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Die Katz' erhaschte eine Nachtigall,
schlug in den kleinen Leib die Krallen,
drückt' ihn mit Wohlgefallen
und sprach: »Mein Liebchen, überall
macht Rühmens man von deinem Singen
und zählt dich zu den großen Meistern.
Mir sagte neulich noch der Fuchs:
›Es geht nicht zu mit rechten Dingen,
kaum hebt ihr Lied sie an, und flugs
weiß sie auch alles zu begeistern.‹
Da wär' ich nun begierig,
selber dich zu hören.
Was zitterst du denn so? Sei doch nicht schwierig
und fürchte nicht, ich wolle dich verzehren.
Wenn du gesungen hast, sollst frei du sein,
kannst wieder schweifen dann in Busch und Hain.
Musik steht auch bei mir sehr hoch im Preise,
oft schnurr' ich selber mich in Schlummer leise.«
Still blieb die arme Philomele,
ihr ist wie zugeschnürt die Kehle.
»Nun denn«, ermahnt die Katz',
»so sing doch, sing ein wenig nur, mein Schatz.«
Der Vogel sang doch nicht, er hat nur so gepiept.
»Mit dem Gesange machst du dich beliebt?«
fragt hier die Katze spöttisch.
»Wo bleibt denn jene Reinheit, Stärke, Glut,
von der sie allzeit reden so abgöttisch?
Mir macht so ein Gequietsch Pein selbst von meiner Brut.
Ich sehe, deine Kunst im Singen wiegt nicht schwer,
vielleicht behagst du meinem Gaumen mehr.«
Die Katze fackelt nun nicht länger
und frißt mit Haut und Haar den armen Sänger.
Noch deutlicher? Euch zu Gefallen
sei es leis ins Ohr geraunt:
Der Vogel ist zum Singen nicht gelaunt,
wenn ihn die Katze hält in ihren Krallen.