Antoine de la Salle
König Ludwigs galante Chronika
Antoine de la Salle

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Der Dudelsack.

In den Zeiten des Krieges zwischen den zwei Parteien Burgund und Armagnac trug sich in Troyes in der Champagne ein gar anmutsvolles Geschehnis zu, das wohl wert ist, berichtet und hier mit aufgenommen zu werden. Die Geschichte war so:

Die Leute von Troyes waren zuvor Anhänger der Burgunder gewesen und hatten sich dann auf die Seite der Armagnaken gestellt. Zu ihnen gehörte ein halb närrischer Geselle, der war zwar nicht ganz und gar jeglicher Vernunft bar, aber er hielt es wahrlich mehr mit der Frau Tollheit denn mit dem gesunden Menschenverstande, obgleich er sich bisweilen mit Hand und Mund mancherlei Dinge leistete, die vernünftiger waren, als man ihm hätte zutrauen können.

Um jetzt aber zu der eigentlichen Geschichte zu kommen: Besagter Schlingel gehörte zur Besatzung der Burgunder, die in Saint-Menehould standen. Eines Tages nun hielt er seinen Gefährten einen großen Vortrag und sagte, wenn sie ihm vertrauen würden, wolle er ihnen einen guten Rat geben, wie man von den Faulpelzen in Troyes einen gehörigen Happen erbeuten könne. Denn diese haßte er wirklich auf den Tod, und auch sie verspürten keine Liebe für ihn und drohten stets, ihn an den Galgen zu bringen, wenn sie seiner habhaft werden könnten. Er sagte also folgendes:

»Ich will gen Troyes ziehen und mich an die Vorstädte heranmachen und so tun, als suchte ich dort die Stadt auszuspähen: ich werde mit meiner Lanze in den Gräben herumstochern und so dicht an die Stadt herankommen, daß ich gepackt werde. Ich bin fest überzeugt: sobald mich der wackere Schöffe in den Fängen hat, wird er mich zum Galgen verurteilen, und keiner in der Stadt wird ihm mir zuliebe widersprechen, denn sie haben mich allesamt auf dem Strich. Derart also werde ich ganz früh am Morgen zum Galgen geführt, ihr aber werdet im Gehölz dicht dabei im Hinterhalte liegen. Sobald ihr nun mich und mein Gefolge kommen hört, werft ihr euch auf die Gesellschaft, packt und behaltet, was ihr mögt, und befreit mich aus ihren Händen.«

Alle seine Gefährten aus der Besatzung waren einverstanden und meinten, wenn er es wagen wolle, solch gefährlichen Streich zu unternehmen, wollten sie ihm gern behilflich sein, ihn auszuführen.

Um kurz zu sein: der närrische Kerl machte sich an Troyes heran, so wie er es gesagt hatte, und wurde ganz nach seinem Wunsch gefangengenommen. Die Nachricht war bald in der ganzen Stadt herumgesprochen, und es gab keinen, der ihn nicht am Galgen zu sehen wünschte. Auch der Schöffe selbst hatte ihn kaum erblickt, da erklärte er und verschwor sich bei allen guten Göttern, daß er fein säuberlich am Halse aufgeknüpft werden solle.

»Ach, edler Herr,« versetzte der Schlingel, »ich bitte Euch um Erbarmen, denn ich habe Euch nichts Arges getan.«

»Ihr lügt, arger Schelm,« erwiderte der Schöffe. »Ihr habt die Burgunder hier in das Gebiet geführt und habt die guten Bürger und Kaufleute verraten. Aber Ihr werdet Euren Lohn ernten, denn Ihr kommt an den Galgen.«

»Ach, bei Gott, edler Herr,« sagte unser wackerer Bursch, »wenn ich schon einmal sterben muß, dann geruht es einzurichten, daß es ganz früh am Morgen sei und die Strafe nicht allzu öffentlich vollstreckt wird, maßen ich in der Stadt so viele Verwandte und Freunde habe.«

»Gut, gut,« versetzte der Schöffe, »wir wollen das bedenken.«

Am nächsten Tage am frühesten Morgen kam der Henker mit seinem Karren beim Gefängnis vorgefahren, und kaum war er angelangt, da kam auch schon der Schöffe hoch zu Roß mit den Bütteln, und hinterdrein eine große Zahl Gefolgsleute. Unser Mann wurde aufgepackt, auf dem Karren festgebunden und behielt nur seinen Dudelsack in der Hand, auf dem er dauernd spielte. So wurde er zum Richtplatz geführt, und er hatte, trotz der frühen Morgenstunde, weitaus mehr Geleit, als gar manch anderer gehabt hätte, – so grimmig wurde er in der Stadt gehaßt.

Nun müßt ihr wissen, daß seine Gefährten von der Besatzung in Saint-Menehould nicht vergaßen, sich unweit des besagten Richtplatzes von Mitternacht an in einem Gehölze in Hinterhalt zu legen, um ihren Mann zu retten, wenngleich er nicht einer der vernünftigsten war, und auch um Gefangene und andere Dinge einzuheimsen, wenn das ging. Sobald sie also dorthingekommen und angelangt waren, trafen sie alle Vorbereitungen, wie der Krieg es mit sich bringt, und schickten auch einen Späher auf einen Baum hinauf, der ihnen berichten sollte, wann die Leute von Troyes auf dem Richtplatz anlangten. Der Späher setzte sich oben hin, machte es sich bequem und versicherte, seine Pflicht gut erfüllen zu wollen.

So kamen und betraten denn die Rechtsvollstrecker die Stätte beim Galgen, und um die Sache so kurz wie möglich zu machen, ordnete der Schöffe an, unsern armen Schelm recht schnell ins Jenseits zu befördern. Der war über die Maßen verwundert, wo denn seine Gefährten steckten, und warum sie nicht kamen und auf die verflixten Armagnacs einstürmten.

Es war ihm nicht ganz wohl zumute, aber er schaute nach hinten und nach vorn, und zumal nach dem Gehölz. Doch er hörte und sah nichts. So lange er nur irgend konnte, beichtete er, aber schließlich wurde er von dem Priester fortgeholt, und, um es kurz zu machen, er stieg die Leiter hinauf; und als er dort oben war, da wurde ihm weiß Gott recht kunterbunt zumute, und er guckte und spähte immer nach dem Gehölz hin. Aber das war umsonst. Die Wache, der befohlen war, den Angriff zu leiten, den sie zu seiner Befreiung geplant hatten, war wohl oben auf ihrem Baume eingeschlafen. So kam es, daß unser Ärmster nicht wußte, was tun und sagen, und er hatte nur noch den einen Gedanken, daß sein letztes Stündlein gekommen sei.

Der Henker traf zu dem Ende bereits alle Vorbereitungen, um ihm die Schlinge um den Hals zu legen, auf daß er ins Jenseits befördert würde. Aber als er dessen inne ward, da kam ihm ein Gedanke, der ihn gar von Nutzen wurde. Er sagte nämlich:

»Edler Herr Schöffe, ich bitte Euch bei Gott, lasset mich, bevor man weiter mit mir verfährt, ein Liedlein aus meinem Dudelsack blasen. Weiter bitte ich Euch nichts, – ich werde dann zufrieden sterben und vergebe Euch und allen andern meinen Tod.«

Diese Bitte wurde ihm verstattet, und er bekam seinen Dudelsack hinaufgereicht. Als er ihn in der Hand hielt, da begann er, so frisch er nur irgend konnte, darauf zu blasen, und er spielte ein Liedlein, daß seine Gefährten im Hinterhalte recht gut kannten. Ein Vers darin hieß:

»Du weilst zu lange, Robinet, du weilst zu lange.«

Beim Klang des Dudelsacks wachte der Späher auf, und vor Schreck ließ er sich vom Baume oben, wo er saß, jach hinunferfallen und rief:

»Man hängt unsern Mann auf! vorwärts, vorwärts! Sputet euch!«

Und seine Gefährten waren alle bereit. Mit Trompetengeschmetter stürmten sie aus dem Gehölz hervor und brachen über den Schöffen und die ganze Sippschaft herein, die vor dem Galgen stand. Ob dieses Schreckes verlor der Henker den Kopf und wußte in seiner Verwirrung nicht mehr, daß er ihm den Strick um den Hals legen und ihn hinunterstoßen sollte; sondern er bat ihn statt dessen, ihm das Leben zu retten. Das hätte unser Freund auch gern getan, aber es stand nicht in seiner Macht; vielmehr tat er etwas anderes, Wichtigeres. Denn hoch von seiner Leiter herab rief er seinen Gefährten zu:

»Nehmt den dort! Hascht den da! Der hier ist reich, bei dem dort ist nicht sonderlich viel zu holen.«

Kurz, die Burgunder töteten einen ganzen Haufen von denen, die aus Troyes herausgekommen waren, nahmen einen großen Teil als Gefangene mit und retteten ihren Mann so, wie ihr es gehört habt. Aber er sagte stets, daß er zeit seines Lebens niemals eine derart grimmige Angst gehabt habe wie in jener Stunde.


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