Iwan Andrejewitsch Krylow
Fabeln
Iwan Andrejewitsch Krylow

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42. Die Blätter und die Wurzeln

Es war ein herrlich Sommerwetter.
Ein Baum stand still und hoch im Tal,
und breiten Schatten gaben seine Blätter.
Sie flüsterten manchmal
in trautem Zwiegespräch mit den Zephiren:
»Sagt, ist es denn nicht wahr, daß dieses Tal
nur wir so zieren?
Ist nicht durch uns der Baum so dicht belaubt
in grünem Laubeskranze?
Wie käme er zu seinem Glanze,
wenn ihm die Pracht der Blätter wär' geraubt?
Sind wir es nicht, die bei der Schwüle
durch unsern tiefen Schatten
dem Schäfer bieten wie dem Wandrer Kühle?
Und diese ist's, die von besonnten Matten
die Hirten her zum Tanze zieht.
In unserm Schutze flötet
die Nachtigall ihr süßes Lied,
wenn früh der Himmel sich und abends rötet.
Und ihr Zephire endlich,
seid ihr nicht auch von uns fast unzertrennlich?« –
»Man sollte uns nicht ganz vergessen«,
so tönt es jetzt von unten her. –
»Wer spricht denn hier dazwischen so vermessen,
wer seid ihr, wer,
daß ihr mit uns euch einzulassen waget?«
So rauscht durchs Laub die Gegenrede oben. –
»Wie sehr 's euch auch behaget,
euch selbst zu loben,
sind wir es doch, die, abgesperrt vom Licht
und in die Tiefe treibend, euch erhalten.
Wißt ihr es nicht?
Wir sind die Wurzeln von dem Baum,
an dem sich eure Schönheit kann entfalten.
Wiegt euch in eurem selbstgefäll'gen Traum,
doch merkt euch, was uns unterscheidet.
Mit jedem Lenz, bei warmem Wetter,
kommt neu das Laub, doch wenn die Wurzel leidet
und dorrt, so gibt es keinen Baum
und keine Blätter.«


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