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Den Löwen bat die Maus demütig,
er wolle gütig
frei geben ihr den Aufenthalt
ganz nah bei ihm in einem hohlen Stamme.
»Bist du gleich«, sprach sie, »ruhmgekrönt im Wald,
beugt sich auch alles deiner Zornesflamme,
erweckt auch dein Gebrüll schon Graun –
so kann doch niemand in die Zukunft schaun.
Wer weiß, wie einer je den andern braucht;
bin ich auch winzig und geringe,
vielleicht doch, daß mein Beistand einst dir taugt.« –
»Beistand von einem solchen Dinge?
Für diese freche Rede bloß
wär' Tod dein wohlverdientes Los.
Hinweg, schnell fort, solang du noch am Leben,
damit nicht jede Spur von dir verschwinde!«
Da überkam die Maus ein banges Beben,
sie huschte fort in tiefverborgne Gründe.
Dem Leu jedoch bekam der Hochmut schlecht.
Er war einst auf die Jagd gegangen,
da blieb er hangen
in eines Netzes dichtem Garngeflecht.
Hier half nicht Kraft, nicht Brüllen, Stöhnen,
denn er ward heute,
wie sehr er tobt und anstrengt seine Sehnen,
des Jägers Beute.
Drauf wird, was ihm zu bittrer Schmach gereicht,
in einem Käfig er dem Volk gezeigt.
Da muß er an des Mäuschens Worte denken:
Das Tierchen hätte Hilfe wohl gebracht
und das verruchte Netz zernagt;
warum die Maus so schnöde kränken?
Zu spät sieht er nun ein,
daß ihn sein falscher Stolz gestürzt in diese Pein.
Nun, Leser, als ein Freund der Wahrheit
füg' ich zur Fabel einen Spruch,
der nicht von mir ist, ich bin nicht so klug.
Es sagt das Volk mit großer Klarheit:
»Du sollst nicht in den Brunnen spucken,
vielleicht mußt du sein Wasser schlucken.«