Iwan Andrejewitsch Krylow
Fabeln
Iwan Andrejewitsch Krylow

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23. Der Wolf und der Kuckuck

»Nachbar, leb wohl«, so sprach zum Kuckuck Isegrim,
»ich hofft' umsonst, daß ich hier Ruhe hätte.
Die Menschen sind, es sind die Hunde schlimm
und schikanieren um die Wette.
Man könnt' ein Engel sein
und käme nicht heraus aus blut'gen Zänkerein.« –
»Und ist das Ziel der Reise weit gesteckt?
Wo sind denn wohl die Leute so gemütlich,
daß du mit ihnen leben könntest friedlich?« –
»Ja, sieh, ich geh' von hier direkt
in die arkadischen Gefilde.
O Nachbar, das ist dir ein Land!
Da ist der Krieg noch unbekannt,
die Menschen dort sind wie die Lämmer milde.
Die Flüsse führen Milch statt Wasser –
kurzum, dort herrscht die goldne Zeit.
Man lebt ganz brüderlich, tut sich kein Leid,
dieweil kein Feind ist und kein Hasser.
Es beißen nicht die Hunde,
man sagt sogar, sie bellen nicht einmal –
und hier mit ihnen welche Qual!
Mal es dir aus in einer stillen Stunde
das schöne Leben auf so holder Flur:
Hier findest du davon auch nicht die kleinste Spur.
Adieu, gedenke freundlich mein,
ich hoff' in kurzem besser zu gedeihn
in Friede, Fülle und Behagen,
wenn ich nicht mehr in Angst und Zagen
mich brauche Tag und Nacht zu plagen.« –
»Verehrter Freund, ich wünsche dir viel Glück«,
versetzt der Kuckuck, »doch dein Naturell
und dein Gebiß, die lassest du zurück?« –
»Du spaßest wohl, Gesell,
daß ich ein Narr wär', Gott bewahre!« –
»Nicht? Nun so denk an mich, du lassest Haare!«

Wenn's einer selber übel meint,
so schimpft er um so ärger auf die Leute:
Er sieht in jedem einen Feind,
dieweil er selber keinen je erfreute.


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