren Ruhm denn zuvor. Fortan hielt man ihn für einen Menschen, der imstande war, verlorene Dinge zu finden, und so galt er als der vollkommenste Weise aller Wissenschaften, obgleich sein ganzer Ruhm von einem einzigen Klistier stammte.

So habt ihr also gehört, wie der Esel mit Hilfe eines Klistieres gefunden wurde, eine Sache, die gar nicht so wunderbar erscheint und sicherlich oft geschieht.


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