Antoine de la Salle
König Ludwigs galante Chronika
Antoine de la Salle

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Der blinde Einäugige.

In der Grafschaft Artois lebte einst ein edler Rittersmann, der reich und mächtig war und zudem durch seine Ehe mit einer wunderschönen Frau von edelster Abkunft die hochgestelltesten Beziehungen hatte. Das Ehepaar verbrachte seine Tage während vieler Jahre in holdester Eintracht. Es waren das jene schönen Zeiten, wo der hochmächtige Herzog von Burgund, Gott sei Dank, in stetem Frieden mit allen wackeren Fürsten der Christenheit lebte. Aber der Rittersmann war gar fromm und gottesfürchtig, und deshalb beschloß er, seinen Leib seinem Gotte zu weihen, der ihm Kraft, Schönheit und einen Wuchs verliehen hatte, wie es in der ganzen Grafschaft keinen zweiten gab. Einzig ein Auge fehlte ihm, das er bei einem stürmischen Angriffe einst verlor, allwo er sich vor seinem Fürsten durch seltenen Mut auszeichnete.

Um sein versprochenes Opfer an einer Stätte zu vollziehen, die er schon längst erwählt und ausersehen hatte, nahm er von seiner Gemahlin, seinen Verwandten und Freunden Abschied und zog nach Preußen, allwo die Ritterschaft als wahre Vorkämpferin und Verteidigerin des heiligen, christlichen Glaubens tätig war. Als wackerer Kämpe überstand er alle Abenteuer seiner Reise, über die ich hier kurz hinweggehen kann, langte frisch und gesund in Preußen an und verrichtete alldorten gar gewaltige und glorreiche Waffentaten. Der Ruf von seiner heldenhaften Kühnheit drang weithin über die Lande; dafür sorgten nicht nur alle, die in ihre Heimat zurückkehrten und erzählten, wie sie ihn gesehen hatten: auch die Zurückgebliebenen berichteten es in begeisterten Briefen an ihre Freunde, und manches Herz pochte darob höher. Nun kann aber nicht verschwiegen werden, daß die Frau Gemahlin, die daheim geblieben war, kein also hartes Herz hatte, daß sie nicht den Bitten eines Edelknappen Gehör schenkte, der ihre Gunst erflehte; ja, sie war erst zufrieden, als er der Stellvertreter ihres Mannes geworden war, der sich derweile mit den Ungläubigen herumschlug. Während also der Herr Gemahl fastete und Buße tat, ließ es sich sein Eheweib mit dem Edelknappen gar wohl sein; der Herr Gemahl mußte sich so manches Mal mit trockenem Zwieback begnügen, den er mit schlichtem Quellwasser feuchtete – seine Eheliebste schwelgte derweile in einem wahren Überfluß von Gottesgaben; der Herr Gemahl schlief besten Falles auf einem Bündel Stroh, seine Teure lag in einem Bette in den Armen ihres Edelknappen. Kurz: derweile der Rittersmann sich mit den Ungläubigen herumschlug, focht sein Weib zärtliche Liebeskämpfe aus und ließ es sich wohlergehen, so wohl, daß sie es leicht und ohne viel Bedauern ertragen hätte, wenn ihr Gemahl nimmermehr zurückgekehrt wäre – es sei denn, daß er sich bis dahin von Grund aus geändert haben sollte.

Aber der Rittersmann kam inzwischen zu der Erkenntnis, daß, Gott sei Dank, der Widerstand der Ungläubigen viel schwächer wurde, als er anfangs gewesen war. Ihn bedünkte, daß er lange genug fern von seinem Schlosse und seinem Weibe geweilt habe, und es ging ihm arg zu Herzen, wenn er aus all ihren Briefen herauslas, wie sehr sie sich nach ihm sehne und voller Betrübnis seiner gedenke. So entschloß er sich zur Heimkehr und machte sich mit seinen paar Leuten auf den Weg.

Die Sehnsucht, es sich bald zu Haus und in den Armen seiner Holden bequem zu machen, gab ihm Flügel, und so kam er schon nach wenigen Tagen ins Land Artois. Er hatte es viel eiliger als all seine Leute, war daher immer der erste auf den Beinen, immer als erster zum Weiterritte bereit und trabte ihnen allezeit weit voraus. So kam es, daß er sich in seiner Hast oft ganz von seinen Leuten trennte und bisweilen eine Viertelmeile und mehr vor ihnen her einsam seines Weges zog. Und als er eines Tages nur noch sechs Meilen von seinem Schlosse und seiner Liebsten entfernt haltgemacht hatte, da geschah es, daß er sich noch vor Tagesanbruch erhob, sein Pferd bestieg und nun hoffen konnte, so frühe daheim anzulangen, daß er seine Gemahlin, die nichts von seinem Kommen wußte, im Bette überraschen würde. Gesagt, getan. Als der Trupp aufgebrochen war, da sagte er voller Freude zu seinen Leuten:

»Kommt mir nur gemächlich nach und kümmert euch nicht darum, daß ich vorausreite. Ich will mich beeilen, damit ich mein Weib noch im Bett überrasche.«

Seine Leute waren abgerackert und müde, ihre Klepper gleichermaßen; und deshalb lag es ihnen fern, ihrem Herrn zu widersprechen. Er aber spornte sein Roß, und kaum eine Stunde später langte er im Vorhof seines Schlosses an, allwo er abstieg, und einem Stallknecht die Zügel zuwarf. Gestiefelt und gespornt, wie er war, stieg er die Stiege hinauf, ohne eine Menschenseele zu treffen, denn es war noch kaum Morgen. So kam er zum Gemache der Gnädigen, die just in tiefem Schlafe lag oder von gleichen süßen Träumen gewiegt wurde, wie ihr Eheliebster sie im Sinne trug.

Begreiflicherweise war die Tür verschlossen; denn der Herr Stellvertreter war ja bei ihr, und der fiel nicht minder aus allen Wolken wie die Herrin des Hauses, als plötzlich der Rittersmann mit seinem Stock gar vernehmlich pochte.

»Wer ist das?« rief sie.

»Ich bin's, ich bin's!« lachte der Rittersmann. »Macht auf, macht auf!«

Die Gnädige hatte seine Stimme sofort erkannt und fühlte sich darum in ihrer Haut ungemein wenig wohl. Immerhin bedeutete sie den Edelknappen, er sollt sich schleunigst ankleiden, und er sputete sich denn auch damit, so sehr er konnte, derweile er sich den Kopf darüber zerbrach, wie er wohl mit heiler Haut entschlüpfen könne. Die Gnädige tat inzwischen, als sei sie noch vom Schlaf befangen, und sie wollte ihren Ehemann durchaus nicht erkennen. Als er zum zweiten Male an die Tür pochte, fragte sie wiederum:

»Wer ist denn das?«

»Dein Mann, Verehrteste; also mache schleunigst auf.«

»Mein Mann? Ach, der weilt fern von hier! Mag Gott ihn bald in Freuden heimwärts senden.«

»Bei meinem Eide, ich bin dein Mann! Erkennst du denn meine Stimme nicht? Deine Stimme habe ich im gleichen Augenblick erkannt, als du das erste Wort sprachest.«

»Wenn er heimkommen wird, werde ich es lange zuvor wissen, um ihn würdig zu empfangen, und auch alle Verwandten und Freunde zu holen, damit wir ihn feiern und begrüßen können, wie es sich geziemt. Geht, geht nur und lasset mich schlafen.«

»Beim heiligen Johann! Davor werde ich mich schön hüten. Du sollst mir die Tür öffnen! Willst du deinen Mann denn durchaus nicht erkennen?«

Damit rief er sie bei ihrem Namen. Just in diesem Augenblick war der Knappe fast fertig angezogen, und als die Dame das sah, ließ sie ihn hinter die Tür schlüpfen, und sagte dann:

»Ach, edler Herr, Ihr seid es?! Bei Gott, verzeiht mir – wie geht es Euch? Seid Ihr wohlauf?«

»O ja, Gott sei Dank.«

»So sei der Himmel dafür gepriesen!« begeisterte sich die Gnädige. »Ich komme gleich und lasse Euch herein – ich will nur schnell etwas umnehmen und die Kerze anzünden.«

»Ganz wie es dir bequem ist.«

»Nein, wirklich, denkt Euch nur: gerade, wie Ihr an die Tür zu pochen begannt, edler Herr, war ich von einem Traum befangen, der von Euch handelte.«

»Und was für ein Traum war das, Liebste?«

»Weiß Gott, mir schien es, als wäre ich bei vollem Bewußtsein, und Ihr wäret zurückgekehrt und sprächet mit mir, und mir schien, daß Ihr mit dem einen Auge genau so gut sehen konntet, wie mit dem andern.«

»Geb' es Gott!« brummte der Rittersmann.

»Bei der heiligen Jungfrau!« rief die Gnädige, »mich bedünkt, daß mein Traum die reine Wahrheit gesprochen hat.«

»Weiß der Himmel, wie kannst du nur so dummes Zeug reden,« lachte er. »Wie sollte das denn möglich sein?!«

»Ich bin ganz sicher, daß es so ist,« beharrte sie.

»Keine Rede davon! Nein, nein, wie kannst du nur so töricht sein, dir so etwas einzureden?«

»Ich weiß nicht; Ihr möget mir nie mehr glauben, wenn ich mich diesmal irre, aber tut mir den Gefallen, und erlaubt mir, bitte, um meiner Herzensruhe willen, daß wir es versuchen.«

Dabei machte sie die Tür auf: mit der einen Hand hielt sie die brennende Kerze; und da ihr Eheliebster auf ihren Vorschlag bereitwilligst einging, so ließ er es auch ruhig geschehen, daß sie sein sehendes Auge mit der andern Hand verschloß, und vor das erblindete Auge die flammende Kerze hielt. Dann fragte sie:

»Nun sagt, auf Ehre, lieber Herr, sehet Ihr nicht sehr gut damit?«

»Auf mein heiliges Ehrenwort – nein, meine Liebe,« versicherte er ihr.

Derweile die beiden aber diese erbaulichen Reden tauschten, war der brave Stellvertreter flugs aus der Stube geschlüpft, ohne daß sein Herr ihn erblickt hatte.

»Nun wartet mal,« meinte sie, »und jetzt – jetzt seht Ihr mich doch, nicht wahr!«

»Bei Gott, meine Liebe, nein! wie sollte ich dich denn sehen?! Du hältst mein rechtes Auge zu, und das andere ist seit zehn Jahren durch einen Hieb geborsten und verloren.« »Ach,« seufzte sie, »dann war es also wirklich nur ein Traum, der mir dummes Zeug vorgegaukelt hat. Aber dennoch, Gott sei gelobt und gepriesen, daß Ihr nun glücklich wieder daheim seid!«

»Also sei es!« rief der Rittersmann.

Und dann umhalsten sie sich, herzten und küßten sich wiederholentlich und mit viel Eifer, und feierten ein fröhliches Wiedersehen. Dabei erzählte er ihr auch, wie er seine Leute zurückgelassen hatte und eilig vorausgejagt war, um sie im Bette anzutreffen.

»Wirklich, Ihr seid ein guter Ehemann,« versicherte seine Schöne.

Und dann kamen die Frauen und Diener, die den Rittersmann segneten, ihm die Stiefel auszogen und ihn auskleideten. Und dann kroch er zu seiner Holden in die Federn, derweile der Edelknappe sich längst davongemacht hatte und strahlend froh war, diesmal noch so glücklich davongekommen zu sein. So war denn, wie ihr gehört habt, der Herr Rittersmann betrogen worden, ohne daß er es wußte, und eine Reihe von Leuten haben später erfahren, daß er nie in seinem Leben hinter die Sache gekommen ist.


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