Antoine de la Salle
König Ludwigs galante Chronika
Antoine de la Salle

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Der entmannte Amtsschreiber.

Ganz drinnen in London lebte einst ein Anwalt, in dessen Diensten unter anderem ein gewandter, fleißiger und riesig tüchtiger Schreiber stand. Er war ein sogenannter ›Schöner Mann‹, aber, was man im Auge behalten möge, nicht überaus ›helle‹. Auch der Klerk war ein hübscher Bengel, frisch, lebhaft und im Handumdrehen in die bezaubernde Anmut und Schönheit der Anwaltsfrau verliebt. Und eine glückliche Fügung des Liebesgottes brachte es zuwege, daß just auf ihm das Auge der Herrin mit besonderem Wohlgefallen ruhte. Das konnte er feststellen, als er es wagte, ihr sein Liebesleid zu klagen: er fand offene Arme, und darum überwand er schnell alle Schüchternheit. Als sein Stammeln in eine beredte Schilderung seiner ach so holden Schmerzen überging, da erwies es sich, wieviel Mitgefühl und Liebenswürdigkeit der Schönen vom lieben Herrgott verliehen worden war; denn dieserthalben und infolge des schon erwähnten Wohlgefallens ließ sie ihn nicht lange zappeln – tat zwar natürlich erst etwas entrüstet, spielte die Gekränkte, und enthüllte ihm dann ohne große Umschweife, daß ein andrer sich zwar verdammt lange und eklig hätte abmühen können, um von ihr eine Gunst zu erzielen; daß er ihr aber damit eine freudige Überraschung bereite, sintemalen er ihr schon des längeren eine erquickliche Augenweide sei.

Ihr Partner ließ sich das nicht zweimal sagen. Ihre Eröffnung war für ihn wohl die größte Freude, die er bisher jemals erlebt hatte, und er beschloß, das Eisen zu schmieden, solange es heiß war. Er ging denn auch gleich forsch auf das Ziel los und konnte es dank seinem Eifer in Bälde und glückstrahlend erreichen. Und die Liebe der Herrin zu ihrem Schreiber, und die Liebe des Schreibers zu seiner Herrin flammte lange Zeit in einer Glut, wie sie selbst unter recht leidenschaftlichen Liebesleuten selten ist: es war gerade wie in einem Roman, nur insofern nicht, daß es in diesem Falle ganz und gar an solchen verdammten Intriganten und Neidern fehlte, die das für die Handlung nötige Unheil stiften und den lieben Seelchen die Suppe versalzen.

So verging also eine geraume Zeit bei derlei holder, herzerquickender Kurzweil, und diese Zeit verflog so rasch, als ob sie noch gar nicht gewesen wäre. Ja, die zwei Liebesleute hätten gern mit dem lieben Gotte ein Abkommen dahin getroffen, daß sie auf ihre paradiesische Seligkeit verzichteten und dafür dies zukünftige ewige Glück auf der Erde unter den so angenehm erprobten Bedingungen absolvierten.

Wie sie nun eines Tages so beisammen waren, sich an den holden Früchten sattgeschleckt hatten, die auf dem Baume ihrer Liebe wuchsen, und nun plaudernd in der Stube auf und ab schritten, da gingen sie ans Überlegen, wie sie diesen, so überaus erfreulichen Zustand auch zu einem dauernden und völlig sicheren umgestalten könnten, ohne daß ihre heimlichen Beziehungen fortan die Gefahr liefen, von dem benachteiligten Ehemann entdeckt zu werden. Selbiger wurde nämlich schon nicht unwesentlich von Eifersucht gekitzelt und guckte den beiden in beängstigender Weise auf die Finger, maßen ihm schon mehr als ein Warnbrief zugekommen war – was dadrin stand, brauche ich ja nicht erst noch zu erzählen.

Am Ende kamen sie zu einem Entschluß, der dem Schreiber die Rolle zuwies, in pfiffiger Schläue seinen Herrn hineinzulegen; und der Schlingel brachte es auch richtig fertig, den so fein ausgetüftelten Plan erfolgreich durchzuführen. Und zwar stellte er das folgendermaßen an: Zunächst muß man wissen, daß dieser Galgenstrick von Schreiber seinem Herrn mit dem gleichen Fleiß und Eifer zu Diensten war, wie seiner Herrin. Wie für sie, tat er auch für ihn, was er ihm nur an den Augen absehen konnte, riß sich gleichsam Arme und Beine aus, ging ihm sanft um den Bart, erzählte ihm herzerquickliche Schnurren, klatschte, schwatzte und stellte kurz und gut das Menschenmöglichste an, um seine Schandtaten zu verbergen und in die eifersüchtigen Augen des Ehemannes, der doch bereits mißtrauisch geworden war, immer weiter Sand zu streuen.

Als nun der Bursch eines Tages wieder einmal die besondere Zufriedenheit und Anerkennung seines Herrn errungen hatte, da bat er ihn gar demütiglich, ihm ein Gespräch unter vier Augen zu gewähren. Denn, so versicherte er mit ehrfurchtersterbender Stimme und klagevoller Wehmut, auf seinem Herzen laste ein Geheimnis, das er ihm brennend gern enthüllen würde, wenn er das wagen dürfe. Und wie die Frauen zumeist einen ganzen Eimer voll Tränen zur Verfügung haben und nur am Tränenkördelchen zu ziehen brauchen, um einen wahren Wasserfall daherbrausen zu lassen, sowie sie dessen bedürfen, so war's auch bei unserm Schreiberlein: dicke, große Krokodiltränen kullerten, während er sprach, in unabsehbaren Mengen über seine Backen, und nur ein ganz verhärtetes Gemüt hätte daran zweifeln können, daß der Schlingel vor Reue, Jammer oder herzlichster Aufrichtigkeit überfloß.

Sein armer Herr wurde natürlich aufs innigste ergriffen: ihm kam auch nicht das leiseste Mißtrauen, ja, er war nicht einmal erstaunt oder verwundert, denn er vermeinte, zu wissen, was der Bursch ihm da gestehen wollte. Allerdings war er dabei auf dem Holzwege, wie er alsbald merken sollte. Denn als er ihn fragte: »Nun also, mein Sohn, was bedrückt dich? warum mußt du so herzbrechend weinen und klagen?« da begann der Pfiffikus:

»Ach, Herr, ich habe wahrhaftig Grund genug und mehr als irgendein Mensch dieser Erde, um kreuzunglücklich zu sein. Aber mein Mißgeschick ist so ungewöhnlich und um so beklagenswerter, als man es eigentlich immer verheimlichen muß. Und darum habe ich bisher allemal, wenn ich drauf und dran war, Euch mein Herz auszuschütten, diesen Gedanken voller Scheu wieder ausgegeben, sobald ich mein Unglück sorglich überdachte.«

»So höre mir aus, zu weinen,« tröstete ihn sein Herr, »und sage mir ruhig, was dir aus der Seele lastet. Du kannst sicher sein, daß ich dir gern helfen werde, wie sich's für einen guten Christen geziemt, wenn ich nur irgend die Möglichkeit haben sollte.«

»Ach, teurer Meister,« schluchzte der verdammte Galgenstrick, »wie danke ich Euch von ganzem Herzen! Aber ich mag es drehen, wie ich will, ich sehe keine Möglichkeit, mit Worten das Unglück zu beschreiben, das ich nun schon so lange mit mir herumtrage.«

»Laß nur all deine Bedenken beiseite! Du brauchst nicht mehr zu jammern, denn vor mir sollst du keine Geheimnisse haben. Ich will wissen, was du hast; komm nur näher und erzähle es mir.«

Der Schlingel kannte seine Rolle ausgezeichnet. Endlos lange ließ er sich bitten und bestürmen, und als er schließlich dem Drängen anscheinend nur gezwungen und wider Willen nachgab, da erklärte er mit angstverzerrtem Gesicht und unter einem neuen Tränenstrom: er wolle es denn sagen, aber sein Herr müsse es ihm hoch und heilig versprechen, daß nie eine Menschenseele von der Sache etwas erführe; denn ehe sein Mißgeschick in die Welt hinausposaunt würde, wolle er lieber eines grausigen Todes versterben. Als ihm der Meister das alles fest zugesichert hatte, da endlich begann das Schreiberlein, scheinbar mehr tot als lebendig und bleich wie ein Verurteilter unter dem Galgen, folgendermaßen:

»Hochverehrter Meister! Sicherlich habet Ihr und gleichermaßen alle Leute geglaubt, daß ich ein Mann sei wie jeder andere, daß ich zu Frauen ginge, eine Familie gründen könnte und was dergleichen mehr ist. Aber dem ist nicht so, und darin liegt, ach, all mein Gram, mein Unglück!«

Und nunmehr stürzte ein ganzer Wolkenbruch von Klagen über den verblüfften Anwalt hernieder, den sein Schreiber in der ausführlichsten Weise von seinem angeblichen Mangel zu überzeugen suchte, und er wußte es so geschickt einzurichten und verwendete so raffinierte Kunstgriffe, um die Wahrheit seiner Behauptung zu erweisen, daß sein Herr schließlich, wirklich den Schwindel glaubte und von der Berechtigung seines Wehegeschreis überzeugt war. Worauf der Schlingel seine Klagen mit den schönen Worten beschloß:

»Ihr kennt nun mein Unglück und werdet es mir nachfühlen, wenn ich auch nochmals bitte, es unbedingt geheimzuhalten. Und wenn auch alle meine Dienste, die ich Euch bisher geleistet habe, nicht annähernd so groß sind, wie ich sie Euch gern leisten würde, wenn Gott mir nur die Möglichkeit dazu böte, so flehe ich Euch doch um meiner Dienstbereitschaft willen an, mir Eintritt zu einem frommen Kloster zu verschaffen, allwo ich bis zu meines Lebens Ende Gott dienen kann, sintemalen ich doch auf dieser Welt zu nichts nutze bin.«

Sein Herr, den er also hinters Licht führte, war wie aus den Wolken gefallen: das hatte er nicht erwartet. Und so begann er seinem Schreiber das harte Klosterleben auszumalen. Dort würde er sich zudem keine großen moralischen Verdienste einheimsen, denn es wäre ja gerade dieser Mangel, der ihm die Freude an der Welt geraubt habe und ins Kloster triebe, und kurz und gut – er stellte alles nur Erdenkliche auf, um dem Schlingel seinen Vorsatz wieder auszureden. Dazu hatte er seine guten Gründe, denn er schätzte seine gute Schrift und seinen Fleiß, hatte zudem nunmehr all sein Vertrauen wiedergewonnen und wollte ihn auf keinen Fall verlieren. Was soll ich noch viel sagen? Er redete so lange auf sein Schreiberlein ein, bis der Schlingel ihm zusagte, wenigstens einstweilen seine Stelle zu behalten und in seinem Dienst zu bleiben. Und da der Anwalt nun seines Schreibers Geheimnis kannte, wollte er ihm auch sein Geheimnis nicht vorenthalten, und deshalb sagte er:

»Mein Sohn, dein Unglück geht mir freilich sehe nahe; aber Gott weiß alles zum Besten zu führen und kennt besser als wir die Dinge, die uns frommen, und deshalb, Preis sei ihm, kannst du mir nunmehr einen Dienst erweisen, für den ich dir von Herzen dankbar wäre. Ich habe ein Weib, das ziemlich leichten Sinnes und lockerer Sitten ist, wogegen ich, wie du weißt, schon einigermaßen bei Jahren und in dem Alter bin, wo man bisweilen Anlaß dazu gibt, entehrt zu werden. Wäre mein Weib nicht so herzensgut, dann hätte sie mir wohl schon Grund zur Eifersucht gegeben; um nun aber all diesen Gefahren und anderen sonst noch vorzubeugen, so sollst du fortan über sie wachen, und versprich mir das, bitte, in die Hand, damit ich nie mehr zu fürchten brauche, daß sie mir Grund zur Eifersucht bieten könnte.«

Der Schreiber versank in ein langes, tiefes Nachdenken; als er dann aber seinen Entschluß gefaßt hatte und die Schleusen seiner Beredsamkeit öffnete: hei! wie flossen da die Lobgesänge auf seine edle, herzensgute Herrin so prächtig plätschernd dahin, wie herrlich pries er da ihre Schönheit und Tugend, die alles Denkbare erreichten. ›Indessen,‹ meinte er, ›wenn etwas zu seinen Dienstpflichten gehöre, dann wäre er mit Leib und Seele dabei, und mit unermüdlichem Pflichteifer wolle er dafür sorgen, daß nichts Schlimmes geschehe; sollte nur das Geringste vorkommen, so würde er seinen Herrn davon sogleich in Kenntnis setzen, so wie es sich bei einem ergebenen Diener von selbst verstünde.‹

Sein Herr war über diese Wache, die sein Weib fortan haben würde, strahlend froh; er verließ zufrieden sein Haus und widmete sich seelenruhig und sorgenlos seiner Tätigkeit in der Stadt. Das Schreiberlein aber trat unverweilt sein Wächteramt an und widmete sich ihm mit der ganzen Hingebung, deren er fähig war. Und seine Herrin machte ihm sein Amt leicht und freute sich diebisch, als sie hörte, wie schlau er ihren Mann hineingelegt hatte.

Die fröhliche Kurzweil der beiden, die sich so gut verstanden, dauerte gar lange Zeit. Wenn der Ehemann das Haus verließ, dann schickte er allemal sein Schreiberlein zu seinem Weibe; und er hätte sich lieber einen Diener von einem Nachbarn ausgeliehen, ehe er auf die Wächterdienste des pfiffigen Burschen verzichtet hätte; und wenn die Dame eine Reise oder Wallfahrt machte, hätte sie lieber auf ihre Zofe verzichtet, als aus das unentbehrliche, herzerquickende Schreiberlein. Gebt dann selbst zu: nie ist wohl je einem Schreiber ein ähnliches Glück widerfahren! Und, soweit ich unterrichtet bin, hat der Ehemann niemals von der Sache Wind bekommen. Sonst hätte er sich sicherlich vor Gram die Haare ausgerissen.


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