Antoine de la Salle
König Ludwigs galante Chronika
Antoine de la Salle

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Der Säufling im Paradiese.

Zu Haag in Holland wandelte einst der Augustiner-Prior so um die Abendstunde betend des Wegs; so kam er in die Nähe der Sankt-Antons-Kapelle, die unweit der Stadt im Gehölz liegt, und dort kam ihm plötzlich ein riesiger, schwerfälliger Holländer entgegen, der zu Stevelingen, einem Städtchen zwei Meilen von Haag, wohnte, und geradezu unglaublich betrunken war. Schon wie ihn der Prior von weiten heranschwanken sah, merkte er an seiner unsicheren, schleppenden Gangart, wie's um ihn bestellt war; als sie nun aber voreinander standen, da begrüßte ihn der Säufling in feierlicher Demut, und der Prior grüßte schleunigst zurück und ging eilig an ihm vorbei, ohne weiter ein Wort an ihn zu richten oder ihn wegen seines Zustandes zur Rede zu stellen. Vielmehr setzte er sogleich seine Gebete wieder fort.

Der Säufling aber, der so sternhagelbetrunken war, wie nur irgendein Mensch sein konnte, machte kehrt, stolperte hinter dem Prior her und verlangte, der solle ihm die Beichte abnehmen.

»Die Beichte?« meint der Prior. »Geh' nur, geh nur, du hast genügend gebeichtet.«

»Ach wehe, Herr,« lallte der Säufling, »um Gottes willen nehmt mir die Beichte ab: just eben erinnere ich mich all' meiner Sünden und bin voll schrecklicher Zerknirschung!«

Dem Prior behagte es gar nicht, daß ihn der Betrunkene solchermaßen festhielt, und er erwiderte:

»Geh' deiner Wege, du hast eine Beichte jetzt nicht nötig, denn du bist offenbar in einem durchaus seligen Zustand.«

»Schockschwernot,« polterte der andere, »da soll doch das Wetter dreinschlagen, Meister Pfarrer, wenn Ihr mir die Beichte nicht abnehmt! Denn ich bin mächtig demütig gestimmt.«

Und dabei packte er ihn beim Ärmel und suchte ihn festzuhalten. Der Pfarrer wollte sich auf nichts einlassen und stellte alles nur erdenkliche an, um dem Kerl zu entwischen. Aber da half nichts: der hatte sich in den Kopf gesetzt zu beichten, und wie entschieden der Pfarrer es ihm auch verweigerte, was er auch versuchte, um ihn loszuweisen, der Säufling gab nicht nach. Vielmehr wurde seine Gewissensangst nur immer größer, und als er inne ward, daß der Pfarrer ihn um keinen Preis anhören wollte, da griff er nach seinem Fangmesser, zog es aus der Scheide und erklärte dem Pfarrer, wenn er ihm jetzt nicht die Beichte abnehme, würde er ihn totstechen.

Dem Pfarrer wurde beim Anblick des Messers und der riesenstarken Hand, die es schwang, einigermaßen bänglich zu Mute, und da er nicht aus noch ein wußte, so fragte er ihn:

»Also was willst du mir sagen?«

»Ich will Euch beichten.«

»Meinetwegen denn! Komm also her!«

Unser Säufling, der so betrunken war, wie eine Drossel, die am Weinstock genascht hat, begann also, mit Verlaub, seine gar demütige Beichte, deren Inhalt ich übergehen muß, sintemalen der Pfarrer sie später niemandem mitteilte. Aber man darf wohl mit Recht annehmen, daß sie einigermaßen eigenartig und mit mancherlei ungewöhnlichen Neuheiten ausgeschmückt war.

Als dem Pfarrer die Sache genügend schien, schnitt er den überreichen Wortschwall, der sich in schwerfälligen, unzusammenhängenden Phrasen über ihn ergoß, kurzerhand ab und erteilte ihm Absolution. Und dann sagte er, um ihn loszuwerden:

»Geh' jetzt heim, denn nun hast du alles sehr schön gebeichtet.«

»Ist das auch wirklich wahr?« erkundigte sich der andere.

»Ja, ja, es ist wahr – du hast sehr gut und brav gebeichtet. Jetzt kannst du ganz beruhigt heimgehen, denn dir kann nichts Schlimmes widerfahren.«

»Wenn ich nun also wirklich so gut gebeichtet habe und Ihr mir Absolution gegeben habt – sagt mir, käme ich denn da ins Paradies, wenn ich jetzt stürbe?«

»Natürlich, geradeswegs, geradeswegs, da kannst du ganz ruhig sein,« beschwichtigte ihn der Pfarrer.

»Ja, wenn das so ist,« ruft der Säufling, »wenn meine Seele jetzt so reingewaschen ist, dann will ich gleich und auf der Stelle sterben, damit ich auch wirklich dort hinkomme.«

Und damit nimmt er wieder sein Fangmesser, reicht es dem Pfarrer und bittet ihn flehentlich, er solle ihm den Kopf abschneiden, damit er ins Paradies einginge.

»Schockschwernot!« ächzt nun der Pfarrer, dem mehr als schwül wird vor Schreck. »Das geht doch nicht – so etwas kann man doch nicht machen! Du wirst schon auf andere Weise ins Paradies gelangen.«

»Nein, nein,« beharrt der Säufling, »ich will jetzt auf der Stelle von eurer Hand sterben, um sofort ins Paradies zu kommen. Also geht her und tötet mich!«

»Das werde ich lieber nicht tun,« beschwichtigt ihn der Pfarrer. »Ein Priester darf keine Menschen umbringen.«

»Doch werdet Ihr das tun, beim gekreuzigten Herrgott, Ihr werdet es tun, und wenn Ihr nicht schnell macht und mich nicht sofort ins Paradies hinüber befördert, dann werde ich euch mit diesen meinen zwei eigenen Händen umbringen.«

Und dabei fuchtelte er mit dem großen Messer dem Pfarrer vor den Augen herum, so daß dem Ärmsten angst und bange wurde und er sich zunächst gar nicht zu helfen wußte. Schließlich suchte er mühsam seine paar Gedanken zu sammeln, denn der Säufling hantierte immer wilder mit seinem Mordinstrument herum und war weiß Gott drauf und dran, ihn umzubringen und ins Jenseits zu befördern. Und so nahm er ihm nach kurzem Bedenken das Messer aus der Hand und sagte:

»Wenn du denn also durchaus willst, daß ich dich töte, damit du ins Paradies eingehst, so knie hier vor mir nieder!«

Der Betrunkene ließ sich auch nicht lange bitten, sondern plumpste, krach, der Länge nach auf die Erde. Dann suchte er mühsam und umständlich auf die Knie zu kommen, und als ihm das nach vielerlei vergeblichen Versuchen gelungen war, faltete er in Erwartung seines nahen Endes fromm die Hände und erwartete demütig den Todesstreich. Der Pfarrer gab ihm alsbald mit dem Messerrücken einen mächtigen Hieb auf den Nacken, davon der Säufling schwer zu Boden niederschlug. Und dann rückte und rührte er sich nicht mehr, denn er glaubte, nunmehr wirklich im Paradiese zu sein.

Der Pfarrer ließ ihn ruhig liegen und nahm nur der Sicherheit halber das Messer mit. Und als er ein Stück Wegs gegangen war, traf er einen Leiterwagen, auf dem einige Leute saßen, von denen die meisten zufällig dabeigewesen waren, als jener Säufling sich betrunken hatte. Das traf sich also gut, und so erzählte ihnen der Pfarrer des langen und breiten, was ihm begegnet war, und bat sie, den Säufling aufzulesen und heimzubringen. Dann gab er ihnen das Messer, und da sie ihm versprachen, daß sie alles pünktlich ausführen und den armen Sünder mitnehmen würden, setzte er seinen Heimweg fort.

Die andern hatten den Säufling bald erreicht und sahen ihn noch immer, wie in die Erde verbissen und einer Leiche gleich, auf dem Boden liegen. Alle zusammen riefen ihn laut bei seinem Namen; aber mochten sie auch noch so sehr schreien, er dachte gar nicht daran, zu antworten, und alles war vergeblich. So kletterten denn einige von dem Wagen hinunter, packten ihn beim Kopf, den Beinen und Füßen, hoben ihn hoch in die Luft und schrieen ihm derart in die Ohren, daß er die Augen öffnete und endlich zu reden anhub:

»Laßt mich doch, laßt mich – ich bin tot!«

»Nein, das bist du nicht,« riefen die andern. »Du mußt jetzt mit uns kommen!«

»Fällt mir gar nicht ein! Wo soll ich denn hin? Ich bin tot und weile im Paradiese.«

»So wirst du eben von dort wieder zurückkehren; wir müssen noch eins trinken.«

»Trinken –? Nie werde ich mehr trinken, denn ich bin tot.«

So konnten seine Gefährten in ihn hineinreden, soviel sie wollten: – er mochte weder mit ihnen gehen, noch auf den Gedanken verzichten, daß er tot sei. Sie redeten sich schier die Seele aus dem Leibe und den Mund in Fransen, es half nichts; er ging nicht mit und antwortete nur immer: »Ich bin tot.«

Endlich hatte einer einen guten Einfall und sagte:

»Wenn du tot bist, dann wirst du doch nicht hier bleiben wollen, wo man dich wie ein Aas im freien Felde verscharren wird. Drum komm' also mit, wir werden dich auf dem Wagen heimbringen, damit du auf dem Gottesacker beigesetzt wirst, so wie sich das für einen Christenmenschen gehört. Sonst ist das mit dem Paradiese Essig.«

Als der Säufling hörte, daß er erst noch regelrecht beerdigt werden müsse, damit er auch wirklich ins Paradies käme, zeigte er sich endlich bereit, mitzukommen. So wurde er von ihnen alsbald auf den Wagen gehißt und dort niedergelegt, und da schlief er denn auch gleich ohne viel Umstände ein. Da der Wagen von einem kräftigen Gespann gezogen wurde, waren sie bald in Stevelingen angelangt und luden dort den Trunkenen vor seinem Hause ab. Sein Weib und seine Leute wurden herausgetrommelt und bekamen den Leib des Heiligen anvertraut. Aber der Edle schlief so fest, daß er auch nicht aufwachte, als er ins Haus getragen und aufs Bett gelegt wurde. Dort ward er dann zwischen zwei Leintüchern sorglich bestattet und ist auch richtig erst am dritten Tage wieder erwacht und vom Tode erstanden.


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