Antoine de la Salle
König Ludwigs galante Chronika
Antoine de la Salle

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Halb im Stiefel.

Obgleich in den anderen Erzählungen die Namen der Personen, die darin vorkommen und handelnd auftreten, nicht genannt sind, so habe ich doch nicht übel Lust, in dieser kleinen Geschichte den Helden zu nennen: es war der Graf Walerant, der seinerzeit Graf Saint-Pol hieß und allenthalben »der schöne Graf« genannt wurde. Neben vielen andern Herrensitzen gehört ihm auch ein Dorf in der Schloßvogtei von Lisle. Und das Dörflein Vrelenchem lag nur eine Meile etwa von der Stadt Lisle entfernt.

Der edle, schmucke Graf war sanft und gut, und wohl darum schwamm er allezeit, ohne irgendein Maß und Ziel zu kennen, im heißen Liebesstrome! Nun erfuhr er durch Untergebene, die ihm in dieser Beziehung zu Diensten standen, daß im besagten Dörflein Vrelenchem ein bildhübsches Mägdelein wohne, das schmuck gebaut und wohl bei Fleische sei. Der Graf, nicht faul, hatte das kaum gehört, als er schon dorthin eilte, um das Mädel von weitem zu besichtigen. Seine Leute richteten denn auch alles so ein, daß er sie beaugenscheinigen konnte, und wahrhaftig! ihr Anblick bestätigte alles, was er an Lobgesängen über sie gehört hatte.

»Schön,« meinte unser Gräflein. »Aber was nun tun? Ich muß jetzt unbedingt mit ihr ein kleines Gespräch unter vier Augen haben; was mich das kostet, darauf soll es mir nicht ankommen.«

Alsbald ergriff einer seiner Leute, der sich auf sein Handwerk verstand, das Wort und sagte:

»Edler Herr, mir scheint es am besten um Eurer Ehre und auch der des Mägdeleins willen, daß ich ihr die Wünsche enthülle, die in Eurem Herzen brennen. Habe ich von ihr eine Antwort, dann kann ich danach raten, ob und wie man mit ihr verhandeln und Eure Absichten durchführen kann.«

Alle stimmten seinen Worten zu und es geschah, wie er gesagt hatte: er begab sich zu der Schönen hin und begrüßte sie mit ausgesuchter Höflichkeit; und sie erwiderte seinen Gruß nicht minder höflich, denn sie war nicht nur hübsch, sondern auch wohlerzogen und tugendhaft. Um kurz zu sein: Nach einigen belanglosen Redensarten begann der Mädchenfänger ihr in schwungvollen, einleitenden Worten zu schildern, wie sein Herr sie mit Gütern und Ehren zu überhäufen beabsichtige; wahrhaftig, es hinge nur an ihr, daß all die Ihren mit Kind und Kegel reiche und hochangesehene Leute würden.

Das gute Ding merkte schnell, was die Uhr geschlagen hatte. Und ihre Antwort war ebenso schön und brav, wie das ganze Mädel: ›Allezeit würde sie ihrem edlen Herren, dem Grafen, wie sich's für sie gebühre, in Ehrfurcht gehorsam und dienstbar sein, soweit es nicht wider ihre Ehre ginge. Denn diese sei ihr so teuer wie ihr Leben, und wenn er diese antasten wolle, dann wolle sie nichts von ihm wissen und ihn meiden wie den bösen Geist.‹

Als unser Liebesbote diese Antwort hörte, fiel er begreiflicherweise aus allen Wolken, und die Galle schwoll ihm. Geknickt kehrte er mit seinem kläglichen Ergebnis zu seinem Herrn zurück, denn beinahe wäre die Sache schief gegangen. Der Graf war natürlich wütend, als er die stolze, ablehnende Antwort der Holden erfuhr, nach deren Gunst und Schönheit sein ganzes Begehren stand – jetzo gab es schon nichts mehr auf der ganzen Welt, das er sehnlicher zu besitzen wünschte, als sie. Schließlich sagte er:

»Nun gut denn, vorwärts! Lassen wir sie für diesmal ungeschoren. Ich werde mich ihrer schon noch erinnern, wenn sie glauben wird, ich hätte die Sache vergessen.«

Alsbald verließ er das Dörflein und mied es sechs ganze Wochen hindurch; als er es dann aber wieder aufsuchte, da geschah das so heimlich, daß kein Bewohner dort etwas davon erfuhr; denn er kam in schlichtem Aufzug und vermied alles, was sein Eintreffen hätte bemerkbar machen können. Desto eifriger waren seine Spione an der Arbeit, und die erkundeten bald, daß das schöne Mägdelein an einer Waldesecke ganz mutterseelenallein im Grase ruhte. Darob geriet er außer sich vor Freude, und gestiefelt und gespornt, wie er war, eilte er stracks mit seinen Leuten zu der Stelle, wo sie sich just befand.

Sobald er in der Nähe seines Zieles angelangt war, ließ er seine Begleiter zurück und schlich so sachte zu ihr, daß sie seine Anwesenheit erst merkte, als er vor ihr auftauchte. So ist es denn auch nicht verwunderlich, daß sie vor Überraschung alle Geistesgegenwart verlor und sich ihrer Lage erst bewußt wurde, als der Herr Graf sie bereits gepackt hatte und festhielt. Sie wurde totenbleich, ihr ganzes Gesicht verzerrte sich angstvoll, und das Wort blieb ihr in der Kehle stecken. Denn sie kannte recht gut den Ruf eines ganz gefährlichen, rücksichtslosen Frauenjägers, dessen der Graf sich allenthalben erfreute. Und während sie sich in seine Hände krallte, hub er an und sprach:

»Schockschwerenot, meine Gnädigste, wie seid Ihr unglaublich stolz! Man kann Euch wahrlich ohne eine Belagerung und Erstürmung nach allen Regeln der Kunst gar nicht erobern! Auf denn! Verteidigt Euch gut, jetzt kommt die Entscheidungsschlacht; und Ihr werdet den Kampfplatz nicht verlassen, ehe Ihr nicht meine Bedingungen erfüllt und mich für all die Mühe und Pein entschädigt habt, die ich aus Liebe zu Euch erduldete.«

»Wehe, edler Herr!« ächzte das Mägdelein, das immer noch vor Schrecken und Überraschung kaum reden konnte, »ich bitte um Gnade! Sollte ich etwas gesagt oder getan haben, was Euer Mißfallen erregt hat, so wollet mir verzeihen; und seid versichert, daß ich wissentlich wenigstens niemals etwas sagte oder tat, um dessentwillen Ihr mir zürnen könntet. Ich weiß nicht, was man Euch berichtet hat. Jemand kam und machte mir in Eurem Namen einen ehrlosen Vorschlag. Ich habe seinen Worten keinen Glauben schenken können, denn ich halte Euch für tugendhaft und kann mir nicht denken, daß Ihr für nichts und wieder nichts eine schlichte Untergebene, wie ich es für Euch bin, entehren könntet. Eher würde ich meinen, daß Ihr auf unsern Schutz bedacht seid.«

»Laß deine Vorwürfe! Du kannst überzeugt sein, daß du meinen Händen erst dann entschlüpfst, wenn ich dir gezeigt habe, wie sehr ich dir wohl will. Und zu diesem Zwecke hatte ich auch einen meiner Leute zu dir geschickt.«

Und ohne noch weiter ein Wort zu verlieren, packte er sie mit starken Armen um den Leib, drückte sie auf den Blätterhaufen nieder, den sie zuvor zusammengelesen hatte, um es sich darauf bequem zu machen, und bemühte sich, sie dorten festzuhalten und ihren Widerstand zu bezähmen, auf daß er seine bösen Absichten zur Ausführung bringen könne. So sah sich das Mägdelein alsbald in der allergrößten Gefahr, zu verlieren, was ihr aus Erden das teuerste war. Aber just in diesem Augenblick kam ihr ein pfiffiger Gedanke, und sie rief dem Grafen zu:

»Ich ergebe mich! Ich will alles tun, was Ihr von mir wünscht, und Euch in nichts mehr widersprechen noch Widerstand leisten. Sicherlich werdet Ihr zufrieden sein, wenn Ihr Eure Absichten mit meiner Zustimmung erreicht und ich mich Euch aus freiem Willen und fröhlichen Herzens hingebe, als wenn Ihr wider meinen Willen gewaltsam Eure zügellose Lust an mir büßet.«

»Schon gut! wenn du glaubst, daß du mir entwischen kannst, so irrst du dich! Also, was wolltest du sagen?«

»Ich bitte Euch flehentlich: wenn ich Euch denn schon zu Willen sein muß, so tut mir wenigstens den einen Gefallen und besudelt mich nicht mit Euren Schaftstiefeln, die fettig, schmutzig und obendrein auch Euch hinderlich sind.«

»Wie soll ich das denn machen?« fragte er erstaunt.

»Ich werde sie Euch ausziehen, wenn Ihr mir das gestattet; denn, weiß der Himmel, wie kann ich liebenswürdig oder gar zärtlich zu Euch sein, solange Ihr diese dreckigen, scheußlichen Stiefel anhabt.«

»Ich finde das nicht so schlimm mit den Stiefeln,« brummte der Graf. »Aber wenn du es durchaus willst, magst du sie ausziehen.«

Damit gab er sie frei, setzte sich ins Gras und streckte ihr ein Bein hin. Und die Schöne schnallte zuerst den Sporen ab und begann alsdann, ihm den Stiefel auszuziehen. Der war eng und sie hatte eine Mordsmühe; sie zerrte in die Kreuz und in die Quere, bis sie ihn endlich zur Hälfte ausgezogen hatte. Da aber rannte sie davon und lief, so schnell ihre Füße sie nur tragen konnten; schon war sie weit von dem Grafen entfernt, aber sie nahm alle Kräfte, all ihren Willen zusammen und hielt in ihrem wilden Jagen erst inne, als sie im Hause ihres Vaters angelangt war.

Die Wut des Edelmannes, der sich solchermaßen hinters Licht geführt sah, läßt sich überhaupt nicht beschreiben. Und wenn in diesem Augenblick einer dabei gewesen wäre und gelacht hätte, ich glaube, dem wäre das Lachen sofort für alle Zeiten vergangen, und er hätte nicht einmal Zeit gefunden, von diesem irdischen Jammertal zuvor tränenreichen Abschied zu nehmen.

Zwar fiel es ihm verdammt schwer, auf die Füße zu kommen; aber schließlich brachte er es zuwege, und vermeinte nun, sich des Stiefels zu entledigen, indem er mit dem anderen Fuße vorn darauftrat. Aber damit war es nichts. Der Stiefel war eben zu eng, und so blieb ihm schließlich nichts anderes übrig, als zu seinen Leuten zurückzuhumpeln.

So verließ er denn die Stätte seines so rühmlichen Erfolges, und nach einer kleinen Weile sah er seine Leute vor sich auftauchen. Die saßen geduldig an einem Grabenrande und warteten auf ihn. Als sie ihn in diesem Aufzuge erblickten, machten sie natürlich große Augen und wußten nicht, was sie davon denken sollten. So erzählte er ihnen, was ihm begegnet war, und ließ sich wieder in den Stiefel helfen. Wenn man ihn in diesem Augenblick hörte, dann konnte man dem Mägdelein, das ihn solchermaßen hineingelegt hatte, ein frühes, jähes Ende prophezeien, so schreckliche Drohungen und Flüche stieß er wider sie aus. Aber inmitten seiner wütenden Rachegedanken und in dem rasenden Grimme, der lange Zeit in ihm wühlte, kühlte seine Leidenschaft sich mählig ab, und sein Zorn wandelte sich in ehrliche, herzliche Liebe. Und wirklich tat er später alles, um einen wackeren Mann für sie zu finden und ihre Hochzeit zu betreiben, die er mit vielen Kosten und großem Pomp feiern ließ. So ward sie ein reiches, angesehenes Eheweiblein, weil er ihre Offenheit und edle Gesinnung aufrichtig bewunderte, nachdem er sie durch die eben berichtete kecke Abweisung in ihrem wahren Werte kennengelernt hatte.


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