Iwan Andrejewitsch Krylow
Fabeln
Iwan Andrejewitsch Krylow

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52. Der gutherzige Fuchs

Ein Jäger schoß einst eine Drossel tot.
Doch wär' des Jammers damit nur ein Ende!
Er hat drei Junge auch gestürzt in bittre Not,
man beut ja Waisen nicht so bald die Hände.
Dem Ei entkrochen kaum, sind sie noch stumpf und schwach,
und Hunger hat und Kälte jetzt
scharf ihnen zugesetzt;
gar kläglich wimmern sie der Mutter nach.
»Wer wäre nicht betreten
bei solchen Nöten,
und wessen Herz empfände Mitleid nicht?« –
Es ist der Fuchs, der dies zu allen Vögeln spricht
von einem Stein herab, dem Neste gegenüber.
»Laßt, Freunde, doch die Kleinen nicht verkommen,
ihr Los wird stündlich trüber.
Wenn ihr ein Körnchen je zu bringen euch bestrebt,
wenn ihr ein Hälmchen je ans Nest noch klebt,
es wird zu ihrer Rettung frommen.
Was ist wohl heil'ger, als barmherzig handeln?
Du, Kuckuck, bist ja in der Mauserzeit
und mußt dich wandeln,
laß doch nur rupfen gleich dein altes Kleid,
es gäbe Federn für ihr Bette,
von denen sonst doch niemand etwas hätte.
Du, Lerche, was hast du in Lüften
zu steigen, dich herumzuschwingen im
Tale solltest du, in Klüften,
nach Futter spähn und ihnen davon bringen.
Du, Taube, deine Jungen sind schon flügge,
sie finden selber Atzung zur Genüge,
du könntest dreist dein Nest verlassen
und statt der Mutter auf die Waisen passen –
du stellst die eigne Brut
in Gottes Hut.
Du, Schwalbe, könntest auch was leisten,
du könntest Fliegen fangen
zum Leckerbissen für die früh Verwaisten,
wie werden sie danach verlangen!
Du aber, holde Nachtigall,
du weißt, wie alle labt dein süßer Schall –
derweil der Zephir sanft das Nestlein wiegt,
lullst du das Kleeblatt ein, bis es in Schlummer liegt.
Kurz, mit so zarter Pflege, glaubt,
ersetzt ihr ihnen, was der Tod geraubt.
Hört denn auf mich, laßt uns bekunden,
daß auch der Wald noch milde Herzen hegt,
und daß . . .« – hier hat sich ein Geräusch geregt:
Die armen Kleinen haben sich gewunden
in Hungers Qual,
und alle drei zumal
sind sie gefallen zu des Fuchses Füßen.
Und nun? Der Fuchs? Er ließ sich's nicht verdrießen,
er hat den Schluß der Litanei vergessen
und sie gefressen.

Ja, Leser, wundere dich nicht,
der brave Mann ist nie ein Freund von Worten,
er tut das Gute still und schlicht.
Wer es nur predigt allerorten,
der ist vielleicht auf andrer Kosten gut,
vor eignem Nachteil aber auf der Hut.
Sonst machen's solche Leute alle
wie Reineke in diesem Falle.


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