Antoine de la Salle
König Ludwigs galante Chronika
Antoine de la Salle

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Eine Dirne ist die andre wert.

Zu Brüssel, wo sich in dieser Zeit ja so mancherlei Merkwürdiges zugetragen hat, lebte vor kurzem ein Pikarde, ein junger Kerl, der bei einem Kaufmann als Geselle tätig war, bei diesem im Hause wohnte und eifrig, fleißig und ehrlich seit geraumer Weile die Dienste bei seinem Meister versah. Aber er wußte nicht nur seine Pflichten pünktlichst zu erfüllen, die ihm oblagen – er besaß auch ein wundersam-gewinnendes Mundwerk und ein so höflich-einschmeichelndes Wesen, daß er sich alsbald die Gunst der Meisterstochter gewann. Und das Ende vom Liede war, daß sie ihm an Huld gewährte, was sie nur gewähren konnte, und schließlich in unzweifelhaft andere Umstände kam.

Als unser Gesell dieser Wendung der Dinge inne ward, war er keineswegs so närrisch, erst noch lange zu warten, bis auch sein Meister von der Sache Wind bekäme. Vielmehr nahm er rechtzeitig Urlaub für einige wenige Tage, um, wie er sagte, in der Heimat seinen Vater, seine Mutter und seine Verwandten zu besuchen. In Wirklichkeit dachte er natürlich nicht im geringsten daran, jemals wieder zurückzukommen, und dafür hatte er ja seine guten Gründe, obgleich er es dem Mägdelein gar fest und heilig versprach, als er von ihr tränenreichen Abschied nahm – so, wie er auch vom Meister und der Meisterin Abschied genommen hatte. Derweile nun jener im Hause seines Vaters sich festsetzte und mit den heimatlichen Gefilden der Pikardie ein gerührtes Wiedersehen feierte, ward des Meisters Töchterlein allmählich derart durch ihre Schwangerschaft entstaltet, daß sie selbigen betrüblichen Zustand nicht länger verbergen konnte. Die erste, die es merkte, war die Mutter, die ja für solche Dinge ein Auge hatte. Sie nahm ihr Töchterlein beiseite und fragte sie mit begreiflicher Sorge, wie sie zu diesem Mißgeschick käme und wer der Übeltäter sei, der das angerichtet habe.

Das Mägdelein ließ sich erst eine gute Weile mit Fragen und Drohungen zusetzen, ehe sie mit der Sprache herausrückte. Das war durchaus verständlich, aber es nutzte nun einmal nichts mehr, sie mußte Farbe bekennen und ihren ganzen Jammer eingestehen: wie der Pikarde, der in ihres Vaters Diensten stand und kürzlich davongegangen war, sie verführt habe, und wie sie nun in diesem traurigen Zustand zurückgeblieben sei. Die Mutter war natürlich ganz außer sich vor Wut, Hilflosigkeit und Gram, als sie der schrecklichen Schande ihrer Tochter inne ward. Sie schrie sie an und warf ihr soviel Grobheiten und Schimpfworte an den Kopf, daß das arme Ding, das alles schweigend über sich ergehen ließ und ihr in nichts widersprach, schon durch diese Geduld, mit der es die Mutter anhörte, all ihre Schuld, selbst diese entehrende Schwangerschaft wohl hinreichend wieder gutmachte. Aber die Mutter ließ sich durch diese geduldige Demut nicht zur Milde stimmen. Vielmehr schrie sie: »Scher' dich weg, scher' dich fort von hier! Schau zu, wie du deinen Pikarden wiederfindest, der dir diese Suppe eingebrockt hat! Sag' ihm nur, daß er nun auch wieder gutmachen soll, was er mit dir angestellt hat; und wage nur ja nicht eher wieder heimzukommen, bis er deine Schande getilgt hat, die du ihm zu danken hast!« Weiß Gott, das arme Ding war ganz verzweifelt, und in ihrem Zustand ging ihr der Zorn der Mutter doppelt nahe. Völlig gebrochen verließ sie die grausame Alte, die vor Wut geradezu dampfte, und machte sich auf, den Schlingel zu suchen, der ihr das alles angerichtet hatte.

Ach, was mußte sie ausstehen, was für eine schreckliche Zeit machte sie durch, ehe sie seine Spur fand. Endlich fügte es Gott, nachdem sie kreuz und quer in der Pikardie herumgewandert war, daß sie eines schönen Tages (es war just ein Sonntag) in einem großen, schönen Dorfe der Grafschaft Artois anlangte. Und das Schicksal wollte es, daß gerade an diesem Tage der Pikarde dort seine Hochzeit feierte.

Als sie dessen inne ward, da wurde sie fröhlich, und in dem lebhaften Wunsche, ihrer Mutter zu gehorchen, drängte sie sich trotz ihres Zustandes rücksichtslos durch die Menschenmenge hindurch, bis sie bei ihrem Liebsten angekommen war und ihn begrüßte. Er erkannte sie gleich wieder, und da half ihm alles nichts: er gab ihr den Gruß zurück und stammelte:

»Herzlich willkommen! Was führt Euch just zu dieser Stunde hierher, meine Liebe?«

»Meine Mutter hat mich zu Euch geschickt,« erklärte sie. »Und, weiß Gott, Ihr habt mir da eine Strafpredigt eingebrockt, die ich nicht so bald vergessen werde. Kurz, sie hat mir befohlen und aufgetragen, Ihr müßtet wieder gutmachen, was Ihr mir Übles zugefügt habt; denn tut Ihr das nicht, dann darf ich ihr nimmermehr vor die Augen kommen.«

Der andere begriff alsbald ihre Dummheit und bemühte sich, sie schleunigst loszuwerden. Darum sagte er zu ihr: »Meine Liebe, was Ihr da von mir verlangt und Eure Mutter Euch aufgetragen hat, will ich sehr gern tun. Das ist ja auch ganz richtig – nur gerade in diesem Augenblick kann ich unmöglich abkommen. Darum bitte ich Euch, geduldet Euch etwas; bleibt hier im Hause, und morgen stehe ich Euch dann zur Verfügung.«

Sie war damit denn auch ganz einverstanden, und so ließ er sie in ein Zimmer führen, wo man für sie sorgte und sie auch pflegte und verband; denn durch die vielen Mühen und Leiden auf ihrer Wanderschaft war sie fürchterlich mitgenommen, und es ging ihr gar kläglich.

Die Braut war natürlich keineswegs mit Blindheit geschlagen. Sie sah recht wohl, wie ihr Mann mit einem schwangeren Mädel sprach, und das paßte ihr gar nicht. Sie war empört und außer sich, aber sie ließ sich ihre schlechte Laune nicht merken, bis die Schlafenszeit kam. Als er sich neben ihr niederlegte und nun dachte, er würde sie umarmen und küssen und kurz und gut den Hochzeitstrank in Ehren verdienen, der als Siegespreis in der Brautnacht neben dem Bette stand, – da mußte er erleben, daß sie sich immer wieder seinen Umarmungen entwand und all seine Zärtlichkeit energisch abwehrte. Darob war er erst baß verwundert, schließlich aber wütend und meinte: »Warum seid Ihr so unfreundlich, Liebste?« »Dafür habe ich meine guten Gründe! Stellt Euch nur nicht so; ich weiß, daß Ihr von mir nichts wissen wollt: Ihr habt andere, denen Ihr weit herzlicher zugetan seid.«

»Aber keine Rede davon! Nein, wirklich nicht, auf mein Ehrenwort, nein! Ich liebe auf dieser Welt keine andere Frau als Euch allein!«

»Ach,« seufzte sie, »ich sah recht gut, wie Ihr nach dem Essen drunten im Saal mit einer Frau eine Zeit heimlich sprachet. Was das besagen will, weiß jedes Kind – also entschuldigt Euch nicht erst lange, Ihr seid abgefangen.«

»Diese da?! Ach, du lieber Himmel! Auf die braucht Ihr wahrhaftig nicht eifersüchtig zu sein.« Und dann erzählte er ihr ausführlich, daß jene die Tochter seines Meisters in Brüssel sei, deren Gunst er genossen habe, also daß sie schwanger geworden sei; deshalb wäre er heimgekommen. Aber nach seinem Weggange sei ihre Schwangerschaft allmählich so augenscheinlich geworden, daß sie nicht mehr unbemerkt bleiben konnte, und so habe sie ihrer Mutter gestanden, daß er der Übeltäter gewesen sei, und die Mutter habe ihre Tochter zu ihm geschickt, damit er sein Unrecht wieder gutmache, denn ansonsten dürfe ihr das Mädel nicht wieder unter die Augen kommen.

Als unser Gesell das alles erzählt hatte, griff sein Weib eine Einzelheit des Berichtes heraus und fragte:

»Wie denn?! Ihr sagt, sie hat ihrer Mutter gestanden, daß sie Euch ihre Gunst geschenkt hat?« »Freilich,« lachte er. »Es ging ja auch nicht anders, und da gestand sie ihr alles.«

»Auf mein heiliges Ehrenwort!« rief die Frau, »das Mädel ist kreuzdumm! Unser Kärrner hat mehr denn vierzig Nächte bei mir verbracht, aber Ihr könnt versichert sein, daß ich mich fein gehütet habe, meiner Mutter auch nur ein Sterbenswörtlein davon zu sagen!« »Hol's der Teufel, Verehrteste!« fuhr er auf. »Ach so, solch ein Früchtel seid Ihr? Da also liegt der Hund begraben?! So schert Euch nur ruhig Zu Eurem Kärrner, wenn Ihr wollt, denn ich will von Euch nichts mehr wissen.«

Und damit sprang er auf, eilte zu dem Mägdelein, das er geschwängert hatte, und ließ die andere im Stich. Und als die Sache tags darauf bekannt wurde, da gab es natürlich ein Mordsgelächter, und nur wenige, wie besonders der Brautvater und die Brautmutter, machten lange Gesichter und mußten betrübt den Spott einstecken, für den sie nicht gesorgt hatten.


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