Antoine de la Salle
König Ludwigs galante Chronika
Antoine de la Salle

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Das Zehnt der Frauen.

Um nicht des beglückenden, erhabenen Verdienstes aller derer verlustig zu gehen, die an der Vermehrung und dem Wachsen der Geschichten für unser Buch arbeiten, will ich euch kurz einen neuen Vorfall erzählen, durch den ich mich der Verpflichtung für ledig halte, einen Beitrag zu liefern, so wie mir das neulich auferlegt wurde. Es handelt sich dabei um einen wahren Vorfall.

In der Stadt Ostellerie in Castelogne langten vor einiger Zeit einige Minoritenbrüder an, die, wie es heißt, von der Observanz wegen ihrer schlechten Führung und Scheinheiligkeit aus dem Königreiche Spanien verjagt und vertrieben worden warm. Die fanden die Möglichkeit, sich bei dem Schloßherrn der besagten Stadt Eingang und Zutritt zu verschaffen, vielleicht wohl deshalb, weil er schon ein recht bejahrter alter Herr war. Und kurz und gut, sie erreichten es sogar, daß er ihnen eine sehr schöne Kirche mit einem Kloster begründete und erbaute, und sein lebelang sie, so gut er konnte, unterstützte und förderte. Und wirklich kam die Gründung in kurzer Zeit zu schönster Blüte: sie hatten reichlich alles, was man sich für ein Kloster von Bettelmönchen überhaupt nur wünschen kann. Nun dürft ihr euch aber nicht etwa einbilden, daß sie in der Zeit, da sie diese Güter zusammenrafften, ganz untätig waren; im Gegenteil, sie predigten unablässig in der Stadt wie auch in den umliegenden Ortschaften, gewannen das ganze Volk für sich und wußten es so einzurichten, daß sich keiner für einen guten Christen hielt, der nicht bei ihnen gebeichtet hatte. Solchen Ruhm und solches Ansehen hatten sie sich erworben: sie hatten es eben verstanden, den Sündern ihre Fehler zu Gemüte zu führen. Aber waren sie auch sonst geschätzt und wohl gelitten, so hatten sich die Frauen ihnen nun schon gar vollkommen hingegeben, weil sie sie für heilige Männer voller Barmherzigkeit und tiefer Frömmigkeit hielten.

Hört nun die arge Enttäuschung und den schändlichen Trug, den diese hinterlistigen Heuchler all den guten Leuten bereiteten, trotzdem sie von ihnen Tag für Tag mit den grüßten Wohltaten überhäuft wurden:

Sie machten nämlich allen Frauen in der ganzen Stadt begreiflich, daß sie gehalten und verpflichtet seien, Gott den Zehnten alles Gutes zu geben, »wie auch eurem Schloßherrn von der und der Sache, eurer Pfarre und eurem Pfarrer von diesem und jenem. So schuldet ihr auch den Zehnten für alle Fälle, wo ihr euch mit euren Ehemännern im Fleische eint. Ein anderes Zehnt können wir bei euch nicht erheben, denn, wie ihr wißt, haben wir kein Geld in unserem Besitz. Und wir fordern auch keines, denn uns liegt nichts an irdischen, vergänglichen Gütern dieser Welt. Wir begehren und fordern nur geistige Güter. Das Zehnt aber, das ihr uns schuldet und das wir fordern, ist kein irdisch Gut; es ist in dem heiligen Sakrament inbegriffen, das ihr empfangen habt, und das ist eine göttliche, geistige Sache. Von diesem aber ein Zehnt zu erheben, steht nur uns allein zu, die wir Geistliche der Observanz sind.«

Die armen einfältigen Frauen, denen die wackeren Brüder eher Engel denn irdische Menschen schienen, weigerten sich denn auch keineswegs, dies Zehnt zu bezahlen: nicht eine einzige entzog sich dieser Pflicht, von der hochgestellten herab bis zu der einfachsten Frau; selbst die Gemahlin des Schloßherrn suchte sich nicht dieser Pflicht zu entziehen.

Derart wurden all die grauen der Stadt dem Gelüst der wackeren Mönche ausgeliefert, und jeder einzelne unter ihnen erhob mindestens von fünfzehn oder sechzehn Frauen seinen Zehnt, was sie bei diesen Gelegenheiten noch sonst für Geschenke, natürlich unter dem Anschein tiefster Frömmigkeit, einheimsten, weiß Gott allein.

Dies Gebahren dauerte eine ganze lange Weile, ohne daß es bei denen bekannt wurde, die sich gern solcher neuen Abgabepflicht ledig gewußt hätten. Schließlich aber kam es doch heraus, und zwar auf folgende Weise:

Ein neuvermählter junger Mann wurde zusammen mit seiner Frau ins Haus eines seiner Verwandten zum Abendessen eingeladen. Als sie von dort zurückkehrten, kamen sie bei der Kirche besagter Mönche vorbei, und just in diesem Augenblick ertönte die Glocke Zum Ave Maria. Der brave Mann beugte sich nieder, um sein Gebet zu sprechen. Sein Weib aber sagte zu ihm:

»Wenn es Euch recht ist, möchte ich gern in die Kirche hier eintreten und ein Vaterunser und ein Ave Maria sprechen.«

»Was habt Ihr denn zu dieser Zeit da drinnen zu suchen?« meinte der Ehemann. »Ihr könntet doch wieder hierherkommen, wenn es heller Tag ist, morgen oder sonst einmal.«

»Ich bitte euch,« versetzte sie, »laßt mich hineingehen. Mein Wort, ich komme gleich wieder zurück.«

»Bei unserer lieben Frau!« erwiderte er, »jetzt zur Nachtzeit lasse ich such dort nicht hinein.«

»Mein Wort,« versetzte sie, »ich muß es nun einmal, es ist meine Pflicht, dorthin zu gehen. Aber ich werde nicht lange machen. Eilt Ihr heim, so geht nur voraus, ich komme gleich nach.«

»Vorwärts, vorwärts,« rief er, »Ihr habt dort gar nichts zu suchen. Wollt Ihr ein Vaterunser oder ein Ave Maria sprechen, so könnt Ihr das auch zu Haus besorgen, und es ist dorten auch mindestens ebensoviel wert als jetzt hier in diesem Kloster, wo man kaum die Hand vor Augen sieht.«

»Ach, redet nur soviel Ihr wollt,« beharrte sie, »das nützt nichts. Denn auf mein Wort, ich muß unbedingt für eine kurze Weile dort hingehen.«

»Aber warum denn?« verwunderte er sich. »Wollt Ihr etwa mit den Mönchen da drinnen zärtlich sein?«

Sie bildete sich tatsächlich ein, ihr Mann wisse ganz genau, daß sie ihr Zehnt bezahle, und versetzte deshalb:

»Keineswegs! Nicht zärtlich sein will ich, sondern bezahlen!«

»Was denn bezahlen?« erkundigte er sich.

»Ihr wißt es doch ganz gut,« versetzte sie, »was fragt Ihr also noch lange.«

»Was weiß ich ganz gut?« erstaunte er sich. »Ich kümmere mich doch nicht um Eure Ausgaben.«

»Zum mindesten aber wißt Ihr doch genau,« erwiderte sie, »daß ich mein Zehnt zu bezahlen habe.«

»Was für einen Zehnt?«

»Nun,« rief sie, »einmal für immer: es ist das Zehnt für nächtliche Freuden von Euch und mir. Ihr seid gut daran, denn ich muß ja für uns beide bezahlen.«

»Wem zahlt Ihr denn?« erkundigte er sich.

»Dem Bruder Eustacius. Geht nur immer heim und laßt mich ins Kloster gehen, damit ich die Geschichte hinter mir habe. Die Sünde, nicht zu zahlen, ist so groß, daß ich mich nie recht wohl fühle, wenn ich dorten etwas schuldig bin.«

»Für heute ist es doch schon zu spät,« widersprach er. »Es ist ja bereits seit einer Stunde Schlafenszeit.«

»Mein Wort,« versetzte sie, »in diesem Jahr bin ich oft schon viel später dort gewesen, wenn man bezahlen will, dann kann man zu jeder Zeit hinein.«

»Nun, nun,« winkte er ab, »auf eine Nacht kommt es dabei auch nicht an.«

So kamen denn der Ehemann und seine Frau zwar nach Hause, aber beide waren schlechter Laune: die Frau, weil sie ihren Zehnt nicht hatte bezahlen dürfen, der Mann, weil er sich derart hintergangen sah. Er war vor Zorn und Verdrossenheit ganz außer sich, und daß er seine Wut nicht zu zeigen wagte, verdoppelte noch seine Qual. Schließlich legten sie sich schlafen. Der Mann war ein pfiffiger Kerl, und so erkundigte er sich von langer Hand bei seiner Frau, ob die andern Frauen der Stadt nicht ebenso genau ihr Zehnt zu zahlen hätten, wie sie es tut. »Wieso?« verwunderte sie sich. »Selbstverständlich tun sie das. Warum sollten sie irgendein Vorrecht vor mir voraus haben? Außer mir sind noch mindestens sechzehn oder zwanzig beim Bruder Eustacius, um bei ihm zu zahlen. Ach, er ist ja so schrecklich fromm. Denkt Euch nur, für ihn ist das eine arge Pein und ein gar verdienstliches duldungsvolles Werk. Bruder Bartolomäus hat ebensoviel wie er, vielleicht sogar noch mehr, unter anderen auch die Frau unseres Schloßherrn. Bruder Jakob hat auch recht viele, ebenso Bruder Antonius. Überhaupt hat jeder von ihnen eine ganze Menge zuerteilt bekommen.«

»Beim heiligen Johann!« rief der Ehemann, »faul sind sie gerade nicht. Ich merke nun aber schon, daß sie weitaus frömmer find als das von weitem scheint. Ich möchte sie wirklich einmal allesamt bei mir hier im Hause haben, um einen nach dem andern festlich zu bewirten und ihre frommen Reden zu hören. Damit wenigstens Bruder Eustacius rechtzeitig das Zehnt des Hauses erhält, sorgt, daß wir morgen gut zu essen haben, denn ich will ihn mit herbringen.«

»Recht gern,« versetzte sie. »Dann brauche ich wenigstens nicht zu ihm in seine Kammer zu gehen, um zu bezahlen, denn er wird es hier im Haus gerade so gern erheben.« »Ihr habt ganz recht,« versetzte er. »Und nun wollen wir schlafen.« Ihr könnte euch nun wohl denken, daß er sich mit dem Schlafen nicht überstürzte, und die Zeit, bis es Tag wurde, schien ihm gräßlich lang. Statt zu schlafen, dachte er in aller Gemütsruhe darüber nach, wie er das ausführen würde, was er für den nächsten Tag vorhatte.

Das Essen kam, und Bruder Eustacius, der die Absicht seines Gastgebers nicht kannte, lud gehörig in seinen kuttenumhüllten Wanst. Als er sich dann genügend gestärkt sah, wandte er seine Augen der Herrin des Hauses zu, versagte sich auch nicht ein gar anmutiges Spiel mit den Füßen unter dem Tisch; der Herr des Hauses merkte es recht wohl und beobachtete es sorglich, ohne es aber zu zeigen, wenngleich er doch der Leidtragende war. Nachdem sie sich dann gesegnet hatten, rief er den Bruder Eustacius und sagte ihm, er wolle ihm ein hübsches Bild unserer lieben Frau und ein schönes Gebet zeigen, das in seinem Zimmer sei. Der Mönch erklärte sich gern dazu bereit und so gingen sie hinein. Der Gastgeber sperrte die Tür ab, packte dann eine gewaltige Streitaxt und herrschte unsern Pfaffen an:

»Tod und Teufel, liebster Pater! Ihr kommt niemals mehr lebendig aus dieser Stube hinaus, wenn Ihr nicht die Wahrheit gesteht.«

»Ach, mein guter Herr,« jammerte der Bruder Eustacius, »ich bitte Euch um Gnade! Was wollt Ihr denn von mir?«

»Ich verlange von Euch«, versetzte jener, »den Zehnten des Zehnten, den Ihr bei meiner Frau erhoben habt.« Als der Mönch von einem Zehnten reden hörte»sagte er sich klüglich, daß es um seine Sache nicht gut stand. Er wußte nicht, was weiter antworten: er mußte um Verzeihung und Gnade bitten, und versuchte sich so gut als möglich zu entschuldigen.

»So sagt mir denn,« versetzte der Hausherr, »was für ein Zehnt erhebt Ihr bei meiner Frau und den anderen Frauen?«

Der arme Mönch war so durcheinander, daß er nichts zu antworten wußte und kein Wort erwiderte. »So sagt mir denn,« meinte der Hausherr, »wie die Geschichte sich genau verhält; ich will Euch dann auf mein Wort laufen lassen und keinerlei Böses antun. Wenn aber nicht, dann töte ich Euch kaltblütig und ohne Umstände.«

Als sich der andere derart durch Versprechungen gesichert sah, hielt er es für besser, die Wahrheit und seine Sünde einzugestehen, auch seine Gefährten ruhig hineinzulegen und solcherart mit heiler Haut zu entrinnen, als die Sache zu verheimlichen, das Geheimnis zu wahren und in der Gefahr zu schweben, daß er sein Leben verlieren könne. Er erklärte also:

»Liebeswertester Herr, ich bitte Euch flehentlich, habt Erbarmen, ich will Euch auch die volle Wahrheit sagen. Ja, es ist richtig, meine Gefährten und ich haben allen Frauen dieser Stadt eingeredet, daß sie für jeden Fall ein Zehnt schulden, wo ihr sie ehelich umfangt. Sie haben uns Glauben geschenkt und zahlen uns alle, die jungen wie die alten, wenn sie nur irgend vermählt sind, und nicht eine einzige hat sich dieser Pflicht zu entziehen gesucht. Selbst die Frau des Schloßherrn zahlt, genau so wie alle anderen, ihre beiden Nichten gleichfalls, und überhaupt gibt es keine einzige Ausnahme.« »Nun denn, – wenn selbst der Schloßherr und all die vielen angesehenen Leute zahlen müssen, dann bin ich freilich auch dazu verpflichtet, obgleich ich mir eigentlich das Gegenteil gedacht hätte,« entgegnete der Hausherr. »Also dann geht in Frieden, guter Pater, und erklärt mich nur des Zehnts für ledig, das meine Frau Euch schuldet.« Der andere war heilsfroh, als er sich glücklich aus der Klemme kommen sah, und verschwor sich hoch und heilig, nie irgendwelche Wünsche mehr zu äußern. Und wie ihr weiterhin sehen werdet, geschah es auch so. Nachdem sich andererseits der Herr des Hauses bei seiner Frau und dem Erheber dieses neuen Zehnts genügend unterrichtet hatte, begab er sich zu seinem Schloßherrn und erzählte ihm des langen und breiten die Geschichte dieser neuartigen Abgabe, so wie sie weiter oben geschildert worden ist. Ihr könnt euch denken, daß der hohe Herr aus allen Wolken fiel. Schließlich brummte er:

»Diese Kerle gefielen mir schon lange nicht und mein Herz sagte mir schon immer ganz richtig, daß die Bande gar nicht so sei, wie sie sich stelle. Wehe euch, ihr verdammte Gesellschaft, die ihr seid! Verflucht sei die Stunde, da mein Herr Vater, dem Gott verzeihen möge, die Schufte mit offenen Armen aufnahm! Nun sind wir von ihnen entehrt und entwürdigt. Und wenn das noch länger dauert, werden sie es noch schlimmer treiben. Was soll man da tun?«

»Mein Wort, Herr,« versetzte der andere, »wenn's Euch recht ist und gut scheint, dann versammelt alle Eure Untertanen dieser Stadt, denn die Sache betrifft sie genau so wie Euch. Erklärt ihnen die ganze Geschichte und beratet Euch dann mit ihnen, auf welche Weise man der Sache beikommen kann, um diesen Krebs zu heilen, wenn es auch schon recht spät ist.«

Dem Schloßherrn war das recht. Er ließ alle seine Untertanen, so weit sie verheiratet waren, herbeirufen, und sie versammelten sich bei ihm in dem großen Saale seines Schlosses. Dort erklärte er ihnen bis ins einzelne den Grund, um dessentwillen er sie bei sich zusammenberufen hatte.

War schon der Schloßherr auf den ersten Anhieb wie aus allen Himmeln gerissen gewesen, als ihm diese Neuigkeit aufgetischt wurde, so waren es nicht minder nun all die wackeren Männer, die da um ihn herumstanden. Die einen sagten: »Man muß sie töten!«, die anderen: »Man muß sie henken!« und wieder andere: »Man muß sie ersäufen!« Manche meinten zwar, sie könnten gar nicht glauben, daß so etwas wahr sein könne, denn die Mönche wären doch überaus fromm und führten solch heiligen Lebenswandel. Und so sagten die einen so, die andern anders, und jeder äußerte ausführlich seine Ansicht. Schließlich erklärte der Schloßherr:

»Ich will Euch einen Vorschlag machen. Wir wollen unsere Frauen hierherholen und einer, etwa Meister Johann oder so, hält eine kleine Ansprache an sie, die schließlich auf das Zehnt anspielt. Und dann fragt er im Namen von uns allen, ob sie sich dieser Pflicht auch unterwerfen: – denn wir wollen, daß Schulden bezahlt werden. Auf diese Weise werden wir ja dann ihre Antwort zu hören bekommen.«

Nachdem sie auch darüber beraten hatten, einigten sie sich alle auf den Rat und Vorschlag des Schloßherrn. So wurden denn sämtliche verheirateten Frauen der Stadt herbeigerufen und sie kamen in den Saal, wo sich bereits all ihre Männer befanden. Der Schloßherr ließ sogar auch seine Gemahlin rufen, der vor Schrecken schier der Mund offenstehen blieb, als sie diese Volksversammlung erblickte.

Alsdann gebot einer von den Mannen des Schloßherrn Ruhe, und dann kletterte Meister Johann auf einen etwas erhöhten Sitz, so daß er über die anderen hinausragte, und begann seine kleine Volksrede etwa wie folgt:

»Meine Damen und lieben Frauen, ich bin von unserm Herrn hier und denen, die sich mit ihm beraten haben, beauftragt worden, euch kurz den Grund zu sagen, warum ihr hierherberufen seid. Die Geschichte verhält sich nämlich so, daß unser Herr, seine Ratgeber und sein Volk, das hier um ihn herumsteht, eben in dieser Stunde eine kleine Betrachtung über unsere Gewissenpflicht angestellt haben. Der Anlaß war, daß sie entschlossen sind, in kurzer Zeit eine schöne, fromme Wallfahrt zu Ehren unseres Herrn Jesu Christi und seiner glorreichen Mutter um Gottes Willen zu veranstalten. Zu diesem Tage wollten sich alle vorbereiten und in die vollkommenste Verfassung bringen, auf daß ihre allerfrömmsten Gebete um so eher erhört würden und die Werke, die sie an diesem Tage vollbringen wollten, Gott um so willkommener seien. Ihr wißt nun gut genug, daß wir Gott sei Dank in dieser Zeit keinerlei Krieg bei uns im Land gehabt haben, während unsere Nachbarn gar erschrecklich von Pest und Hungersnot heimgesucht wurden. Sind die andern derart geschlagen worden, so haben wir unsererseits immer sagen können und können es noch jetzt sagen, daß Gott uns in Gnaden davor bewahrt hat. Und so ist es denn auch nur vernünftig, wenn wir uns klarmachen: das danken wir nicht unserer eigenen Tugendhaftigkeit, sondern der weitherzigen, freigiebigen Gnade unseres seligen Erlösers, der uns mahnt, ruft und einladet, unsere Gebete erklingen zu lassen, wie sie in unserer Gemeindekirche ertönen. In sie setzen wir das allergrößte Vertrauen, – an ihr hängen wir in tiefster Frömmigkeit. Das gottseliege Kloster der Franziskaner in unserer Stadt hat viel zur Erhaltung dieses Glückszustandes beigetragen und tut es noch heute. So wollen wir denn nun noch obendrein von euch wissen, ob ihr euch all den Pflichten unterzieht, die euch auferlegt worden sind. Und obgleich wir fest davon überzeugt sind, daß ihr euch eurer Pflichten der Kirche gegenüber stets genau erinnert, so werdet ihr doch sicher nichts dagegen haben, daß ich der Sicherheit halber noch einige wichtige Punkte dabei im besonderen betone. Viermal im Jahr, an den vier großen Festtagen in Erinnerung an die großen Wendetage im Leben Christi habt ihr zum mindesten irgendeinem Priester oder Geistlichen zu beichten, der dazu ermächtigt ist. Und empfangt ihr jedesmal den Leib eures Herrn, so wird das sehr wohlgetan sein. Zweimal oder zum mindesten einmal im Jahr müßt ihr es aber tun. Ferner geht alle Sonntage zur Opfergabe und zu jeder Messe. Wer von euch dazu nicht in der Lage ist, zahle Gott seinen Zehnt an Früchten, Hühnern, Lämmern, Schweinen und all dem anderen, wie es Brauch ist. Außerdem schuldet ihr den frommen Geistlichen im Kloster des heiligen Franz ein anderes Zehnt, das wir ganz besonders sorglich bezahlt wissen wollen. Das liegt uns am allernächsten am Herzen und wir wünschen über alles, daß diese Pflicht geübt werde. Sollte aber trotzdem eine unter euch sein, die ihre Pflicht nicht vollkommen erfüllt hat, aus Nachlässigkeit oder weil sie noch nicht darum ersucht worden war, so möge sie vortreten, um sie zu bezahlen. Ihr wißt, daß diese guten Mönche nicht zu euch in eure Häuser kommen können, um sich ihr Zehnt einzufordern, denn das würde ihnen gar zu viel Mühe und Umstände machen. Man muß sich schon damit abfinden, daß sie überhaupt die Mühe auf sich nehmen, diese Abgabe zu empfangen. Das also ist es, was ich euch zu sagen habe, es bleibt nun nur noch festzustellen, wer von euch gezahlt hat und wer es schuldig blieb.«

Meister Johann hatte seine Rede noch nicht recht beendet, da begannen schon mehr als zwanzig Frauen alle einstimmig zu schreien:

»Ich, ich habe bezahlt! Ich, ich habe bezahlt! Ich bin nichts schuldig! Ich auch nicht! Ich auch nicht!«

Auch sonst versicherten an die hundert andere und im allgemeinen überhaupt alle, daß sie nichts schuldig seien. Ja, vier oder sechs schöne junge Frauen tänzelten sogar hervor und erklärten, sie hätten so reichlich bezahlt, daß man ihnen für die Zukunft eigentlich Gegenleistungen schuldig sei, der einen vier, der anderen sechs, der anderen zehn.

Freilich gab es andererseits ich weiß nicht wieviel alte Schachteln, die kein Tönchen schnauften. Meister Johann fragte sie, ob sie denn auch ihr Zehnt richtig bezahlt hätten, und darauf entgegneten sie, daß sie mit den Mönchen eine Einigung getroffen hätten.

»Wie?!« rief er. »Bezahlt ihr nicht? Die anderen sollt ihr auffordern und drängen, ihre Pflicht zu tun, und ihr selbst hättet euch gedrückt?!«

»Nun freilich,« versetzte die eine, »an mir hat's nicht gelegen. Ich habe mich mehrmals angeboten, um meine Pflicht zu tun. aber mein Beichtiger mochte nichts hören, er sagte jedesmal, er habe keine Zeit.«

»Beim heiligen Johann,« riefen die andern alten Schachteln, »wir haben durch Übereinkunft mit ihnen das Zehnt, das wir ihnen schulden, in Zeug, Tuch, Kissen, Polstern, Kopfkissen und anderem Zierrat und Schmuck abgetragen, und zwar auf ihren Rat und nach ihrem Vorschlage, denn wir hätten unsere Schulden lieber so beglichen, wie die andern auch.«

»Bei unserer lieben Frau!« meinte Meister Johann, »dann ist es ja noch nicht so schlimm, sondern recht brav getan.«

»Jetzt können sie, denke ich, wieder nach Belieben fortgehen, edler Herr,« wandte sich Meister Johann an den Schloßherrn. »Nicht wahr?«

»Gewiß,« erwiderte der. »Aber wie dem auch sein mag: es darf nicht vergessen werden, an das Zehnt zu denken!«

Als alle Frauen wieder aus dem Saal waren, wurde die Tür verschlossen. Und unter den Männern, die blieben, wagte keiner, seinen Nachbarn anzuschauen.

»Nun,« hub der Schloßherr an, »was ist da zu machen? wir sind jetzt des Verrates gewiß, den diese schuftigen Mönche uns durch ihre Leute und unsere Frauen angetan haben. Zeugen brauchen wir weiter keine.«

Nachdem verschiedenerlei Ansichten und Vorschläge jeder Art geäußert worden waren, kamen sie schließlich endgültig zu dem Entschluß, Feuer an das Kloster zu legen und die Mönche mitsamt ihrem Kloster zu verbrennen. Sie gingen also zur Stadt hernieder, begaben sich zu dem Kloster und holten das corpus Domini heraus. Andere trugen sonstige Reliquien davon, brachten alles in die Pfarre, und dann legten sie ohne große Umstände an verschiedenen Ecken Feuer an. Sie gingen auch erst fort, nachdem alles von den Flammen verzehrt war: Mönche, Laienbrüder, Kirche, Schlafsaal und all der Überfluß an Gebäuden, der sich dort breitmachte. So teuer erkauften die armen Franziskaner das ungewohnte Zehnt, das sie der Stadt auferlegt hatten. Gott selbst würde sicherlich auch sein entweihtes Haus verbrannt haben.


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