Antoine de la Salle
König Ludwigs galante Chronika
Antoine de la Salle

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Die anständige Frau mit zwei Ehemännern.

Nicht nur bei den Bewohnern der Stadt Gent, wo sich die Geschichte, die ich hier beschreibe, vor nicht zu langer Zeit zutrug, sondern auch unter den meisten Bewohnern Flanderns und auch euch ja, die ihr hin anwesend seid, ist es bekannt, daß in der Schlacht zwischen dem Ungarnkönig und dem Herzog Johann (den Gott erlösen möge!) einerseits und dem Großherrn des türkischen Reiches andrerseits mehrere französische, flämische, deutsche und picarder Rittersleute und Knappen gefangen genommen wurden. Einige fanden den Tod und wurden vor den Augen jenes Türkenkaisers umgebracht, die andern für immer in den Kerker geworfen, wieder andere verurteilt, Sklavendienste zu vollbringen und die Freiheit zu verlieren. Zu letzteren gehörte ein Edelmann aus Flandern, ein Herr Klaus Utenhoven.

Mehrere Jahre hindurch tat er diese niederen Dienste, und das war für ihn keine kleine Arbeit, sondern ein unerträgliches Duldertum, denn er war herrlich und in Freuden aufgewachsen und edler Abkunft.

Nun müßt ihr wissen, daß er vordem in Gent eine Frau genommen hatte, und zwar war er mit einer sehr schönen guten Dame verheiratet, die ihn von ganzem Herzen liebte und wert hielt und nun tagtäglich zu Gott betete, daß sie ihn doch recht bald wiederhaben und bei sich wiedersehen wolle, wenn er noch am leben sei. Wäre er aber tot, so möge der Herr in seiner Gnade ihm seine Sünden vergeben und ihn in die Schar der glorreichen Märtyrer aufnehmen, die durch Niederwerfung der Ungläubigen und ihre Begeisterung für den heiligen katholischen Glauben freiwillig dem irdischen Tode geweiht und hingegeben haben.

Diese gute Dame war reich, schön und voller Güte. So wurde sie von vertrauten Freunden unaufhörlich gedrängt und bestürmt, sie solle sich doch wieder vermählen. Alle sagten und versicherten ihr mit aller Bestimmtheit, ihr Mann sei tot; denn wäre er noch am leben, so würde er gleich den anderen zurückgekehrt sein, wäre er aber Gefangener, so würde man Nachrichten von ihm erhalten haben, um seine Auslösung in die Wege zu leiten. Man mochte ihr aber sagen, was man wollte, mochte ihr noch so viel anscheinend überzeugende Gründe vorführen, um nichts wollte sie sich mit solcher Ehe einverstanden erklären, und so gut sie nur konnte, entschuldigte sie sich, den Rat ablehnen zu müssen.

Schließlich aber waren all ihre Ausreden wenig oder nichts nütze, denn sie wurde von ihren Eltern und Freunden doch so weit gebracht, daß sie sich schließlich fügte und gehorchte. Gott freilich weiß, daß es voll schmerzlichen Bedauerns geschah und neun Jahre seit dem Tage währte, wo sie von ihrem guten, getreuen Gatten getrennt worden war, den sie mehr liebte als ihr leben. Und so erging es ja den meisten, die ihn kannten. Gott aber, der seine Diener und Anhänger behütet und beschützt, hatte es anders beschlossen.

Denn noch lebte der Edelmann und tat seinen langweiligen Sklavendienst. Um nun zur Sache zu kommen: die gute Dame wurde also mit einem anderen Rittersmann vermählt, und sie lebten wohl ein halbes Jahr miteinander, ohne daß die Frau von ihrem ersten Manne anderes hörte als bisher, nämlich, daß er tot sei. Zufällig fügte es sich nun aber nach Gottes Willen, daß es der gute edle Ritter Klaus, der noch zu der Stunde, da seine Gemahlin sich anderweit verheiratete, den schönen Beruf eines Sklaven ausübte, durch einige christliche Edelleute und Kaufleute zuwege brachte, freigelassen zu werden. Er begab sich auf ihr Schiff und kehrte derart alsbald heim.

Während er sich nun auf dem Rückwege befand und durch die Lande zog, begegnete und traf er mehrere gute Bekannte, die über seine Befreiung hocherfreut waren. Denn wirklich kann man sagen, daß er ein überaus tapferer, tugendhafter Mann war, der sich des besten Rufes erfreute. So verbreitete sich die frohe Botschaft von seiner heißersehnten Befreiung weithin und gelangte schließlich auch nach Frankreich, noch Artois und der Picardie, wo sein Name nicht minder bekannt war als in seinem Heimatlande Flandern.

Auf diesem Wege konnte es denn auch nicht lange dauern, bis die Nachrichten nach den, flämischen Landen gelangten und seiner schönen, wackeren Ehefrau zu Ohren kamen. Die war ganz außer sich, schier von Sinnen, und derart erregt und erschrocken, daß sie sich nicht zu fassen vermochte.

»Ach!« rief sie schließlich, als sie wieder sprechen konnte, »mein Herz war wahrlich damals nicht einverstanden, zu tun, was zu vollbringen mich meine Eltern und Freunde mit Gewalt gezwungen haben. Wehe! was wird mein treuer Herr und Gatte dazu sagen! Nicht, wie es meine Pflicht war, habe ich ihm die Treue gehalten, sondern wie eine leichtfertige, nichtsnutzige, wankelmütige Frau habe ich mich benommen, habe einem anderen zuteil werden lassen, was er allein als Herr und Meister zu eigen hatte. Wie kann ich heute noch wagen, sein Kommen zu erwarten?! Ich bin nicht wert, daß er mich auch nur mit einem Blicke anschaut, geschweige denn mich jemals wieder als Gefährtin betrachtet.«

So rief sie und klagte mit vielen bitteren Tränen, und dann schwand dieser ehrenwerten, tugendhaften und herzlich getreuen Frau das Bewußtsein, und sie sank besinnungslos nieder.

Freilich wurde sie aufgerichtet und auf ein Bett getragen, und ihre Besinnung kehrte zurück. Aber fortan konnte weder ein Mann noch eine Frau von ihr erzwingen, daß sie aß oder schlief. Drei Tage hintereinander verblieb sie derart, weinte unaufhörlich, und ihr Herz zerfraß sich in dem gräßlichsten Kummer, den je eine Frau erlebte. Während dieser Zeit beichtete sie und bestellte ihre Dinge als gute Christin, bat auch jedermann um Verzeihung, insonderheit aber ihren edlen Gatten. Und bald danach starb sie, und darob war große Trauer, Es braucht auch nicht gesagt zu werden, welch tiefer Gram ihren Gatten überkam, als er diese Nachricht empfing. Ja, sein Schmerz brachte ihn gewaltig in die Gefahr, auf ähnliche Weise seiner getreuen Gattin in den Tod zu folgen. Aber Gott, der ihn vor anderen dräuenden Gefahren behütet hatte, wendete auch diese glücklich von ihm ab.


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