Antoine de la Salle
König Ludwigs galante Chronika
Antoine de la Salle

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Der gerettete Hahnrei.

In einem netten kleinen Städtchen in der Umgegend, das ich aber nicht nennen will, hat sich kürzlich ein Spaß zugetragen, den ich euch hier kurz schildern will. Da lebte nämlich ein guter, einfältiger, etwas plumper Bauer, der mit einer vergnüglichen und recht niedlichen Frau verheiratet war. Sie ließ ihn nach Herzenslust essen und trinken, damit sie ihren Liebesgelüsten desto ungestörter nachgehen könne. Und der gute Ehemann blieb gewöhnlich durch seine Tätigkeit oft draußen auf den Feldern in einem Hause, das ihm dort gehörte, manchmal drei Tage, manchmal vier, bisweilen mehr, bisweilen weniger, wie es ihm gerade so bequem war. So ließ er seiner Frau die allerschönste Muße, sich im Städtlein die Zeit zu vertreiben, so wie sie es denn auch tat: damit sie sich nicht langweilte, hatte sie immer einen Mann zur Hand, der ihres Ehegatten Platz einnahm und das eheliche Glück schön eifrig betreute in der ernstlichen Besorgnis, daß es verrosten könnte, wenn es vernachlässigt würde.

Diese wackre Bürgersfrau hatte es sich zur Regel gemacht, jedesmal den Augenblick abzuwarten, wo ihr Mann von der Bildfläche verschwand. War er nicht mehr zu sehen, und hielt sie es für gewiß, daß er nicht mehr zurückkommen würde, dann ließ sie den Stellvertreter kommen, denn sie hatte Angst, daß sie etwa zu kurz kommen könnte.

Aber sie wußte bei dieser Anordnung und Regel doch nicht alles so einzurichten, daß sie nicht schließlich hineinfiel. Dann eines Tages war ihr Mann wieder einmal zwei, drei Tage über Land geblieben; am vierten hatte sie so lange als möglich bis zu dem Augenblick gewartet, wo die Tore der Stadt geschlossen wurden, und glaubte nun, daß er an diesem Tage jedenfalls nicht mehr zurückkehren werde. Sie schloß deshalb, wie an den anderen Tagen, Türen und Fenster, ließ ihren Liebsten ins Haus, und dann begannen die beiden, frisch darauflos zu bechern, und es sich von Herzen wohl sein zu lassen.

Sie hatten aber noch nicht lange bei Tisch gesessen, als plötzlich der Mann ankam und an die Tür pochte. Er war sehr verwundert, sie verschlossen zu finden. Die wackere Frau aber hörte ihn kaum, da brachte sie schleunigst ihren Liebsten in Sicherheit, steckte ihn kurzerhand unter das Bett, ging dann zur Tür und fragte, wer eben gepocht habe.

»Macht auf, macht auf!« rief der Ehemann.

»Ach, mein Mann!« erwiderte sie. »Seid Ihr also doch da? Ich wollte Euch morgen in aller Frühe Nachricht schicken und wissen lassen, daß Ihr nicht heimkehren sollet.«

»Was ist denn? Was gibt es?« verwunderte sich der gute Ehemann.

»Was es gibt? Heiliger Gott im Himmel!« versetzte sie. »Ach, die Büttel sind seit über zweiundeinerhalben Stunde hier im Hause und wollen Euch ins Gefängnis schleppen.«

»Ins Gefängnis?« rief er. »Weshalb denn ins Gefängnis? Was habe ich denn Böses getan? Bin ich jemandem etwas schuldig? Hat sich jemand über mich beklagt?«

»Ich weiß nichts,« versetzte das gerissene Ding. »Ich weiß nur, daß sie ganz erpicht darauf sind, Euch eins auszuwischen. Mir scheint, sie sind bereit, selbst das magere Fasten abzuschlachten.«zu suchen, wo nichts zu suchen ist.

»Aber nun sagt doch einmal,« jammerte unser Freund, »haben sie such denn nicht wenigstens gesagt, was eigentlich gegen mich vorliegt?«

»Keineswegs,« entgegnete sie. »Das einzige ist klar: wenn sie Euch erst einmal haben, dann werden sie Euch nicht so bald wieder aus dem Gefängnis herauslassen.«

»Bis jetzt haben sie mich ja Gott sei Dank noch nicht! Also lebt wohl, mit Gott, ich gehe wieder von dannen.«

»Aber wohin wollt Ihr denn gehen?« entgegnete sie, obgleich sie sich gar nichts Besseres wünschte.

»Dorthin, wo ich herkomme,« entgegnete er.

»Dann will ich also mit Euch kommen,« meinte sie.

»Tut das nicht, sondern hütet fein sorglich und nett das Haus und sagt niemandem, daß ich hier gewesen bin.«

»Wenn Ihr denn also aufs Feld zurück wollt, so sputet Euch,« mahnte sie ihn, »damit Ihr hinauskommt, bevor das Tor geschlossen wird. Denn es ist schon spät.«

»Wenn es geschlossen ist, wird der Torwächter es mir zuliebe schon so einrichten, daß er es mir noch einmal öffnet, ohne Schwierigkeiten zu machen.«

Mit diesen Worten zog er wieder ab, und als er zum Stadttor kam, fand er es bereits geschlossen. So sehr er aber auch den Wächter bitten mochte, der wollte nicht aufschließen. So mußte er sich denn wohl oder übel damit abfinden, wieder zu seinem Hause zurückzukehren, obwohl er vor den Häschern Angst hatte. Freilich blieb ihm weiter nichts übrig, wenn er nicht auf der Straße schlafen und übernachten wollte.

Er kam also zurück, pochte von neuem daheim an sein Tor, und seine Frau, die mit ihrem Liebsten wieder in schönster Einträchtigkeit beisammen war, fiel nun noch ärger aus den Wolken. Sie sprang auf, lief ganz verzweifelt und entsetzt zur Tür und rief:

»Mein Mann ist noch nicht zurück, ihr gebt euch zwecklos Mühe.«

»Macht doch auf, macht doch auf, Liebste!« rief der gute Mann. »Das bin ja ich.«

»Ach, ach, Ihr habt das Tor nicht mehr offen gefunden. Ich hatte mir das schon gedacht,« versetzte sie. »Wirklich, ich weiß nicht, was man für einen Ausweg wählen soll, damit Ihr in Eurer Lage nicht abgefangen werdet. Denn die Häscher haben mir gesagt, – ich erinnere mich jetzt genau: – sie würden über Nacht nochmals zurückkommen.«

»Also,« erwiderte er, »dann heißt es nicht mehr, erst noch lange darüber reden. Wir wollen schnell erdenken, was zu tun ist.«

»Ihr müßt irgendwohin verstaut werden, – irgendwo hier im Hause,« meinte sie. »Aber ich weiß keinerlei Ecke oder Winkel, wo Ihr sicher verborgen sein könntet.«

»Wäre ich nicht bei uns oben im Taubenschlag in Sicherheit?« schlug er vor. »Wer soll mich von dort herausholen?«

Sie war über diesen Einfall und den Ausweg, den er gefunden hatte über die Maßen froh, doch ließ sie es sich nicht merken, sondern erwiderte:

»Überaus herrlich ist der Ort ja gerade nicht. Dort herrscht ja ein gräßlicher Gestank!«

»Das kümmert mich nicht,« versetzte er. »Lieber verkrieche ich mich dort für eine oder zwei Stunden und komme heil davon, als daß ich mich an einem würdigeren Orte verberge, aber zu finden wäre.«

»Nun denn,« meinte sie, »wenn Ihr fest dazu entschlossen seid und guten Mut habt, dann will ich Eurer Ansicht beipflichten, daß Ihr Euch dort verkriechen möget.«

Der wackere Mann kletterte also in den Taubenschlag, der dann von außen mit dem Schlüssel abgeschlossen wurde, ließ sich fest einschließen und bat seine Frau: ›Wenn die Büttel nicht alsbald und in kurzer Zeit kämen, solle sie ihn wieder hinauslassen‹.

Unsere gute Bürgersfrau aber ließ ihren Mann in dem Loch stecken, und die ganze Nacht hindurch mit den Tauben zusammen kollern. Ihm freilich behagte das nicht sehr, doch er schnaufte kein Wort, noch rief er gar, denn er hatte die ganze Zeit vor den Häschern Angst.

Als dann der frühe Morgen hereinbrach, die Stunde, wo der Liebhaber aus der Wohnung schlüpfte, kam die Frau, rief nach ihrem Mann und machte ihm die Tür auf. Sofort fragte er sie, warum sie ihn denn so lange in der Gesellschaft seiner Tauben gelassen habe, worauf sie, die für diese Nacht schließlich auch anderes im Kopf gehabt hatte als ihren Mann, ihm schilderte, wie die Häscher während der ganzen Nacht um das Haus herumspaziert seien und es bewacht hätten, und daß sie mehrmals mit ihnen gesprochen habe. Erst eben seien sie abgezogen, aber sie hätten geäußert, daß sie schon zur rechten Zeit kommen würden, um ihn abzufangen.

Der wackere Mann war über die Maßen verwundert, was diese Häscher eigentlich gegen ihn haben mochten. Aber er machte sich unverzüglich auf, kehrte auf seine Felder zurück und versprach, daß er eine gute Weile nicht mehr zurückkommen würde. Gott weiß, wie gern das verbuhlte Weiblein das aufnahm, und wie betrübt sie sich darüber zeigte. Und solcherart erlangte sie noch mehr freie Zeit als zuvor, denn nun brauchte sie wegen der Rückkehr ihres Ehemannes fürder keinerlei Besorgnis zu haben.


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